Freitag, 17. November 2017
Der Prinz ist längst König – Aidan O‘Brien
Dieselbe Prozedur wie immer: Aidan O’Brien dominierte auch in diesem Jahr wieder die Trainerstatistik im Turf. Nicht nur, weil er 2017 26 Siege in Gruppe 1-Prüfungen schaffte und damit die Bestmarke von US-Trainer Bobby Frankel übertrumpfte. Der 48jährige Ire ist längst den Wunderkind-Jahren entwachsen. Er wirkt bescheiden, lobt immer wieder sein Team und ist unglaublich fokussiert. Der Versuch einer Annäherung an den Typen Aidan O’Brien.

Er folgte einer Legende namens Vincent O’Brien, doch er hat inzwischen den gleichen Status. Aidan O’Brien sammelte auch in dieser Saison wieder Klassiker und Gruppe 1-Erfolge wie andere Leute Briefmarken oder Bierdeckel. Der Mann trainiert die Blaublüter der Branche – in den Abstammungen wimmelt es von klassischen Siegern und Gruppe-Helden. Coolmore/Ballydoyle – die Organisation um John Magnier und Michael Tabor – sind die erfolgreichsten Züchter und Besitzer der Welt. Den Dauerrivalen Godolphin haben sie deutlich abgehängt – auch wenn die Pferde in Blau in diesem Jahr eine gute Saison hatten.
Churchill, Caraviggio, Winter, Capri oder Highland Reel waren die Helden 2017, frühere große Gewinner trugen die Namen Galileo, Giant’s Causeway, High Chapparal, Camelot oder Australia – um nur einige zu nennen. Eigentlich kennt Ballydoyle keine schlechte Saison: Ich bin immer wieder beeindruckt, wie punktgenau O’Brien und sein Team (auf den Teamgedanken legt der Mann großen Wert) ihre Schützlinge auf den großen Moment vorbereiten. In der Regel sind diese topfit in den großen Rennen.
Es macht einfach keinen Sinn, gegen einen heißen Favoriten aus dem O’Brien-Stall in den englischen Klassikern wie Derby oder Guineas zu wetten. Auch wenn der Kolumnist es immer versucht und versuchen wird, denn 20:10 oder noch tiefer stehende Kandidaten verbinde ich nicht mit Wettglück.

Er kennt jeden Vornamen
Wenn ich den Typen O’Brien sehe, dann wirkt er immer sehr fokussiert, aber auch angespannt. Interviews gibt er nicht gerne, aber er spricht mit den Journalisten. Das gehört zu seinem Job, pflichtbewusst ist der Mann sowieso.
„Listen“ beginnt er meist seinen Satz und nennt danach den Vornamen des Fragenden und dann erzählt er. Meistens sind das Allgemeinplätze für die Öffentlichkeit (Pferd ist gut drauf, hat gut gearbeitet etc.), aber was soll er in dieser kurzen Zeit dem TV-Reporter auch erzählen? Andere Trainer wie John Gosden oder Richard Hannon wirken lockerer, sagen aber auch nicht viel mehr.
Auf youtube gibt es jetzt ein etwas längeres Interview, das Matt Chapman von Attheraces (ATR) mit O’Brien führte. Chapman, der ansonsten im englischen TV ganz gerne mal den Provokateur spielt, schaffte es, dem Trainer neben manchen Phrasen doch einige interessante Aussagen zu entlocken. Ein paar Ausschnitte:

Über den Druck eines Top-Trainers
„Unser Druck ist es, dass die Pferde zur rechten Zeit ihre Leistung abliefern. Wir dürfen sie nicht verheizen. Aber ich arbeite mit unglaublichen Leuten und Pferden.“

Ob er Bücher über Training und Pferde lese wie etwa Martin Pipe?
„Ich lese nicht viel – allein schon aus Zeitgründen. Aber John Magnier liest viel.“

Über die Nachkommen von Galileo:
„Sie sind unheimlich willig und lernbereit. Sie machen immer, was wir wollen.“

Über die Zukunft
„Ich denke nicht so weit, ich denke vom Morgen zum Abend. Das zählt.“

Über Gerüchte aus dem letzten Jahr, dass David O'Meara ihn ablösen soll"
„Ich habe keine Zeit, mich mit sowas zu beschäftigen. Ich mache meinen Job, aber Journalisten machen ja auch nur ihren Job.“



2002 entstanden – eine Reportage über den jungen O’Brien

Ein weiterer Schatz auf youtube ist ein Portrait des jungen Aidan O’Brien unter dem etwas blöden Titel „Der junge Prinz von Ballydoyle“. Der irische Sender RTE hatte den jungen Trainer im Jahr 2002 unter die Lupe genommen. Sehenswert ist es schon deshalb, weil es die Anfänge des damaligen Emporkömmlings noch mal gut dokumentiert.
So spielen unter anderem die Anfänge über Hindernisse mit dem großen Champion Hürdler Istabraq eine wichtige Rolle. Zudem sprechen die stolzen Eltern über ihren Filius. Außerdem äußern sich unter anderen Größen wie John Magnier, Ex-Jockey Michael Kinane, Besitzer J P Mc Manus, Trainer Jim Bolger und nicht zuletzt Alex Ferguson, Ex-Manager von Manchester United. Manchmal wirkt das Lob ein wenig zu dick aufgetragen, aber Aidan O’Brien verdiente sich die Vorschusslorbeeren doch redlich.

Die besten Sprüche:
„Er ist ein alter Profi auf jungen Schultern“ (John Magnier)
„Er arbeitet so gründlich und sorgsam. Phantastisch“ (Alex Ferguson)
„Er ist der netteste Typ, mit dem man zu tun haben kann“ (Ex-Channel 4-Moderator John Francome).
Und selbst Godolphin-Trainer Saeed Bin Suroor lobt seinen Konkurrenten überschwänglich. Feinde und Neider – offenbar Fehlanzeige.



Donnerstag, 16. November 2017
Italien erlebt die Fußball-Apokalypse
Mir werden die Italiener definitiv fehlen. Eine Fußball-Weltmeisterschaft ohne die stolze Squadra Azzura ist wie eine Pizza Hawaii – ungenießbar. Allein schon deswegen, weil Deutschland gegen Italien das aufregendste Duell im Weltfußball ist: WM 2006, WM 1982, WM 1970 oder auch die Europameisterschaften 2016 oder 2012 lassen grüßen.

Das ändert nichts daran, dass die italienische Fußballnationalmannschaft bei manchen Weltmeisterschaften den Zuschauer regelrecht quälte. Ihr Fußball war immer ergebnisorientiert, die Kicker aus dem Land des Catenaccios standen nie für Spaß. Was haben sie mich manchmal genervt! 1994 etwa, als sich die Azzuri bis ins Finale gemauert hatten und es im ereignisarmen Endspiel gegen Brasilien nach 120 Minuten 0:0 stand. Der Fußballgott hatte ein Einsehen und ließ Italien im Elfmeterschießen verlieren.
Es war eine komische Begegnung, dieses Playoff-Rückspiel zwischen Italien und Schweden im legendären Giuseppe Meazza-Stadion in Mailand. Italien brauchte nach dem 0:1 im Hinspiel nur ein Tor, doch im Gegensatz zu früheren Tagen, als die Azzuri aus gefühlten null Chancen trotzdem trafen, wollte das Tor nicht fallen. 12:2 Torchancen zählte der Kolumnist, doch die Immobile, Florenzi und El Shaarawy verfehlten das Tor oder scheiterten am schwedischen Schlussmann. Am Ende verkündete Torwart-Legende Gigi Buffon unter Tränen seinen Rücktritt, jubelte Schweden frenetisch und eine Spielertraube zerstörte das mobile Eurosport TV-Studio.
Eines ist klar: Wer in 180 Minuten gegen Schweden nicht trifft, hat die Teilnahme an der Fußball-WM nicht verdient. Auch wenn Schweden im Hinspiel besser war und der Spiegel den Qualifikationsmodus ungerecht findet. Und Italien hatte das Pech, auf Spanien in ihrer Gruppe zu treffen.
Aber der vierfache Weltmeister (1934, 1938, 1980, 2006) ist nicht mehr die Macht von einst. Der italienische Fußball kriselt schon seit Jahren: Bei den Vereinsmannschaften spielt eigentlich nur Juventus Turin eine führende Rolle in Europa, die einst so stolzen Mailänder Clubs Inter und AC versanken zuletzt im Mittelmaß. Nun sind sie im Besitz chinesischer Investoren und hoffen auf bessere Zeiten. Die meisten Stadion sind marode und oft nur mäßig besucht, der Calcio hat seinen Zauber verloren.
Spielerpersönlichkeiten wie Andrea Pirlo oder Francesco Totti haben aufgehört. Das waren Leute, die technisch versiert waren und in der defensiv ausgerichteten Mannschaft immer für einen offensiven Glanzmoment sorgen konnten. Solche Spieler haben sie heute nicht mehr.

Kranker Mann von Europa
Viele Stars kamen auch früher aus dem Ausland, doch die Top-Namen spielen nicht mehr in der Serie A. Viel Mittelmaß aus dem Ausland füllt die Kader, der italienische Nachwuchs fehlt. Die Nationalmannschaft war in den letzten Jahren immer nur gut, wenn sie einen taktisch versierten Trainer wie Antonio Conte, der heute den FC Chelsea trainiert, hatte.
Trainer Gian Pietro Ventura, einem Veteran des italienischen Fußballs, werfen die Kritiker Planlosigkeit vor. Vor dem letzten Gruppenspiel der Qualifikation übernahmen laut Süddeutscher Zeitung Torhüter Gianluigi Buffon und andere Routiniers das Kommando und bestimmten die Taktik.
Auch in Italien ist Fußball mehr als nur Sport. Der Calcio ist der Kitt, der offenbar die Gesellschaft zusammenhält. Die Reaktion in Italien war eine des Entsetzens: „Ende! Das ist die Apokalypse. Italien nach 60 Jahren ohne WM“, schrieb die Gazzetto dello Sport. „Eine brutale Ohrfeige und ein enormer Schaden für ein Land, das vom Fußball lebt und damit atmet“.
In Deutschland war die Nichtqualifikation der Squadra Azzura Zeitungen wie der Süddeutschen oder den Ruhr Nachrichten (bzw. dem Redaktionsnetzwerk Deutschland) einen Kommentar auf ihrer Meinungsseite wert. Das Versagen der Nationalmannschaft wird dabei quasi parallel mit dem Versagen der italienischen Politik und dem ökonomischen Misserfolg gleichgesetzt: Die wirtschaftliche Lage ist schlecht, die Stimmung im Keller.
Nun war die italienische Politik schon immer ein einziger Sumpf und auch im Fußball liefen finstere Gesellen rum. Die Bereiche waren eng verzahnt: Silvio Berlusconi wurde durch sein Wirken beim AC Milan und seine Medien politisch ganz groß.
An Skandalen fehlte es auch im Fußball nicht. Der Calciopoli ist noch gar nicht so lange her, die Strafen fielen erwartungsgemäß sehr milde aus. Luciano Moggi, der ehemalige Juventus-Manager und einer der Drahtzieher, ist längst rehabilitiert. „Wir sind ein katholisches Land, wir können verzeihen“, betonte Juventus-Boss Andrea Agnelli.




Das war auch Fußball aus Italien. Das berühmte Halbfinale der WM 2006 im schönsten deutschem Stadion. Andrea Pirlo spielte einen genialen Pass auf Fabio Grosso in der 119. Minute. 1:0 für Italien, das 2:0 fiel eine Minute später. Gastgeber Deutschland war draußen, die Squadra Azzura schlug Frankreich im Finale und wurde Weltmeister.



Donnerstag, 9. November 2017
„Ehrlich und echt“ – Reviersport wurde 30
Erst einmal auch von dieser Seite herzlichen Glückwunsch. Ihren 30. Geburtstag feierte die Zeitschrift Reviersport mit einem launigen Sonderheft voller interessanter Interviews und Rückblicken. Da wurden Erinnerungen an große Zeiten wach, als das Blatt mich regelmäßig begleitete und zum Sonntag quasi dazugehörte.



Seit geraumer Zeit zählt das Blatt jedoch nicht mehr zu meiner Stammlektüre: Weil sie nicht mehr am Sonntag erscheint, sondern erst am Montag. Das mag ökonomisch sinnvoll gewesen sein, aber montags gibt es Alternativen.
Dennoch verdiente der kleine Klartext-Verlag großen Respekt für den Mut, eine regionale Sportzeitung im September 1987 unter dem Namen Revier-Sportschau auf den Markt zu bringen. Es sollte der Appetit-Anreger für eine große Sonntags-Tageszeitung sein – letztere erschien nie, die Revier-Sportschau, aus der später die Reviersport wurde, aber blieb. „Weihnachten seid ihr pleite“, erinnerte sich Mitgründer und Chefredakteur Uli Homann an die Prognosen der Experten.
Ihre Skepsis war durchaus begründet. 1987 boomte der Fußball auch im Ruhrgebiet nicht, die Stadien in Dortmund und Schalke waren höchstens bei den Revierderbys und beim Gastspiel des FC Bayern ausverkauft. Dazu war die publizistische Konkurrenz groß: Die Tageszeitungen aus dem Revier waren am Montag voll mit Fußball vom Wochenende, dazu kam der Platzhirsch kicker, dem der Kolumnist schon seit Schülerzeiten trotz aller Kritik verfallen war. Auch der Amateurfußball wurde montags von den lokalen Blättern ausführlich abgehandelt.
Am tollsten fand ich damals, dass die neue Sportzeitung am Sonntag erschien. Damit hatten die Macher einen echten Vorteil: An diesem Tag gab es in Dortmund nur die Springer-Gazetten Bild am Sonntag und Welt. Beide waren konservative Kampfblätter, die alles, was links war, verachteten. Die Spielberichte in der BamS, die ich meist notgedrungen kaufte, waren nicht mein Fall: keine Analysen, nur reine Spielberichte, sehr dürftig.
An die erste Ausgabe der Revier-Sportschau kann ich mich noch gut erinnern. In der Saison 1987/88 habe ich zu allen BVB-Spielen einen Spielbericht geschrieben. Mit der Hand (mit Füller natürlich), abgeheftet in einem Ringbuch – und da war es schön, dass es neben Ruhr-Nachrichten, Westfälischer Rundschau und kicker ein weiteres Objekt gab, dessen Fotos ich ausschneiden und dann auf die Seite einkleben konnte.
Die ersten Ausgaben der neuen Zeitung waren voller Rechtschreibfehler. Es war deutlich zu sehen, dass diese Seiten in aller Eile am Samstagabend zusammengeklatscht wurden.

Nah an den Vereinen
Es wurde aber schnell besser. Inhaltlich war es von Anfang in Ordnung: Es gab ausführliche Berichte zu den Bundesliga-Spielen, dazu Spieler-Einzelkritiken, etwas was die Tageszeitungen in dieser Zeit nicht hatten, und Hintergründe. Der BVB, Schalke, VFL Bochum, RW Essen, MSV Duisburg, Wattenscheid 09, RW Oberhausen – über alle höher spielenden Revier-Vereine brachte das Blatt detaillierte Informationen.
Manche Überschriften waren etwas reißerisch, aber das sei entschuldigt. Generell merkte der Leser schon, dass die Macher aus der alternativen Szene kamen. Gerne wurde in den Kommentaren der Kommerz verurteilt, besonders Uli Homann trauerte gerne den alten Tagen nach. Aber er hatte immer ein Gespür dafür, was echt und was aufgesetzt war.
In den Spielberichten fand ich Reviersport aber nie besonders kritisch. Es wurde eher positiv berichtet, die Noten waren meist etwas besser als im kicker. Jedenfalls waren die Reporter immer nah an den Vereinen dran. Dazu konzentrierte man sich auf den Sport, irgendwelche privaten Nichtigkeiten spielten keine Rolle.
Jedenfalls wurde Reviersport zu meinem regelmäßigen Sonntag-Begleiter. Allerdings nur an diesem Tag, denn die Donnerstagsausgabe interessierte mich kaum. Da blieb ich dann beim kicker.
Besonders in den ersten Jahren hatte Reviersport zudem einen brillanten Eishockey-Teil. In dieser Qualität und Quantität gab es das in anderen Blättern nicht. Damals war Eishockey im Revier angesagt – Herne, Essen, Dortmund, Duisburg spielten unter anderem in der damaligen 2. Liga, bis sie dann irgendwann mal Insolvenz anmelden mussten.
Dazu erschienen regelmäßige Berichte über den Trabrennsport, aber leider nicht über den Galopprennsport. Auch ein wütender Leserbrief meinerseits über diese Tatsache, den ich extra auf dem superlauten Nadeldrucker bei einem Freund ausdruckte, wurde ignoriert.
Trotz dieser Schmach bleib ich Reviersport lange treu. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich aus Dortmund beruflich weg war, in Franken und Schwaben war das Blatt leider nicht erhältlich. Da habe ich höchstens bei Heimatbesuchen reingeguckt. Oder online.

Montags nie
Als ich dann wieder in Dortmund war, habe ich das Blatt auch wieder sonntags regelmäßig gelesen. Bis 2010, als der Erscheinungstermin von Sonntags auf Montag verschoben wurde. Das mag zwar Sinn gemacht haben, aber für mich gibt es montags andere Alternativen.
Immerhin schaue ich manchmal auf das Online-Angebot, das besonders in den unteren Ligen sehr gut ist. Zudem bin ich bei weitem nicht mehr so gut informiert, was in Vereinen wie dem VfL Bochum und RW Essen passiert.



Reviersport 2017: Die App, nur die Aschenplätze im Revier werden weniger (Foto Funke)

Seit geraumer Zeit gehört Reviersport zudem zur mächtigen Funke-Gruppe (der ehemaligen WAZ-Gruppe). Das mag wirtschaftlich das Überleben gesichert haben, aber besser wird es nicht. Und warum soll ich mich die Reviersport kaufen, wenn ich die gleichen Artikel auch in WAZ oder Westfälischer Rundschaulesen kann? Weil sie von der Funke-Zentralredaktion kommen. Das mag kurzfristig Kosten sparen, aber langfristig ist das schädlich. Aber das werden die Funke-Betonköpfe nie begreifen.

Das sehr empfehlenswerte Sonderheft ist im gutsortierten Zeitungshandel oder hier erhältlich.