Mittwoch, 10. Oktober 2018
Von glücklichen und unglücklichen Stuten in Longchamp
Nun ist er auch schon wieder Geschichte, der Prix de l’Arc de Triomphe 2018. Das Finish war Dramatik pur, Enable verteidigte hauchdünn ihren Titel gegen die anstürmende Sea Of Class. Die Stute aus dem John Gosden-Quartier ist schon ein Ausnahmepferd, dennoch wurde nach dem Rennen mehr über die Zweite als über die Siegerin gesprochen.

Es sollte nicht sein an diesem Tag für Jockey James Doyle. Mit großen Schritten kam Sea Of Class aus dem Hintertreffen nach vorne, zeigte enormen Speed. Doch der Zielpfosten kam zu früh, 50 Meter weiter hätte die Stute aus dem Stall von William Haggas Enable geschlagen.
War jetzt der Jockey schuld? Bei Facebook etwa gingen die Meinungen weit auseinander. Einige gaben dem Jockey die Schuld, andere lobten ihn, weil er das Optimale herausgeholt habe. Ich tendiere auch zu letzterem, ohne den Ritt gut zu finden. Dafür hätte Sea Of Class gewinnen müssen.
Aber versaut hat es Doyle nicht. „Man kann den Rennstil eines Pferdes nicht ändern“,sagte der Jockey im Interview mit Attheraces-Moderator Matt Chapman. Seine Stute kommt immer mit Speed aus den hinteren Bereichen, die äußere Startbox 15 und die Größe des Feldes waren für diese Taktik keine Hilfe. Auch von Trainer William Haggas gab es keine Kritik: „Er musste sie so reiten“.
Aus den hinteren Regionen kam auch Waldgeist noch angeflogen, am Ende war es für den französischen Mitfavoriten aus dem Gestüt Ammerland Platz 4. Davor endete sein Stallgefährte Cloth Of Stars, der damit bestes französisches Pferd war und ähnlich gut lief wie bei seinem zweiten Platz aus dem Vorjahr. Nur dass er diesmal näher an Enable als im Vorjahr war.
Meine Wette war also kaputt, trotzdem verdient Enable große Anerkennung. Frankie Dettori hatte ihr aus Startbox 5 ein optimales Rennen aus dem Vordertreffen serviert. Der Pfosten stand genau richtig.

Vorbild Mabs Cross
Vielleicht gibt es im nächsten Jahr die Revanche. Sea Of Class wird im Training bleiben, bei Enable gibt es noch keine Entscheidung. Trainer John Gosden könnte sich aber durchaus vorstellen, dass seine Stute zum dritten Mal im Arc antritt. Zumal es in diesem Jahr verletzungsbedingt erst ihr zweiter Start war.
Vielleicht macht es ja Sea Of Class so wie Mabs Cross, die in diesem Jahr im Gruppe 1-Sprint Prix de l’Abbaye siegte. Auch diese Stute hatte zuletzt nur mit einer Nase in den Nunthorpe Stakes in York gegen Alpha Delphini verloren, jetzt drehte sie den Spieß um und triumphierte mit einem Kopf vor Gold Vibe, Archie Watson und dem Favoriten Battaash. Ihre letzte Bezwingerin landete im geschlagenen Feld.
Mabs Cross ist eine sehr beständige Sprinterin, die dennoch regelmäßig unterschätzt wird. Weil im Vorfeld der großen Sprints alle über Battaash sprechen. Dieses Pferd von Trainer Chris Hills ist in Bestform brillant, aber er hat auch seine Eigenheiten. Es kann schon mal sein, dass ihn die Zuschauermenge zu sehr aufregt und er alle Energie im Führring und beim Aufgalopp lässt. Dann ist er nicht mehr unschlagbar.
Michael Dods, der Trainer von Mabs Cross, ist ein sehr erfolgreicher Trainer von Sprintern, für die es in England eine Menge Startmöglichkeiten gibt. Eines seiner besten Pferde war Mecca’s Angel, die zweimal unter anderem in den Gruppe 1-Nunthorpe Stakes in York siegte. Er trainiert in County Durham im hohen Norden Englands.



Maßarbeit: Mabs Cross holt sich mit Jockey Gerald Mosse auf den letzten Metern den Abbaye

Longchamp verpatzt Premiere
Service-Desaster auf dem neuen Rennplatz Longchamp. Dabei waren weniger Besucher als früher da. Aber sie erlebten lange Schlangen vor Wettschaltern, Imbissbuden und Toiletten – und das bei Eintrittspreisen bis zu 75 Euro. Zumindest berichten dies seriöse Blätter wie die Racing Post und der Guardian.



Freitag, 5. Oktober 2018
Sea of Class und Kew Gardens die Arc-Tipps
Nach zwei Jahren Chantilly ist der Qatar Prix de l'Arc de Triomphe wieder in seiner alten Heimat: Longchamp. Oder besser ParisLongchamp, wie der Kurs jetzt offiziell heißt. Neuer Name, neue Tribüne und die Eintrittspreise nähern sich englischem Niveau, aber dafür gibt es zwei Tage tollen Sport. Und der Arc ist der Höhepunkt. Starter und Chancen.

1. Defoe (Trainer Roger Varian/Jockey Andrea Atzeni): Im letzten Jahr stark verbesserter Dalakhani-Sohn, in diesem Jahr gewann er seine ersten beiden Rennen. Zuletzt in Deutschland unterwegs, im Großen Preis von Baden unterlag der Hengst knapp Best Solution. Die Gegner in Longchamp sind aber noch mal eine Klasse stärker.

2. Saluonen (Trainer Sylvester Kirk/Jockey Oisin Murphy): Zäher Bursche, der oft unterschätzt wird, aber in sehr guter Gesellschaft einige ganz starke Vorstellungen zeigte. So zum Beispiel in Epsom, als er Cracksman am Rand einer Niederlage hatte. Hat aber noch nie ein Gruppe-Rennen gewonnen. Sein Erfolg im Arc wäre eine Sensation.

3. Capri (Trainer Aidan 0’Brien/Jockey Donnacha O‘Brien): 2017 irischer Derbysieger und englischer St. Leger-Gewinner. Im letzten Jahr 17 von 18 im Arc, erst zwei Starts in diesem Jahr. Das Comeback nach einer Schulterverletzung als 5 von 6 im Prix Foy (Sieger Waldgeist) war mäßig, aber es war der erste Start nach Pause. Könnte überraschen.

4. Way To Paris (Trainer Antonio Marcialis/Jockey Gerald Mosse): Champs Elysses-Sohn, der immer in guter Gesellschaft lief, dort schon platziert war, aber eigentlich kaum eine Siegchance hatte. Klarer Außenseiter, auch wenn sein Jockey zuletzt in England mit scheinbar chancenlosen Pferden erfolgreich war.

5. Waldgeist (Trainer Andre Fabre/Jockey Pierre Charles Boudot): Galileo-Sohn in deutschem Besitz und nach Formen der Beste der heimischen Kandidaten. Zuletzt vier Siege in Serie, in diesem Jahr noch weiter verbessert. Top-Trainer, dessen letzter Arc-Erfolg aber auch schon ein paar Jahre zurückliegt. Sehr interessant und so leicht wie er meist die Nase vorne hatte, sollte er noch weitere Reserven haben.

6. Cloth Of Stars (Trainer Andre Fabre/Jockey Vincent Cheminaud): In diesem Jahr noch ohne Erfolg, zuletzt dreimal hinter dem Stallgefährten Waldgeist. So recht sieht es nicht nach einer Formumkehr aus. 2017 allerdings Zweiter im Arc hinter Enable. Je weicher der Boden, desto bessere Chancen.

7. Talismanic (Trainer Andre Fabre/Jockey Mickael Barzelona): Godolphin-Vetreter mit markantem weißen Gesicht. Schon sehr erfolgreich, 2017 etwa Triumphator im Breeders Cup Turf. Zuletzt Zweiter hinter Waldgeist, auch hier sieht es nicht unbedingt nach einer Formumkehr aus.

8. Tiberian (Trainer Alain Couetil/Jockey William Buick): Sechsjähriger Hengst, der 2017 seine beste Zeit erlebte. Die aktuellen Formen reichen nicht, kann nur überraschen.

9. Clincher (Trainer Miyamoto/Jockey Yutaka Take): Gast aus Japan, der zu Beginn des Jahres drei gute Leistungen in japanischen Gruppe-Rennen zeigte. Im Prix Foy gegen Waldgeist, Talismanic und Cloth Of Stars chancenlos. Es gab schon stärkere Herausforderer aus Fernost.



Arc 2002: Marienbard in den Godolphin-Farben siegt mit Frankie Dettori. Der deutsche Vertreter Boreal war leider ohne Chance

10. Enable (Trainer John Gosden/Jockey Frankie Dettori): Die überlegene Siegerin aus dem Vorjahr. 2017 schaffte sie das Doppel King George/Arc und war das überragende Pferd auf Distanzen über 2000 Meter. In dieser Saison erst ein Start, aber wie sie bei ihrem Comeback den Fast-King George-Sieger Crystal Ocean in die Schranken verwies, war schlichtweg grandios. Das zu schlagende Pferd, der Kurs ist aber entsprechend tief.

11. Neufbosc (Trainer Pia Brandt/Jockey Cristian Demuro): Einer der stärksten französischen Dreijährigen des Jahrgangs über 2400 Meter, Zweiter im Grand Prix de Paris hinter Kew Gardens und Dritter im Prix Niel vor Royal Youmzain aus dem Wöhler-Stall. Muss sich noch mal verbessern, könnte aber noch Reserven haben. Beste Leistungen auf gut bis weichem Boden.

12. Patascoy (Trainer Xavier Thomas-Demeaulte/Jockey Olivier Peslier): Knapp besiegter Zweiter im französischen Prix de Jockey Club über 2100 Meter als großer Außenseiter, bestätigte danach diese Form halbwegs als Zweiter in Deauville. 2400 Meter sind Neuland, aber nach seinem bisherigen Laufen sollte er sie können. Dennoch Außenseiter.

13. Kew Gardens (Trainer Aidan O‘Brien/Jockey Ryan Moore): Großer Steher, der zudem viel Speed besitzt. Englischer St. Leger-Gewinner, aber auch Erster im Grand Prix De Paris über 2400 Meter. Lief auch ordentlich, als die O’Brien-Form im Sommer nicht stimmte. Jetzt läuft es wieder im Quartier und Kew Gardens kann die Favoriten durchaus überraschen.

14. Study Of Man (Trainer Pascal Bary/Jockey Stephane Pasquier): Französischer Derbysieger, der danach aber zweimal enttäuschte. Vielleicht scheiterte er in Leopardstown auch am festen Boden, dennoch überzeugen andere Kandidaten mehr.

15. Louis D’Or (Trainer Tony Castanheira/Jockey Antoine Hamelin): Beste Leistung war Platz 3 im Prix Du Jockey Club, als er als 66:1-Chance alle überraschte und nicht weit vom Sieger Study Of Man entfernt war. Danach wieder meist unter ferner liefen, müsste sich schon gewaltig steigern.

16. Hunting Horn (Trainer Aidan O’Brien/Jockey Seamie Heffernan): Chester, Chantilly, Ascot, Belmont Park, Arlington und zuletzt Longchamp – weitgereister O’Brien-Dreijähriger, chancenlos im französischen Jockey Club, zuletzt Zweiter. Diese Formen reichen aber nicht.

17. Nelson (Trainer Aidan O’Brien/Jockey Michael Hussey): Der nächste aus der O’Brien-Armada. Frankel-Sohn aus einer irischen Oaks-Siegerin, nach bisherigen Vorstellungen wäre ein Erfolg eine Sensation.

18. Magical (Trainer Aidan O’Brien/Jockey Wayne Lordan): Dreijährige Galileo-Stute, für die zuletzt die Meiler in den Matron Stakes in Leopardstown zu schnell waren. Erster Versuch über 2400 Meter, weiter als 1800 Meter ist sie noch nie gelaufen. Ihre Mutter (Gruppe 1-Siegerin) hat immerhin über 2000 Meter gewonnen. Tempomacherin?

19. Sea of Class (Trainer William Haggas/Jockey James Doyle): Brillant verbesserte Stute, die vier ihrer fünf Starts gewann und zuletzt zweimal in Gruppe 1-Gesellschaft dominierte. Jetzt geht es gegen die „großen Jungs“, dreijährige Stuten haben eine gute Bilanz im Arc. Die Gegnerin für John Gosdens Stute.

Urteil
Schon komisch: 19 Starter im Arc, aber eigentlich wird nur über drei Pferde gesprochen, wenn es um den Sieg geht. Vorjahressiegerin Enable setzt die Maßstäbe, Sea of Class und Waldgeist folgen. Das Pferd von William Haggas ist das Pferd mit dem meisten Potenzial nach oben und die Alternative gegen Enable. Kew Gardens hat Speed und Stehvermögen und ist daher nicht zu unterschätzen. Von den heimischen Kandidaten verdient noch Neufbosc einen Hinweis.



Donnerstag, 27. September 2018
Khan und andere Liebhaber tiefen Geläufs
Irgendwie macht es der deutsche Galopprennsport dem Betrachter derzeit nicht leicht. Auch weil die „falschen“ Pferde sich aktuell die besten Rennen in Deutschland schnappen. Entweder kommen sie aus dem Ausland oder es gewinnen Vollblüter, die das nach den Vorformen gar nicht dürfen. Khan zum Beispiel am Sonntag im Preis von Europa in Köln. Der siegte als krasser Außenseiter hochüberlegen.

Eine der ersten Dinge, die der Turf-Enthusiast lernt, ist, dass Rennen auf schwerem Boden ihre eigenen Gesetze haben. Denn viele Pferde hassen regelrecht diesen Untergrund, andere aber laufen bei diesen Verhältnissen zur Hochform auf. In Köln regnete es stark, der Boden wurde von Rennen zu Rennen schwerer. Immerhin wurde der Beobachter bereits an die nahende englische Hindernisrennen erinnert, weil die Pferde per Flaggenstart auf die Reise gingen.
Khan zählt zur Gruppe der Schlamm-Liebhaber. Das englische Wort „mud lover“ klingt für diese Pferde viel schöner. Je weicher der Boden, desto besser – seine stärkste Leistung zeigte er im November 2017 in München im Großen Preis von Bayern, wo er nur vier Längen hinter Könnern wie Guignol, Iquitos, Dschingis Secret oder dem Franzosen Waldgeist (aktuell dritter Favorit für den Arc) landete. Oder als Dritter im Dortmunder St. Leger (Gruppe 2), wo er noch mal mächtig aufdrehte und Platz 3 belegte.
Aber danach war er immer weit geschlagen. Fünf Versuche in teilweise bester Gesellschaft und alle erfolglos – der Betrachter fragte sich schon, warum Besitzer und Trainer ihrem Schützling immer wieder scheinbar unlösbare Aufgaben aufhalsten.
Am Sonntag gaben sie die Antwort und Trainer Henk Grewes sehr erfolgreiche Saison wird nun von einem ersten Gruppe 1-Erfolg gekrönt. Es wird ihnen egal sein, dass es kein besonders aufregend besetzter Preis von Europa war.
Überhaupt nicht mit dem Boden zurechtkam der Favorit Torcedor, der in Köln für den Melbourne Cup proben wollte. Schon nach 200 Meter war das Rennen vorbei, sagte sein Trainer Andreas Wöhler, und danach „versuchte er nur noch, mehr oder weniger hüpfend, den Löchern auszuweichen.“

Kracher auf Boden schwer
Bei schwerem Boden fällt dem Kolumnisten immer ein regnerischer Renntag am Tag der Deutschen Einheit 1995 in Mülheim ein. Damals veranstaltete die Rennbahn im Ruhrgebiet noch den Preis der Winterkönigin, das wichtigste Rennen für die zweijährigen Stuten. Es schüttete den ganzen Tag, das Geläuf war schwer, sehr schwer – und es triumphierte Massada, die zweite oder dritte Waffe aus dem Quartier von Trainer Harro Remmert.
Im Sattel saß der heutige Trainer Waldemar Hickst und seine Stute gewann zum Kurs von 511 hochüberlegen. Es war eines dieser Schockresultate, so richtig hat Massada diese Leistung auch nie wieder bestätigt.
Einige der im Nachhinein schwächsten Derbysieger Deutschlands triumphierten auf schwerem Geläuf in Hamburg-Horn. Robertico etwa 1998 oder Karloff 1990 – zwei Kandidaten, die an diese Form nie wieder herankamen. Karloff versuchte sich später sogar in Hürdenrennen.
Auf der anderen Seite konnten aber auch Top-Pferde tiefes Geläuf. Bei den Erfolgen etwa von Shirocco (2004), Next Desert (2002) oder Lavirco (1995) lautete die Bodenangabe in Hamburg-Horn schwer. Und das waren zweifellos sehr gute Vollblüter. Oder Monsun, der gewann zwar nie das Derby, aber unter anderem zweimal den Preis von Europa. Zweimal – sowohl auf guten als auch schweren Boden.