Die 45 Minuten des Steve Davies
Lieber Leser, stell’ Dir vor, Du kickst irgendwo in Kreis- oder Bezirksliga und bist glühender Anhänger von – sagen wir mal – Borussia Dortmund. Es ist Vorbereitungszeit und Du schaust Dir den BVB irgendwo auf dem Land an. Es läuft nicht alles rund und besonders Stürmer Robert Lewandowski agiert reichlich unglücklich. Du ärgerst dich über die Vorstellung und schreist „Lewandowski lass es sein, geh’ nach Hause. Das hört Jürgen Klopp. „Mach’ es doch besser“, sagt der BVB-Trainer. „Zieh`dich um“. Und auf einmal spielst Du im schwarz-gelben Dress Deines Lieblingsvereins. Und schießt auch noch ein Tor.
Geht doch gar nicht. Ist in Deutschland eigentlich auch nicht möglich, gibt ja so etwas wie Spielerpässe. In England aber passierte diese Geschichte einst, wie diese Story aus dem Howler-Magazin (hier dokumentiert vom Guardian) beweist.
Es war der 27. Juli 1994, West Ham United spielte in der Vorbereitung bei Oxford City FC und der damalige Assistenzmanager Harry Redknapp, später unter anderem Kolumnist der Racing Post, wechselte einen Fan ein, der vorher lautstark seinen Unmut geäußert hatte.
Steve Davies war ein glühender West Ham-Fan und kickte selbst am Wochenende in einer Freizeitmannschaft der englischen Sunday League. Sein Geld verdiente er als Kurierfahrer, aber der größte Teil seines Lebens gehörte dem Klub aus dem Londoner Osten.
Es war die Vorbereitung auf die Saison 1994/95 und natürlich war Davies zum Testspiel seines Klubs mit Freund und Frau angereist. Das Spiel plätscherte so vor sich hin, der Premiere League-Klub tat sich schwer gegen sich tapfer wehrende Feierabendfußballer. Besonders Stürmer Lee Chapman agierte unglücklich und zog sich den Zorn von Davies zu. „Weiter, Du Esel. Chapman, du bist nutzlos“, schrie dieser. Chapman verlor auch die nächsten Zweikämpfe, Davies motzte weiter.
„Da war so ein Typ an der Außenlinie, West Ham-Tattoos überall“, erinnert sich Redknapp. „Nach zwei Minuten fing er an zu erzählen – und hörte nicht mehr auf.“

Tittyshev aus Bulgarien
Fünf Auswechslungen machte der Coach in der Pause – und auf einmal gingen ihm die Spieler aus. „Kannst du so gut spielen wie du sprechen kannst“, fragte Redknapp den rhetorisch starken Fan. Der folgte dem Trainer in die Kabine – und kam in der zweiten Halbzeit für Lee Chapman ins Spiel. Steve Davies, der Amateurfußballer aus Milton Keynes, trug das Trikot seines Lieblingsvereins und spielte im Angriff für Chapman. „Den großen Bulgaren Tittyshev“, antwortete Redknapp auf die Frage, wen er denn da eingewechselt habe.
Natürlich war der Freizeitkicker bei den Profis überfordert. Das Ganze ging viel zu schnell für ihn, zudem stand ihm auch bei Oxford City immer ein Gegenspieler auf den Füßen. Auch lebte Davies nicht unbedingt wie ein Profi: 30 Zigaretten am Tag waren normal, außerdem hatte er am Spieltag auch schon einige Biere intus.
Doch der große Moment des Kurierfahrers aus Milton Keynes kommt. In der 71. Minute trifft er ins Tor von Oxford. „Es wäre, als wenn die Zeit still stehen würde“, erklärt Davies. „Es war der größte Moment in meinem Leben.“ Nur dummerweise war es abseits – der Schiedsrichter versaute den großen Tag.
Eine Woche später wurde Harry Redknapp vom Assistenz-Manager zum Manager befördert. „Ich werde das nie vergessen, so lange ich lebe“, blickt er zurück auf die Einwechslung des Fans. „Ich habe gehofft, dass er gut spielt. Ich wollte ihn nicht blöd aussehen lassen.“

Schöne Grüße in die Schweiz