Freitag, 6. April 2018
Die Magie der Stallform
Wenn der Kolumnist an irgendetwas im Turf glaubt, dann ist es an eine Turfweisheit namens Stallform. Diese bedeutet so viel, dass alle Pferde aus einem Trainings-Quartier gut laufen und möglichst sogar gewinnen – unabhängig von ihren Vorformen und Vorlieben.

Umgekehrt gibt es das auch: Alle Teilnehmer aus einem Stall laufen gleichmäßig schlecht. Nennt man dann Stallkrise. Die Stallform liebt der Wetter, die Stallkrise nicht. Ich mache bei meinen Wettdispositionen immer einen großen Bogen um Trainer, die nicht in Form sind.
Die ersten Wochen auf Gras in Deutschland boten beste Beispiele für Stallformen. So legte Andreas Suborics in seinem zweiten Jahr als Trainer einen Blitzstart vor: Veneto triumphierte im Grand Prix-Aufgalopp in Köln, Refuseeveryoffer gewann als Außenseiter ein Sieglosenrennen für Dreijährige. Der 14:10-Favorit Open Your Mind wurde aber nur Dritter, davon platzierte sich jedoch der Debütant Atrice. Am Freitag hatte Lucky Lips einen Ausgleich 3 in Bremen für sich entschieden.
Oder Kollege Henk Grewe. Der feierte in Hannover am Ostermontag zwei Siege mit Taraja und Alinaro, in Köln waren Malakeh und Panthelia (im Grand Prix-Aufgalopp) immerhin zweitplatziert. Weiteres Beispiel: Seit Wochen hat Karl Demme sein Lot in sehr guter Verfassung.

Wenn es einmal läuft
Der größte Abräumer in Sachen Stallform war aber zuletzt der irische Trainer Gordon Elliott. Allein neun Rennen holte sich der Ire, der unter anderem für Ryanair-/Gigginstown Stud-Supremo Michael O’Leary trainiert, beim Cheltenham-Festival im März. Wahnsinn, wenn man bedenkt, wie gut und ausgeglichen diese Prüfungen besetzt sind. Dabei blieb Eliott am ersten Tag noch sieglos, seine große Hoffnung Apple’s Jade wurde nur Dritte. Doch dann lief es wie geschmiert, der beeindruckende Erfolg von Samcro war der Auftakt unvergesslicher Tage.
Für Außenstehende ist das Thema Stallform ein Phänomen: Warum sollten Pferde auf einmal schneller als die Konkurrenz laufen, nur weil der Stallgefährte auf einmal siegte. Den Kollegen, den sie eigentlich gar nicht kennen? So recht kann mir das niemand erklären und die Pferde kann man leider nicht fragen. Aber offensichtlich ist das so, dass sie ein Gespür für Stimmungen haben und die Freude ihrer Umgebung mitbekommen.
Eine Krise im Rennstall ist leichter zu erklären. Ein Virus etwa kann den ganzen Stall lahmlegen und die Pferde in ihrem Leistungsvermögen hemmen. Aber wie so oft im Leben wenden sich manche Dinge schnell. Der englische Trainer Colin Tizzard hatte 2017 ein siegloses Cheltenham-Festival, doch beim Aintree-Festival im April präsentierten sich seine Starter in Galaform. Fünf Siege waren das Ergebnis, selbst größte Außenseiter erwiesen sich als unbesiegbar.



Samstag, 24. März 2018
Held der australischen Picknick-Rennen
Einst galt Sommernachtstraum auf diesen Seiten als Geheimtipp für das Deutsche Derby 2011. Daraus wurde nichts. Später führte sein Weg nach Australien, wo er sich mit zehn Jahren immer noch auf den dortigen Rennbahnen tummelt. Durchaus erfolgreich. Jetzt gab es ein Wiedersehen mit ihm in diesem netten Video.

Der Kolumnist war im Mai 2011 ganz hingerissen und witterte – Traum eines jeden Kleinzockers – viel Gewinn für wenig Einsatz. „Ein Derby-Traum zum Kurs von 200“, betitelte er seinen Text, in dem er hoffnungsvolle Kandidaten für das wichtigste Rennen des deutschen Turfkalenders vorstellte. Der Traum trug den Namen Sommernachtstraum: „Bei zwei Versuchen noch sieglos, aber hier macht der Ton die Musik...Steigerungsfähig und Stehvermögen ohne Ende“ lautete die Analyse.
Das war nach zwei Rennen, es folgte das Iffezheimer Derby-Trial Anfang Juni. Dort unterlag er nur dem späteren Derbysieger Waldpark, ohne jedoch eine Chance gegen diesen zu haben. Im Derby allerdings bleib der Shirocco-Sohn ohne Möglichkeiten und landete als 13. im geschlagenen Mittelfeld. Der Wunsch des Kolumnisten vom Derby-Sieger war dann doch ein wenig verwegen.
Sportliche Spitzenklasse besaß der in Deutschland von Waldemar Hickst trainierte Sommernachtstraum leider nicht. Nach einem Sieg in einem harmlosen Sieglosen-Rennen in Düsseldorf bliebi er ohne weiteren Treffer, traf aber oft auf gute Gegner.
Erst am 30. Juni 2013 machte der Nun-Wallach wieder auf sich aufmerksam und siegte über weite 3000 Meter im Prix Conseil de Soil im französischen Chantilly, einem Altersgewichtsrennen. Australische Interessenten wurden auf ihn aufmerksam, Australian Bloodstock wurde Mitbesitzer und schickten ihn zu Trainer Kris Lees ins Training. Ein Pferd mit Stehvermögen aus deutscher Zucht, ein Kandidat für den Melbourne Cup, das australische Mega-Rennen Anfang November.

Melbourne-Cup blieb unerreicht
Doch diese hohen Ansprüche konnte der Shirocco-Sohn nicht erfüllen. Seine beste Form war ein Erfolg in einem mit 40 000 AuD dotierten Ausgleich in Kensington am 26. Februar 2014 über 2500 Meter. Danach aber lief nicht mehr viel zusammen, der Melbourne Cup blieb ein Wunschtraum. Sein letzter Start für Lees war ein dritter Platz in einem Handicap in Moonie Level.
Im Jahr 2015 folgte dann der Wechsel zu Trainer Robert Kingston. Ein kleineres Quartier – und dort schlägt sich der ehemalige Deutsche auf niedrigerem Level sehr ordentlich. Am 11. März siegte der Wallach im australischen Balnarring über 2000 Meter. „Er sah nie besser aus“, sagt sein Trainer Robert Kingston. „Er hat zwar nie den Top-Level erreicht, aber er bereitet uns und seinen Besitzern große Freude.“ Heute läuft Sommernachtstraum in den Farben der Eheleute Gilbert und Pitcher sowie den Herren Frain und Smith, dazu ist sein Trainer Mitbesitzer.
Sein neues Betätigungsfeld sind die Picnic Races auf kleineren Rennbahnen in Australien. Dort können die Besucher direkt mit ihrem Auto auf die Bahn fahren, die Pferde sind quasi Teil des Barbecues.
Ein Sieger-Typ ist ihr Schützling aber nicht unbedingt: Bei 55 Starts für Kingston schaffte er fünf Erfolge, immerhin gab es mal eine kleine Serie mit Treffern im Mai, Juni und Juli 2016. Aber sein Team liebt ihn auch aufgrund seines tollen Charakters, nur sein Name ist eine echte Herausforderung für australische Zungen.



Rennen und Barbecue: Schönes Video zu den Picnic Races auf dem Kurs von Balnarring. Auf diesem Kurs feierte Sommernachtstraum seinen letzten Erfolg.



Donnerstag, 22. März 2018
Toller Sport und alles andere als ein Gemetzel
In England und Irland ist das Cheltenham-Festival eine sportliche Institution. Kritik gibt es eher selten, in Deutschland ist der Widerstand da größer. Manche Zeitgenossen möchten die Rennen sogar verbieten. Weil sie zu gefährlich seien. Mich nervt diese Einstellung schon seit Jahren. Warum Hindernisrennen und speziell das Cheltenham Festival großartiger Sport und keine Tierquälerei sind.

Cheltenham nicht schon wieder, werden vielleicht manche jetzt sagen. Leider. Gerade in Deutschland ist der Zahl der Gegner dieser Art von Rennen groß. Darf man also eine Veranstaltung gut finden, bei der Pferde tödlich verunglücken? Turfteufel Nika S. Daveron hat das Dilemma im Racebets-Blog ganz treffend dargestellt. Ich sehe das allerdings noch dezidierter: Man darf diese Rennen gut finden. Hindernisrennen sind keine Tierquälerei, die Pferde sind nicht überfordert. Unfälle passieren auch in anderen Rennen oder auf der Koppel.
Die Festival-Fakten sprechen für sich: Über 240 000 Zuschauer an den vier Festivaltagen, dazu Millionen Zuschauer vor TV (natürlich läuft das Festival im Free-TV), Computern, Smartphones oder beim Bookie. Das sind Zahlen, von denen wir in Deutschland nur träumen können.
Schon der Blick auf die grandiose Kulisse ist filmreif: Vollbesetzte Tribünen, im Hintergrund die sanften Hügel der Cotswolds. Selbst am Bildschirm spürt der Betrachter die große Freude der Beteiligten, wenn sie ein Rennen gewonnen haben. Die Tränen der Lizzie Kelly, die Freude der Bridget Andrews und der Skeltons (Jockey Harry, Trainer Dan) oder ein Trainer Gordon Elliott, der seine Serie von neun Siegen kaum fassen kann – emotionale Momente, die auch einem Cheltenham-Routinier immer wieder Tränen der Rührung in die Augen treiben.

Irische Dominanz
Sportlich gab es grandiose Leistungen: Footpad im Arkle, Altior in der Champion Chase, Samcro in der Ballymore Novices' Hurdle oder Native River im Gold Cup waren nur einige. Meine persönlichen Höhepunkte waren Summerville Boy in der Supreme Novices' Hurdle, der an dieser Stelle angesagte Mr. Whitaker in der Food Brothers Novices' Chase, Shattered Love in der JLT Novices' Chase und Farclas in der Triumph Hurdle.
Die irischen Trainer Willie Mullins und Gordon Elliott dominierten, die Pferde aus Irland haben ihre englischen Kollegen ein wenig abgehängt. Der Trend ist jedoch nicht neu. Fazit: Das Festival ist immer noch das Nonplusultra des Hindernissports, die Besten aus England und Irland treffen sich dort.
Leider gab es auch sechs tödlich verunglückte Pferde. Drei Starter verloren dabei ihr Leben im letzten Rennen der Veranstaltung, der Grand Annual Chase. Das sind sechs Pferde zu viel, Besitzern und Trainer gehört nicht nur mein Mitgefühl.

Privilegierte Wesen
Sind diese Rennen also zu brutal? Sind sie vielleicht doch Tierquälerei, wie manche Gruppen behaupten? Tatsache: Hindernisrennen sind gefährlicher als Flachrennen. Aber Pferde und Reiter sind keinesfalls überfordert mit den Hindernissen. Zumal der schwere Boden eigentlich dafür sorgte, dass das Tempo nicht übermäßig schnell war und somit die Rennen sicherer waren. Aber Pferde und Jockeys verstehen ihr Handwerk, sind routiniert, bestens ausgebildet. Schlichtweg die Besten ihres Fachs.
Zudem: Es gab sechs tödliche Verletzungen bei 489 Starter in den 28 Rennen, die große Mehrheit der Pferde kam also intakt nachhause. Das letzte Rennen mit den drei tödlich verunglückten Pferden hat auch mir ein wenig die Stimmung vermiest. Es waren Unglücke, die einfach passieren können. So traurig sie sind.
Wenn manche Aktivisten von Tierquälerei sprechen, ist das Unfug. Das Tierwohl wird in anderen Bereichen vielmehr beschädigt. In der Fleischproduktion etwas. Hindernispferde haben in der Regel ein langes Leben auf der Rennbahn, werden gut versorgt und bestens betreut. Sie sind privilegierte Wesen. Zudem würde manche Meinung hier anders aussehen, wenn der Hindernissport in Deutschland eine größere Rolle spielen würde. Aber das wird ein Traum bleiben.