Auf dem Papier sieht das Deutsche Derby 2019 in Hamburg nach einem Drei-Pferde-Rennen aus: Laccario, Django Freeman und Quest For Fame sind die gemeinten Pferde. Aber grau ist alle Theorie: Vielleicht verdirbt ja Dschingis First die Party.
Früher, da war dieser erste Sonntag im Juli immer etwas ganz Besonderes. Es war der Tag des Deutschen Galoppderbys, schon in der Woche vorher fieberte der Kolumnist diesem Ereignis entgegen. Und einmal im Jahr stand der Galopprennsport im medialen Interesse: Das Fernsehen übertrug live und Zeitungen, die sonst den Sport hartnäckig ignorierten, schrieben über das Derby.
Heute ist vieles anders: Der Kolumnist wurde älter und zynischer, das Fernsehen überträgt nicht mehr live, Print-Tageszeitungen haben viele Leser verloren. Das Rennen läuft natürlich bei den Online-Wettportalen und bei den Buchmachern, aber neue Interessenten lockt nur das Free-TV. Und da sieht es mit einer Übertragung ziemlich schlecht aus. Wie schon in den Jahren zuvor.
Wer gewinnt denn nun 2019? Der letzte Derbysieger, den der Kolumnist richtig angesagt hatte, hieß Lucky Speed und das war 2013. Die Strategie, gegen den Top-Favoriten zu spielen, zahlte sich in den letzten Jahren leider nicht aus – übrigens sowohl im Deutschen als auch Englischem Derby.
Der letzte Treffer: Lucky Speed triumphiert im Derby 2013
Aber auch in diesem Jahr wette ich gegen die Favoriten. So ruhen die Hoffnungen diesmal auf Dschingis First. Er kommt aus einer berühmten Familie: Von der Mutter Divya stammen die Derbyplatzierten Destino (Zweiter 2018) und Dschingis Secret (Dritter 2016, vorläufig), die alle zudem den gleichen Vater – Soldier Hollow – haben. Die Mutter weiß, was sie ihren Söhnen mitgeben muss, damit sie auf dem Hamburger Kurs erfolgreich sind.
Spätreif
Vieles an Dschingis First erinnert an Dschingis Secret: Auch letzterer war ein Spätentwickler, der von Start zu Start besser wurde. Auch er war Dritter in der Union, es folgte der gleiche Rang im Derby 2016. Mit vier wurde das „Geheimnis“ dann richtig gut. Dschingis First galt bei Trainer Markus Klug immer als sehr veranlagt, aber auch als spätreif. Gegen die Jahrgangsspitze zog sich der Klug-Schützling zweimal ordentlich aus der Affäre. In der Bavarian Classic im Mai lief er – ohne dass ihn Jockey Adrie de Vries groß forderte – auf Platz 3, Django Freeman und Quest The Moon gingen aber deutlich besser. Auch in der Union (Platz 4 )hatte er einen starken Moment, aber gegen Laccario und Django Freeman blieb er letzlich ohne Möglichkeiten. Kann ein Siegloser das Derby gewinnen? Schwer, aber möglich. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
Für Dschingis First spricht zum einen die Distanz von 2400 Metern, die ihm entgegenkommt, zum anderen weiß sein Trainer Markus Klug, wie das Derby gewonnen wird. Wenn sich der Hengst t weiter steigert, dann ist vielleicht die Überraschung drin. Sonst wird Dschingis First erst mit vier richtig Spitze.
Die klaren Favoriten
Drei Pferde sind die Hauptgegner: Zum einen Laccario, der überlegene Sieger in der Union. Ein von Start zu Start verbesserter Scalo-Sohn und nach den bisherigen Eindrücken nur schwer zu schlagen. Die letzten Erfolge fielen sehr souverän aus, nie hatte der Beobachter den Eindruck, dass sein Jockey das Letzte von ihm fordern musste. Das Pferd von Trainer Andreas Wöhler siegte mit dem berühmten „Finger in der Nase“. Sein Jockey Eddie Pedroza vergleicht ihn mit dem berühmten Novellist, der später die King George gewann, aber im Derby mit Pedroza von Pastorius auf den letzten Meter „geschluckt wurde“.
Der nächste große Kontrahent heißt Django Freeman. Henk Grewe, sein Betreuer, ist einer der Aufsteiger bei den deutschen Trainern. Sein Schützling war einer der besten Zweijährigen des Jahrgangs und diese Leistungen bestätigte er dreijährig. Er siegte im Bavarian Classic und war Zweiter in der Union. Dort war der Rennverlauf nicht optimal, doch ob er an diesem Tag eine Chance gegen Laccario gehabt hätte, erscheint fraglich. Quest The Moon hat jetzt Andrasch Starke im Sattel, der auf dem Derbykurs eine so gute Bilanz wie kein anderer hat. Der Sea The Moon-Sohn, der in München von Sarah Steinberg betreut wird, ist der Dritte Große im Starterfeld. Auch er zeigte zweijährig schon starke Leistungen, war dann zum Saisonauftakt guter Zweiter im Bavarian Classic. Das sah schon sehr vielversprechend aus und diese Vorschusslorbeeren bestätigte er mit einem Sieg im Prix du Lys in Longchamp über 2400 Meter. Die Pferde hinter ihm bestätigten die Form durchaus.
Wer hat noch eine Chance? An den englischen Gast Surrey Thunder glaube ich auch bei weichem Boden nicht so recht, eher ist Beam Me Up das Pferd für die Überraschung. Nach Formen muss er sich gewaltig steigern, aber er ist ein Pferd mit viel Luft nach oben.
Mord, Wettbetrug, Doping, Erpressung auf der Rennbahn – nicht nur Jockey Rory Gillespie lebt gefährlich. Autor John Francome, ehemaliger Topjockey, liefert in Midnight Express spannende Unterhaltung ab. Kann man gut lesen, gerade im Sommer. Auch wenn die Geschichte im Winter spielt.
Es gibt (nicht nur) in Dortmund diese wunderbare Einrichtung der öffentlichen Bücherschränke. Und in einem solchem fand ich per Zufall das Buch Midnight Express von John Francome. Bei dem Namen dämmerte mir doch etwas. Francome war eim ehemaliger englischer Hindernisjockey, immerhin siebenfacher Championjockey und damit nach Tony Mc Coy (20 Championate) und Peter Scudamore (8) auf Rang 3 in der ewigen Bestenliste. Allerdings war das vor meiner Zeit, später war Francome dann Experte beim TV-Sender Channel 4.
Zudem hat der Mann Bücher geschrieben – und gar nicht so wenige Was mir neu war, denn eigentlich fällt mir in Sachen Literatur und Galopprennen nur der gute Dick Francis ein. Wie viele der Bücher von John Francome in deutscher Sprache erhältlich sind, weiß ich nicht. Auf der Seite eines bekannten Gemischtwarenhändlers findet der Interessent immerhin einige Bücher, jedoch in Englisch.
Midnight Express (Originaltitel Break Neck) liegt aber in deutscher Übersetzung vor und eines dieser seltenen Exemplare ergatterte ich in obigem Bücherschrank. Midnight Express ist der Name eines Hindernispferdes, das zu den Besten des Landes zählt und als Mitfavorit für die Champion Chase in Cheltenham gehandelt wird. Doch dazu kommt es nicht: Denn das Pferd verunglückt tödlich in einem unwichtigen Amateurrennen. Dort läuft es nur, weil es sein Besitzer, der Immobilienmogul Luke Mundy, so will und er es in dieser Amateurprüfung selber reiten kann. Doch der finanziell bankrotte Mundy (der eine hohe Siegwette auf sein Pferd platziert hat) stürzt selber tödlich. Fremde Kräfte halfen dabei: Denn Midnight Express war gedopt.
Gut und Böse
Wettbetrug, Erpressung und Doping – die Welt des englischen Hindernissports ist bei Francome nicht gerade edel. Aber es ist ja ein Krimi und langweilig ist die Geschichte eigentlich nie. Und wie bei vielen Dick Francis-Werken ist auch bei John Francome das detailliert beschriebene Turf-Milieu die große Stärke. Und wenn der Autor kenntnisreich ein Rennen schildert, dann merkt auch der Galopp-Laie, dass der Mann jahrelang sein Geld als Jockey verdient hat.
Im Mittelpunkt stehen der Profi-Jockey Rory Gillespie und die Trainerin Laura Mundy, die Midnight Express trainiert. Beide waren vorher mal ein Paar, doch dann heiratete Rory die scharfe Trainer-Tochter und die aus gutem Haus stammende Laura ehelichte den reichen Aufsteiger Luke. Beide sind jedoch unglücklich in ihrer Ehe, die alte Liebesgeschichte wird wieder aufgewärmt. Laura wird zudem von Scotland Yard verdächtigt, am Doping ihres Pferdes beteiligt zu sein. Jedenfalls ermittelt Rory auf eigene Faust, weil er an die Unschuld von Laura glaubt.
Die Charaktere sind alle ein wenig grob gestrickt, man erkennt schnell, wer Gut und wer Böse ist. Ein krimigeprüfte Leser (oder regelmäßiger Tatort-Gucker) weiß zudem bald, wer der Oberschurke ist. Es sei Francome verziehen – dafür legt er ein schönes Tempo vor, es gibt kaum Längen.
Ärgerlich ist die manchmal etwas ahnungslose Übersetzung. So wird etwa der Rennstall von Laura Mundy durchgehend als Reitstall bezeichnet.
Für Nicht-Briten wirkt es immer ein wenig skurril: Da fahren ein paar Kutschen – mit einer gepflegten älteren Dame in der ersten – über das Geläuf und die Masse zückt nicht nur ihre Smartphones, sondern bejubelt auch die alte Dame. Und diese winkt huldvoll zurück. Das königliche Rennfestival Royal Ascot – und natürlich ist die Gastgeberin immer noch live dabei. Nun geht es allerdings nicht nur um die skurrilste Kopfbedeckung und andere Nebensächlichkeiten, sondern auch um Galopprennen der Extraklasse. Die Protagonisten des königlichen Festivals 2019.
Frankie Dettori
1991 schlug im Deutschen Derby der Außenseiter Temporal den Favoriten Lomitas. Vom Sieger war danach wenig zu hören, vom Zweiten umso mehr, am meisten aber vom siegreichen Reiter Frankie Dettori. Denn der damals gerade mal 20jährige Italiener machte als Jockey die große Karriere, schrieb mit den Magnificent Seven in Ascot Geschichte und wirkt wie neugeboren, seitdem die Godolphin-Fesseln weg sind. Am Donnerstag war mal wieder Dettori-Tag in Ascot: Die ersten vier Rennen gewann Dettori, viermal machte er seinen berühmten“flying dismount“. Beinahe hätte es sogar einen fünften fliegenden Abgang gegeben, denn Rennen 5 schien er mit Turgenev fast schon sicher zu haben. Doch dann zog noch Harry Bentley mit Biometric vorbei. Die Buchmacher atmeten auf.
„Wir werden Frankie vermissen, wenn er aufhört“, sagt Ascot-Boss Chris Stickel. „Er ist ein Superstar, reitet diesen Kurs sehr gut und macht die Zuschauer glücklich.“ Doch Schluss ist noch lange nicht. Auch mit fast 50 ist Frankie Dettori Weltklasse. Vielleicht wartet er ja wirklich auf seinen Sohn, bis der so weit ist. Sieben Siege feierte er in der königlichen Woche, natürlich war er der erfolgreichste Jockey.
Stradivarius
Der Schützling von Trainer John Gosden hat gewisse Ähnlichkeiten mit dem einstigen Top-Hürdler Big Buck’s – nicht nur dass beide Seriensieger und über Steherdistanzen unterwegs sind/waren. Beide gewinnen/gewannen ihre Rennen nie mit großen Abständen, irgendwann muss die Serie doch mal reißen, denkt sich der Kolumnist. Auch weil er ungern Favoriten wettet. Doch beide Pferde haben das gewisse Extra – diesen Willen, ein Rennen nicht zu verlieren. Am Donnerstag gaben Dee Ex Bee, der grandiose Außenseiter Master Of Reality und Cross Counter alles, doch am Ende hieß der Sieger wieder Stradivarius. Es war sein siebter Erfolg in Serie, sein zweiter Ascot Gold Cup. Er ist der König der Steher. Ascot feierte ihn und seinen Jockey Frankie Dettori (siehe oben) frenetisch. Ganz großes Kino.
Japan
Das Pferd, das aus der O’Brien-Armada im Epsom-Derby besonders auffiel, war der Dritte Japan. Zum Schluss machte dieser noch viel Boden gut, ohne den Sieger Anthony Van Dyck letztlich zu gefährden. Aber das sah nach viel Potenzial aus – und das zeigte sich in den King Edward Stakes. Da kam Japan auch spät und gewaltig, doch diesmal gab es keine Opposition. Es war zwar „nur“ ein Gruppe 2-Erfolg, aber ein sehr überlegender. Und er dürfte einige Pferde mit viel Talent geschlagen. Unter anderem meinen Tipp Bangkok, der immerhin seine schwache Derbyvorstellung vergessen ließ.
Als wenn es Training wäre: Japan siegt in den King Edward Stakes
Blue Point
Am Ende kam der anstürmende Dream Of Dreams noch bedrohlich nahe, doch Blue Point mobilisierte noch mal alle Reserven und triumphierte mit einem Kopf Vorsprung. Und damit schaffte der Godolphin-Schützling – trainiert von Charlie Appleby und geritten von James Doyle – das berühmte Gruppe 1-Sprint-Doppel. Er holte sich sowohl die Diamond Jubilee Stakes (1200 Meter) am Samstag als auch die King’s Stand Stakes (1000 Meter) am Dienstag. Zuletzt gelang 2003 dem Australier Choisir das. „Er ist ein echter Champion“, sagte sein stolzer Jockey. Es war Blue Points fünfter Erfolg in Serie, in Ascot gestaltete er fünf seiner sechs Starts erfolgreich.
Hayley Turner
Es war eine Doppelpremiere, dieser Erfolg des 33-1 Schusses Thanks Be in den Sandringham Stakes am Freitag: Der erste Royal Ascot-Sieg sowohl für Trainer Charlie Fellowes als auch Jockey Hayley Turner. Aber Turner gehörte eher die Aufmerksamkeit als dem tüchtigen Trainer Fellowes. Denn sie war die erste Frau nach 32 Jahren und Gay Kelleway, die ein Rennen während des königlichen Festivals gewann. 50,8 kg trug die Siegerin, dafür verzichtete Hayley Turner „auf Frühstück und Mittagessen“. „Es lohnte sich“, sagte sie nach dem Rennen. Und „es war nur eine Frage der Zeit.“ Dabei sind die Top-Erfolge von Frauen im Sattel auch im englischen Rennsport noch eine Ausnahme. Turner aber brach einige Barrieren: die erste Frau mit 100 Siegen in einer Saison (2008), die erste Frau mit einem Gruppe-Sieg. Fast 800 Rennen hat die inzwischen 36jährige in ihrer langen Laufbahn gewonnen. Ende 2015 war aber erstmal Schluss mit Rennreiten, Turner arbeitete unter anderem als TV-Expertin. Doch sie kam aus dem Ruhestand zurück – mit Erfolg.
Daniel Tudhope
Manchmal sieht man schön, was Selbstvertrauen bei einem Jockey ausmacht. Danny Tudhope ist ein solider Jockey, aber die großen Erfolge feiern andere: Ryan Moore, James Doyle oder (siehe oben) Frankie Dettori. Doch Tudhope begann die königliche Woche mit einem Knall, als er mit dem 15:1-Außenseiter und Haudegen Lord Glitters in den Queen Anne Gr.1 Stakes viele höhergehandelte Gegner besiegte. Es war ein kluger Ritt aus der Reserve für seinen alten Boss David O’Meara. Es folgte ein souveräner Erfolg mit Addeybb in der Wolferton Stakes zum Abschluss des ersten Tages.
Und dann kam am zweiten Tag der Triumph mit Move Swiftly wiederum für Trainer William Haggas in den Duke of Cambridge Stakes. Wieder hielt Tudhope sein Pferd anfangs in den hinteren Bereichen, wartete lange auf den richtigen Moment und fand im Gegensatz zu anderen Teilnehmern die Lücken. Es war ein perfekter Ritt. Am Donnerstag war dann wieder Alltag angesagt: Ripon stand auf dem Programm – und nicht Royal Ascot. Am Samstag legte er noch einen drauf und holte sich mit dem 26:1-Schuss Space Traveller die Jersey Stakes.