„Da lief der Ball schulbuchmäßig durch die Reihen“ – Erinnerungen an Jochen Hageleit
Asche auf mein Haupt! Beim Blick in die 11 Freunde lese ich die traurige Meldung in der Rubrik „Schweigeminute“: Jochen Hageleit ist tot, verstorben bereits am 19. November. Und ich habe davon nichts mitbekommen.
Wer in den 70er Jahren mit der Bundesliga groß geworden ist, wird sich an die markante Stimme von Radio-Reporter Jochen Hageleit erinnern. Er gehörte quasi zum Inventar der Sendung „Sport und Musik“ am Samstag Nachmittag auf WDR 2. Meist moderierte Kurt Brumme, die Musik war unterirdisch grauenhaft, aber die Reporter waren oft ganz große Klasse.
Hageleit war einer der Besten, weil seine Reportagen das Spiel lebhaft machten. Er schilderte das Geschehen so plastisch, dass der Hörer am Lautsprecher sich ins Stadion versetzt fühlte. Eine Kunst, die nur wenige seiner Kollegen beherrschten: Werner Hantsch war einer in seiner Rundfunkzeit, bevor er dann den SAT1-Clown mimte. Der „Clubberer“ Günter Koch und natürlich Manni Breuckmann fallen mir noch ein.
„In den Siebzigern bildete Hageleit mit Heribert Faßbender und Armin Hauffe einen unschlagbaren Dreier-Sturm der Fußball-Reportagen aus dem Westen. Persönlich habe ich ihn zum ersten Mal im Stimberg-Stadion in Erkenschwick erlebt: Wie ein Square-Dancer tänzelte er auf dem mit Teerpappe verkleideten Toiletten-Flachdach, er durchlebte seine Stakkato-Schilderungen körperlich“, schreibt Breuckmann in einem Nachruf auf den ehemaligen WDR-Kollegen. Dem ist fast nichts mehr hinzuzufügen.
Jochen Hageleit kommentierte das Spiel 1.FC Köln – Fortuna Düsseldorf, seine Reportage beginnt ungefähr ab Minute 8:50. Gerade mal 10 000 Zuschauer waren beim rheinischen Derby. Vorher kommentiert Uli Potofski (auch der war mal beim Radio) das Spiel Borussia Dortmund gegen den Karlsruher SC. Der BVB verlor damals nach grottenschlechter Leistung 0:2, nach dem Spiel gab es wütende Fanproteste und am Ende trennte sich Dortmund vom damaligen Trainer Timo Konietzka und Manager Hans-Dieter Tippenhauer.
Glückwunsch an Macher Oliver Fritsch und sein Team! Der Bundesgerichtshof hat gestern entschieden, dass das Internetportal Hartplatzhelden auch weiterhin Videoaufnahmen von Amateurfußballspielen zeigen darf. Der Württembergische Fußballverband (WFV) wollte das verbieten, weil er darin eine unerlaubte gewerbliche Verwertung sah. Es gebe kein ausschließliches Recht an der Verwertung von Fußballspielen, urteilte jetzt der BGH. Das Landesgericht und das Oberlandesgericht Stuttgart hatten hingegen zugunsten des WFV entschieden. Mehr zum Prozess gibt es hier im Blog, der WFV reagiert gelassen auf das Urteil.
Die Hartplatzhelden sind so eine Art Youtube für den Amateurfußball. Nutzer können dort Videos von Amateurspielen kostenlos ins Netz stellen, die Seite finanziert sich über Werbung.
Der Niedergang des einst so stolzen 1.FC Köln begann im Juni 1990, schrieben bereits die Autoren von „Hennes & Co. – Die Geschichte des 1.FC Köln“ und sie haben damit Recht. Es war die Zeit der Fußball-Weltmeisterschaft 1990 und der damalige FC-Präsident Dietmar Artzinger-Bolten, CDU-Politiker und Jurist, fuhr extra nach Italien und verkündete dort zur Überraschung aller die Entlassung des damaligen Trainers Christoph Daum. Warum er seinen Coach vor die Tür setzte, verriet Arztinger-Bolten im sonnigen Italien nicht.*
Denn unter Fußballlehrer Daum, zu dieser Zeit am Anfang seiner Laufbahn, hatten die Kölner erfolgreiche Jahre hinter sich. 1988 wurden sie Dritter, 1989 und 1990 sogar Vizemeister. Danach kam der Absturz: Von Daums Nachfolger Erich Rutemöller blieb nur das Zitat „Mach et Otze“ hängen – sportlich war sein Schaffen eher ein Flop. Danach gaben sich die Trainer in Köln quasi die Klinke in die Hand – unter anderem Jörg Berger, Morten Olsen, Stephan Engels, Peter Neururer oder Lorenz-Günther Köstner. Keiner war richtig erfolgreich und während andere Vereine in den Champions League richtig Geld verdienten, ging es in Köln nur noch abwärts.
Zumindest er wurde noch nie gefeuert beim FC: Geißbock Hennes
Die Kölner Medien spielten (und spielen) bei den Turbulenzen eine entscheidende Rolle. Zwei Boulevardblätter vor Ort bedeuten Unruhe. Besonders der Kölner Express, der sein Schicksal unabwendbar mit dem FC verbunden hat, macht Stimmung. So und so gibt es nur zwei Extreme: Himmel oder Hölle.
Es war immer das gleiche Bild bei den Trainerentlassungen: Die Mannschaft verlor und Bild und Express hatten den Schuldigen schnell ausgemacht. Der Kandidat wurde mit Schlagzeilen regelrecht weich geschossen, irgendwann reagierten die Verantwortlichen und schickten den Coach in die Wüste. Das Spiel begann von vorne: Ein neuer Übungsleiter kam mit neuen Ideen und Vorstellungen und durfte bei der ersten Krise wieder gehen.
Zwischen Himmel und Hölle
Nicht verwunderlich, dass dieser Dauer-Dilettantismus der Verantwortlichen 1998 zum Abstieg in die zweite Liga führte. Und seitdem ist der FC eine Fahrstuhlmannschaft, die zwischen erster und zweiter Liga pendelt – so wie Bochum oder Bielefeld. Dreimal Aufsteig, dreimal Abstieg in zehn Jahren – Trainer wie Lienen, Funkel, Schuster, Koller oder Latour versuchten in dieser Zeit ihr Glück und scheiterten.
Nur sind die Ansprüche in Köln andere: Viele meinen, dass der Traditionsverein FC einfach in die Spitzengruppe der Bundesliga gehört. 2007 kam Christoph Daum zurück und wurde gefeiert wie der Messias. Immerhin stieg Daum wieder auf und hielt den FC (mit wenig attraktivem Spiel) in der Liga. Mit der Rückkehr von Lukas Podolski sollte alles besser werden (der Express feierte die Rückkehr mit einer dicken Beilage), doch auch der „Prinz“ konnte die Wende nicht bewerkstelligen. Der FC ist derzeit Tabellenletzter, die Mannschaft spielt grauenhaft – und damit wiederholt sich das Spiel: Trainer Zvonimir Soldo musste gehen.
Sportlich durchaus nachvollziehbar. Die Bilanz ist verheerend, was aber nicht nur an Soldo liegt. In der Kritik steht zudem Manager Michael Meier, der schon in Dortmund ziemlichen Mist baute.
Wie immer in Köln wird mächtig spekuliert, tauchen unter anderem die Namen Meyer, Toppmöller oder Sammer auf. Erstmal soll es der bisherige U23-Trainer Frank Schäfer richten – viel Spaß kann man da nur wünschen.
*Der Spiegel schrieb 2000 in einem Artikel über die Kokain-Affäre von Christoph Daum: „Dietmar Artzinger-Bolten, ehemals Präsident des 1. FC Köln, nimmt die Berichte „mit einer gewissen Genugtuung zur Kenntnis". Der Anwalt hatte Daum 1990 gefeuert, die Gründe blieben unklar. „Ich fühle mich bestätigt", sagt er jetzt, „daraus können Sie Ihre Schlüsse ziehen."
Das Revierderby zwischen Schalke und Dortmund ist auch für die Sportredaktion von BILD immer ein besonderes Ereignis. Da werden Emotionen geschürt, wird die Rivalität zwischen den Fans noch mal aufgestachelt, ist keine Schlagzeile reißerisch genug. Immer schwingt ein moralischer Unterton mit. Wenn es dann kracht, Bild war es nicht, hat aber wieder die gewünschte Geschichte.
Diesmal war es im Vorfeld trotz des katastrophalen Schalker Saisonstarts relativ ruhig, der Derby-Boykott vieler Dortmunder Fans wegen der hohen Eintrittspreise in der Arena war für BILD nicht das große Thema. Aber der Boulevard wäre nicht der Boulevard, wenn man nicht noch selbst „Dampf“ ins Derby bringen würde – auf höchst plumpe Weise.
„Watzke: Gott sei Dank ticken wir anders als Schalke“ titelt die Bild am Sonntag. „Schalke und wir haben total unterschiedliche Philosophien. Sie setzen auf Stars, wir ticken anders und setzen – Gott sei Dank – auf junge Talente“, zitiert das Blatt BVB-Boss Hans-Joachim Watzke. Und garniert das Ganze mit dem Satz „Watzke lacht die Schalker aus“. So wird die Story schön dramatisch; allerdings muss der Leser schon sehr böswillige Absichten haben, um diese Aussage aus den Worten des BVB-Bosses zu lesen.
Hohn und Spott
„Watzke genießt die Misere in vollen Zügen“, schreibt die BamS weiter und bringt ein weiteres (eigentlich harmloses) Zitat des BVB-Bosses: „Schalke steht mit dem Rücken zur Wand! Die wollen eigentlich Deutscher Meister werden, also müssen sie eigentlich den Anspruch haben, gegen uns zu gewinnen……“ Und wieder lacht Watzke die Schalker aus. Damit bekommt eine eigentlich harmlose Geschichte den notwendigen reißerischen Touch, kann so in Bild laufen.
Und warum rege ich mich darüber auf? So funktioniert eben der Boulevard, die meisten BVB-Fans lesen, sagen sie zumindest, so und so nicht das Blatt. Nur sind Bild und BamS immer noch die meist verkauften Zeitungen in Deutschland, gilt der Sport als das große Aushängeschild des Blattes. Was nicht stimmt. Ich oute mich mal als sonntäglicher BamS-Leser, nur den meisten Sch…, den sie im Sport (und anderen Ressorts) schreiben, kann man nicht ernst nehmen.
Sportlich war es eine eindeutige Geschichte: Mit 3:1 demütigte der BVB den FC Schalke 04 und gewinnt erstmals seit 2005 wieder in der Turnhalle. Damit stoßen Dortmunds junge Wilde das Schalker Starensemble noch mehr ins Elend. Null Punkte in vier Spielen, Tabellenletzter – erstmals bekommt Felix Magath richtig Gegenwind. Was wiederum gut ist für Bild, denn aus Krisen lassen sich die schönsten Schlagzeilen basteln.
Zum Glück ist sie jetzt beantwortet, die K-Frage der Deutschen Nationalmannschaft. Trainer Joachim Löw hat entschieden: Michael Ballack bleibt Kapitän, soll aber erstmal wieder richtig fit werden. So lange wird Philipp Lahm – wie schon bei der WM in Südafrika – die Binde tragen.
Dabei war die Diskussion völlig überflüssig. Denn es ist total egal, wer Kapitän ist – ob Ballack, Lahm, Kalle Grabowski oder Captain Blaubär. Denn was macht der Spielführer eigentlich? Er führt die Mannschaft auf den Platz, begrüßt Gegner sowie Schiedsrichter und führt die Platzwahl durch. Echte Führungsspieler in einem Team müssen nicht unbedingt die Binde tragen.
Nun zeigt die Reaktion auf Lahms Vorstoß während der WM („Ich möchte die Binde behalten“) deutlich, wie banal der Sportjournalismus und speziell die Berichterstattung über die deutsche Nationalmannschaft eigentlich ist. Nicht umsonst hat Lahm die Bild als Organ seines Geständnisses gewählt. Das Boulevardblatt hatte seine Exklusivgeschichte – und alle anderen Medien stürzten sich auf die Story.
Belgien wartet
Wobei das Fehlen des Altkapitäns Michael Ballack in Südafrika schon eine zweischneidige Sache war. Zum einen spielten ohne den Leitwolf einige Spieler regelrecht befreit auf, zum anderen fehlte in manchen Spielsituationen eine „Drecksau“ wie Ballack, der neben alle technischen und strategischen Fähigkeiten manchmal ziemlich rustikal zur Sache geht. Gegen Spanien im Halbfinale hätte Deutschland aber auch mit dem Neu-Leverkusener nicht gewonnen.
Heute geht es für die deutsche Nationalmannschaft in die EM-Qualifikation und da gilt es, den spielerischen Schwung der WM mitzunehmen. Auftaktgegner ist Belgien, einst ein Stammgast bei allen großen Veranstaltungen, inzwischen aber sportlich ziemlich abgestürzt. In der WM-Qualifikation gab es bittere Niederlagen gegen Fußballgrößen wie Estland und Armenien, erreichte das Team aus dem Land der besten Pommes gerade einmal 10 Punkte. Ein Neuaufbau ist fällig: Gegen Deutschland sind in der vermeintlichen Startaufstellung des nur van Buyten vom FC Bayern und der Neu-Nürnberger Simons über 25 Jahre. Einzige Spitze ist der erst 17jährige Lukaku vom RSC Anderlecht. In der englischen Premiere League spielt Marouane Fellaini, laut kicker „der reifste und kompletteste belgische Fußballer seit Enzo Scifo“ und bei den Anhängern des FC Everton schon aufgrund seiner Lockenmähne eine Kultfigur. Jedenfalls verkaufen sich die passenden Perücken blendend rund um den Goodison Park.
The kids will luv' it: Belgiens Marouani Fellaini macht den Zidane
Ende der Woche sei „alles in trockenen Tüchern“, schreibt der kicker in seiner Printausgabe, die Stuttgarter Zeitung meldet bereits Vollzug: Der VfB Stuttgart leiht Philipp Degen (27) vom FC Liverpool aus. Vom 2005 bis 2008 kickte der Schweizer Nationalspieler bei Borussia Dortmund – ohne dort allerdings restlos zu überzeugen.
Dabei kam er 2005 mit vielen Vorschusslorbeeren vom Schweizer Meister FC Basel: 22 Jahre, schon Nationalspieler und gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder Daniel eines der größten Talente der Alpenrepublik.
Doch in Dortmund holte ihn die Realität schnell ein: Der Mann auf der rechten Seite der Abwehr-Viererkette wirkte oft gedanklich sehr langsam, verlor leichte Bälle in der Offensive und hatte defensiv einige Probleme. Noch schlimmer: Irgendwie hatte man den Eindruck, dass Degen sein früher Ruhm zu Kopf gestiegen sei, so lässig wirkte er manchmal. Was in Dortmund, wo die saubere Grätsche noch gesellschaftsfähig und das Malocher-Image auf dem Platz immer noch sehr wichtig ist, überhaupt nicht gut ankam.
31 Spiele machte er in seiner ersten Saison, die kicker-Durchschnittsnote von 3,76 war durchaus ausbaufähig. Doch die Hoffnung auf Steigerung blieb unerhört: In der Saison 2006/07 absolvierte Degen 27 Spiele (Durchschnittsnote 3,98), 2007/2008 waren es nur noch 10 Partien (Note 4,10) - es ging eher abwärts. (Quelle)
Seuchenjahr
Das sah Rafael Benitez, zu diesem Zeitpunkt Manager des FC Liverpool, allerdings ganz anders. Zur Überraschung vieler verpflichtete der Champions League-Sieger 2005 den Schweizer Nationalspieler. Doch in der Premiere League kam Degen nie richtig an, weil ihn in seinem ersten Jahr Verletzungen immer wieder zurückwarfen.
Leiste, Rippenbruch, Loch in der Lunge und ein Bruch des Mittelfußknochens – in der ersten Saison war der Schweizer fast nie spielfähig. Erst im September 2009 feierte er sein Debüt in der Premiere League für Liverpool. Insgesamt kam Degen nur auf 13 Einsätze, sieben davon in der Premiere League.
„Zappel-Philipp ist erwachsen geworden“, hatte die NZZ vor einem Jahr geschrieben. Die schwarze Saison 2008/09 habe ihn „geduldiger und fokussierter“ gemacht. Jetzt trifft Degen beim VfB Stuttgart wieder auf seinen ehemaligen Trainer Christian Groß, mit dem er in Basel große Erfolge feierte. Obwohl damals auch die Welt nicht nur in Ordnung war. Es mangele den Brüder an der guten Kinderstube, hatte Groß mal über die Zwillinge Philipp und David gesagt.
Es muss so 2000 oder 2001 gewesen sein, als mir die Horde 1860-Fans im Stadtexpress zwischen Düsseldorf und Dortmund begegnete. Die Anhänger der Münchener Löwen waren auf dem Weg zum Auswärtsspiel nach Bochum – und ziemlich laut. Und am lautesten schmähten sie in ihren Liedern den damaligen Vereinspräsidenten Karl-Heinz Wildmoser, der jetzt im Alter von 71 Jahren gestorben ist.
Dabei hätte doch damals eigentlich die blau-weiße Welt in Ordnung sein müssen: Nach langen Jahren des Niedergangs hatten sich die 60er in der Ära Wildmoser wieder in der Bundesliga etabliert. 1992 übernahm der barocke Großgastronom, bei dem ich immer an Schweinebraten mit Klößen und die dazugehörige Maß denken musste, das Präsidentenamt bei den Löwen. Der deutsche Meister von 1966, der – was heute schwer vorstellbar ist – mal besser war als der große Lokalrivale FC Bayern, dümpelte zu dieser Zeit in der Bayernliga herum und füllte die Kassen von Vereinen wie Memmingen, Starnberg oder Landshut.
Die Wende hatte auch viel mit dem neuen Trainer Werner Lorant zu tun: Der stockautoritäre Bayer Wildmoser traf 1992 auf den ähnlich veranlagten Westfalen Lorant – und die Zusammenarbeit funktionierte. 1993 Aufstieg in die zweite Liga, nach nur einem Jahr Unterhaus gelang der Sprung in die Bundesliga.
Mit dem kauzigen Lorant etablierten sich die Löwen in der ersten Liga, wurden von Jahr zu Jahr besser und schafften beinahe den Sprung in die Champions League, als sie 2000 erst in der Qualifikation an Leeds United scheiterten. Besonders die Münchener Boulevardpresse liebte den jovialen Wildmoser und den mürrischen Lorant, weil sie beide immer für einen Spruch gut waren. „Die, die nicht zu den Bayern hielten, feierten die Sechziger. Und Wildmoser ließ sich feiern“, schrieb die Münchener Abendzeitung.
Verhasste Heimat
Doch schon zu diesem Zeitpunkt war die Löwen-Anhängerschaft gespalten: 1995 entschied der Präsident, dass die Löwen ins ungeliebte Olympiastadion des verhassten Rivalen FC Bayern umziehen und ihre eigentliche Heimat, das marode Stadion an der Grünwalder Straße, verlassen. „Verrat an den Wurzeln des Vereins“ warfen ihm damals viele 60er-Fans vor. Ein harter Kern von ihnen konzentrierte sich fortan auf die Unterstützung der zweiten Mannschaft, die an der Grünwalder Straße kickte, und auf die Auswärtsspiele.
2001 feuerte Wildmoser Lorant und danach war das Tischtuch zwischen beiden endgültig zerschnitten. 2004 stieg 1860 aus der Bundesliga ab. Vorher trat der ehemals allmächtige Präsidenten bereits selber ab. Grund war die Schmiergeld-Äffäre um die Allianz-Arena: Wildmoser senior wurde mitangeklagt und musste sogar einige Tage in Untersuchungshaft. Nachweisen konnte die Anklage ihm allerdings nichts – im Gegensatz zu Sohn Karl-Heinz junior, der zu viereinhalb Jahre Strafe verdonnert wurde.
„Meine G’sundheit hab i ruiniert. Meine G’schäft hab’ i vernachlässigt. Meine Familie ist auseinandergebrochen. Für diese Leistung, die ich da abg’liefert hab’. Und ehrenamtlich wohlgemerkt“, bilanziert er später
bitter in der Süddeutschen Zeitung.
Mit den Löwen wurde es nach Wildmosers Rücktritt nicht besser: Der Klub entwickelte sich schnell wieder zum Chaosverein vergangener Tage, ist heute finanziell ziemlich klamm und sportlich als Zweitligist der dritten Liga näher als der Bundesliga. Ein Grund, warum es dem Verein wirtschaftlich so schlecht geht, sind die hohen Kosten in der Arena. Und daher möchten die Verantwortlichen jetzt wieder ins Olympiastadion.
Nach seiner Zeit bei 1860 war Karl-Heinz Wildmoser wieder Wirt.
Nach dem Schlusspfiff lagen die Spieler apathisch auf dem Boden, Tränen flossen – Hansa Rostock hatte auch das zweite Relegationsspiel gegen den FC Ingolstadt 04 mit 0:2 verloren und stürzte erstmals in seiner Geschichte in die Drittklassigkeit ab. Muss man Mitleid mit den Hanseaten haben? Nein, weil der bisherige Drittligist Ingolstadt in den beiden Spielen die bessere Mannschaft war. Besonders im Rückspiel hätten die Bayern gegen völlig angeschlagene Rostocker noch höher gewinnen müssen. Hansa wirkte verkrampft und konnte nie seine Nervosität verbergen. Kampf allein reicht nicht aus. Und natürlich ist der Abstieg die verdiente Quittung für eine desolate Saison. Fehler machten die Verantwortlichen auf allen Ebenen, nach dem letzten Bundesligaabstieg 2007 ging die Entwicklung eigentlich nur noch abwärts. Nein, weil gewalttätige Idioten in den letzten Jahren das Bild des Hansa-Fanblocks prägten und Angst und Schrecken in Fußball-Deutschland verbreiteten. Wobei sie jetzt ihr Unwesen in Liga 3 treiben werden. Ja, weil der letzte DDR-Meister für viele Ostdeutsche mehr als nur ein Fußballverein war. Der Erfolg von Hansa war auch der Erfolg der Menschen aus dem wirtschaftlich arg gebeutelten Mecklenburg-Vorpommern. 12 Jahre spielte Rostock insgesamt in der Bundesliga und schlug sich mit kleinem Etat respektabel. Und während Traditionsvereine wie Dresden, Magdeburg, Jena oder Dynamo Berlin in der sportlichen Anonymität verschwanden, traf Hansa, das in der DDR nie Meister war, auf die Elite des deutschen Fußballs.
Und die Zukunft? Die sieht erstmal düster aus…
Derbysieger 2007: Da dachte Christoph Metzelder noch nicht an Einsätze für S04, eher an kleine T-Shirts, die diesen historischen Tag dokumentieren.
Manchmal ist man doch reichlich naiv. Zum Beispiel, wenn man glaubt, dass Profi-Fußballer keine Söldner sind, denen es ziemlich egal ist, bei welchem Verein sie ihr Geld verdienen. Weil selbst einem Profi klar ist, das dieser Klub eine Seele hat und vielen anderen Menschen Identität und Lebensinhalt spendet. Und ein Akteur, der sieben Jahre im Klub gespielt hat, dort vom unterklassigen Nachwuchs- zum Nationalspieler und Kapitän wurde und auch in schwierigen Verletzungsphasen vorbildlich unterstützt wurde, sollte eigentlich wissen, dass manche Dinge überhaupt nicht gehen. Beispielsweise zum Erzrivalen zu wechseln.
Und dann entpuppen sich diese Gedanken mal wieder als reine Folklore, die von der Wirklichkeit im harten Profi-Business weit entfernt sind: Christoph Metzelder, ehemaliger BVB-Kapitän und von 2000 bis 2007 in Diensten von Borussia Dortmund, geht im Sommer von Real Madrid zum FC Schalke 04 – nach Herne-West zum Dortmunder Erzrivalen.
Und damit brachen im Ruhrgebiet, wo Schalke oder Dortmund vielfach eine fußballerische Glaubensfrage ist, alle Dämme. Die Ruhr-Nachrichten setzten den Metzelder-Wechsel sogar als Aufmacher auf die Titelseite, im Sportteil erschien diese Geschichte. Über 500 Postings verzeichnete das Schwatzgelb-Forum – bei fast allen Schreibern dürfte Metzelder zukünftig chancenlos sein. Einblicke in die blaue Fanseele habe ich mir erspart, mit einem Sympathiebonus wird er dort jedoch nicht unbedingt rechnen können.
Und da war ja noch diese Geschichte, 2007 nach dem Derbysieg und der damit verpassten Schalker Meisterschaft entstanden. Nicht nur die schwarz-gelbe Fraktion ist darüber jetzt empört, auch auf Schalke wird diese Geschichte noch lang nachwirken.
Kein Wunder nach dem 1:5-Debakel von Hoffenheim: Der Hamburger SV hat seinen Trainer Bruno Labbadia entlassen – drei Tage vor dem Halbfinale in der Europa League beim FC Fulham in London.
Und irgendwie habe nicht nur ich den Eindruck, dass die Akteure des HSV an diesem Sonntag bewusst gegen ihren ungeliebten Coach gespielt haben. Das wird zwar kein Profi jemals zugeben, doch viel Gegenwehr leisteten die Hanseaten nicht bei einem Gegner, der selber in der Rückrunde meist desolate Leistungen bot.
Wenn ich nur die ersten drei Tore sehe: Beim 0:1 nach zwei Minuten verstolpert Mathijsen auf fast schon groteske Weise den Ball, beim 0:2 springt „Nationalspieler“ Jerome Boateng auch eher halbherzig mit hoch – Ibisevic sagt zweimal danke. Beim 3:0 laufen zwei Hamburger neben 1899-Verteidiger Eichner her, ohne auch nur den Ansatz zu machen, ihn ernsthaft zu stören. „Bei denen (den Hamburgern) stimmten die Zuordnungen nicht, fast allen Hamburgern fehlte es an Engagement“ schrieb der kicker in seiner Analyse. „Da fehlen mir die Worte“, kommentierte Piotr Trochowski nach dem Spiel.
Ein Mann für eine Serie
Dass das Verhältnis zwischen Trainer und Mannschaften zerrüttet war, war allerdings kein großes Geheimnis. Bruno Labbadia mag ein akribischer Arbeiter sein und einiges von Taktik verstehen, im Bereich Menschenführung muss der der einstige Vollblutstürmer noch einiges lernen. Spielzeiten unter Labbadia verlaufen ähnlich: Schon beim Zweitligisten Greuther Fürth lobten alle am Anfang seine Arbeit, die Mannschaft spielte sehr gut. Im Laufe der Zeit ebbten die Lobeshymnen jedoch ab, zum Schluss waren die Fürther Verantwortlichen froh, dass Labbadia den Verein Richtung Leverkusen verließ.
Das Gleiche bei der Werkself: Bayer bekam zu Beginn Komplimente ohne Ende für spektakuläre Spiele und mischte an der Tabellenspitze mit. Ihr Fußball-Lehrer galt als einer der zukünftigen Top-Trainer in Deutschland.
In der Rückrunde folgte dann jedoch der Absturz, das Verhältnis zwischen Mannschaft und Übungsleiter verschlechterte sich von Spiel zu Spiel und selbst der ansonsten eher zurückhaltende kicker schoss sich auf Labbadia ein.
Auch in Hamburg begann Labbadia viel versprechend, doch spätestens als die Tage kürzer wurden, setzten die ersten Konflikte ein. Die Hamburger Truppe ist zudem völlig überbewertet – einige große Namen, einige Talente, aber fast alle blieben in dieser Spielzeit unter den Erwartungen.
Der Traditionsverein wirkt wie ein Schiff ohne fähigen Kapitän: In den letzten sieben Jahren verschliss der HSV sieben Trainer. Und im Sommer feuerte Vereinsboss Bernd Hoffmann mit dem Sportlichen Leiter Dietmar Beiersdorfer denjenigen, der noch über den meisten Fußball-Sachverstand im Verein verfügte.