Donnerstag, 24. Mai 2018
Turfwunder und andere Überraschungen
Manchmal denke ich, ich habe den Sport verstanden. Aber manchmal eben auch nicht. Besonders, wenn es Ergebnisse gibt, mit denen nicht zu rechnen war. So distanzierte Ancient Spirit mit einer Leichtigkeit seine Konkurrenten in den Deutschen 2000 Guineas, die niemand erwartet hatte.

„Größter Außenseiter im Feld“ hatte diese Kolumne prophezeit, auch die Wetter sahen es so. Andere Kandidaten hatten deutlich bessere Meriten als das Pferd aus dem Quartier von Jean-Pierre Carvalho. Vier Rennen brauchte der Invincible Spirit-Sohn, um seine Maidenschaft abzulegen. Allerdings war schon zu sehen, dass der Hengst Talent hat: Zweijährig beim Kölner Debüt nur von Lord Leoso geschlagen, beim ersten Jahresstart hauchdünn gegen Alinaro verloren. Nur im Preis des Winterfavoriten blieb das Ullmann-Pferd ohne Chance.
„Bessere Meilenrennen“, hatte Trainer Jean-Pierre Carvalho als Saisonziel in der Sportwelt-Stallparade genannt. Seit Montag darf sich Ancient Spirit klassischer Sieger nennen. Dabei sah es anfangs gar nicht gut aus: Der Hengst pullte ziemlich hart und das ist nie ein gutes Zeichen. Englische Kommentatoren weisen darauf immer hin. Unzählige Rennen wurden verloren, weil ein Pferd sich so seine Kraft nahm. Es ist eine Mischung aus Nervosität, Übereifer und Unerfahrenheit, an der sie scheitern.
Jockey Filip Minarik schickte den Hengst dann mit einem Schub an die Spitze und dort fand er seinen Rhythmus, galoppierte allen davon. Ancient Spirit marschierte ohne Pause: Am Ende hatte er viereinhalb Längen Vorsprung, der größte Außenseiter hatte sich gewaltig gesteigert und deklassierte ein auf dem Papier ausgeglichenes Feld. Dinge gibt es, die gibt es eigentlich nicht.

Große Minarik-Show
Es war ein schöner Tag für Jockey Filip Minarik, vielleicht der Beste in seiner Karriere. Schon mit dem beständigen Devastar hatte Minarik im Röttgen-Cup ein famoses taktisches Rennen geritten und von der Spitze aus gewonnen. In den deutschen 2000 Guineas folgte der nächste Streich.
Haben die anderen Jockeys geschlafen? Hätten sie das Tempo des Siegers mitgehen sollen? Warum sollten sie, in acht von zehn Rennen wird der Führende noch überlaufen. Es schien so, dass Minarik das Tempo zu sehr forciert hatte. Doch Ancient Spirit wurde nie müde, sein Jockey hatte die richtige Strategie gewählt.
Für meinen Geheimtipp Fajjaj bleib Platz 2, Fighting Irish wurde Dritter. Zaman, der Favorit aus dem Godolphin-Quartier, aber enttäuschte sehr, war schon vor der Zielgeraden in Nöten.
Von den deutschen Pferden machte Weltstar noch Boden gut und wurde knapp Vierter vor Außenseiter Ninario, der sich wacker schlug. Der hochgehandelte Kronprinz blieb blass, auch Julio, Wild Max und All for Arthur enttäuschten.
Für das Derby lieferte die 1600 Meter-Prüfung erwartungsgemäß wenige Erkenntnisse. Ancient Spirit hat keine Derbynennung, die 2400 Meter in Hamburg sind für den Sohn des Sprinters Invincible Spirit viel zu lang. Fajjaj und Weltstar liefen wie zwei Kandidaten, die über längere Strecken besser sind. Aber 2400 Meter?

Der nächste Hammer
Und damit ab nach Hannover. Dort ging es um Derby-Fahrkarten im Trial und auch dort gab es mit Balmain aus dem Hoppegartener Quartier von Roland Dubasz eine Überraschung. Zwar keine so große wie in Köln, denn Balmain stand deutlich tiefer am Toto .
Jaromir Safar hatte den It’s Gino-Sohn frühzeitig nach vorne geschickt, zum Schluss hatte er eindreiviertel Länge Vorsprung. Es war Balmains zweiter Start, beim Saisondebüt in Dresden landete er hinter dem Wöhler-Schützling Chimney Rock. Auch dort war er früh vorne, doch gegen den Sieger chancenlos. Die Leistung von Hannover war noch mal eine deutliche Verbesserung.
Auf den Plätzen zwei und drei landeten mit Sweet Man und Nandaleo zwei weitere wenig gewettete Pferde. Drei vorher Sieglose vorne in einer wichtigen Derbyprüfung, die immer von guten Pferden gewonnen wurde – keine Wunder, dass die Quote der Dreierwette hoch war. Was die Form wert ist? Schwer zu sagen, aber schon im Vorfeld roch es nach Überraschung. Weil das Leistungsvermögen der wenig geprüften Teilnehmer noch gar nicht eingeschätzt werden kann.
Vielleicht verdient Eclectic Bird einen Hinweis, der als Vierter noch guten Speed zeigte. Aber ansonsten waren alle Favoriten deutlich geschlagen. Zu den Geschlagenen zählte auch Capone, der Mumm dieser Kolumne. Aber er wird ein Geheimtipp blieben, galoppierte schwerfällig und ließ Fortschritte vermissen. Für das Derby reicht das nicht, nur ein Wunder kann noch helfen. Oder er macht den Ancient Spirit.



Freitag, 18. Mai 2018
Zaman setzt den Standard
Es ist das bekannte Spiel im Mehl-Mühlens-Rennen am Pfingstmontag in Köln-Weidenpesch. Starke ausländische Gäste treffen im ersten Klassiker der Saison, den deutschen 2000 Guineas, auf die einheimische Armada. Über die Meile mangelte es nie – im Gegensatz zum Derby – an ausländischen Teilnehmern. Schwere Aufgabe für Kronprinz, Weltstar, Julio und Freunde – Starter und Chancen im Mehl-Mülhens-Rennen 2018.

All for Arthur (Trainer Jean-Pierre Carvalho/Jockey Michael Cadeddu): Dritter im Busch-Memorial, schon deutlich hinter Kronprinz und Weltstar. Nach einem kleinen Schwächemoment fand der Hengst noch gut ins Rennen. Muss sich aber weiter steigern.

Ancient Spirit (Trainer Jean-Pierre Carvalho/Jockey Filip Minarik): Legte beim vierten Start Ende April seine Maidenschaft ab. Es war ein hauchdünner Sieg, aber die Pferde dahinter bestätigten die Form. Das Mehl-Mülhens-Rennen ist noch schwerer, größter Außenseiter im Feld.

Fajjaj (Trainer Hugo Palmer/Jockey Frankie Dettori): Verlor zuletzt überraschend als Favorit über 2000 Meter in Windsor, vielleicht war die Distanz dann doch zu weit. Zweijährig ein gutes Pferd mit Debütsieg in Ascot und Platz 4 in den Sumerville Stakes (Gruppe 3) in Newmarket. Diese Form wurde deutlich aufgewertet: der Sieger Elarqam wurde Dritter in den englischen 2000 Guineas, der Zweite Tip Two Win belegte dort sogar Platz 2. Das verspricht einiges, unterschätzen sollte man den Ritt von Frankie Dettori nicht.

Fighting Irish (Trainer Harry Dunlop/Jockey Ioritz Mendizabal): Zweijährig drei Erfolge bei sechs Starts, darunter ein Gruppe 2-Rennen in Maisons Laffitte gegen zwei Gegner. In diesem Jahr 5. in den Greenham Stakes über 1400 und 4. (aber disqualifiziert wegen zu wenig Gewicht) in Ascot (Gruppe 3) über 1200 Meter. In beiden Rennen wirkte der Camelot-Sohn nicht zwingend. Die 1600 Meter sind Neuland, aber als Nachkomme eines Stehers sollte ihm die Distanz entgegenkommen. Andere Kandidaten überzeugen aber mehr.



So war es vor drei Jahren: Karpino aus dem Quartier von Andreas Wöhler siegte überlegen. Leider hatte dieser so veranlagte Hengst danach wenig Glück.

Julio (Trainer Mario Hofer/Jockey Alexander Pietsch): Einer der besten Zweijährigen in Deutschland, gute dritte Plätze auf Gruppe 3-Ebene in Saint Cloud und Baden-Baden, dazu Siege in den Auktionsrennen in Köln und Baden-Baden. Jahresdebüt, sein Trainer Mario Hofer hält die Meile für die Maximal-Distanz. Aber ein Kandidat mit viel Galoppiervermögen, sehr gute Möglichkeiten, wenn er topfit ist.

Kronprinz (Trainer Peter Schiergen/Jockey Andrasch Starke): Sieger im Dr. Busch-Memorial in Krefeld, hatte dabei die besten Reserven gegen Weltstar, All for Arthur, Ninario und Wild Max, die er am Montag alle wiedertrifft. Auch zweijährig mit starken Leistungen in den Auktionsrennen in Düsseldorf (1.) und München (3.). Nachgenannt, chancenreich.

Ninario (Trainerin Yasmin Almenräder/Jockey Mickael Berto): Noch sieglos, aber lief schon gegen gute Gegner sehr passable Rennen. Auch die Vorstellung als Vierte im Busch-Memorial (knapp hinter All for Arthur) war nicht schlecht, ohne eine Siegchance zu haben. Vielleicht ist ja noch Luft nach oben.

Weltstar (Trainer Markus Klug/Jockey Adrie de Vries): Konnte als einziger Kronprinz im Dr. Busch-Memorial folgen. Nach seinem guten Debüt enttäuschte er im letztjährigen Krefelder Ratibor-Rennen auf sehr weichem Boden. Formumkehr gegen Kronprinz ist möglich, der Halbbruder des letztjährigen Derbysiegers Windstoß sollte mitmischen.

Wild Max (Trainer Andreas Wöhler/Jockey Jozef Bojko): Die letzte Form im Busch-Memorial war enttäuschend, aber der Hengst des Stalles Australia ist durch eine in der Startbox zugezogene Verletzung entschuldigt. Vorher gute Leistungen im Winterfavoriten (3.) und beim siegreichen Dortmunder Debüt. Pferd mit Potenzial nach oben, aber die Steigerung wird er in Köln auch brauchen.

Zaman (Trainer Charles Appleby/Jockey William Buick): Zweimal am Start zu Beginn des Jahres in Meydan, davon einmal siegreich und einmal Zweiter. Als Zweijähriger fünfmal gelaufen, unter anderem zweitplatziert in Goodwood (Gr.2) hinter Expert Eye (der die Vorschusslorbeeren bislang nicht einlöste). Auch Platz 4 (hinter Gustav Klimt) in den Superlative Stakes (Gr.2) in Newmarket liest sich gut. Die besten Formen im Feld, der Stall ist zudem in sehr guter Verfassung. Ein harter Brocken für alle, der Favorit.

Urteil
Zaman aus dem Godolphin-Quartier setzt den Standard. Da könnten die deutschen Pferde das Nachsehen haben. Nicht unterschätzten sollte man den englischen Gast Fajjaj, der einiges noch in Petto haben könnte. Von der heimischen Armada gefällt mir Julio am besten, es folgen Kronprinz, Weltstar und Wild Max, der die schwache Krefelder Form revidieren sollte.



Mittwoch, 9. Mai 2018
Oriental Eagle oder der Zauber des Start-Ziel-Sieges
Ihn hatte keiner so richtig auf der Rechnung. Am Ende aber war Oriental Eagle der große Gewinner im Kölner Gerling-Preis. Und verwies die vorher hochgehandelten Rivalen wie Colomano, Derby-Sieger Windstoß, Walsingham, Veneto, Instigator und Favorit Dschingis Secret auf die Plätze. Ein tolles Rennen: Weil der Sieger von der Spitze aus triumphierte. Solche Erfolge mag der Kolumnist.

Leider war ich am Sonntag nicht auf der Rennbahn in Köln und weiß daher nicht, wie die Stimmung nach dem Gerling-Preis war. Doch oft ist es nach Außenseiter-Erfolgen ziemlich still auf der Bahn, eine Mischung aus Ungläubigkeit und Ärger. Viele Wetter sind enttäuscht, weil sie den Sieger nicht auf dem Schein hatten bzw. er ihnen die Kombiwetten kaputt gemacht hat. Aber es war eine grandiose Prüfung mit einem tollen Sieger. Es gab lukrative Quoten: Oriental Eagle zahlte 179:10 auf Sieg, wer ihn über die Franzosen von PMU gespielt hatte, wurde sogar noch höher belohnt und durfte sich über die unglaubliche Platz-Quote von 274: 10 freuen.
So recht hatte es dem Auenqueller niemand zugetraut. Oriental Eagle war zwar im letzten Jahr klassischer Sieger im Dortmunder St. Leger über weite 2800 Meter. Doch die Gegner am Sonntag waren mit das Beste, was es in Deutschland über 2400 Meter gab: Dschingis Secret, Galopper des Jahres und gut genug als chancenreiches Pferd in den Arc zu gehen, der Derbysieger Windstoß oder der Union Triumphator Colomano, das starke Trio aus dem Markus Klug-Quartier. Dazu kamen noch der Aufsteiger Veneto und die talentierten Walsingham und Instigator, die vierjährig erst so richtig aufblühen sollen. Für Oriental Eagle schien im Vorfeld nur die Rolle des Hasen vorgesehen, den die Verfolger dann in der Zielgerade überlaufen werden.
Von wegen: Die „Rennmaschine“ (so nennt ihn sein Trainer Jens Hirschberger) stiefelte wie in Dortmund und Baden-Baden von vorne sein Pensum runter, Jockey Lukas Delozier ließ Oriental Eagle richtig treten. Das Beste aber: Als alle schon dachten, jetzt hat ihn Colomano auf der Zielgerade passiert, zog der nach außen an die Rails gedriftete Campanologist-Sohn noch mal gewaltig an und siegte mit einer dreiviertel Länge. Ganz großes Kino.
Nichts wirkt spektakulärer als ein Sieg von der Spitze. Faszinierend, wenn ein Pferd seine Gegner quasi aus den Hufen galoppiert. Das Publikum liebt Frontrenner. Wenn ich mit Leuten Pferderennen schaue, die nicht so in dem Sport drin sind, sind die immer ganz begeistert, wenn ein Pferd Start-Ziel triumphiert. Am besten noch, wenn der lange Führende schon passiert ist, aber dieser noch mal anzieht und gewinnt.
Es gibt und gab großartige Frontrenner im Rennsport: Etwa der englische Top-Steher Big Orange, der überragende Sprinter Harry Angel, der einstige Cheltenham Gold Cup-Sieger Coneygree. In Deutschland denke ich an den großartigen Power Flame, in England bezauberte die schnelle Stute Lochsong, die ihre Rennen aus der Startbox gewann.

Johnston, Fanning und Oriental Fox
Manche Jockeys sind für diesen Rennstil besonders geeignet: In England war das früher Richard Hills, der es meisterhaft verstand, von vorne das Tempo zu machen. Einer meiner Lieblingsjockeys ist immer noch Joe Fanning, gefühlt seit ewigen Zeiten Mitglied des Mark Johnston-Teams. Die Pferde von Johnston laufen gerne an der Spitze – und Fanning ist der ideale Mann, so eine Prüfung von vorne nach Hause zu reiten. „Es ist schwer, an Pferden von Mark Johnston vorbeizukommen, wenn sie erstmal an der Spitze sind“, lautet eine Weisheit des englischen Rennsports.
Eine indirekte Verbindung zu Mark Johnston besitzt auch Oriental Eagle. Sein Bruder Oriental Fox ist ein großer Steher, den Johnston betreut. Zehn Jahre ist er inzwischen, im letzten Jahr war er noch aktiv.
Auch bei Oriental Eagle dauerte es, bis der Knoten platzte. Erst im neunten Versuch gewann er seine erste Prüfung, immerhin war er mehrfach hinter guten Gegnern platziert. Der Durchbruch kam, als er im Badener Auktionsrennen die Kontrahenten „müde“ galoppierte und dabei sein Stehvermögen ausspielen konnte.
Dann kam das St. Leger und der Kolumnist hätte ihm diesen Sieg nie zugetraut. Aber Oriental Eagle entpuppte sich als zäher Bursche, der seinen Platz gegen Deutschlands Steher-Elite vehement verteidigte. „In England würde man so eine Vorstellung „gutsy“ nennen, die Experten würden diese Leistung in höchsten Tönen preisen“, schrieb diese Kolumne damals.
Über Winter hat sich der Campanologist-Sohn noch mal deutlich verbessert. Der Sieg gegen Deutschlands beste Pferde über 2000 Meter und mehr – von denen eigentlich nur Iquitos fehlte – beweist das. Jetzt geht es weiter auf diese Route, im Großen Preis der Badischen Wirtschaft soll der nächste Streich folgen. Für die Quote von 179:10 wird Oriental Eagle dabei definitiv nicht mehr an den Start gehen. Jede Wette.



Immer prominent platziert: Lochsong distanziert ihre Gegner im Ayr Gold Cup 1992.