Mittwoch, 13. September 2017
Ein Lob dem Alter
Eine Lehre des Turf-Wochenendes: Es lohnt sich auch auf der Flachen „ältere“ – in diesem Fall älter als drei Jahre – Top-Pferde im Training zu behalten. Zwei Beispiele: Decorated Knight (fünf Jahre) gewann die Irish Champion Stakes (Gruppe 1) in Leopardstown, Dschingis Secret (vier) triumphiert im französischen Prix Foy (Gruppe 2), einem Test vor dem großen Arc. Auch Guignol, der Erste im Großen Preis von Baden am ersten September-Wochenende, passt mit seinen fünf Jahren in diese Kategorie.

Nun sind vier bzw. fünf Jahre nicht unbedingt alt in einem Pferdeleben, aber Galopper, die auf der Flachbahn ihr Geld verdienen, zählen (leider) in diesen Jahren schon zu den Routiniers. Das klingt ein wenig abstrus, aber ist irgendwie verständlich, weil diese Pferde ihr wichtigstes Karriere-Rennen bereits im zarten Alter von drei Jahren hatten. Und wenn man sieht, wie viele Zweijährigen-Prüfungen – also quasi Rennen für die Babies – es in England und Irland (in Deutschland nicht so) gibt, ist es nicht verwunderlich, dass viele Pferde ihre Renn-Karriere bereits früh beenden. Wenn in anderen Disziplinen erst die Ausbildung startet.
Bei den Top-Pferden kommt hinzu, dass nach der aktiven Zeit die Karriere als Deckhengst folgt. Folge: Eine Verletzung bedeutet bei klassischen Siegern häufig das Ende auf der Rennbahn. Selbst in Deutschland, wo die Pferde traditionell viel Steherblut haben und damit nicht unbedingt frühreif sind, war das in den letzten Jahren oft so – die Derbysieger Isfahan, Nutan und Sea The Moon liefen nach ihrem klassischen Erfolg nicht mehr bzw. nur noch einmal (Sea The Moon).
Eine ähnliche Entwicklung gab es in England und Irland: Harzand (2016), Australia (2014) oder Ruler Of The World (2013) etwa hörten im Jahr ihres Derby-Erfolges auf. Auch Wings of Eagles, der diesjährige Epsom-Triumphator, wechselte nach seiner Verletzung im irischen Derby ins Gestüt.
Nachvollziehbar ist diese Politik durchaus. Denn obengenannte Pferde haben ihre größten Erfolge bereits erreicht; ihr Markwert in der Zucht steigert sich, wenn sie als Sieger abgetreten sind. Da muss man bei Verletzungen nicht lange Rekonvaleszenz-Zeiten abwarten, zumal nicht sicher ist, ob diese Pferde die alte Leistungsstärke wieder erreichen. Einen Derbysieger, der später nur noch hinter her läuft, will keiner haben.

Immer neue Namen
Für das Turf-Publikum ist diese Situation allerdings schade. Denn dem Sport fehlen die Stars, weil die jeweiligen Helden nur eine kurze Karriere haben und in jeder Saison neue auftauchen. Die Fluktuation ist einfach zu groß.
Die Faszination des englischen Hindernissports zeigt sich auch dadurch, dass die Pferde dort länger aktiv sind: Kauto Star, Denman, Big Bucks oder Sprinter Sacre – um nur einige Top-Kandidaten der letzten Jahre zu nennen – waren lange Jahre aktiv. Nun haben die Wallache bekanntlich keinen Zuchtwert, aber das Publikum konnte seine Helden über längere Zeiten bewundern.
Es ist ja auch nicht so, dass sich blaublütige Flachpferde nicht mit dem Alter verbessern können. In Deutschland sowieso: Dschingis Secret, derzeit eines der besten deutschen Pferde über längere Strecken, ist so ein Fall. Zweijährig hat er zweimal die Bahn gesehen, dreijährig platzierte er sich unter anderem als Dritter im Derby, aber vierjährig machte der Soldier Hollow noch mal einen gewaltigen Satz nach vorne. Fünf Starts, vier Siege (alle in Gruppe 1 und 2-Prüfungen) sind eine beeindruckende Bilanz 2017, die letzte Form in Chantilly (Video), als er mehrere Gruppe 1-Sieger (darunter die japanische Arc-Hoffnung Satono Diamond) sicher beherrschte, war wohl seine bislang beste Form. Dschingis Secret mag weichen Boden. Wenn er diesen im Arc hat, könnte der Schützling von Markus Klug eine gute Rolle spielen. Ob das jedoch gegen die Favoritin Enable reicht, ist eine andere Frage.

Älter und reifer
Die Laufbahn von Decorated Knight verfolgt der Kolumnist schon seit Jahren mit großem Interesse. Am Samstag hatte der Galileo-Sohn mal wieder eine Sternstunde, als er als 260:10-Chance mit viel Speed die Irish Champion Stakes (Video) in Leopardstown entschied. Zu meinem Bedauern hatte ich ihn diesmal nicht auf der Rechnung, die letzten zwei Formen waren ja auch enttäuschend. Für andere Kandidaten sprachen an diesem Tag mehr Argumente.
Allerdings hatte das Pferd aus dem Stall von Roger Charlton schon in diesem Jahr bewiesen, dass er solche Rennen gewinnen kam. Mit fünf Jahren hat Decorated Knight erst seine Bestform erreicht, zwei weitere Gruppe 1-Triumphe beweisen das. Der Hengst ist ein Aufsteiger-Typ: Er war nie reif für klassische Ehren, wechselte vierjährig von Trainer Roger Varian zu Roger Charlton und arbeitete sich über Handicaps und Listenrennen nach vorne. Varian ist ein hervorragender Trainer, aber Roger Charlton hat eine besondere Gabe, Pferde langfristig zu verbessern. Die Geduld hat sich – nicht nur in diesem Falle – gelohnt.
Denn eine der besten Entscheidungen in den letzten Jahren war es, den großen Frankel auch vierjährig im Rennstall zu belassen. Denn der wurde vierjährig noch besser, obwohl das bei einem Pferd, das schon herausragend ist, ein wenig komisch klingt. Aber das letzte große Pferd des verstorbenen Trainers Henry Cecils zeigte sich gereift, seine Vorstellungen waren noch gigantischer. Er war die beste Werbung für den Galopprennsport.



Frankels letzter Triumph in den Champion Stakes in Ascot: Ganz leicht besiegt er Cirrus Des Aigles, Nathaniel und Pastorius



Mittwoch, 6. September 2017
Die Lehren der Großen Woche 2017
Die große Woche 2017 in Baden-Baden ist Geschichte. Immer noch ein wichtiges – manche meinen sogar das wichtigste – Meeting im deutschen Turf. Ein paar Anmerkungen.

145. Großer Preis von Baden
Das Prestigerennen des Meetings, auch wenn die heutige Dotierung von 250000 Euro den Niedergang des deutschen Turfs dokumentiert. Denn vor 11 Jahren gab es noch 780000 Euro, davor sogar 800000 Euro, an Preisgeldern. Alle sprachen vorher vom Duell des aktuellen Derbysiegers Windstoß mit dem Vorjahreshelden Iquitos, doch die Prüfung war schon im Vorfeld mehr als ein Zweikampf. Gruppe 1-Sieger Guignol, der Union-Triumphator (und spätere Derby-Favorit) Colomano sowie die beiden Godolphin-Kandidaten Best Solution und Prize Money waren alles andere als Feldfüller.
Doch dieser Tag gehörte dem Pferd aus dem Stall Ullmann: Guignol gewann Start-Ziel, fand zum Schluss noch mal einen Extra-Gang und siegte überzeugend. Kompliment an Jockey Filip Minarik, der dem Hengst ein perfektes Rennen servierte und Trainer Jean-Pierre Carvalho, der Guignol auf den Punkt genau in Top-Form brachte. Iquitos mühte sich auf Platz 2, für Colomano und Windstoß blieben die Positionen Drei und Vier.

Schwache Dreijährige?
Colomano und Windstoß schlugen sich eigentlich ganz achtbar, eine richtige Siegchance hatten sie jedoch nicht. Allerdings sind Guignol und Iquitios neben Dschingis Secret auch die absoluten Top-Pferde Deutschlands über Distanzen ab 2000 Metern.
So gut haben die dreijährigen Hengste in den letzten Jahren im Großen Preis von Baden zudem nicht abgeschnitten. Im Vorjahr landeten Boscaccio und Dschingis Secret im geschlagenen Feld, selbst der im Vorfeld quasi als „unschlagbar“ geltende Derby-Triumphator Sea The Moon unterlag 2014 Our Ivanhowe (trainiert und geritten vom Sieger-Team 2017). Kamsin war 2008 der letzte erfolgreiche Derby-Held.
Sehr schade, dass die so großartig gesteigerte Diana-Gewinnerin Lacazar ihre Nennung im Großen Preis nicht wahrgenommen hat. Die Stute hätte für mich erste Chancen gehabt, zumal das Schiergen-Quartier gute Stallform hat. Zudem hatten die Ladies in den letzten Jahren eine gute Bilanz: Pagella war 2016 Dritte, Nightflower sogar 2016 und 2015 Zweite. Die grandiose Danedream triumphierte 2011, ehe sie dann bekanntlich zur Arc- und King George-Gewinnerin wurde.



Palace Prince bei seinem Erfolg im Gruppe 2-Rennen am ersten Tag.
(Bild Rühl/German Racing)


Andere Helden in den Top-Rennen
Geschichte wurde nicht geschrieben: Denn Palace Prince mit der bewährten Kombination Minarik/Carvalho verpasste nach seinem Samstags-Erfolg im Preis der Sparkassen-Gruppe den historischen Doppelsieg. Fünf Tage später im Darley-Oettingen-Rennen war der Bahnspezialist Pas de Deux zu gut, Palace Prince, einst Zweiter im Deutschen Derby, landete auf dem Ehrenplatz und zeigte dennoch eine starke Leistung.
Zwei Pferde aus dem Quartier von Peter Schiergen imponierten besonders am zweiten Samstag der Großen Woche: Sound Check war ein überlegener Sieger im Steher Preis, Ashiana triumphierte knapp zwei Stunden später im Zastrow-Stutenpreis.
Leider blieben in der einstmals Internationalen Woche Starter aus dem Ausland eine Rarität. Das ist schade, allerdings sind die schwachen Dotierungen der deutschen Rennen auch nicht gerade anziehend. Henri Pantall aus Frankreich ist das jedoch seit Jahren egal: Sein Son Cesio darf sich nach seinem Erfolg in der Goldenen Peitsche jetzt dreifacher Gruppe-Sieger nennen. Obwohl er hart gegen Daring Match kämpfen musste.

Handicap-Helden
Generell sind die Ausgleich-Rennen in Baden-Baden deutlich leichter für den Wetter geworden. Denn sie sind bei weitem qualitativ und quantitativ nicht mehr so überragend besetzt wie in früheren Jahren. Das macht die Auswahl einfacher. Überraschungen gab es dennoch: Zephir (204) oder Danon Perth (146, von mir für ganz kleines Geld getroffen) waren die Helden mit den besten Quoten. Immerhin schafft es Baden-Baden, weiterhin einigermaßen vernünftig besetzte Handicaps der Kategorie 1 und 2 zu veranstalten.

Jockey-Helden
Minarik auf Guignol, Martin Seidl auf Oriental Eagle – nur zwei von vielen Klasse-Ritten der Großen Woche. Aber meine Heldin der Woche heißt Sonja Daroszewski, die zwei quasi perfekte Ritte auf Perfect Swing hinlegte und damit einen Doppelerfolg mit dem Wallach für Trainer Christian von der Recke schaffte. Daroszewki fällt mir seit geraumer Zeit positiv auf – eine Reiterin mit Mut und viel Gefühl für die richtige Renn-Strategie. Sie reitet sowohl Hindernis- als auch Flachrennen ganz stark. Nur schade, dass die Rennen über die Sprünge in Deutschland zur Rarität werden.

Wen ich verpasst habe
Katzenberger und Glööckler. Und noch andere „Promis“. Muss man diese Privat-TV-Kandidaten eigentlich kennen? Was kann Katzenberger, was kann der sogenannte Modedesigner? Na ja, wer es mag.



Mittwoch, 16. August 2017
Permian: Gedenken an ein grandioses Rennpferd
Da verbringt man mal ein Wochenende ohne Turf, checkt am Montag die Neuigkeiten und bekommt eine Schocknachricht. Der dreijährige Permian brach sich das Bein nach seinem enttäuschenden Rennen in Arlington/USA und war leider nicht mehr zu retten. Nun ist generell jedes tote Pferd zu bedauern, aber dieser Galopper aus dem Stall des englischen Erfolgstrainers Mark Johnston war einer der Favoriten des Kolumnisten. Weil er alles hatte, was ein Rennpferd braucht: Klasse, Härte und Kampfgeist.

Nicht umsonst war der Teofilo-Sohn mein Tipp im englischen Derby, immerhin hatte er die wichtigste Derby-Vorprüfung in York gewonnen. Doch an diesem ersten Juni-Samstag ging nicht viel im englischen Klassiker: 400 Meter vor Schluss war Permian geschlagen, das Rennen entschieden andere und die kamen mit Wings Of Eagles und Cliffs Of Moher aus dem Quartier von Aidan O’Brien. Doch danach unterstrich der Johnston-Schützling weiter sein Format: Der Triumph in den King Edward VII Stakes in Royal Ascot war eine beeindruckende Kombination aus Klasse und Härte und auch der zweite Rang im Grand Prix de Paris in Saint Cloud – geschlagen nur mit einer Nase von Shakeel – war aller Ehren wert.
Permian war ein typisches Produkt seines Stalles. Denn viele Pferde aus dem Johnston-Quartier laufen gerne von vorne; an ihnen vorbei zu kommen, fällt den Kontrahenten oft schwer. Härte und Kampfgeist zeichnen fast alle Vollblüter des gelernten Veterinärs Johnston aus. Dazu verfügt der Stall mit Joe Fanning und Francis „Franny“ Norton über zwei Jockeys, die das Reiten von der Spitze aus perfekt beherrschen.
Permian, im Besitz von Sheikh Hamdan Bin Mohammed Al Maktoum, war jedoch deutlich besser als ein guter Handicapper. Wie viele Johnston-Pferde war er zweijährig schon sehr fleißig: Sechs Starts, drei Siege. Bessere Konkurrenz sah er erstmals zum Saisonende 2016 in den Zetland Stakes (Listenrennen) in Newmarket über 2000 Meter: Der dritte Platz – geschlagen nur eine dreiviertel Länge – hinter der späteren Ribblesdale-Siegerin Coronet war eine ausgezeichnete Leistung. Da konnte der Beobachter schon ahnen, dass da etwas Gutes heranwächst. Vierter in diesem Rennen war übrigens der spätere englische Derbysieger Wings Of Eagles.

Stark verbessert
So richtig in mein Bewusstsein rückte Permian jedoch erst im Derby Trial in Epsom. Vor dem Rennen sprachen alle über Cracksman aus dem Stall von John Gosden. Ein Frankel-Sohn, über den wahre Wundergeschichten im Umlauf waren, obwohl er zu diesem Zeitpunkt gerade mal erst sein Maidenrennen gewonnen hatte. Cracksman, später Dritter im englischen und Zweiter im irischen Derby (also schon hochklassig), siegte dann auch, aber Permian entpuppte sich als tapferer und harter Gegner, der nur hauchdünn besiegt wurde.




Es folgte ein überlegener Sieg in einem Listenrennen in Newmarket und dann standen die Dante Stakes in York (Gruppe 2) auf dem Programm. Cracksman wäre der heiße Favorit gewesen, doch für ihn war der Boden zu weich. Permian stand bei 110:10, ich wettete den O’Brien-Starter Exemplar – was eine schlechte Entscheidung. Natürlich gewann das Pferd von Mark Johnston, beschleunigte großartig und wehrte tapfer alle Angriffe von Benbatl und Crystal Ocean ab. Eine grandiose Vorstellung des Siegers, nur Exemplar war nirgendwo.
Der Rest ist bekannt: Derby-Flop, Royal-Ascot-Triumph, beinahe Gewinn in Frankreich und dann der Schrecken ohne Ende in den Secretariat Stakes in Arlington/USA. Nicht nur für Mark Johnston und sein Team ein echter Schock. Der Trainer allerdings wehrte sich nach dem tragischen Tod seines aktuell besten Pferdes vehement gegen Vorwürfe auf Facebook und Twitter, dass das Pferd verheizt wurde durch zu viele Starts – nachlesen kann man das hier und länger hier. Allein schon die Fakten widerlegen die Nörgler: Permian lief seit seinem Debüt im Juni 2016 14 mal – völlig normal.
„Permian war ein außergewöhnlich gesundes Pferd, weil er nie einen Tag wegen Krankheit aussetzen musste“, sagte Johnston. Er hätte nie damit gerechnet, dass er so schwer verletzt würde. Die Leute seien auch von ihm fasziniert gewesen, weil er sich quasi nach oben gearbeitet habe. Es sei einfach nur lähmend. „Das war ein Pferd, das allen Freude bereitet hat“, erklärt der Trainer. Und der Hengst wäre auch noch im nächsten Jahr gelaufen. Wirklich schade.