Donnerstag, 14. April 2016
So viele TV-Zuschauer wie ein Tatort
Aus deutscher Sicht klingt das wie ein Märchen: Fast zehn Millionen Zuschauer haben am letzten Samstag das Grand National auf dem englischen Sender Channel 4 gesehen. So viele Zuschauer schauen am Sonntagabend in Deutschland etwa den Tatort, selbst manche Fußballspiele erreichen niedrigere Werte.

Das muss man erst einmal wirken lassen. Auch wenn dies zehn Millionen in der Spitze waren und dieser Wert nicht von Dauer war. Aber lass’ es mal sechs oder sieben Millionen gewesen sein, die die ganze vierstündige Übertragung gesehen haben. Das ist immer noch gigantisch: Diese Menschen schalten den Fernseher wegen eines Pferderennens an. In Deutschland wären es vielleicht 50 000. Oder weniger.
Zugegeben, das Grand National gehört in England zum sportlichen Kulturgut. Es ist die Prüfung, bei der auch Menschen eine Wette tätigen, die nie etwas mit Pferderennen zu tun haben. Sonst haben die Turf-Sendungen von Channel 4, der seit 31 Jahren Rennen überträgt und 2012 die noch verbliebenen Rechte von der BBC übernahm, viel geringere Quoten.
Im Vergleich zu vergangenen BBC-Zeiten ist die Resonanz in den letzten Jahren deutlich gesunken. Das Derby 2015 schauten in der Spitze 1,47 Millionen Zuschauer, mehr als die Hälfte weniger als bei der letzten Übertragung durch die BBC. Fast schon deutsche Verhältnisse gab es beim letzten King George am zweiten Weihnachtstag, als gerade mal durchschnittlich 475 000 vor ihren TV-Geräten die Übertragung verfolgten.
Die gefallenen Quoten sind auch ein Grund dafür, dass ab 2017 ITV die Senderechte von Channel 4 übernimmt. Viele englische Galopp-Anhänger kritisieren Channel 4, dass die Rennen zu sehr in den Hintergrund rücken und Nebensächlichkeiten wie Mode und Society zuviel Raum einnehmen. Das mag bei Veranstaltungen wie Royal Ascot oder Glorious Goodwood richtig sein, wo der Modemensch und die Society-Tante (Standardsatz: You look gorgeous, übersetzt: du sieht fantastisch aus) auf die Dauer gewaltig nerven.

Großes Kino
Beim Grand National-Meeting fehlen die beiden jedoch. Als Deutscher an TV-Diät in Sachen Turf gewohnt, kann man nur staunen. Allein am Samstag war Channel 4 vier Stunden auf Sendung, alles mit hohem personellen Aufwand. Zur Crew zählten unter anderem die Ex-Top-Jockeys Tony McCoy und Mick Fitzgerald als fachliche Verstärkung.
Das Programm war so vollgepackt, dass die Analyse fast ein wenig zu kurz kam. Aber McCoy machte seine Sache eigentlich ganz gut. Und die Bilder, die Channel 4 lieferte, waren grandios, ganz großes Kino. Aus deutscher Sicht klingt Kritik so und so komisch – bei der tristen Lage in unserem Heimatland.
Ansonsten scheint das Grand National in Deutschland umstrittener als auf der Insel zu sein. Jedenfalls war es am Samstag auf weich-schwerem Boden ein gutes Rennen, alle kamen einigermaßen heil nach Hause. Die Veränderungen 2012 haben sich bewährt.
Nur der Kolumnist hat immer noch keinen Sieger im Grand National getroffen. Dabei sah es diesmal so gut aus: The Last Samuri lief ein großartiges Rennen, sprang fantastisch über die immer noch gigantischen Hindernisse und als der Kolumnist schon dachte, alle sind abgeschüttelt, kam 340:10-Schuss Rule The World und triumphierte. Knapp vorbei ist auch daneben.



Freitag, 8. April 2016
Nur vorsichtige Pferde siegen im National
Spätestens um 18:30 deutscher Zeit wissen wir am Samstag, wer das Grand National in Aintree gewonnen hat. Ob es ein gutes Rennen ohne irgendwelche Zwischenfälle war. Und ob der Kolumnist endlich mal den Sieger getroffen hat.

11 Grade 1-Prüfungen, vierbeinige Top-Stars wie Cue Card, Annie Power oder Thistlecrack – doch im Mittelpunkt des dreitätigen Aintree-Meetings steht ein profanes Handicap. Das Grand National – jedes Jahr am zweiten Samstag im April auf der Bahn nahe Liverpool ausgetragen – kennen auch Menschen, die sich sonst nicht mit Galopprennen beschäftigen.
Auf der Insel zählt das Spektakel zum sportlichen Kulturgut und ist zudem ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Bei keiner anderen Prüfung wird mehr gewettet. Experten schätzen den Wettumsatz nur für dieses Rennen auf rund 150 Millionen Pfund, jeder vierte erwachsene Engländer soll eine Wette laufen habe. Durch die spätere Laufzeit in diesem Jahr soll zusätzlicher Wettumsatz generiert werden. Die Rennbahn in Aintree ist ausverkauft, auch wenn die Eintrittspreise so hoch wie bei einem Pop-Konzert sind.

Becher’s und The Chair
„Faszination und Abscheu“, habe ich 2009 über das National getitelt. Es war einer meiner ersten Texte für diesen Blog. „Das Grand National ist eine Mischung aus Faszination und Abscheu. Faszination, weil es eines der schwersten Rennen der Welt ist, höchste Anforderungen an Pferd und Reiter stellt und es schon eine Leistung ist, über die schweren Sprünge überhaupt das Ziel zu erreichen. Abscheu, weil Pferde stürzen, sich verletzen und manche ihren Einsatz mit dem Leben bezahlen“, schrieb ich damals.



Die National-Legende: Red Rum

Und weiter hieß es dort: „Auch wenn die Hindernisse vor einigen Jahren entschärft wurden, fordern „Becher's Brook“, „Foinavon“ oder „The Chair“ den Teilnehmern alles ab. Solche Hindernisse gibt es auf keiner anderen Rennbahn – und am Start sind wohlgemerkt ältere Pferde, die viel Erfahrung über Jagdsprünge haben. Erschwerend sind zudem die Marathondistanz von 7 141 Metern (so weit wie in keinem anderen Rennen) und die hohe Starterzahl von rund 40 Pferden“. Das alles gilt heute noch, auch wenn sich manches besserte.
2012 hatte ich mal die Nase voll. Nach einem Rennen voller Zwischenfälle wurden die Hindernisse noch mal entschärft. Seitdem lief alles glatt, es gab keine weiteren Todesfälle mehr.

Nervensache
Channel 4 überträgt das komplette Meeting und trotz des hochklassigen Rahmenprogramms dreht sich dort vieles um das Grand National. Eine Idee der Fernsehmacher: ein spezielles National-Dinner, Aintree a la Carte. Unter Moderation des heutigen Sir Anthony Mc Coy sitzen dort weitere Koryphäen, die alle schon einmal in diesem Marathon erfolgreich waren: Oliver Sherwood, Trainer des letztjährigen Siegers Many Clouds, Trainer-Legende Martin Pipe (83 Starter – 1 Erfolg), Trainer Paul Nicholls, Jockey Davy Russell und Katie Walsh als erfolgreichste weibliche Reiterin. Sie essen und trinken, die geäußerten Weisheiten sind manchmal nahe am Phrasenschwein, aber eben auch ziemlich ergiebig. „Er war vorsichtig“, sagt Nicholls über seinen Sieger 2012 Neptune Collonges. Und manche Pferde verlieren schon am Start, weil sie den Aufregungen nervlich nicht gewachsen sind.
Wer gewinnt also 2016? Es ist das übliche Rätsel, mit Vorjahressieger Many Clouds und King George-Sieger Silviniaco Conti sind Top-Pferde dabei. Aber es ist ein Handicap und der Kolumnist steht auf The Last Samuri: Ein Pferd mit viel Stehvermögen und bei weitem noch nicht erfasst, also günstig im Handicap. Die zweite Wahl fiel sehr schwer, Morning Assembly ist nur eine von mehreren Alternativen. Die Buchmacher aber fürchten nur einen Mann: Jockey Leighton Aspell und einen möglichen Hattrick.



Donnerstag, 31. März 2016
Derby-Watch 2016: Die Oster-Tour von Bremen bis Köln
Es ist die Zeit des Jahres, in der das zarte Pflänzchen Hoffnung den Turf prägt. Frühling, die Grasbahn-Saison hat begonnen und jeder Besitzer eines erfolgreichen Dreijährigen träumt von Besserem. Vom Sieg im Deutschen Derby etwa. Klassische Ambitionen stehen im Mittelpunkt unserer Kolumne Derby-Watch, die bis zum Deutschen Derby Anfang Juli in Hamburg laufen wird. Bis dahin begleiten wir die Szene mit allem Wissenswerten.

In Bremen, Düsseldorf, Hoppegarten und Köln zeigte sich der klassische Jahrgang über die Osterfeiertage. Los ging es am Karfreitag in Bremen – traditionell einziger Veranstalter an diesem Tag, weil am stillen Feiertag Karfreitag in anderen Bundesländern keine Renntage erlaubt sind.
Eines der besten deutschen Pferd aller Zeiten gibt neuerdings den Namen: Acatenango Derby Trial nennen die Bremer ein Sieglosen-Rennen für Dreijährige über 2200 Meter, das schon lange am Karfreitag gelaufen wird. Manche Gewinner spielten später eine führende Rolle im Jahrgang, Adlerflug und Wiener Walzer siegten sogar im Derby.
In beiden Fällen hieß der Trainer Jens Hirschberger – damals allerdings für das Gestüt Schlenderhan. Diese Verbindung ist längst Vergangenheit, aber Berghain, der Sieger 2016, weckte Erinnerungen. Auch bei seinem Besitzer: Dieser stellte einst mit Ransom O’War den Zweiten im Derby – 2003 war das hinter Dai Jin.
Was die Form auf schwerem Bremer Boden wert ist? Der Kolumnist ist bei diesen Bodenverhältnissen immer ein wenig skeptisch. Jedenfalls wählte Alexander Pietsch die kürzere Route innen, während der Rest des Feldes wegen des angeblich besseren Geläufs nach außen tendierte. Die richtige Entscheidung traf Pietsch, die anderen – darunter Medici, Tipp des Kolumnisten, – blieben außen quasi stecken. An fehlendem Stehvermögen wird Berghain nicht scheitern.

Talent und Kampfkraft
Düsseldorf setzte den Rennreigen am Ostersamstag fort. Potenzielle Hamburg-Kandidaten gab es im Preis der Haaner Felsenquelle zu sehen und hier waren alle Augen auf den Schiergen-Schützling Bora Rock gerichtet, der als 19:10-Favorit ins Rennen ging. Doch das Pferd des Gestütes Ammerland ließ auf der Zielgeraden erschreckend nach und wurde Letzter auf dem schweren Boden. Der Sieg ging an das zweite Pferd mit einer Derbynennung: Dschingis Secret wurde mit zunehmender Distanz immer besser. Trainer Markus Klug hat durchaus das Derby „für ihn im Auge“. Immerhin kostete der Soldier Hollow-Sohn 200 000 Euro als Jährling. Der Besitzer lebt in Hongkong, sein Trainer „hat noch nie ein Wort mit ihm gesprochen.“
In Hoppegarten ging es am Sonntag weiter. Dort sahen die Besucher mit Night Music eine hochtalentierte Kandidatin für den Preis der Diana, das Derby-Pendant für die Stuten. Bei den Hengsten gewann im Preis von Birkenstein Boscaccio, ein Mount Nelson-Sohn trainiert von Christian Sprengel und bereits nach seinem Debüt-Sieg 2015 vielgewettet für das Derby 2016. Es war ein souveräner Erfolg über 1800 Meter, die Güte der Form ist noch schwer einzuschätzen.

Demut und Freude
Aber wie so häufig im Leben gibt eine Geschichte hinter dem Sieger. Boscaccio wurde in seiner Anfangszeit von Norbert Sauer trainiert, dem im letzten Jahr so plötzlich verstorbenen Dortmunder Trainer. Sauer hatte früh das Talent des Hengstes erkannt. „Das macht mich und meine Mitbesitzer demütig und irgendwie froh zugleich“, sagte Mitbesitzer Rainer Hupe bei der Siegerehrung.
Zum Abschluss geht unsere kleine Oster-Reise nach Köln. In der Dreijährigen-Prüfung über 1600 Meter sahen die Besucher mit Double Dream eine hochtalentierte Stute, die noch einiges bewirken sollte. Für unsere Kolumne aber ist die Prüfung mit dem schönen Namen „Preis von dein Schrank.de“ interessanter.
„Er besitzt eine tolle Mentalität, hat einen Super-Kampfgeist. Ich habe ihn für das Derby und die Union genannt. Das nächste Ziel muss ich nun mit dem Besitzer absprechen“, meinte Trainerin Yasmin Almenräder über den Sieger Zirconic Star, der nach hartem Kampf gegen den Schiergen-Schützling Weltmeister siegte. Dabei hatte der bildhübsche Schimmel vielleicht einen kleinen Konditionsvorteil von seinem Erfolg auf der Dortmunder Allwetterbahn, doch bei beiden Pferden bin ich gespannt, wie ihre weitere Karriere aussieht.