Montag, 18. September 2017
Oriental Eagle wie sein großen Bruder
Die ewigen Rätsel des Rennsports: Wie kann ein Pferd wie Oriental Eagle, GAG vor dem Rennen 72,5 kg, im Deutschen St. Leger Konkurrenten wie Moonshiner (GAG 94,5 kg) oder Sound Check (GAG 92,5 kg) besiegen? Der Versuch einer Antwort.

Nun kam der letzte Erfolg von Oriental Eagle immerhin im gutdotierten Badener Auktionsrennen zustande, aber das war bereits der neunte Versuch des dunkelbraunen Hengstes, ein Rennen zu gewinnen. Im St. Leger waren die Gegner noch mal stärker. Doch die Geschichte wiederholte sich: In Iffezheim marschierte er mit Martin Seidl von der Spitze aus und war nicht mehr zu erreichen. In Dortmund nutzte er – diesmal mit Jack Mitchell – die gleiche Taktik. Zwar kamen die Gegner näher, doch niemand lief an diesem Nachmittag an dem Schützling von Jens Hirschberger vorbei.
In England würde man so eine Vorstellung „gutsy“ nennen, die Experten bei Racing UK und Attheraces würden diese Leistung in höchsten Tönen preisen. Denn nichts sieht besser im Galopprennen aus als ein Sieg von der Spitze. Der Erfolg erinnerte an Pferde aus dem Stall von Trainer Mark Johnston. An manchen Tagen kommt auch niemand an denen vorbei.
Vielleicht dachte Oriental Eagle auch an seinen Bruder Oriental Fox: Dieser Lomitas-Sohn, ebenfalls im Gestüt Auenquelle aufgewachsen, ist ein großer Steher und gewann mit neun Jahren noch die Queen Alexandra Stakes Stakes in Royal Ascot. Sein Trainer? Keine Überraschung Mark Johnston.
Bei Pferden ist es wie im richtigen Leben – bei manchen fällt eben der Groschen spät. Dabei hatte Jens Hirschberger im Vorfeld noch Bedenken wegen des weichen Bodens gehabt und wollte seinen Starter abmelden. Das machte der Mülheimer Trainer nicht und lobte später die „tolle Leistung“ seines endlich ausgereiften Schützlings.



Nein, das ist nicht Oriental Eagle, sondern Valluga. Die Stute gewann in den gleichen Farben und ebenfalls mit Jack Mitchell das zweite Rennen.

Das St. Leger 2017 war zudem eine Werbung für den arg gescholtenen Dreijährigen-Jahrgang: Nicht nur der Erste gehört ihm an, sondern auch Khan, der richtig ins Rollen kam und fast noch an Moonshiner vorbeirauschte. Doch der Mitfavorit, der ein gutes Rennen lief, rettete den zweiten Platz. Mein Tipp Sound Check schlug sich ordentlich, die letzten Reserven fehlten jedoch nach Einschätzung seines Quartiers auf dem weichen Boden. Near England fand leider nie ins Rennen.

Ein Schalker in Dortmund
Es war ein interessanter Renntag auf der Dortmunder Rennbahn. Auch die Baustelle – die Wetthalle wird modernisiert - störte zu meiner Überraschung nicht. Weil die Kassen in dieser Wetthalle wegfielen, hatte ich da vorher meine Bedenken. Allerdings setzte der Rennverein mobile Wett-Terminals ein und diese Leute hinten den Kassen haben ihren Job hervorragend gemacht.
Eigentlich gefällt mir der Trend nicht, dass man auf Rennbahnen inzwischen den ganzen Renntag „zu gelabert“ wird. Aber Moderator Uli Potofski machte das wirklich gut. Er ist zwar Fan des FC Schalke 04 (es sei ihm verziehen als gebürtig aus Gelsenkirchen), verteilt immer ein paar Spitzen gegen den heimischen schwarzgelben Klub, aber das ist in Ordnung. Weil Potofski sich selbst nicht zu ernst nimmt, eventuelle Peinlichkeiten gekonnt humorig überspielt und sich nirgendwo anbiedert. Er ist eben ein Profi und dieser Typ aus Freiburg mit den bläulichen Haaren (wie der S04) war irgendwie auch ganz gut. Selbst Rennkommentator Pan Krischbin wirkt neben Potofski inzwischen richtig locker.
Was brachte der Renntag noch? Bereits im ersten Rennen dürfte man mit dem Sieger Wild Max und der Zweiten Indah zwei hochtalentierte Zweijährige gesehen haben, im zweiten Rennen erprobte Jack Mitchell erfolgreich mit Valluga (ebenfalls für Trainer Hirschberger/Gestüt Auenquelle) die Siegestaktik für das St. Leger. Im BBAG-Auktionsrennen für die Zweijährigen gab es mit Binti Al Nar eine überlegene und überzeugende Siegerin.
Außerdem stand noch ein toll besetzter Ausgleich 2 mit vielen, vielen Formpferden auf dem Programm. Den schaute ich mir auf der Leinwand an der Baustelle/Wetthalle an, die Bilder waren erstaunlich scharf. Etwas hinter mir wurde es im Verlauf des Rennens immer lauter. Dort standen die Besitzer von It’s my Time, die siegte und ihr Team kräftig feiern ließ. Ein Hauch Westfalenstadion in Dortmund-Wambel. Da lohnte sich die lange Reise aus Berlin.



Reger Betrieb auf der "Baustelle". (Fotos Ulrich König)



Freitag, 15. September 2017
Sound Check und Near England
Im letzten Jahr triumphierte der Tipp dieser Kolumne zu lukrativen Odds: Near England in den Farben des Gestüts Wittekindshof gewann das St. Leger 2016 in Dortmund. Die Stute läuft auch in diesem Jahr im letzten Klassiker des Jahres über weite 2800 Meter, ihr Besitzer – der langjährige Präsident des Dortmunder Rennvereins Hans Hugo Miebach – sponsert die Prüfung. Drei Dreijährige treffen am Sonntag um 16.30 auf sieben, zum Teil sehr bewährte, Steher. Die große Vorschau – Starter und Chancen im 133. St. Leger.

1. Moonshiner (Trainer Jean-Pierre Carvalho/Jockey Filip Minarik): Im Vorjahr Sieger im Bremer Derby Trial, danach lief er nur noch in Frankreich und Italien. Im Herbst 2016 siegte er in einem Gruppe 3-Rennen über 3000 Metern, in diesem Jahr aber noch ohne Sieg und Platz in Gruppe-Prüfungen. Beste Form war der vierte Platz im Prix Maurice de Nieuil (Gruppe 3) über 2800 Meter in Saint Cloud. Der Sieger Talismatic war dann später Dritter hinter Dschingis Secret im Arc-Trial Prix Foy. So starke Gegner wird Moonshiner in Dortmund nicht treffen, daher sollte er gute Chancen haben.

2. Shadow Sadness (Trainer Christian von der Recke/Jockey Jozef Bojko): 2015 war der Recke-Schützling deutlich geschlagener Fünfter im St. Leger, beste Form in diesem Jahr war der zweite Platz im Langen Hamburger hinter Summershine auf weichem Boden. Je durchlässiger das Geläuf, desto eher kann Shadow Sadness überraschen.

3. Sound Check (Trainer Peter Schiergen/Jockey Andrasch Starke): Der Bruder des großartigen Scalo hat sich in diesem Jahr über starke Siege in Handicaps nach vorne gearbeitet. Zwei Versuche über Steher-Distanzen, beide fielen überzeugend aus, auch wenn er in Hoppegarten Bebe Cherie nicht mehr ganz erreichte. Der Sieg in Baden Racing Steher Cup (Dritter Eagle Eyes) fiel sehr souverän aus. Kann auch weichen Boden, zudem noch relativ wenig geprüft, ein harter Brocken für seine Gegner.

4. Stamford Raffles (Trainerin Jane Chapple-Hyam/Jockey Paddy Bradley): Stark verbesserter Wallach aus England, kann die Distanz, ist bodenunabhängig, zuletzt aber Letzter in einem Class 3-Handicap. Davor mehrfacher Class 4-Sieger, hat definitiv noch Reserven, muss aber einen großen Sprung bewältigen. Die Formen reichen nicht. Jane Chapple-Hyam trainiert einen kleinen Stall, hat in dieser Saison bei 61 Starts 7 Siege erreicht. Jockey Paddy Bradley hat schon zweimal mit Stamford Raffles gewonnen.

5. Eagle Eyes (Trainer Jean-Pierre Carvalho/Jockey Marc Lerner): Zweite Vertreterin aus dem Stall Ullmann, den Großteil ihrer Rennen bestritt die Adlerflug-Tochter in Frankreich, kam dort über Ansätze in guter Gesellschaft aber nicht heraus. Zuletzt aber eine ordentliche Leistung als Dritte im Baden Racing Steher Cup, ohne den Sieger Sound Check zu gefährden. Außenseiterin, Filip Minarik entschied sich für Moonshiner.

6. Near England (Trainer Markus Klug/Jockey Adrie de Vries): Die Vorjahressiegerin, in diesem Jahr mit Licht und Schatten, aber 3200 Meter wie in Hamburg (allerdings schlechter Rennverlauf) und Hoppegarten scheinen doch ein wenig zu weit zu sein. 2800 Meter passen aber, Pferde des Gestütes Wittekindshof sind in Dortmund immer zu beachten und im St. Leger trifft sie auf schwächere Konkurrenz als zuletzt. Zudem die Wahl von Klug-Stalljockey Adrie de Vries. Gute Chancen.



So war es 2017: Near England besiegt Tellina

7. Summershine (Trainer Anna Schleusner-Fruhriep/Jockey Maxim Pecheur): Sechsjährige Stute aus einem kleinen Quartier, im letzten Jahr noch mal enorm verbessert. In dieser Saison hat sie es geschafft, sich in der Spitzengruppe der deutschen Steher zu etablieren. Überzeugende Siegerin auf weichem Boden im Langen Hamburger, auch der vierte Platz in Hoppegarten hinter Bebe Charlie und Sound Check war in Ordnung. Ein weiterer Kandidat, dessen Chancen bei weichem Untergrund steigen. Im letzten Jahre aber deutlich im St. Leger geschlagen.

8. Khan (Trainer Henk Grewe/Jockey Antoine Hamelin): Dreijähriger Hengst, der sich in Deutschland immer mit der Elite des Jahrgangs maß. In Derby und Union war er jedoch ohne Möglichkeiten. Zuletzt knapp geschlagener Zweiter über die St. Leger-Distanz in einem Altersgewichtsrennen in Vichy, der Sieger lief dann sehr ordentlich in einem Listenrennen. Könnte das Pferd für die Überraschung sein.

9. Oriental Eagle (Trainer Jens Hirschberger/Jockey Jack Mitchell): Zuletzt ein überzeugender Sieg im gutdotierten Badener Auktionsrennen über 2400 Meter nach einem mutigen Ritt von der Spitze durch Martin Seidl. Seidl sitzt diesmal nicht im Sattel, aber Jack Mitchell ist eine gute Alternative. So sicher bin ich mir nicht, ob Oriental Eagle ein Pferd für 2800 Meter ist. In Dortmund ist die Konkurrenz zudem deutlich stärker. Außenseiter.

10. Alicante (Trainer Markus Klug/Jockey Andreas Helfenbein): Dreijährige Stute, zuletzt ein wenig enttäuschend als Zweite in einer harmlosen Aufgabe in Baden-Baden. Davor lief sie immer gegen die Jahrgangsspitze (unter anderem in der Diana), schlug sich dabei teilweise auch ganz respektabel, ohne allerdings zu gewinnen. Die Distanz ist Neuland, als Lando-Tochter sollte der Boden nicht zu weich sein. Nicht die Wahl von Stalljockey Adrie de Vries, dreijährige Stuten haben jedoch eine gute Bilanz im Dortmunder Klassiker.

Urteil
Sound Check ist ein Kandidat, der noch einiges im Tank haben dürfte. Das Pferd aus dem Gestüt Ittlingen ist klarer Favorit dieser Kolumne. Nach Rechnung sollte Moonshiner der erste Gegner sein, die Vorjahresssiegerin Near England ist aber gefährlicher. Von den Dreijährigen schätze ich Khan am höchsten ein.



Mittwoch, 13. September 2017
Ein Lob dem Alter
Eine Lehre des Turf-Wochenendes: Es lohnt sich auch auf der Flachen „ältere“ – in diesem Fall älter als drei Jahre – Top-Pferde im Training zu behalten. Zwei Beispiele: Decorated Knight (fünf Jahre) gewann die Irish Champion Stakes (Gruppe 1) in Leopardstown, Dschingis Secret (vier) triumphiert im französischen Prix Foy (Gruppe 2), einem Test vor dem großen Arc. Auch Guignol, der Erste im Großen Preis von Baden am ersten September-Wochenende, passt mit seinen fünf Jahren in diese Kategorie.

Nun sind vier bzw. fünf Jahre nicht unbedingt alt in einem Pferdeleben, aber Galopper, die auf der Flachbahn ihr Geld verdienen, zählen (leider) in diesen Jahren schon zu den Routiniers. Das klingt ein wenig abstrus, aber ist irgendwie verständlich, weil diese Pferde ihr wichtigstes Karriere-Rennen bereits im zarten Alter von drei Jahren hatten. Und wenn man sieht, wie viele Zweijährigen-Prüfungen – also quasi Rennen für die Babies – es in England und Irland (in Deutschland nicht so) gibt, ist es nicht verwunderlich, dass viele Pferde ihre Renn-Karriere bereits früh beenden. Wenn in anderen Disziplinen erst die Ausbildung startet.
Bei den Top-Pferden kommt hinzu, dass nach der aktiven Zeit die Karriere als Deckhengst folgt. Folge: Eine Verletzung bedeutet bei klassischen Siegern häufig das Ende auf der Rennbahn. Selbst in Deutschland, wo die Pferde traditionell viel Steherblut haben und damit nicht unbedingt frühreif sind, war das in den letzten Jahren oft so – die Derbysieger Isfahan, Nutan und Sea The Moon liefen nach ihrem klassischen Erfolg nicht mehr bzw. nur noch einmal (Sea The Moon).
Eine ähnliche Entwicklung gab es in England und Irland: Harzand (2016), Australia (2014) oder Ruler Of The World (2013) etwa hörten im Jahr ihres Derby-Erfolges auf. Auch Wings of Eagles, der diesjährige Epsom-Triumphator, wechselte nach seiner Verletzung im irischen Derby ins Gestüt.
Nachvollziehbar ist diese Politik durchaus. Denn obengenannte Pferde haben ihre größten Erfolge bereits erreicht; ihr Markwert in der Zucht steigert sich, wenn sie als Sieger abgetreten sind. Da muss man bei Verletzungen nicht lange Rekonvaleszenz-Zeiten abwarten, zumal nicht sicher ist, ob diese Pferde die alte Leistungsstärke wieder erreichen. Einen Derbysieger, der später nur noch hinter her läuft, will keiner haben.

Immer neue Namen
Für das Turf-Publikum ist diese Situation allerdings schade. Denn dem Sport fehlen die Stars, weil die jeweiligen Helden nur eine kurze Karriere haben und in jeder Saison neue auftauchen. Die Fluktuation ist einfach zu groß.
Die Faszination des englischen Hindernissports zeigt sich auch dadurch, dass die Pferde dort länger aktiv sind: Kauto Star, Denman, Big Bucks oder Sprinter Sacre – um nur einige Top-Kandidaten der letzten Jahre zu nennen – waren lange Jahre aktiv. Nun haben die Wallache bekanntlich keinen Zuchtwert, aber das Publikum konnte seine Helden über längere Zeiten bewundern.
Es ist ja auch nicht so, dass sich blaublütige Flachpferde nicht mit dem Alter verbessern können. In Deutschland sowieso: Dschingis Secret, derzeit eines der besten deutschen Pferde über längere Strecken, ist so ein Fall. Zweijährig hat er zweimal die Bahn gesehen, dreijährig platzierte er sich unter anderem als Dritter im Derby, aber vierjährig machte der Soldier Hollow noch mal einen gewaltigen Satz nach vorne. Fünf Starts, vier Siege (alle in Gruppe 1 und 2-Prüfungen) sind eine beeindruckende Bilanz 2017, die letzte Form in Chantilly (Video), als er mehrere Gruppe 1-Sieger (darunter die japanische Arc-Hoffnung Satono Diamond) sicher beherrschte, war wohl seine bislang beste Form. Dschingis Secret mag weichen Boden. Wenn er diesen im Arc hat, könnte der Schützling von Markus Klug eine gute Rolle spielen. Ob das jedoch gegen die Favoritin Enable reicht, ist eine andere Frage.

Älter und reifer
Die Laufbahn von Decorated Knight verfolgt der Kolumnist schon seit Jahren mit großem Interesse. Am Samstag hatte der Galileo-Sohn mal wieder eine Sternstunde, als er als 260:10-Chance mit viel Speed die Irish Champion Stakes (Video) in Leopardstown entschied. Zu meinem Bedauern hatte ich ihn diesmal nicht auf der Rechnung, die letzten zwei Formen waren ja auch enttäuschend. Für andere Kandidaten sprachen an diesem Tag mehr Argumente.
Allerdings hatte das Pferd aus dem Stall von Roger Charlton schon in diesem Jahr bewiesen, dass er solche Rennen gewinnen kam. Mit fünf Jahren hat Decorated Knight erst seine Bestform erreicht, zwei weitere Gruppe 1-Triumphe beweisen das. Der Hengst ist ein Aufsteiger-Typ: Er war nie reif für klassische Ehren, wechselte vierjährig von Trainer Roger Varian zu Roger Charlton und arbeitete sich über Handicaps und Listenrennen nach vorne. Varian ist ein hervorragender Trainer, aber Roger Charlton hat eine besondere Gabe, Pferde langfristig zu verbessern. Die Geduld hat sich – nicht nur in diesem Falle – gelohnt.
Denn eine der besten Entscheidungen in den letzten Jahren war es, den großen Frankel auch vierjährig im Rennstall zu belassen. Denn der wurde vierjährig noch besser, obwohl das bei einem Pferd, das schon herausragend ist, ein wenig komisch klingt. Aber das letzte große Pferd des verstorbenen Trainers Henry Cecils zeigte sich gereift, seine Vorstellungen waren noch gigantischer. Er war die beste Werbung für den Galopprennsport.



Frankels letzter Triumph in den Champion Stakes in Ascot: Ganz leicht besiegt er Cirrus Des Aigles, Nathaniel und Pastorius