Mittwoch, 22. November 2017
Eine fette schwarz-gelbe Herbst-Depression
Es ist eine Zeit des Leidens. Wer Anhänger von Borussia Dortmund ist, weiß in diesem Herbst, was Demütigung heißt. Das 1:2 gegen Tottenham bedeutete nicht nur das sang- und klanglose Ausscheiden aus der Champions League, sondern setzte auch die Negativ-Serie der letzten Woche fort. Im Blickpunkt der Kritik steht Trainer Peter Bosz. Ich glaube nicht, dass er noch die Wende schafft.

Eigentlich glich das Spiel gegen Tottenham der Partie gegen Stuttgart – nur, dass die Engländer die deutlich bessere Mannschaft als die Schwaben sind. Wie schon gegen den VfB mit dem Alt-Dortmunder Hannes Wolf spielte der BVB eine ordentliche erste Halbzeit. Zumindest die erste halbe Stunde hatte Schwarz-Gelb alles im Griff.
Doch spätestens nach dem Ausgleich der Londoner durch Harry Kane kurz nach der Pause brach das Dortmunder Gefüge auseinander, zeigte die Borussia nichts mehr, wirkte auch konditionell nicht auf der Höhe – wie schon in Stuttgart. Individuelle Fehler machten es den Spurs leicht. Am Ende triumphierte mal wieder der Kollege Son, der schon zu HSV-Zeiten gegen den BVB manchmal zu großer Form auflief.
Die Dortmunder Mannschaft wirkt inzwischen von Spiel zu Spiel unsicherer, es wird jedes Mal schlimmer. Ein Team, das von den Namen sehr gut besetzt ist. Aber es passt derzeit nicht. Die Mannschaft agiert leblos und verkrampft. Von der Bank kommen keine Impulse.
Und damit sind wir bei Trainer Peter Bosz. Der Niederländer kam mit einigen Vorschusslorbeeren, seine Arbeit in den letzten Jahren bei Ajax Amsterdam sorgte für viel Anerkennung. Zu Beginn lief es ja auch sehr gut, der BVB legte einen großartigen Start in der Bundesliga hin, alle sprachen besonders nach den Siegen gegen Köln und Gladbach vom Dortmunder Spektakel.
Dass der FC in dieser Spielzeit eine Trümmersaison hinlegt und der Lauf der anderen Borussia einem Wellental gleicht – vergessen. Zudem bekam der BVB schon in der Champions League gegen Tottenham und Real Madrid die Grenzen aufgezeigt. Das waren Kontrahenten der Extra-Klasse, sie nutzten die offensive Ausrichtung der Borussia und die Lücken in der Defensive effektiv aus.

RB-Spiel der Knackpunkt
Das Elend begann richtig nach der Oktober-Länderspielpause. Das Spiel Dortmund gegen Leipzig war für objektive Zuschauer ein Wahnsinnsspektakel, aber RB – das in der ersten Halbzeit ganz stark spielte – nutzte die BVB-Schwächen konsequent. Hätte die Borussia aber die Chancen in Durchgang 2 genutzt, hätte sie gewonnen oder zumindest Remis gespielt.
Das Spiel gegen Leipzig war in meinen Augen der Wendepunkt. Von da an ging es abwärts, gegen Bayern war man trotz Chancenplus letztlich chancenlos. Nur ein Punkt in der Liga, dazu zwei enttäuschende Unentschieden in der Champions League gegen Apoel Nikosia sind eine niederschmetternde Bilanz. Der Pokalsieg gegen den Top-Drittligisten Magdeburg sorgt auch nicht für einen Stimmungswandel.
Die beiden Schlappen nach der erneuten Länderspielpause waren die nächsten Tiefpunkte. Peter Bosz und sein Team scheinen dem Team keine Impulse mehr zu geben. Der BVB ist einfach viel zu leicht zu schlagen.
In meinen Augen schafft der Trainer die Wende nicht mehr. Es gab auch zu Zeiten seiner Vorgänger Thomas Tuchel und Jürgen Klopp Krisenzeiten. Bei Klopp war es sogar mal ganz heftig in der Saison 14/15. Aber jedes Mal hatte ich das Gefühl, dass Trainer und Team die Sache in den Griff bekommen.
Jetzt kommt das Derby gegen den derzeit mal wieder starken Revierrivalen Schalke 04. Selten ging die Borussia in dieses Duell mit so wenig Selbstvertrauen. Eigentlich kann es nur besser werden. Aber das habe ich schon vor dem Stuttgart-Spiel gedacht. Das Ergebnis ist bekannt.



Bei der schwarz-gelben Misere spendet Musik Trost: das gigantische November Rain von Gun's n' Roses



Freitag, 17. November 2017
Der Prinz ist längst König – Aidan O‘Brien
Dieselbe Prozedur wie immer: Aidan O’Brien dominierte auch in diesem Jahr wieder die Trainerstatistik im Turf. Nicht nur, weil er 2017 26 Siege in Gruppe 1-Prüfungen schaffte und damit die Bestmarke von US-Trainer Bobby Frankel übertrumpfte. Der 48jährige Ire ist längst den Wunderkind-Jahren entwachsen. Er wirkt bescheiden, lobt immer wieder sein Team und ist unglaublich fokussiert. Der Versuch einer Annäherung an den Typen Aidan O’Brien.

Er folgte einer Legende namens Vincent O’Brien, doch er hat inzwischen den gleichen Status. Aidan O’Brien sammelte auch in dieser Saison wieder Klassiker und Gruppe 1-Erfolge wie andere Leute Briefmarken oder Bierdeckel. Der Mann trainiert die Blaublüter der Branche – in den Abstammungen wimmelt es von klassischen Siegern und Gruppe-Helden. Coolmore/Ballydoyle – die Organisation um John Magnier und Michael Tabor – sind die erfolgreichsten Züchter und Besitzer der Welt. Den Dauerrivalen Godolphin haben sie deutlich abgehängt – auch wenn die Pferde in Blau in diesem Jahr eine gute Saison hatten.
Churchill, Caraviggio, Winter, Capri oder Highland Reel waren die Helden 2017, frühere große Gewinner trugen die Namen Galileo, Giant’s Causeway, High Chapparal, Camelot oder Australia – um nur einige zu nennen. Eigentlich kennt Ballydoyle keine schlechte Saison: Ich bin immer wieder beeindruckt, wie punktgenau O’Brien und sein Team (auf den Teamgedanken legt der Mann großen Wert) ihre Schützlinge auf den großen Moment vorbereiten. In der Regel sind diese topfit in den großen Rennen.
Es macht einfach keinen Sinn, gegen einen heißen Favoriten aus dem O’Brien-Stall in den englischen Klassikern wie Derby oder Guineas zu wetten. Auch wenn der Kolumnist es immer versucht und versuchen wird, denn 20:10 oder noch tiefer stehende Kandidaten verbinde ich nicht mit Wettglück.

Er kennt jeden Vornamen
Wenn ich den Typen O’Brien sehe, dann wirkt er immer sehr fokussiert, aber auch angespannt. Interviews gibt er nicht gerne, aber er spricht mit den Journalisten. Das gehört zu seinem Job, pflichtbewusst ist der Mann sowieso.
„Listen“ beginnt er meist seinen Satz und nennt danach den Vornamen des Fragenden und dann erzählt er. Meistens sind das Allgemeinplätze für die Öffentlichkeit (Pferd ist gut drauf, hat gut gearbeitet etc.), aber was soll er in dieser kurzen Zeit dem TV-Reporter auch erzählen? Andere Trainer wie John Gosden oder Richard Hannon wirken lockerer, sagen aber auch nicht viel mehr.
Auf youtube gibt es jetzt ein etwas längeres Interview, das Matt Chapman von Attheraces (ATR) mit O’Brien führte. Chapman, der ansonsten im englischen TV ganz gerne mal den Provokateur spielt, schaffte es, dem Trainer neben manchen Phrasen doch einige interessante Aussagen zu entlocken. Ein paar Ausschnitte:

Über den Druck eines Top-Trainers
„Unser Druck ist es, dass die Pferde zur rechten Zeit ihre Leistung abliefern. Wir dürfen sie nicht verheizen. Aber ich arbeite mit unglaublichen Leuten und Pferden.“

Ob er Bücher über Training und Pferde lese wie etwa Martin Pipe?
„Ich lese nicht viel – allein schon aus Zeitgründen. Aber John Magnier liest viel.“

Über die Nachkommen von Galileo:
„Sie sind unheimlich willig und lernbereit. Sie machen immer, was wir wollen.“

Über die Zukunft
„Ich denke nicht so weit, ich denke vom Morgen zum Abend. Das zählt.“

Über Gerüchte aus dem letzten Jahr, dass David O'Meara ihn ablösen soll"
„Ich habe keine Zeit, mich mit sowas zu beschäftigen. Ich mache meinen Job, aber Journalisten machen ja auch nur ihren Job.“



2002 entstanden – eine Reportage über den jungen O’Brien

Ein weiterer Schatz auf youtube ist ein Portrait des jungen Aidan O’Brien unter dem etwas blöden Titel „Der junge Prinz von Ballydoyle“. Der irische Sender RTE hatte den jungen Trainer im Jahr 2002 unter die Lupe genommen. Sehenswert ist es schon deshalb, weil es die Anfänge des damaligen Emporkömmlings noch mal gut dokumentiert.
So spielen unter anderem die Anfänge über Hindernisse mit dem großen Champion Hürdler Istabraq eine wichtige Rolle. Zudem sprechen die stolzen Eltern über ihren Filius. Außerdem äußern sich unter anderen Größen wie John Magnier, Ex-Jockey Michael Kinane, Besitzer J P Mc Manus, Trainer Jim Bolger und nicht zuletzt Alex Ferguson, Ex-Manager von Manchester United. Manchmal wirkt das Lob ein wenig zu dick aufgetragen, aber Aidan O’Brien verdiente sich die Vorschusslorbeeren doch redlich.

Die besten Sprüche:
„Er ist ein alter Profi auf jungen Schultern“ (John Magnier)
„Er arbeitet so gründlich und sorgsam. Phantastisch“ (Alex Ferguson)
„Er ist der netteste Typ, mit dem man zu tun haben kann“ (Ex-Channel 4-Moderator John Francome).
Und selbst Godolphin-Trainer Saeed Bin Suroor lobt seinen Konkurrenten überschwänglich. Feinde und Neider – offenbar Fehlanzeige.



Donnerstag, 16. November 2017
Italien erlebt die Fußball-Apokalypse
Mir werden die Italiener definitiv fehlen. Eine Fußball-Weltmeisterschaft ohne die stolze Squadra Azzura ist wie eine Pizza Hawaii – ungenießbar. Allein schon deswegen, weil Deutschland gegen Italien das aufregendste Duell im Weltfußball ist: WM 2006, WM 1982, WM 1970 oder auch die Europameisterschaften 2016 oder 2012 lassen grüßen.

Das ändert nichts daran, dass die italienische Fußballnationalmannschaft bei manchen Weltmeisterschaften den Zuschauer regelrecht quälte. Ihr Fußball war immer ergebnisorientiert, die Kicker aus dem Land des Catenaccios standen nie für Spaß. Was haben sie mich manchmal genervt! 1994 etwa, als sich die Azzuri bis ins Finale gemauert hatten und es im ereignisarmen Endspiel gegen Brasilien nach 120 Minuten 0:0 stand. Der Fußballgott hatte ein Einsehen und ließ Italien im Elfmeterschießen verlieren.
Es war eine komische Begegnung, dieses Playoff-Rückspiel zwischen Italien und Schweden im legendären Giuseppe Meazza-Stadion in Mailand. Italien brauchte nach dem 0:1 im Hinspiel nur ein Tor, doch im Gegensatz zu früheren Tagen, als die Azzuri aus gefühlten null Chancen trotzdem trafen, wollte das Tor nicht fallen. 12:2 Torchancen zählte der Kolumnist, doch die Immobile, Florenzi und El Shaarawy verfehlten das Tor oder scheiterten am schwedischen Schlussmann. Am Ende verkündete Torwart-Legende Gigi Buffon unter Tränen seinen Rücktritt, jubelte Schweden frenetisch und eine Spielertraube zerstörte das mobile Eurosport TV-Studio.
Eines ist klar: Wer in 180 Minuten gegen Schweden nicht trifft, hat die Teilnahme an der Fußball-WM nicht verdient. Auch wenn Schweden im Hinspiel besser war und der Spiegel den Qualifikationsmodus ungerecht findet. Und Italien hatte das Pech, auf Spanien in ihrer Gruppe zu treffen.
Aber der vierfache Weltmeister (1934, 1938, 1980, 2006) ist nicht mehr die Macht von einst. Der italienische Fußball kriselt schon seit Jahren: Bei den Vereinsmannschaften spielt eigentlich nur Juventus Turin eine führende Rolle in Europa, die einst so stolzen Mailänder Clubs Inter und AC versanken zuletzt im Mittelmaß. Nun sind sie im Besitz chinesischer Investoren und hoffen auf bessere Zeiten. Die meisten Stadion sind marode und oft nur mäßig besucht, der Calcio hat seinen Zauber verloren.
Spielerpersönlichkeiten wie Andrea Pirlo oder Francesco Totti haben aufgehört. Das waren Leute, die technisch versiert waren und in der defensiv ausgerichteten Mannschaft immer für einen offensiven Glanzmoment sorgen konnten. Solche Spieler haben sie heute nicht mehr.

Kranker Mann von Europa
Viele Stars kamen auch früher aus dem Ausland, doch die Top-Namen spielen nicht mehr in der Serie A. Viel Mittelmaß aus dem Ausland füllt die Kader, der italienische Nachwuchs fehlt. Die Nationalmannschaft war in den letzten Jahren immer nur gut, wenn sie einen taktisch versierten Trainer wie Antonio Conte, der heute den FC Chelsea trainiert, hatte.
Trainer Gian Pietro Ventura, einem Veteran des italienischen Fußballs, werfen die Kritiker Planlosigkeit vor. Vor dem letzten Gruppenspiel der Qualifikation übernahmen laut Süddeutscher Zeitung Torhüter Gianluigi Buffon und andere Routiniers das Kommando und bestimmten die Taktik.
Auch in Italien ist Fußball mehr als nur Sport. Der Calcio ist der Kitt, der offenbar die Gesellschaft zusammenhält. Die Reaktion in Italien war eine des Entsetzens: „Ende! Das ist die Apokalypse. Italien nach 60 Jahren ohne WM“, schrieb die Gazzetto dello Sport. „Eine brutale Ohrfeige und ein enormer Schaden für ein Land, das vom Fußball lebt und damit atmet“.
In Deutschland war die Nichtqualifikation der Squadra Azzura Zeitungen wie der Süddeutschen oder den Ruhr Nachrichten (bzw. dem Redaktionsnetzwerk Deutschland) einen Kommentar auf ihrer Meinungsseite wert. Das Versagen der Nationalmannschaft wird dabei quasi parallel mit dem Versagen der italienischen Politik und dem ökonomischen Misserfolg gleichgesetzt: Die wirtschaftliche Lage ist schlecht, die Stimmung im Keller.
Nun war die italienische Politik schon immer ein einziger Sumpf und auch im Fußball liefen finstere Gesellen rum. Die Bereiche waren eng verzahnt: Silvio Berlusconi wurde durch sein Wirken beim AC Milan und seine Medien politisch ganz groß.
An Skandalen fehlte es auch im Fußball nicht. Der Calciopoli ist noch gar nicht so lange her, die Strafen fielen erwartungsgemäß sehr milde aus. Luciano Moggi, der ehemalige Juventus-Manager und einer der Drahtzieher, ist längst rehabilitiert. „Wir sind ein katholisches Land, wir können verzeihen“, betonte Juventus-Boss Andrea Agnelli.




Das war auch Fußball aus Italien. Das berühmte Halbfinale der WM 2006 im schönsten deutschem Stadion. Andrea Pirlo spielte einen genialen Pass auf Fabio Grosso in der 119. Minute. 1:0 für Italien, das 2:0 fiel eine Minute später. Gastgeber Deutschland war draußen, die Squadra Azzura schlug Frankreich im Finale und wurde Weltmeister.