Montag, 11. Juni 2018
Taktik-Lehre ohne Nerdfaktor
Was der Interessierte schon immer über Taktik im Fußball wissen wollte, schildert Tobias Escher sehr verständlich in seinem Werk „Vom Libero zur Doppel-Sechs.“ Die Taktik-Geschichte des deutschen Fußballs hätte manchmal sogar etwas detaillierter sein können, nichtsdestotrotz ist das Werk so kurz vor der WM 2018 eine Empfehlung wert.



Fußball-Deutschland und Taktik – das waren früher häufig zwei Welten. Da wurde der Gegenspieler quasi bis auf die Toilette verfolgt (Manndeckung), stand der Libero weit hinter der Abwehr und kloppte die Bälle nach vorne. Zumindest im übelsten Fall, aber bis in den tiefsten Amateurbereich siegten Teams aus Deutschland meist mit Mentalität und Kampfkraft. Heute spielen Mannschaften selbst unterer Ligen mit Viererkette und Doppelsechs, pressen und schieben. Trainer wie Klopp, Rangnick oder Tuchel wurden früher ausgelacht, heute gelten sie als Trendsetter des modernen Fußballs. Die Taktik-Wertigkeit im Fußball hat in den letzten zwanzig Jahren deutlich zugenommen.
Warum das so ist, zeigt Tobias Escher in seinem Buch „Vom Libero zur Doppel-Sechs“ sehr gut. Zum Glück erklärt der Mitgründer des Taktikblogs spielverlagerung.de auch für Leute ohne Trainerschein das Thema sehr verständlich und verzichtet auf das dröge Fachchinesisch, das manche Texte auf Spielverlagerung kennzeichnet.

Herberger, Klopp und Löw
Escher geht dabei streng chronologisch vor, beginnt mit den Anfängen, arbeitet etwa die Unterschiede zwischen den Nationaltrainern Otto Nerz und Sepp Herberger heraus. Es ist - wie im Untertitel gesagt – „eine Taktikgeschichte des deutschen Fußballs“. Der Triumph von 1954, der Aufstieg von Bayern München und Borussia Mönchengladbach, der „(fast) totale Fußball“ des Helmut Schön und der Niederländer 1974, der höchst erfolgreiche „Rumpelfußball“ der achtziger und neunziger Jahre und dann quasi die Revolution von unten mit Trainern wie Ralf Rangnick und Jürgen Klopp. Natürlich darf Bundestrainer Joachim Löw nicht fehlen, Klasse wie der Autor etwa die Unterschiede des Umschaltfußballs 2010 und des Ballbesitz-Spiels 2014 herausarbeitet.
Allerdings haben die Leute die Taktik nicht neu erfunden. Sepp Herberger etwa setzte manche Dinge um, die zu seiner Zeit beachtlich waren. Auch in Bundesliga gab es früher schon Pressing und Raumdeckung - dank ausländischer Trainer wie Ernst Happel. Branko Zebec und Gyula Lorant. Doch diese Innovationen setzten sich in der Bundesliga nicht durch, zumal der DFB die neuen Systeme ignorierte. Warum sollte er auch nicht? Die deutsche Nationalmannschaft war auch in den fußballerisch öden 80- und 90er Jahren mit Kampffußball erfolgreich.
Manche Kapitel sind mir fast schon zu kompakt, manchmal hätte doch etwas mehr Tiefe gutgetan. Andererseits hätte Escher das Thema auch böse in die Breite ziehen können. Für jemanden wie mich, der in den taktisch finsteren Zeiten der 70er, 80er
und 90er Jahre gespielt hat und heute nur noch regelmäßig zuschaut, ist das schon richtig.

Das Buch



Freitag, 8. Juni 2018
Zum Tode des großen Denman
Eine sehr betrübliche Nachricht: Der großartige Denman ist tot. Er starb im Alter von 18 Jahren und war ein Pferd, das zu meinen absoluten Favoriten zählte.

Seine Duelle mit dem Stallgefährten Kauto Star prägten eine ganze Hindernis-Zeit. „Er kam zur rechten Zeit und war einer unser Superstars in einer goldenen Zeit für Team Ditcheat“, sagte Trainer Paul Nicholls, der beide Pferde trainierte.
Denman steht für alle Tugenden, für den ich den Hindernissport so liebe: Mut, Sprungvermögen, Kampfgeist und viel, viel Herz. Ein Pferd, das immer alles gab, ein Gigant der Rennbahn, eine Legende. „The Tank“ (der Panzer) war sein Spitzname, eine etwas martialische Beschreibung, aber auf der Insel hat man zu diesen Dingen eine etwas weniger rigide Sicht.
„Es war seine schiere Größe, die herausstand“, zitierte diese Kolumne 2011 zum Denman-Rennbahnabschied Sam Thomas, der im erfolgreichen Gold Cup 2008 sein Reiter war. Ein herausragender Springer und ein Kraftpaket, an guten Tagen sprang er so präzise wie ein Uhrwerk. Thomas: „Kein anderes Pferd gab mir so ein Gefühl von Stärke, so wie er sprang und sich im Rennen bewegte.“ Und auch zur Charakterisierung „mürrischer Typ“ hat Sam Thomas was zu sagen: „Wenn Denman ein Mensch wäre, wäre er der Typ, den du als besten Freund haben möchtest, weil er immer für dich da ist.“

Lese- und Filmtipps
Würdigungen in der Racing Post und bei Racing UK. Von letzterem gibt es auch eine längere Version.



Donnerstag, 7. Juni 2018
Das Godolphin-Imperium schlug zurück


Trainer und Team feiern den Derbysieger Masar

Dass ich das noch erleben darf: Godolphin triumphiert im Epsom Derby. Mit Masar, den auch diese Kolumne nicht auf der Rechnung hatte. Immerhin hatten wir den Zweiten Dee Ex Bee als chancenreichen Außenseiter prognostiziert. Das Traditionsrennen wurde zum Doppel-Triumph für die Maktoum-Familie: Denn der Zweite steht im Besitz von Scheich Mohammeds Sohn Hamdan.

Irgendwie war Masar das vergessene Pferd – auch in unserer Derby-Vorschau. Doch Pferderennen laufen oft anders als vorgesehen. Und am Samstag gegen 17:32 deutsche Zeit tauchten auf einmal die berühmten blauen Farben an der Spitze auf und blieben auch dort. Dabei hatten wir das Pferd von Trainer Charlie Appleby als sehr gutes Pferd eingeschätzt: Dritter in den 2000 Guineas, davor überlegener Sieger in den Craven Stakes .
Charlie Appleby hatte schon im Vorjahr eine Vorahnung. Im September siegte sein Schützling in den Gruppe 2 Solario Stakes in Sandown. „Er wird dreijährig noch besser“, sagte er nach dem Rennen. „Und die 2000 Guineas sind die beste Derby-Vorprüfung.“
Der Trainer hat eine richtig gute Saison, jeder Dritte seiner Starter kommt als Gewinner zurück. Schon 2017 war die Bilanz ausgezeichnet, besonders die Zweijährigen gefielen. Saeed Bin Suroor, der andere Goldolphin-Trainer in England, hatte vorher schon Böses geahnt und sich über die Zweijährigen-Verteilung mokiert. Er habe die Spätentwickler, Appleby hingegen die besseren Typen bekommen. Damit ging Bin Suroor in die Öffentlichkeit, darauf trat Racing Manager John Ferguson zurück, immerhin 25 Jahre im Dienste von Scheich Mohammed.

Bessere Tage
In der Godolphin-Organisation werden viele richtig aufgeatmet haben. Seitdem die Pferde in den blauen Farben liefen, hatte es noch nie einen Erfolg im Prestige-Derby gegeben. Lammtara trug bei seinem Erfolg 1994 noch andere Farben und schlug ausgerechnet Tamure, der in den traditionellen Scheich Mohammed-Farben Weinrot und Weiß unterwegs war.
Es folgten später harte Jahre. Während die Coolmore-Leute mit Trainer Aidan O’Brien einen Klassiker nach dem anderen abräumten, spielte Godolphin nur die zweite Geige. Manchmal hatte Godolphin überhaupt keinen Vertreter in den Top-Rennen. Traurig für eine Organisation mit diesen gewaltigen finanziellen Möglichkeiten. Da nutzen auch vielen Erfolge beim heimischen Dubai Carnival im Winter in Dubai nicht viel.
Godolphin hat turbulente Zeiten hinter sich. Der Doping-Skandal 2013 um Trainer Mahmood al-Zarooni traf die Organisation bis ins Mark. Das Imperium wankte nicht nur aufgrund der fehlenden sportlichen Erfolge.
Manchmal zeigte sich die gesamte Hilflosigkeit der Godolphin-Organisation darin, dass man scheinbar wahllos jedes halbwegs talentierte Pferd aufkaufte, das aber unter den Godolphin-Trainern meist schlechter wurde. Das hat sich in den letzten Jahren verändert: Pferde wie Barney Roy, Harry Angel und Ribchester laufen in Blau, werden aber trainiert von ihren bisherigen Trainern Richard Hannon, Clive Cox und Richard Fahey. Und waren sehr erfolgreich.