Workforce, Lope De Vega oder „entscheidend is auffem Platz“
Es war ein aufregendes Rennsportwochenende: Mit dem englischen und französischen Derby standen die vielleicht wichtigsten europäischen Klassiker auf dem Programm. Und es gab reichlich Diskussionsstoff danach.
Das Schönste an Rennen wie dem englischen Derby ist, dass man mit jedem eindrucksvollem Sieger meint, man habe ein neues „Wunderpferd“ gesehen. Weil auch im Galopprennsport alle nach Helden lechzen.
Wie gut ist also Workforce, Triumphator 2010 in Epsom? Die Fakten: Es war erst der dritte Start im Leben und der Hengst – übrigens auch Derby-Tipp dieser Kolumne – zeigte sich gegenüber dem zweiten Platz in den Dante Stakes in York sehr, sehr, sehr verbessert. Das sah schon richtig nach Extraklasse aus, wie er beschleunigte und leicht und locker mit sieben Längen Vorsprung gewann. „Ich habe noch nie ein Mitteldistanz-Pferd geritten, das so beschleunigt und ich war noch nie so schnell um den Bogen in Epsom“, sagte Jockey Ryan Moore hinterher. Was bemerkenswert ist: Denn sonst sagt Moore eigentlich nie etwas gegenüber der Presse.
Weiterer Beweise der Extraklasse: Mit 2 min. 31,33 war Workforce um eine Sekunde schneller als Lammtara, seit 1995 Rekordhalter über die 2400 Meter auf dem Kurs in Epsom. Der Handicapper wird ihn höher einschätzen als den letztjährigen Gewinner Sea The Stars oder Authorized, 2007 hochüberlegener Sieger.
Doch was ist die Form wert? Die Rekordzeit war auch der Verdienst des 100:1-Außenseiters At First Sight aus dem Stall von Aidan O’Brien, eigentlich als Pacemaker für seine höher eingeschätzten Stallgefährten Jan Vermeer und Midas Touch vorgesehen. Jockey Seamie Heffernan drückte vorne richtig auf die Tube, löste sich vom Feld und nur der spätere Sieger zog an ihm vorbei. Zuletzt rückte der Godolphin-Schützling Rewilding dem Zweiten noch nahe, vorbei kam er aber nicht.
Dennoch wirft das gute Laufen von At First Sight, zuletzt sechs Längen hinter seinem Stallgefährten Midas Touch, einige Fragen auf. Entweder ist er
• viel besser als seine Vorformen,
• sind seine beiden Stallgefährten schlechter als gedacht,
• oder hat Ballydoyle ein großes Gamble mit dem Pferd geplant, dass am höchsten am Toto steht.
Variante 3 schließe ich mal aus. Zum einen, weil die Ballydoyle-Verantwortlichen so viel Geld haben, dass sie irgendwelche Wetten nicht nötig haben. Andererseits wäre der Starting-Preis deutlich niedriger als 100:1 gewesen, wenn signifikante Beträge unterwegs gewesen wären. Also muss es eine Mischung der Punkte eins und zwei sein.



Die perfekte Revanche
Und wenn man Formen wirklich ernst nimmt, dann hätte Cape Blanco, der Bezwinger von Workforce in York, im französischen Prix Du Jockey Club in Chantilly spazieren gehen müssen. Hat er aber nicht gemacht, im Gegenteil – er spielte überhaupt keine Rolle. Der Sieger im französischen Derby trägt den Namen Lope De Vega, wird trainiert von Altmeister Andre Fabre, gewann bereits die französischen 2000 Guineas und wurde höchst cool geritten von jungen Maxime Guyon, der den Shamardal-Sohn aus der äußeren Startbox 20 schnell nach innen ins Vorderfeld brachte und am Ende leicht nach Hause kam.
„Das ist eine unglaubliche Überraschung“, sagte hinterher sein deutscher Besitzer Dietrich von Boetticher, für dessen Gestüt Ammerland der Hengst startet. Denn auch sein Patron war nicht überzeugt davon, dass der Guineas-Sieger das Stehvermögen für 2 100 Meter (die Franzosen sind irgendwann mal in der klassischen Derbydistanz von 2 400 auf 2100 Meter gegangen) hat. Aber, um einmal die Worte von BVB-Legende Addi Preißler zu zitieren: „Entscheidend is auffem Platz“. Und so triumphierte der Shamardal-Sohn – und die Turf-Welt war um eine Anekdote reicher. Denn Shamardal hatte einst das französische Derby mit einer Nase gegen von Boettichers Hurricane Run entschieden.