Freitag, 8. April 2016
Nur vorsichtige Pferde siegen im National
Spätestens um 18:30 deutscher Zeit wissen wir am Samstag, wer das Grand National in Aintree gewonnen hat. Ob es ein gutes Rennen ohne irgendwelche Zwischenfälle war. Und ob der Kolumnist endlich mal den Sieger getroffen hat.

11 Grade 1-Prüfungen, vierbeinige Top-Stars wie Cue Card, Annie Power oder Thistlecrack – doch im Mittelpunkt des dreitätigen Aintree-Meetings steht ein profanes Handicap. Das Grand National – jedes Jahr am zweiten Samstag im April auf der Bahn nahe Liverpool ausgetragen – kennen auch Menschen, die sich sonst nicht mit Galopprennen beschäftigen.
Auf der Insel zählt das Spektakel zum sportlichen Kulturgut und ist zudem ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Bei keiner anderen Prüfung wird mehr gewettet. Experten schätzen den Wettumsatz nur für dieses Rennen auf rund 150 Millionen Pfund, jeder vierte erwachsene Engländer soll eine Wette laufen habe. Durch die spätere Laufzeit in diesem Jahr soll zusätzlicher Wettumsatz generiert werden. Die Rennbahn in Aintree ist ausverkauft, auch wenn die Eintrittspreise so hoch wie bei einem Pop-Konzert sind.

Becher’s und The Chair
„Faszination und Abscheu“, habe ich 2009 über das National getitelt. Es war einer meiner ersten Texte für diesen Blog. „Das Grand National ist eine Mischung aus Faszination und Abscheu. Faszination, weil es eines der schwersten Rennen der Welt ist, höchste Anforderungen an Pferd und Reiter stellt und es schon eine Leistung ist, über die schweren Sprünge überhaupt das Ziel zu erreichen. Abscheu, weil Pferde stürzen, sich verletzen und manche ihren Einsatz mit dem Leben bezahlen“, schrieb ich damals.



Die National-Legende: Red Rum

Und weiter hieß es dort: „Auch wenn die Hindernisse vor einigen Jahren entschärft wurden, fordern „Becher's Brook“, „Foinavon“ oder „The Chair“ den Teilnehmern alles ab. Solche Hindernisse gibt es auf keiner anderen Rennbahn – und am Start sind wohlgemerkt ältere Pferde, die viel Erfahrung über Jagdsprünge haben. Erschwerend sind zudem die Marathondistanz von 7 141 Metern (so weit wie in keinem anderen Rennen) und die hohe Starterzahl von rund 40 Pferden“. Das alles gilt heute noch, auch wenn sich manches besserte.
2012 hatte ich mal die Nase voll. Nach einem Rennen voller Zwischenfälle wurden die Hindernisse noch mal entschärft. Seitdem lief alles glatt, es gab keine weiteren Todesfälle mehr.

Nervensache
Channel 4 überträgt das komplette Meeting und trotz des hochklassigen Rahmenprogramms dreht sich dort vieles um das Grand National. Eine Idee der Fernsehmacher: ein spezielles National-Dinner, Aintree a la Carte. Unter Moderation des heutigen Sir Anthony Mc Coy sitzen dort weitere Koryphäen, die alle schon einmal in diesem Marathon erfolgreich waren: Oliver Sherwood, Trainer des letztjährigen Siegers Many Clouds, Trainer-Legende Martin Pipe (83 Starter – 1 Erfolg), Trainer Paul Nicholls, Jockey Davy Russell und Katie Walsh als erfolgreichste weibliche Reiterin. Sie essen und trinken, die geäußerten Weisheiten sind manchmal nahe am Phrasenschwein, aber eben auch ziemlich ergiebig. „Er war vorsichtig“, sagt Nicholls über seinen Sieger 2012 Neptune Collonges. Und manche Pferde verlieren schon am Start, weil sie den Aufregungen nervlich nicht gewachsen sind.
Wer gewinnt also 2016? Es ist das übliche Rätsel, mit Vorjahressieger Many Clouds und King George-Sieger Silviniaco Conti sind Top-Pferde dabei. Aber es ist ein Handicap und der Kolumnist steht auf The Last Samuri: Ein Pferd mit viel Stehvermögen und bei weitem noch nicht erfasst, also günstig im Handicap. Die zweite Wahl fiel sehr schwer, Morning Assembly ist nur eine von mehreren Alternativen. Die Buchmacher aber fürchten nur einen Mann: Jockey Leighton Aspell und einen möglichen Hattrick.



Donnerstag, 31. März 2016
Derby-Watch 2016: Die Oster-Tour von Bremen bis Köln
Es ist die Zeit des Jahres, in der das zarte Pflänzchen Hoffnung den Turf prägt. Frühling, die Grasbahn-Saison hat begonnen und jeder Besitzer eines erfolgreichen Dreijährigen träumt von Besserem. Vom Sieg im Deutschen Derby etwa. Klassische Ambitionen stehen im Mittelpunkt unserer Kolumne Derby-Watch, die bis zum Deutschen Derby Anfang Juli in Hamburg laufen wird. Bis dahin begleiten wir die Szene mit allem Wissenswerten.

In Bremen, Düsseldorf, Hoppegarten und Köln zeigte sich der klassische Jahrgang über die Osterfeiertage. Los ging es am Karfreitag in Bremen – traditionell einziger Veranstalter an diesem Tag, weil am stillen Feiertag Karfreitag in anderen Bundesländern keine Renntage erlaubt sind.
Eines der besten deutschen Pferd aller Zeiten gibt neuerdings den Namen: Acatenango Derby Trial nennen die Bremer ein Sieglosen-Rennen für Dreijährige über 2200 Meter, das schon lange am Karfreitag gelaufen wird. Manche Gewinner spielten später eine führende Rolle im Jahrgang, Adlerflug und Wiener Walzer siegten sogar im Derby.
In beiden Fällen hieß der Trainer Jens Hirschberger – damals allerdings für das Gestüt Schlenderhan. Diese Verbindung ist längst Vergangenheit, aber Berghain, der Sieger 2016, weckte Erinnerungen. Auch bei seinem Besitzer: Dieser stellte einst mit Ransom O’War den Zweiten im Derby – 2003 war das hinter Dai Jin.
Was die Form auf schwerem Bremer Boden wert ist? Der Kolumnist ist bei diesen Bodenverhältnissen immer ein wenig skeptisch. Jedenfalls wählte Alexander Pietsch die kürzere Route innen, während der Rest des Feldes wegen des angeblich besseren Geläufs nach außen tendierte. Die richtige Entscheidung traf Pietsch, die anderen – darunter Medici, Tipp des Kolumnisten, – blieben außen quasi stecken. An fehlendem Stehvermögen wird Berghain nicht scheitern.

Talent und Kampfkraft
Düsseldorf setzte den Rennreigen am Ostersamstag fort. Potenzielle Hamburg-Kandidaten gab es im Preis der Haaner Felsenquelle zu sehen und hier waren alle Augen auf den Schiergen-Schützling Bora Rock gerichtet, der als 19:10-Favorit ins Rennen ging. Doch das Pferd des Gestütes Ammerland ließ auf der Zielgeraden erschreckend nach und wurde Letzter auf dem schweren Boden. Der Sieg ging an das zweite Pferd mit einer Derbynennung: Dschingis Secret wurde mit zunehmender Distanz immer besser. Trainer Markus Klug hat durchaus das Derby „für ihn im Auge“. Immerhin kostete der Soldier Hollow-Sohn 200 000 Euro als Jährling. Der Besitzer lebt in Hongkong, sein Trainer „hat noch nie ein Wort mit ihm gesprochen.“
In Hoppegarten ging es am Sonntag weiter. Dort sahen die Besucher mit Night Music eine hochtalentierte Kandidatin für den Preis der Diana, das Derby-Pendant für die Stuten. Bei den Hengsten gewann im Preis von Birkenstein Boscaccio, ein Mount Nelson-Sohn trainiert von Christian Sprengel und bereits nach seinem Debüt-Sieg 2015 vielgewettet für das Derby 2016. Es war ein souveräner Erfolg über 1800 Meter, die Güte der Form ist noch schwer einzuschätzen.

Demut und Freude
Aber wie so häufig im Leben gibt eine Geschichte hinter dem Sieger. Boscaccio wurde in seiner Anfangszeit von Norbert Sauer trainiert, dem im letzten Jahr so plötzlich verstorbenen Dortmunder Trainer. Sauer hatte früh das Talent des Hengstes erkannt. „Das macht mich und meine Mitbesitzer demütig und irgendwie froh zugleich“, sagte Mitbesitzer Rainer Hupe bei der Siegerehrung.
Zum Abschluss geht unsere kleine Oster-Reise nach Köln. In der Dreijährigen-Prüfung über 1600 Meter sahen die Besucher mit Double Dream eine hochtalentierte Stute, die noch einiges bewirken sollte. Für unsere Kolumne aber ist die Prüfung mit dem schönen Namen „Preis von dein Schrank.de“ interessanter.
„Er besitzt eine tolle Mentalität, hat einen Super-Kampfgeist. Ich habe ihn für das Derby und die Union genannt. Das nächste Ziel muss ich nun mit dem Besitzer absprechen“, meinte Trainerin Yasmin Almenräder über den Sieger Zirconic Star, der nach hartem Kampf gegen den Schiergen-Schützling Weltmeister siegte. Dabei hatte der bildhübsche Schimmel vielleicht einen kleinen Konditionsvorteil von seinem Erfolg auf der Dortmunder Allwetterbahn, doch bei beiden Pferden bin ich gespannt, wie ihre weitere Karriere aussieht.



Donnerstag, 24. März 2016
Top-Sport und kein Gemetzel
Das Cheltenham Festival 2016 ist schon fast wieder Geschichte. Es waren Tage voller Höhen und Tiefen: Großartige Leistungen einerseits, aber auch die Schattenseiten des Hindernissports in Form verunglückter Pferde.

In Cheltenham werden immer noch vierbeinige Helden geboren. Oder wiedergeboren. Sprinter Sacre gehört eindeutig in die zweite Kategorie. Der Lärm, der den erneuten Sieg des Henderson-Schützlings in der Champion Chase begleitete, soll einer der lautesten in der Geschichte des Festivals gewesen sein. Kann ich nicht beurteilen, aber wie der Sohn des einstigen deutschen Spitzenpferdes Network den Favoriten Un de Sceaux besiegte, erinnerte in ihrer Dominanz an alte Glanzzeiten.
Thistlecrack triumphierte souverän in der Long Walk Hurdle und bestätigte alle Vorschusslorbeeren mit einem grandiosen Erfolg, als er seine Gegner im Hürden-Marathon deklassierte. Colins Tizzard Wangen strahlten noch mehr als sonst. Aber es hätte noch besser für den rührigen Trainer kommen können, nur leider fiel Cue Card in bester Haltung im Gold Cup.
Weiteres Fazit: Irland hat England im Hindernissport den Rang abgelaufen. Acht der Grade 1-Prüfungen gingen auf die Grüne Insel, nur fünf blieben zuhause. Besitzer wie Ryanair-Chef Michael O’Leary, der Mann hinter Gigginstown Stud, Rich Ricci und Howard Wylie haben in den letzten Jahren kräftig investiert und sie lassen ihre Pferde in Irland trainieren.
Die meisten davon bei Willie Mullins. Sechs der acht Grade 1-Prüfungen sicherten sich Starter aus seinem Quartier. Spitzenkräfte wie Douvan, Vautour, Annie Power (die in der Champion Hurdle ihre Favoritenrolle eindrucksvoll bestätigte) und Vroum Vroum Mag waren auf den Punkt genau in Top-Form. Da lässt sich verkraften, dass Faugheen nicht starten konnte.
Nur den Gold Cup holte sich Mullins nicht, seine Starter Djakadam und Don Poli wurden Zweite bzw. Dritte. Der Gold Cup-Sieger Don Cossack stammt aus dem deutschen Gestüt Etzean, wird aber für Gigginstown trainiert von Gordon Elliott. Endlich zeigte der Wallach mal sein großes Potenzial, profitierte aber auch vom Pech seines Rivalen Cue Card. Aber so schließt sich der Kreis: Im King George fiel der Don in guter Haltung, Cue Card siegte gegen Vautour.

Vorbehalte
Leider gab es auch dunkle Seiten: Sieben tote Pferde bei fast 500 Startern sind sieben Todesfälle zuviel. Das ist die höchste Zahl seit 2006, aber man sollte differenzieren: Einige dieser Fälle hatten nichts mit den Hindernissen zu tun, passierten etwa auf der Flachen.
Wer die Festival-Rennen als Gemetzel bezeichnet, liegt falsch. Das zeigen auch die Zahlen der letzten Jahre: 2015 waren es zwei Pferde, 2014 4, 2013 1, 2012 5, 2011 1, 2010 4, 2009, 2008 jeweils 1 – bei jeweils rund 500 Startern.
Ein Problem der Festival-Rennen ist, das sie oft in einem hohen Tempo gelaufen werden. Das liegt auch an der Klasse der Pferde und so passieren Fehler. Manche Stürze beim Festival rauben einem schon den Atem, aber Pferde verletzen sich auch anderorts: im Stall, auf der Koppel etc. Zumal diese Top-Vierbeiner ein privilegiertes Dasein und im Hindernissport meist eine lange Karriere haben.
In England sind die toten Pferde zwar auch ein Thema, aber urinierende Drittliga-Kicker nehmen viel mehr Raum in der Berichterstattung ein. Und die Heldentaten werden natürlich gefeiert. Immerhin sollen die Todesfälle untersucht werden.
In Deutschland merke ich immer wieder gerade bei Festivals wie Cheltenham oder Aintree, auf welche Vorbehalte der Hindernissport trifft. Zu brutal und zu gefährlich, lautet dann das Urteil. Das finde ich nicht, aber jeder hat das Recht auf eine eigene Meinung. Das muss man akzeptieren, aber ich bin mir sicher: Wenn der Hindernissport hier eine größere Rolle spielen würde, dann sähe manche Meinung anders aus.
Für die Buchmacher wurde das Festival hingegen zum Desaster. Eine Vielzahl an Favoritenerfolgen verhagelte ihnen den Bilanz. William Hill gab sogar eine Gewinnwarnung heraus.