„Revierderby – Geschichte einer Rivalität“: Als ich zum ersten Mal das Buch von Gregor Schnittker über die Begegnungen zwischen Borussia Dortmund und dem FC Schalke 04 sah, war ich skeptisch. Noch ein publizistischer Mitläufer, der sich an den Erfolg von Borussia Dortmund hängt. Falsch gedacht: Schnittker hat ein außergewöhnlich gutes Buch geschrieben, weil er fleißig recherchiert hat und viele Zeitzeugen aufgetrieben hat, deren Erinnerungen das Buch so lesenswert machen.
Denn der Autor hat nicht einfach nur Spiel an Spiel aneinander gereiht, sondern erzählt zu jedem der ausgewählten Derbys mehrere Geschichten aus der Sicht von Betroffenen. Beim 10:0-Sieg der Schalker 1940 (
beim Schreiben dieses Ergebnisses verweigert meine Tastatur etwas die Arbeit) taucht zum Beispiel Anni Kuzorra aus Lütgendortmund auf, deren Schwiegervater Wilhelm ein Cousin des großen Ernst Kuzorra war.
Die Zeitzeugen präsentieren manche köstliche Anekdote. Zum Beispiel „Bruni“ Burgsmüller, Ehefrau des ehemaligen Dortmunder Kapitäns Willi Burgsmüller, über die damalige „Rivalität“ zwischen beiden Teams: „…Mein Mann hatte damals diese Knieprobleme. Da kam der Fritz Szepan auf mich zu und sagte: ´Mädchen, weißt du was? Da musst du jetzt jeden Abend Pellkartoffeln kochen, klein stampfen und dann in einem Stoffsack auf das Knie halten. Dann heilt das wieder.`Wir hatten alles versucht, aber damit wurde es besser.“
Oder die Geschichte von Schiedsrichter Karl-Heinz Altegoer aus Bochum (nicht verwandt mit dem späteren VfL-Präsidenten Werner Altegoer). Der pfiff mal im April ein Derby nach sintflutartigen Regenfällen (5:3 für Schalke) und erinnert sich an „Kraftnahrung von Muttern“ vor dem Spiel.
Tumulte
Später kommen dann die Spiele, an die ich mich selbst erinnern kann. Zum Beispiel an das Duell aus dem Jahr 1981. Weniger an das Ergebnis (2:2) als an den Auftritt von Schalkes Faktotum Charly Neumann, der mit einem großen Plakat mit der Aufschrift „Der FC Schalke 04 grüßt die Dortmunder Fans“ vor der Dortmunder Südtribüne auftauchte und für ein Pfeifkonzert sorgte, dass ich nie vergessen werde.
Später fand ich die Zeugenauswahl etwas blaulastig – allerdings triumphierte Schalke gerade in den neunziger Jahren und zu Beginn der 2000er Jahre mehrfach in großer Manier. Da möchte man sich als Schwarz-Gelber auch nicht recht zu äußern.
Nur wann begann die Rivalität zwischen den Fans? Am Anfang gab es nämlich eher freundschaftliche Gefühle zwischen den Klubs aus Dortmund und Gelsenkirchen. Das erste Derby fand 1925 statt, Schalke 04 gewann 4:2. Zwischen beiden Teams lagen vor dem zweiten Weltkrieg Welten, die Blauweißen waren der dominierende Verein in der NS-Zeit. Dortmund spielte meist nur den Punktelieferanten. Kuzorra kam sogar mal als eine Art Aufbauhelfer nach Dortmund und trainierte den BVB. Das änderte sich dann nach dem zweiten Weltkrieg, als Dortmund an S04 vorbeizog.
Die Vereine selbst haben sich immer gut verstanden, „gefährlich“ außerhalb im falschen Outfit am falschen Platz wurde es erst nach dem DFB-Skandal Anfang der siebziger Jahre und dem Dortmunder Wiederaufstieg. Und jetzt kann ich das mal endlich loswerden: Liebe Schalker, ihr schuldet mir noch ein BVB-Mannschaftsposter aus dem Jahr 1976. Das haben mir zu diesem Zeitpunkt zwei eurer hellsten Exemplare auf der Dortmunder Nordtribüne demonstrativ zerrissen, zum Glück verhinderte ein wacher Polizist Schlimmeres.
Urteil:
100 Prozent empfehlenswert für alle.
Gregor Schnittker, Revier-Derby, Schalke 04 – Borussia Dortmund: Die Geschichte einer Rivalität