Donnerstag, 21. Juli 2016
French Eruption im King George
So schnell geht das im Sport: Noch am gestrigen Morgen waren die King George VI & Queen Elizabeth Stakes am kommenden Samstag in Ascot eine „Wettkatastrophe“, weil der Favorit Postponed unschlagbar schien, bei Quoten um die 15:10 jedoch wenig Wert versprach. Dann kam am Mittwoch Nachmittag die Meldung, dass ausgerechnet jener Postponed wegen einer Infektion nicht am Rennen teilnehmen kann. Klartext: Der Top-Star fehlt, die sportliche Qualität im großen englischen Sommer-Showdown sinkt, aber das Rennen wird offener. Starter und Chancen im diesjährigen King George.

Dartmouth (Trainer Sir Michael Stoute): Dartmouth ist eines dieser typischen Sir Michael Stoute-Pferde: Kontinuierlich gesteigert von Handicaps in die Gruppe-Klasse, zuletzt erfolgreich als 10:1-Schuss in den Gruppe 2-Hardwicke-Stakes, hauchdünn gegen Highland Reel. Die hohe Quote zeigt jedoch auch, dass sein Erfolg eher überraschend kam. Gruppe 1 hat er noch nicht gewonnen, auch sonst wirkt er nicht unschlagbar. Boden unabhängig. Nachgenannt für das Rennen.

Erupt (Trainer Francis-Henri Graffard): Im letzten Jahr Sieger im französischen Grand Prix de Paris (Gruppe 1) und Fünfter im Arc, zuletzt Zweiter im Grand Prix de Saint Cloud, als er mit gewaltigem Speed von hinten noch ins Rennen kam. Das sind so mit die besten Formen im Feld, Boden und Distanz sollten passen. Ganz klar eine Empfehlung.

Highland Reel (Trainer Aidan O'Brien): Unglücklicher Zweiter in den Hardwicke Stakes hinter Dartmouth,die besten Leistungen zeigte er dreijährig bei seinen Gruppe 1-Erfolgen in den USA und Hongkong. Man wird ihn nicht im Rennstall gelassen haben, wenn man dem Galileo-Sohn nicht weitere Gruppe 1-Großtaten zutrauen würde. Der etwas festere Boden spricht zudem für Highland Reel. Top-Kandidat.

Second Step (Trainer Luca Cumani): Der letztjährige Triumphator im Preis von Berlin in Hoppegarten, aber es gibt eben gute und noch bessere Gruppe 1-Rennen. Zuletzt zweimal chancenlos in starken Gruppe 1-Prüfungen und auch der dritte Platz im Yorkshire Cup (Gruppe 2, 2800 Meter) reicht nicht aus.



King George VI and Queen Elizabeth Diamond Stakes Ascot '84: Ein Rennen voller großer Namen. Teenoso gewinnt Start-Ziel mit dem legendären Lester Piggott im Sattel und zeigt immer wieder neue Reserven gegen Sadler's Wells und Pat Eddery. Sadler's Wells wurde später einer der besten Deckhengste der Welt.

Sir Isaac Newton (Trainer Aidan O'Brien): Vierjährig noch mal verbessert, gewann zuletzt Gruppe 3 in The Curragh und das Wolferton-Handicap in Royal Ascot. Jetzt ist weitere Steigerung erforderlich, zudem ist der Sir noch nie weiter als 2000 Meter gelaufen. Allerdings zeigte er bislang, dass eine längere Strecke von Vorteil sein könnte. Außenseiter.

Western Hymn (Trainer John Gosden): Erst ein Versuch über 2400 Meter und das war im 2014 Epsom Derby. Da lief er als 6. gar nicht so schlecht, blieb aber ohne Siegchance. Gruppe 3 ist eher seine Welt, aber ein Siegertyp ist Western Hymn nicht unbedingt. Müsste sich schon gewaltig steigern.

Wings of Desire (Trainer John Gosden): Der einzig verbliebene Dreijährige im Feld. Mit Pferden dieses Alters feierte sein Trainer John Gosden einige Erfolge im King George, siehe Taghrooda und Nathaniel. An letzteren erinnert mich Wings of Desire: Im Derby war er letztlich als Vierter zwar chancenlos, aber so richtig schien Epsom auch nicht seine Bahn zu sein, der Boden sei zudem zu weich gewesen. Zuvor gewann er die Dante Stakes (Gruppe 2) in York, diese Form wurde aber bislang nicht aufgewertet. Aber ein Pferd mit Reserven, der Boden sollte passen und vielleicht hat ihm die Pause seit Anfang Juni gut getan.

Urteil
Kein Doppel-Derbysieger Harzand, keiner der Top-Dreijährigen aus dem O'Brien-Quartier und jetzt auch kein Postponed – es gab schon deutlich besser besetzte King Georges. Die besten Formen und die beste Quote verspricht der französische Gast Erupt. Wings of Desire erinnert an erfolgreiche Gosden-Starter. Erst dann kommen für mich die Favoriten Dartmouth und Highland Reel.



Mittwoch, 13. Juli 2016
Derby 2016: Ewig grüßt das Murmeltier
Wie immer kam es anders als hier prophezeit: Isfahan gewann das Deutsche Derby 2016 vor Savoir Vivre und Dschingis Secret. Dem Sieger hatte ich das Stehvermögen nicht zugetraut, den Zweiten trotz seiner hohen Reputation nach seiner schwachen Union abgeschrieben, immerhin den Dritten genannt. Aber unser Haupt-Tipp Boscacchio sendete schon früh Notsignale und wurde auf dem schweren Boden Achter. Favoriten wetten frustriert eben.

Damit wären wir beim Thema. Heftige Regenfälle hatten das Hamburger Geläuf mal wieder zum Moor werden lassen, am Mittwoch blieben die Pferde fast stecken im Sumpf, so sah es zumindest aus.
Bis zum Derby hatte sich das Wetter ein wenig beruhigt, zudem wurden die Rennen am Freitag abgesagt. Aber der Boden war immer noch eine Katastrophe, die Bezeichnung schwer wirkt fast ein wenig euphemistisch. Immerhin wurde – im Gegensatz zu den Rennen zuvor – aus der Startmaschine gestartet.
Oftmals kommen auf schwerem Boden komische Ergebnisse zustande. Diesmal offenbar nicht, trotz der hohen Quoten waren durchaus Pferde mit Format vorne: Isfahan war schon zweifacher Gruppesieger im Winterfavoriten und im Bavarian Classic, Dschingis Secret platzierte sich mehrmals in guten Rennen, der hoch gehandelte Wai Key Star war als Vierter ebenfalls gut dabei. Nur Savoir Vivre, hauchdünn geschlagener Zweiter, steigerte seinen bisherigen Leistungen deutlich. Aber er galt – siehe oben – immer schon als Kandidat mit gutem Ruf und hat eine Arc-Nennung. Die bekommt definitiv nicht das langsamste Pferd im Stall.
Hinter diesen vier Pferden war der Abstand groß. Boscacchio sendete schon früh Notsignale und endete als Achter. Ich bleibe dabei: Er ist für mich das Top-Pferd des Jahres und wird das – wenn er gesund bleibt – auf gutem oder weichem Boden zeigen. Ein Tiger Hill blieb auch einst im Horner Moor quasi stecken.

Das selbe Lied
Ansonsten hat das Derby für den Kolumnisten viel von seiner Faszination verloren. Das mag zum einen daran liegen, dass inzwischen kaum jemand außerhalb des Turfs das wichtigste Rennen des Jahres registriert. Die Generation derjenigen, die mit Addi Furler in der ARD-Sportschau und damit den Galoppern quasi aufwuchs, wird eben immer älter und weniger. Eine Live-Übertragung im öffentlich-rechtlichen TV scheint so fern wie noch nie.
Dabei hätte man in diesem Jahr eine schöne Geschichte gehabt mit Boscaccio, Besitzer Rainer Hupe und Trainer Christian Sprengel – Außenseiter, die das wichtigste Rennen des Jahres gegen den Establishment gewinnen wollen. Ein wenig Island, ein wenig Leicester City – David gegen Goliath, besser geht es doch nicht mehr.
Die Diskussionen um das Geläuf tauchen eigentlich in jedem Jahr bei schlechtem Wetter auf. Vor ein paar Jahren gab es mal Überlegungen, einen anderen Standort für das Derby zu finden – unter anderem wegen des Bodens, aber auch wegen der angeblich schlechten Vermarktung. Das Ganze scheiterte, weil jeder anderer Kandidat schnell einen Rückzieher machte.
Doch verändert hat sich eigentlich nichts. Warum muss eigentlich das Derby als Rennen 10 einer 12 Rennen-Karte gelaufen werden? Und auf einem Geläuf, das vorher schon an sechs bis sieben Renntagen von unzähligen Pferden zertrampelt wurde? Die besten Pferde bekommen das schlechteste Geläuf – gibt es exklusiv nur in Deutschland. Warum tauscht man nicht einfach den Großen Hansa Preis am ersten Sonntag mit dem Derby am zweiten Sonntag? Das wäre deutlich fairer. Aber im Galoppsport gilt wie nirgendwo anders die Devise: „Haben wir schon immer so gemacht, werden wir immer so machen.“ Und in Hamburg noch verstärkt.



Montag, 11. Juli 2016
EM 2016: Portugal ist das neue Italien
Portugal ist also Fußball-Europameister. Herzlichen Glückwunsch dorthin, aber das Ergebnis passt zur Europameisterschaft 2016. Mit den Portugiesen holte eine Mannschaft den Titel, die spätestens ab den Achtelfinalspielen nur noch defensiv agierte und das Spiel des Gegners verhindern wollte. Ein stolzer Tag für Portugal, ein schlechter für den Fußball.

Es war ein trauriges Bild im Finale. Eigentlich wollten nur die Franzosen Fußball spielen, Portugal zeigte überhaupt keine Initiativen. Warum auch? Das Team von Trainer Fernando Santos hatte schon ähnlich vorsichtig in den Spielen zuvor agiert, leider mit Erfolg. Hinzu kam die Verletzung von Cristiano Ronaldo nach 25 Minuten: Bittere Tränen vergoss der Weltstar. Wieder nichts mit dem Titel für die portugiesische Nationalmannschaft, dachte CR 7 wohl.
Aber auch Frankreich setzte nicht voll auf Offensive, stand eher tief. Aber wenn ein Team zur Pause hätte führen müssen, dann die Blauen: 6:0 lautete das Chancenverhältnis, nur der herausragende Rui Patricio verhinderte die Führung.
In Abschnitt 2 wurde das Spiel noch öder. Frankreich kam kaum noch durch und wenn, dann verhinderten Rui Patricio, Pfosten und Latte die Führung. Portugal kam zum ersten Mal um die 70. Minute (!!!) gefährlich vor das französische Tor. „Bloß keine Verlängerung“, dachte der Kolumnist und wurde nicht erhört. Portugal wurde etwas offensiver und es kam so wie es kommen musste: Der eingewechselte Mann mit dem Fußball-Historie-trächtigen Namen Eder traf zum goldenen Tor. Ironischerweise spielt er auch noch in Frankreich beim OSC Lille. „Hurra, es ist vorbei“, titelte 11 Freunde.

Tauben und Schlangen
Portugal hatte schon oft starke Mannschaften. Die spielten häufig schönen Fußball, holten aber keine Titel. Und jetzt schafften sie es mit „hässlichem“ Fußball gegen müde Franzosen.
Wobei das mit dem Anti-Fußball über das ganze Turnier nicht ganz stimmt: In den ersten drei Spielen agierte Portugal noch offensiv, gegen Island (Ergebnis 1:1) und Österreich (Ergebnis 0:0) lag das Chancenverhältnis bei 12:5 bzw. 10:3. Und auch beim 3:3 gegen Ungarn setzte Trainer Santos auf Angriff. Aber der Erfolg blieb wegen der katastrophalen Chancenauswertung aus: Mit drei Unentschieden kam man so eben ins Achtelfinale.
In den Finalspielen änderte Santos dann die Taktik: So wurden die spielstarken Kroaten im Achtelfinale in der Verlängerung gestoppt und wer dachte, das war der Gipfel an Langeweile, der wusste noch nicht, dass es gegen Polen im Viertelfinale (Sieg nach Elfmeterschießen) noch schlimmer wurde. Gegen Wales im Halbfinale reichten dann 20 Minuten Initiative in der zweiten Hälfte. "Wir waren einfach wie Tauben, vorsichtig wie Schlangen", zitierte das portugiesische Sportblatt A Bola Fernando Santos.
Aber egal, werden sich die Portugiesen ob dieser Kritik denken. Auch andere Länder mogelten sich früher ins Finale. Nicht immer war ein Welt- und Europameister das spielerisch beste Team. Italien und Deutschland (vor 2006) kennen das sehr gut mit dem Durchmogeln. Also Glückwunsch!