Sonntag, 23. Juni 2019
Dettori und andere Gewinner
Für Nicht-Briten wirkt es immer ein wenig skurril: Da fahren ein paar Kutschen – mit einer gepflegten älteren Dame in der ersten – über das Geläuf und die Masse zückt nicht nur ihre Smartphones, sondern bejubelt auch die alte Dame. Und diese winkt huldvoll zurück. Das königliche Rennfestival Royal Ascot – und natürlich ist die Gastgeberin immer noch live dabei. Nun geht es allerdings nicht nur um die skurrilste Kopfbedeckung und andere Nebensächlichkeiten, sondern auch um Galopprennen der Extraklasse. Die Protagonisten des königlichen Festivals 2019.

Frankie Dettori
1991 schlug im Deutschen Derby der Außenseiter Temporal den Favoriten Lomitas. Vom Sieger war danach wenig zu hören, vom Zweiten umso mehr, am meisten aber vom siegreichen Reiter Frankie Dettori. Denn der damals gerade mal 20jährige Italiener machte als Jockey die große Karriere, schrieb mit den Magnificent Seven in Ascot Geschichte und wirkt wie neugeboren, seitdem die Godolphin-Fesseln weg sind. Am Donnerstag war mal wieder Dettori-Tag in Ascot: Die ersten vier Rennen gewann Dettori, viermal machte er seinen berühmten“flying dismount“. Beinahe hätte es sogar einen fünften fliegenden Abgang gegeben, denn Rennen 5 schien er mit Turgenev fast schon sicher zu haben. Doch dann zog noch Harry Bentley mit Biometric vorbei. Die Buchmacher atmeten auf.
„Wir werden Frankie vermissen, wenn er aufhört“, sagt Ascot-Boss Chris Stickel. „Er ist ein Superstar, reitet diesen Kurs sehr gut und macht die Zuschauer glücklich.“ Doch Schluss ist noch lange nicht. Auch mit fast 50 ist Frankie Dettori Weltklasse. Vielleicht wartet er ja wirklich auf seinen Sohn, bis der so weit ist. Sieben Siege feierte er in der königlichen Woche, natürlich war er der erfolgreichste Jockey.

Stradivarius
Der Schützling von Trainer John Gosden hat gewisse Ähnlichkeiten mit dem einstigen Top-Hürdler Big Buck’s – nicht nur dass beide Seriensieger und über Steherdistanzen unterwegs sind/waren. Beide gewinnen/gewannen ihre Rennen nie mit großen Abständen, irgendwann muss die Serie doch mal reißen, denkt sich der Kolumnist. Auch weil er ungern Favoriten wettet. Doch beide Pferde haben das gewisse Extra – diesen Willen, ein Rennen nicht zu verlieren. Am Donnerstag gaben Dee Ex Bee, der grandiose Außenseiter Master Of Reality und Cross Counter alles, doch am Ende hieß der Sieger wieder Stradivarius. Es war sein siebter Erfolg in Serie, sein zweiter Ascot Gold Cup. Er ist der König der Steher. Ascot feierte ihn und seinen Jockey Frankie Dettori (siehe oben) frenetisch. Ganz großes Kino.

Japan
Das Pferd, das aus der O’Brien-Armada im Epsom-Derby besonders auffiel, war der Dritte Japan. Zum Schluss machte dieser noch viel Boden gut, ohne den Sieger Anthony Van Dyck letztlich zu gefährden. Aber das sah nach viel Potenzial aus – und das zeigte sich in den King Edward Stakes. Da kam Japan auch spät und gewaltig, doch diesmal gab es keine Opposition. Es war zwar „nur“ ein Gruppe 2-Erfolg, aber ein sehr überlegender. Und er dürfte einige Pferde mit viel Talent geschlagen. Unter anderem meinen Tipp Bangkok, der immerhin seine schwache Derbyvorstellung vergessen ließ.



Als wenn es Training wäre: Japan siegt in den King Edward Stakes

Blue Point
Am Ende kam der anstürmende Dream Of Dreams noch bedrohlich nahe, doch Blue Point mobilisierte noch mal alle Reserven und triumphierte mit einem Kopf Vorsprung. Und damit schaffte der Godolphin-Schützling – trainiert von Charlie Appleby und geritten von James Doyle – das berühmte Gruppe 1-Sprint-Doppel. Er holte sich sowohl die Diamond Jubilee Stakes (1200 Meter) am Samstag als auch die King’s Stand Stakes (1000 Meter) am Dienstag. Zuletzt gelang 2003 dem Australier Choisir das. „Er ist ein echter Champion“, sagte sein stolzer Jockey. Es war Blue Points fünfter Erfolg in Serie, in Ascot gestaltete er fünf seiner sechs Starts erfolgreich.

Hayley Turner
Es war eine Doppelpremiere, dieser Erfolg des 33-1 Schusses Thanks Be in den Sandringham Stakes am Freitag: Der erste Royal Ascot-Sieg sowohl für Trainer Charlie Fellowes als auch Jockey Hayley Turner. Aber Turner gehörte eher die Aufmerksamkeit als dem tüchtigen Trainer Fellowes. Denn sie war die erste Frau nach 32 Jahren und Gay Kelleway, die ein Rennen während des königlichen Festivals gewann. 50,8 kg trug die Siegerin, dafür verzichtete Hayley Turner „auf Frühstück und Mittagessen“. „Es lohnte sich“, sagte sie nach dem Rennen. Und „es war nur eine Frage der Zeit.“ Dabei sind die Top-Erfolge von Frauen im Sattel auch im englischen Rennsport noch eine Ausnahme. Turner aber brach einige Barrieren: die erste Frau mit 100 Siegen in einer Saison (2008), die erste Frau mit einem Gruppe-Sieg. Fast 800 Rennen hat die inzwischen 36jährige in ihrer langen Laufbahn gewonnen. Ende 2015 war aber erstmal Schluss mit Rennreiten, Turner arbeitete unter anderem als TV-Expertin. Doch sie kam aus dem Ruhestand zurück – mit Erfolg.

Daniel Tudhope
Manchmal sieht man schön, was Selbstvertrauen bei einem Jockey ausmacht. Danny Tudhope ist ein solider Jockey, aber die großen Erfolge feiern andere: Ryan Moore, James Doyle oder (siehe oben) Frankie Dettori. Doch Tudhope begann die königliche Woche mit einem Knall, als er mit dem 15:1-Außenseiter und Haudegen Lord Glitters in den Queen Anne Gr.1 Stakes viele höhergehandelte Gegner besiegte. Es war ein kluger Ritt aus der Reserve für seinen alten Boss David O’Meara. Es folgte ein souveräner Erfolg mit Addeybb in der Wolferton Stakes zum Abschluss des ersten Tages.
Und dann kam am zweiten Tag der Triumph mit Move Swiftly wiederum für Trainer William Haggas in den Duke of Cambridge Stakes. Wieder hielt Tudhope sein Pferd anfangs in den hinteren Bereichen, wartete lange auf den richtigen Moment und fand im Gegensatz zu anderen Teilnehmern die Lücken. Es war ein perfekter Ritt. Am Donnerstag war dann wieder Alltag angesagt: Ripon stand auf dem Programm – und nicht Royal Ascot. Am Samstag legte er noch einen drauf und holte sich mit dem 26:1-Schuss Space Traveller die Jersey Stakes.



Donnerstag, 13. Juni 2019
Drei große Vorbilder für Laccario
Das war schon eine sehr beeindruckende Vorstellung, mit der Laccario die Kölner Union gewann. Auch wenn Django Freeman auf den letzten Metern noch mal anzog, hatte Eddie Pedroza auf dem Sieger alles im Griff. Ohne Laccario dabei groß zu fordern. Jedenfalls war der Schützling von Andreas Wöhler der beste Union-Gewinner seit Sea The Moon 2014 und geht damit als Favorit ins Derby. Die Union wird immer von sehr guten Pferden gewinnen. Drei großartige Sieger der letzten zehn Jahre – und ihre weitere Karriere.

Sea The Moon (2014, Trainer Markus Klug): Er ging als klarer Favorit in die Union und Sea The Moon wurde dieser Rolle auch gerecht. Kurz sah es etwas mühselig aus, doch je weiter es wurde, desto leichter zog der Schützling von Markus Klug Rapido (ja, dem Rapido) und Swacadelic davon. Im Derby wurde der Hengst dann von Christophe Soumillon gesteuert, sein vorheriger Jockey Andreas Helfenbein verpasste einen hochüberlegenen Triumph mit elf Längen Vorsprung gegen Lucky Lion.
Es war eine Demonstration purer Klasse und in Deutschland dachten die meisten, ein Pferd der Arc-Güte zu haben. Ein Dämpfer gab es allerdings beim ersten Aufeinandertreffen mit den älteren Pferden, denn Ivanhowe (damals noch ohne Our) besiegte ihn im Großen Preis von Baden sicher. Das war bereits das Ende der Rennkarriere von Sea The Moon, der verletzungsbedingt nach nur fünf Starts in die Zucht wechselte.



Sea The Moon in der Union 2014: Im Derby war er noch besser

Ivanhowe (2013, später Our Ivanhowe, Trainer Jean-Pierre Carvalho): Auch Ivanhowe, damals noch ein Schlenderhaner, ging als Favorit in die Union. Dabei war es erst sein dritter Lebensstart, vorher hatte er gerade mal eine Sieglosenprüfung gewinnen können. Doch die Wetter lagen diesmal richtig: In Köln triumphierte er souverän mit Adrie de Vries, Empoli und den Riesen-Außenseiter Orsello blieben die Plätze 2 und 3. Beim Derby allerdings enttäuschte Ivanhowe und belegte nur Platz 8, der Sieger hieß Lucky Speed.
Doch in Bestform hatte der Hengst sehr gutes Format, was er 2014 eindrucksvoll bewies. Zum Saisonauftakt ein Erfolg im Gerling-Preis, dann jedoch war er ohne bessere Möglichkeiten im Grand Prix de Chantilly. Seine beste Leistung zeigte er wohl im Großen Preis von Baden, als er den frischen Derbysieger Sea The Moon sicher in die Schranken wies. Der Arc war jedoch eine Nummer zu groß, dafür imponierte er zum Saisonende bei seinem sicheren Erfolg im Großen Preis von Bayern (Gruppe 1) in München. 2015 wechselte der Soldier Hollow-Sohn nach Australien und holte sich immerhin noch zwei Gruppe 1-Siege.

Novellist (2012, Trainer Andreas Wöhler): Ungeschlagen kam Novellist nach Köln zum Union-Rennen und selten gab es einen größeren Favoriten. Mickrige 1,20 Euro für einen Euro bekamen die Wetter in der Union, doch der Monsun-Sohn lieferte. Nachdem Jockey Eddie Pedroza die Lücken gefunden hatte, löste sich Novellist locker vom Feld, am Ende hatte er fünf Längen Vorsprung vor Munic Boy.
Im Hamburger Derby gab es die erste Niederlage: Novellist kam außen stark ins Rennen, doch Pastorius rauschte ganz außen mit Terry Hellier vorbei und fing den Favoriten noch ab. Dass der Wöhler-Schützling aber ein hochklassiges Pferd ist, bewies er 2013 eindrucksvoll. Vier Starts, vier Siege lautete die tolle Bilanz des nochmal verbesserten Hengstes: Höhepunkt war der überlegene Sieg mit fünf Längen im King George in Ascot gegen Trading Leather. Dazu gab es zwei Triumphe in Baden-Baden (Großer Preis der badischen Unternehmer, Großer Preis von Baden) sowie ein erster Platz im Grand Prix de Saint Cloud (Gruppe 1) – es war eine grandiose Saison.



“Novellist kicked away“: Sein größter Sieg im Gruppe 1-King George in Ascot. Nach Danedream der zweite deutsche Erfolg in kurzer Zeit in diesem Prestige-Rennen.



Montag, 3. Juni 2019
Nica, Anapurna, Aidan O’Brien, Itobo – viermal ganz großer Sport
Warum wir den Turf lieben? Das lange Wochenende mit spannenden Rennen lieferte für diese Frage genug Antworten. Eine Chronik der tollen Tage in Deutschland und England, eine Tour von Dortmund über Epsom nach Iffezheim bzw. Baden Baden.

Donnerstag: Dortmund
Himmelfahrt-Renntag in Dortmund: 16000 Zuschauer sind laut Dortmunder Rennverein da, es ist so voll, dass es schon keinen Spaß mehr macht. Die Dortmunder Sparkasse verteilt zu diesem Renntag immer massenweise Freikarten, das Ergebnis: Menschentrauben überall. Auf dem Rasen, vor den Wettschaltern, vor den Imbissbuden. Die hohe Besucherzahl ist Fluch und Segen. Die Infrastruktur kommt an ihre Grenzen.
Doch es gab diese magischen Momente. Zum Beispiel im GP der Sparkasse Dortmund: In früheren Jahren war das Listenrennen mal eine schöne Derbyvorprüfung, aber seitdem Baden Baden meint, auch so etwas haben zu müssen, gibt es diese nicht mehr. Seit einiger Zeit treffen sich im Großen Preis ältere Stuten über 1600 Meter.
Madita mit Eddie Pedroza schien den Siegespreis schon in der Taschen zu haben, doch dann kämpfte sich die lange führende Nica mit Carlos Henrique noch mal mit viel Kampfgeist vorbei und gewann noch sicher. Herzschlagfinale und nicht nur weil der Kolumnist Nica gewettet hatte, ein großer Moment. Ihr Trainer Dr. Andreas Bolte ist jemand, der schon seit Jahren exzellente Arbeit leistet und der eigentlich mal ein richtig Top-Pferd verdient hätte. Obwohl Nica schon ordentliche Klasse – Listenrennen – hat.

Freitag: Epsom (Oaks)
Vielleicht hat Frankie Dettori ja am Donnerstag deutsche Rennen geguckt, wahrscheinlich aber nicht. Jedenfalls hatte sein Erfolg in den englisches Oaks (Gruppe 1, 2420 Meter) in Epsom schon gewisse Parallelen mit dem Dortmunder Sieg von Nica. Denn auch Anapurna schien schon von der Favoritin Pink Dogwood aus dem mächtigen Aidan O’Brien-Quartier geschlagen, doch dann zog die Frankel-Tochter auf der anstrengenden Epsom-Gerade noch einmal gewaltig an und hatte am Ende die Winzigkeit eines Halses Vorsprung. Siegentscheidend waren Wille, Kampfgeist und die grandiose Assistenz von Dettori, der auch mit 48 Jahren noch immer erste Klasse ist. Trainer John Gosden hat eine weitere großartige Stute im Stall und nicht immer siegt O’Brien, der die Plätze 2 und 3 belegte.
Anapurna war mein Sieg-Tipp und das war Balsam auf meine schlechte Epsom-Bilanz. Denn die englische Derby-Bahn war in den letzten Jahren wettmäßig eine meiner schlechtesten. Und der Tag begann auch fast wie gewohnt: Im Coronation Cup (Gruppe 1, 2420 Meter) lief Old Persian (auf den ich richtig Mumm hatte) auf dem hügeligen Kurs ziemlich blass und war früh geschlagen. Nach einem perfekt abgestimmten Ritt von Andrea Atzeni überrannte Defoe noch den Favoriten Kew Gardens (natürlich trainiert von O’Brien). Auch das war großes Kino.



Ein weiterer Meilenstein einer großen Karriere: Frankie Dettori triumphiert mit Anapurna in den englischen Oaks

Samstag: Epsom (Derby)
Der Derby-Tag begann wunderbar: Mein Tipp Le Don De Vie gewann leicht das Investec Private Handicap und ich hatte ihn nicht nur Sieg gespielt, sondern auch in eine Siegschiebe mit Bangkok im Derby platziert. Beide Pferde trainiert Andrew Balding und das ist jemand, dessen Pferde ich immer gerne spiele. Doch im Epsom Derby hatte Bangkok schon früh keine Chance, vorne bestimmte die Aidan O’Brien-Armada wie so oft das Geschehen. Am Ende kamen vier der ersten fünf von Ballydoyle – nur der Zweite Madhmoon des irischen Kollegen Kevin Prendergast durchbrach die Phalanx.
Es siegte Anthony van Dyck, der mit Wahnsinns-Stehvermögen die Zielgerade entlang marschierte und der alle Angriffe abwehrte. Im Sattel saß der famose Seamie Heffernan, der seit gefühlt 100 Jahren für Ballydoyle reitet und endlich seinen ersten englischen Derbyerfolg feiern durfte. Dahinter folgten Madhmoon und dann die O’Brien-Schützlinge Japan, Broone und Sir Dragonet, die ersten fünf Kandidaten trennten keine Länge. Es war der siebte Derbysieg für Aidan O’Brien, der Mann ist schon jetzt eine Legende. Seine Fähigkeit, Pferde in den wichtigsten Rennen in Bestform zu bringen, ist phänomenal.
Aber der beste Trainer ist ohne ein fähiges Team nichts – und das weiß der bescheidene O’Brien sehr genau. Und das betont er immer wieder. Die
Freude, die er für seinen siegreichen Jockey empfindet, wirkt aufrichtig.

Sonntag: Baden Baden
Der Sonntag lief dann bei mir eher auf Sparflamme. Obwohl noch ein interessanter dritter Tag in Baden-Baden mit dem Großen Preis der badischen Wirtschaft und dem Derby-Trial auf dem Programm stand. Im Derby-Trial fand ich besonders den hochgehandelten Peppone sowie Moonlight Man interessant. Beide enttäuschten mehr oder weniger, den Sieger Accon habe ich völlig unterschätzt.
Der Große Preis der Badischen Wirtschaft war für mich mehr ein Rennen zum Gucken. Es war ein toller Erfolg von Itobo, einen siebenjährigen Wallach von Trainer Hans Jürgen Gröschel. Das war sein bislang größter Erfolg und auch für Marco Casamento war es nach seinem Hoppegarten-Malheur ein großer Moment. Der Gröschel-Schützling hatte sich durch die Handicaps nach oben gekämpft, sein Trainer hat ihn geschickt aufgebaut. Ist doch schön, dass in der kurzlebigen Flachszene ein Pferd mit sieben so ein Rennen gewinnt.
Itobo schlug immerhin den hochgehandelten Royal Youmzain und den einstigen Derbysieger Windstoß, der einen etwas glücklosen Rennverlauf hatte.