Im Jahr 1886 war der Stellenwert der Triple Crown noch ein anderer. Da war der Erfolg in den drei Klassikern 2000 Guineas, Derby und St. Leger das Größte, was ein Vollblut erreichen konnte. Im Jahr 1886 schaffte Ormonde dieses Kunststück – kein Wunder, dass der braune Hengst den Beinamen Horse of a Century erwarb. Zumal er in 19 Starts unbesiegt blieb. Dieser Artikel über Ormonde setzt unsere Serie über große Rennpferde der Vergangenheit fort.
Das Erstaunliche: Ormonde lief über die unterschiedlichsten Distanzen und siegte sowohl in Sprints als auch Steher-Rennen. Das wäre heute so, als wenn der aktuelle englische Derbysieger Golden Horn im September im St. Leger siegen und dann im nächsten Jahr in einem Sprint über 1200 Meter triumphieren würde. Undenkbar, vor über 100 Jahren das Höchste der Gefühle.
Ormondes Besitzer war Hugh Grosvenor, der erste Duke of Westminister. Bei seinem Tod im Jahre 1899 galt er als der reichste Mann Englands und besaß unter anderen Ländereien in London. Der Duke war ein Mann mit vielseitigen Interessen: Politiker, Landbesitzer und nicht zuletzt erfolgreicher Züchter und Besitzer von Rennpferden.
Vier Mal gewannen seine Pferde in den gelben Farben das englische Derby. Die Leidenschaft für die schnellen Vollblüter sah der Duke nicht als Extravaganz, sondern als aristokratische Pflicht.
Ormonde mit Fred Archer
Eines seiner erfolgreichsten Pferde war der selbstgezogene Ormonde, der 1883 zur Welt kam. Schon die Abstammung versprach Erfolg: Vater Bend Or triumphierte im Epsom Derby und in den Champion Stakes, die Mutter Lily Agnes hatte über die Steherdistanz im Doncaster Cup gewonnen und ein Jahr zuvor bereits die 1000 Guineas-Siegerin Farewell gefohlt.
Der Duke of Westminister schickte Ormonde zu John Porter nach Kingsclere ins Training. Porter, geboren 1838, war einer der erfolgreichsten englischen Trainer. Schnell erkannte er das Talent von Ormonde. Eine Knieverletzung verzögerte allerdings die Ausbildung des jungen Rennpferdes.
So begann seine Zweijährigen-Karriere erst relativ spät am 14. Oktober 1885. Der Hengst gewann sein Debüt in Newmarket, siegte 12 Tage später in den Criterion Stakes und kam dann zwei Tage später schon als Favorit in den Dewhurst Stakes, dem wichtigsten Zweijährigen-Rennen in England, an den Ablauf. Eine schnelle Startfolge, in Deutschland rümpft man darüber häufig die Nase, in England machen das auch heute noch manche Trainer wie etwa Mark Johnston sehr gerne. Auch im 19. Jahrhundert galt die Devise, dass Rennen nicht im Stall gewonnen werden.
Mark Johnston wäre auf Ormonde stolz gewesen. Die Dewhurst Stakes gerieten zu einer Prozession: Das Pferd von Trainer Porter feierte einen überlegenen Erfolg auf der Rowley Mile in Newmarket gegen den Stallgefährten Whitefriar und der späteren 1000 Guineas-Siegerin Miss Jummy. Fred Archer, wie in den Rennen zuvor Partner des Hengstes, musste nicht viel tun im Sattel.
Ormonde machte richtig Eindruck, denn der englische Vollblutjahrgang 1883 galt als einer der besten der letzten Jahre. Doch ein Jahr später steigerte er die Zweijährigen-Form noch einmal deutlich.
1885 war gut, 1886 noch besser
Trainer Porter schickte seinen Schützling ohne Vorbereitungsrennen direkt in die 2000 Guineas in Newmarket. Ormonde ging nicht als Favorit in die Prüfung, diese Rolle übernahm der Middle Park Gewinner Minting. Fred Archer, der Ormonde bislang immer geritten hatte, entschied sich für den zweiten Favoriten Saraband. Doch Archer lag falsch: Ormonde mit Jockey George Barrett blieb unbesiegt, gewann nach einem langen Duell mit Minting am Ende sicher. „Ein klarer und tapferer Sieger“, urteilten später die Zeitungen.
Im englischen Derby auf dem schwierigen Kurs in Epsom saß Fred Archer wieder im Sattel. Ormonde stand in der klaren Favoritenstellung und entzauberte den bislang ungeschlagenen The Bard: Dieser wehrte sich lange Zeit tapfer, doch als Archer auf dem Favoriten ernst machte, war das Rennen entschieden.
Nur etwas später stand Royal Ascot auf dem Programm. Beim königlichen Rennfestival demonstrierte Ormonde eindrucksvoll seine Vielseitigkeit: Zuerst siegte er in den St. James Palace Stakes über 1600 Meter als klarer Favorit gegen nur zwei Gegner.
Stärker war die Konkurrenz in den Hardwicke Stakes über 2400 Metern, mit Melton zählte der Derby- und St. Leger-Sieger des Vorjahres zu den Gegnern. Doch am Ende siegte Ormonde leicht gegen Melton.
John Porter gönnte seinem Schützling eine Pause bis zum September. Der nächste Start folgte im englischen St. Leger in Doncaster. Ormonde dankte es seinem Umfeld mit einem leichten Vier-Längen-Erfolg ohne große Anstrengung gegen St. Mirin. Die Triple Crown war geschafft: Der braune Hengst hatte die drei Klassiker 2000 Guineas, Derby und St. Leger auf Distanzen von 1600 bis 2800 Metern gewonnen.
In diesem Herbst 1886 hatte Ormonde noch in fünf weiteren Prüfungen die Nase vorn. 16 Starts absolvierte das Pferd zweijährig und dreijährig und belegte dabei immer den ersten Platz. In einem starken Jahrgang war das Pferd des Dukes of Westminister ganz klar die Nummer 1. Einziger Wermutstropfen: Seine Atmung wurde immer lauter, so laut, dass der Hengst als „roarer“ bezeichnet wurde.
Doch das Jahr endete mit einem Schock für alle Beteiligten: Fred Archer, der Stammjockey des Ungeschlagenen, nahm sich im Alter von nur 29 Jahren das Leben. Er litt an Depressionen, auch bedingt durch den Tod seiner Frau zwei Jahre vorher und seiner ewigen Hungerkuren aufgrund seiner Größe.
Hugh Grosvenor, Duke of Westminster und der Besitzer von Ormonde
Dampf-Maschine
1887 startete Ormonde noch später in das Rennjahr: Es ging im Juni während des Royal Ascot-Meetings in den Rouse Memorial Stakes über 1600 Meter, der größte Gegner war ein Dreijähriger und trug den Namen Kilwarlin. „Kein Pferd ist je geboren worden, dass 25 Pfund mehr trägt und mein Pferd schlägt“, tönte dessen Besitzer Captain Machell.
Der Mann lag falsch: Sein Kilwarlin, im gleichen Jahr später immerhin noch St. Leger-Sieger, hatte nicht den Hauch einer Chance gegen den deutlich mehr Gewicht tragenden Ormonde. „Das ist kein Pferd, sondern eine verdammte Dampf-Maschine“, erklärte Machell nach dem Rennen.
Drei Tage später kam das Pferd des Dukes of Westminister wieder in den Hardwicke Stakes an den Start. Mit Minting und dem Eclipse-Ersten Bending warteten starke Gegner auf Ormonde. Zum ersten Mal musste er kämpfen, am Ende war es nur ein Hals Vorsprung gegenüber Minting.
Seinen letzten Start absolvierte Ormonde über schnelle 1200 Meter in Newmarket. Auch hier gewann er und blieb unbesiegt. Eine makellose Karriere gegen Pferde, die in der Turf-Historie sehr hoch bewertet wurden. Doch Ormonde war der eindeutige Champion.
Nicht ganz so erfolgreich war der Seriensieger als Deckhengst. Er wurde krank, litt unter mangelnder Fruchtbarkeit. Immerhin produzierte er mit Orme ein richtig gutes Pferd, der später auch in der Zucht seine Spuren hinterließ.
Ormonde wurde mit sechs Jahren nach Argentinien verkauft, später wurde er wiederum verkauft und landete in Kalifornien. Sein bester Nachkomme dort war Ormondale. 1904 starb Ormonde im Alter von 21 Jahren in Santa Rosa/Kalifornien. Er soll Vorbild für Silver Blaze gewesen sein, ein (fiktionales) Pferd in einer Kurzgeschichte von Sir Arthur Conan Doyle, dem Autoren von Sherlock Holmes.
Gestern jährte sich der Tag: Am 8. Juli 2014 siegte die deutsche Fußball-Nationalmannschaft sensationell mit 7:1 im Halbfinale der Fußball-Weltmeisterschaft gegen den Gastgeber Brasilien. Eine Sternstunde des deutschen Fußballs. Für die fußballverrückten Brasilianer hingegen eine Schmach ohnegleichen.
Deutschland demontierte Brasilien an diesem Abend in Belo Horizonte mit unglaublicher Präzision. Das Spiel wirkte so, wenn eine örtliche Amateur-Auswahl gegen einen Profi-Bundesligisten spielt. Brasilien waren dabei die Amateure. Besonders die ersten 30 Minuten, nach denen Deutschland bereits 5:0 führte, werden in ewiger Erinnerung bleiben.
Brasilien hat sich heute noch nicht von den Folgen dieser Niederlage erholt. Auch ein Jahr danach helfen nur Selbstironie und Sarkasmus gegen den Schaden, weiß die FAZ fest. Ebenfalls lesenswert: Drei Beteiligte erinnern sich aus deutscher Sicht in der Welt.
Auch sportlich hat sich die Selecao noch nicht erholt: Unter dem neuen/alten Trainer Carlos Dunga scheiterte Brasilien gegen Paraguay im Viertelfinale der Copa America. Und Spieler wie Innenverteidiger Dante von Bayern München wirkten in der letzten Saison alles andere als gefestigt.
Das 1:7 in Comic-Form. Meine Lieblingsszene ist die mit dem Blatter Sepp und der brasilianischen Staatschefin Dilma Roussef (ziemlich am Anfang).
Eigentlich könnte man sich diesen ganzen Wettstress vor dem Deutschen Derby sparen. Formen studieren und miteinander vergleichen, die wichtigsten Vorbereitungsrennen noch einmal schauen – überflüssig. Einfach nach Jockeys entscheiden. In Deutschland kann die Wahl nur auf einen fallen: Andrasch Starke. So auch in diesem Jahr: Starke gewann in Hamburg sein siebtes Derby mit Nutan, trainiert von Trainer Peter Schiergen und im Besitz des Stalles Nizza. Es war eine großartige Leistung von Ross und Reiter.
Allein auf weiter Flur: Nutan heißt der Derbysieger 2015. (Bild: German Racing/Rühl)
Es gibt manchmal so einen magischen Moment in einem Rennen. Auch im Deutschen Derby 2015, etwa 200 Meter vor dem Ziel. Eigentlich guckt man in dieser Phase immer auf seinen Tipp. Doch am Sonntag ging der Blick Richtung Innenrails: Da vergrößerte Nutan seinen Vorsprung quasi wie er wollte, galoppierte einfach nur weiter und löste sich ganz leicht vom Feld. Zum Schluss waren es fünf Längen Vorsprung, ein unerwartet überlegener Sieg.
Nutan zählte zwar zu den Mitfavoriten, doch irgendwie wirkt er noch immer etwas grün. Nicht verwunderlich, es war auch erst sein vierter Start im Leben. Zwischen der Union Mitte Juni und dem Derby hat sich der Sohn des Duke of Marmalade offenbar noch mal gewaltig verbessert. Für den Laien ist das kaum vorstellbar, aber manche Dinge im Turf sind einfach schwer zu erklären. Zudem sind 2400 Meter die Idealdistanz für den Halbbruder der großartigen Stute Nymphea.
Andrasch Starke servierte seinen Partner ein Traumrennen aus der Startbox 1 und fand mit Koffi Prince ein ideales Führpferd. Zudem profitierten Pferd und Jockey davon, dass der Boden diesmal nicht aufgeweicht war. Denn dann entwickelt sich der innere Teil des Geläufes oft zur Standspur, weil dieser Bereich mehr beansprucht wird. Bei gutem Boden aber spart das Pferd einige Meter und Kraft.
„Manchmal habe ich den Eindruck, dass Starke jeden einzelnen Grashalm und jede unebene Stelle dort kennt“, habe ich vor zwei Jahre nach seinem Derby-Sieg mit Lucky Speed geschrieben. 2015 kann man das nur wiederholen, denn der in der Nähe von Hamburg geborene Jockey präsentierte sich während des gesamten Derby-Meetings in großartiger Form. Was für Boris Becker einst Wimbledon war, ist für Andrasch Starke die Rennbahn in Hamburg-Horn. Quasi sein Wohnzimmer.
Hinter dem Sieger gab es die üblichen Überraschungen: Der nachgenannte Palace Prince sicherte sich mit gutem Schlussakkord Platz 2, der Riesen-Außenseiter Fair Mountain aus dem Stall von Andreas Wöhler sicherte sich Platz 3. Überhaupt Wöhler, arg gebeutelt durch der Ausfall der Favoriten Quasillo und Karpino: Auch Rogue Runner lieferte eine gute Leistung ab und wurde Fünfter. Areo, der Tipp dieser Kolumne, hielt sich ebenfalls achtbar und wurde Vierter. Die größte Enttäuschung war der 29:10-Favorit Shimrano, der nach schlechtem Rennverlauf nur Platz 11 belegte.
Wenn Musik quält
Derbytage in Deutschland sind eine langatmige Angelegenheit. Ein Mammut- Programm mit 12 Prüfungen, das kurz nach 12 Uhr beginnt und kurz vor 19 Uhr endet. Wenn die Veranstaltung denn pünktlich ist – und damit hat man es im deutsche Turf immer noch nicht so.
In Hamburg beruft man sich auf die Tradition. Warum sollte sich was ändern, haben wir schon immer so gemacht? Das Derby ist das neunte Rennen der Karte und kommt zu einem Zeitpunkt, an dem viele Besucher auf der Bahn und vor den Bildschirmen schon körperlich und geistig in den Seilen hängen. Das ist schade und eigentlich unwürdig für ein Rennen mit dieser Faszination
Früher habe ich den Renntag immer beim Buchmacher in netter Runde verfolgt, schon da halfen manchmal nur gute Gags gegen den Zwischenblues. Vor dem PC ist es noch schlimmer. Der Tag zieht sich unendlich, zumal die deutschen TV-Bilder nicht gut sind. Hinzu kommen andere Faktoren: Wer kam eigentlich auf die Idee, alles mit einem schrecklichen Musikteppich zuzuklatschen?
Ich habe in der Woche die Veranstaltung nur wenig live verfolgt, aber schon da ist mir die Musik auf den Geist gegangen. Noch schlimmer war es allerdings bei der Parade der Derbystarter, wo sie im Hintergrund plärrte. Als die Pferde in die Boxen rückten, lief Phil Collins: „Another day in paradiese“ in einer Disco-Version.
Vielleicht sollte der Hamburger Renn-Club mal nach England gucken, wie dort Spannung vor großen Rennen aufgebaut wird. Beim Epsom Derby etwa. Oder am letzten Samstag bei der Eclipse in Sandown. Aber dort hat man es auch nicht so mit den Mammut-Veranstaltungen. In der Regel umfasst dort ein Renntag maximal sieben Rennen, das Top-Rennen kommt an dritter oder vierter Stelle. Einfach mal angucken, acht Prüfungen am Derbytag würden es auch tun. Und die Musik weglassen.