Donnerstag, 14. August 2014
Was Joe Fanning und Andreas Löwe verbindet
Natürlich ist die Turfsaison noch lange nicht beendet. Aber wenn mich später jemand fragt, wer mir in der Saison 2014 am meisten auffiel, dann würde ich definitiv Trainer Andreas Löwe aus Köln und Jockey Joe Fanning aus England antworten. Beide eint, dass sie schon sehr lange im Geschäft sind. Beide erlebten auch schon härtere Zeiten. Doch Qualität setzt sich eben durch. Sowohl der deutsche Trainer als auch der englische Jockey haben es verdient, dass sie diese Kolumne kurz portraitiert.

Der Altmeister
2014 ist bislang ein großartiges Jahr für Andreas Löwe: Der Gruppe 1-Sieg von Sirius am Sonntag in Hoppegarten war ein weiterer Erfolgs-Meilenstein für den Kölner Trainer.
21 Siege bei nur 62 Starts lautet die bisherige Saison-Bilanz in Deutschland (Stand 12. August), das ist ein unglaublicher Sieg-Schnitt von fast 34 Prozent. Anders ausgedrückt: Jedes dritte Pferd, das Löwe und sein Team satteln, kam in diesem Jahr als Sieger zurück. Zum Vergleich: Markus Klug, der Führende in der Statistik, kommt auf einen ebenfalls glänzenden Schnitt von 27,91 Prozent, andere deutsche Top-Quartiere erreichen Werte von 22,55 Prozent (Waldemar Hickst), 21,66 Prozent (Andreas Wöhler) oder 17,77 Prozent (Peter Schiergen). Alles nicht schlecht, doch blass gegenüber den Löwe-Werten.
„Wir sind stolz auf unsere Pferde“, schrieb Andreas Löwe auf der gut sortierten Homepage des Stalles. Typisch für ihn ist die Betonung des „wir“, denn bei jeder Gelegenheit lobt der Trainer seine Frau, Mitarbeiter und Besitzer. Nicht er, sondern das Team ist der Star.
Seit 1981 trainiert Löwe, Geburtsjahr 1942, Vollblutpferde. Im letzten Jahr hatte er laut Stallparade der Fachzeitschrift Sport-Welt mal Rücktritts-Gedanken, doch dann folgte ein erfolgreicher Herbst 2013 und er machte weiter. Auch weil seine Besitzer das so wollten.
Da ahnte noch niemand, wie erfolgreich 2014 werden sollte. Seit Beginn der Grasbahnsaison stimmte die Stallform und hält quasi bis heute. Mit Lucky Lion trainiert Löwe ein Ausnahmepferd auf Distanzen von der Meile bis zu 2000 Metern. Der Hengst beeindruckte ungemein bei seinen Erfolgen im klassischen Mehl-Mülhens-Rennen und dem Münchner Gruppe 1-Großen Dallmayr-Preis. Auch über 2400 Meter im Derby lief er hervorragend, nur traf er da auf einen Ausnahmekönner wie Sea The Moon. Nicht nur diese Kolumne hatte Zweifel am Stehvermögen des High Chaparal-Sohnes, sein Trainer hingegen nicht.
Der bereits genannte Sirius, Rapido und die Stuten Indian Rainbow und Diamond Dove sind weitere hochbegabte Vertreter des Derby-Jahrganges, von den älteren Semester punktete zudem Amaron auf Top-Ebene regelmäßig.
Andreas Löwe hat nie für die großen Ställe trainiert, doch viele seiner Besitzer sind ihm schon seit Jahren verbunden. Seine größten Erfolge feierte er in den Jahren zuvor mit Stuten wie Mystic Lips, Lips Poison, Shapira oder Portella in den deutschen 1000 Guineas oder der Diana. Sehr gute Hengste waren vor dieser Saison der Top-Meiler Sehrezad und der unverwüstliche Protektor.
Noch mehr persönliche Erinnerung habe ich allerdings an Lierac, den ich einst im Derby zu hohen Quoten gewettet hatte und der mir fast den Atem nahm, als er im Derby 2001 auf einmal chancenreich außen auftauchte. Gegen Boreal gab es dann doch kein Ankommen, aber immerhin noch eine lukrative Platz-Quote. Leider hatte Lierac viel Verletzungspech und konnte diese Form nie wieder zeigen.



Joe Fanning in Hochform: Der Sieg mit Universal in den Jockey Club Stakes in Newmarket. Zu den geschlagenen Pferden gehörte auch ein gewisser Noble Passion

Tempo-Kenner und ein großer Kämpfer
Der Erfolg mit Amralah am Samstag in den englischen Rose of Lancaster Stakes in Haydock zeigte eindrucksvoll die große Stärke des Joe Fanning: Kein anderer Jockey reitet ein Rennen so gut von der Spitze aus wie er, nur wenige haben dieses Tempogefühl und diesen Kampfgeist. Die 150:10-Chance Amralah aus dem Mick Channon-Stall schickte Fanning direkt an die Spitze der Gruppe 3-Prüfung, ließ die Stute marschieren und dominierte Feld und Tempo.
Nun ist das mit dem Rennen an der Spitze oftmals so eine Sache: Irgendwann kommen die „Räuber“ und ziehen vorbei, das Pferd hat die Arbeit gemacht und geht leer aus. Viele Jockeys gehen das Rennen zu schnell an und wenn dann alle an einem vorbeiziehen, sieht man nicht gerade gut aus.
Doch Fanning ist ein Meister des richtigen Tempos. Je älter er wird, desto besser beherrscht er diese Taktik. An Amralah kam jedenfalls niemand vorbei – auch nicht der hoch eingeschätzte Hillstar aus dem Quartier von Sir Michael Stoute. Immer wieder fand die Stute neue Reserven, der Sieg war letztlich sicher.
Dreimal siegte der Jockey an diesem Nachmittag, aber erstaunlicherweise kein einziges Mal für seinen Patron Mark Johnston. Der 44jährige Fanning passt dabei hundertprozentig zur bevorzugten Taktik der Johnston-Pferde. Der Schotte lässt seine Pferde gerne von vorne laufen und oft ist an ihnen nur schwer vorbeizukommen, weil sie viel Kampfgeist und Willen zeigen. „A typical Mark Johnston-horse“, sagen dann immer die Experten. Zuletzt in Goodwood waren diese Tugenden mal wieder einige Mal zu bewundern – und oft war Joe Fanning der Mann im Sattel.
Der gebürtige Ire aus dem County Wicklow, der 1990 sein erstes Rennen in England gewann, zählt zu den oftmals unterbewerteten Charakteren der Jockey-Szene. Denn wie vielen seiner Kollegen aus Nordengland fehlen ihm die „Glamour-Erfolge“. So hat Fanning in seiner langen Karriere noch nie ein Gruppe 1-Rennen gewonnen, dabei muss er sich vor den Top-Jockeys wie Ryan Moore, Richard Hughes oder William Buick keineswegs verstecken.
Überhaupt ist das bei ihm wie mit ausgewählten Weinen: Je älter, desto besser. Seit 2009 hat er in jedem Jahr über 100 Rennen gewonnen; 2012 waren es sogar 188; 2012 auch noch 156 Erfolge. In diesem Jahr führt Fanning aktuell mit 130 Erfolgen die englische Jockey-Statistik vor Adam Kirby und Ryan Moore an. Und vielleicht reitet er ja auch irgendwann mal für Andreas Löwe.



Mittwoch, 6. August 2014
Und darauf einen Ahlenfelder .....
Der Spruch tauchte erstmals bei Frank Goosen auf. „Woanders is’ auch scheiße“ ließ der Bochumer Autor einst eine seiner Figuren sagen und schuf damit einen Spruch, der das Selbstverständnis des Ruhrgebietlers präzise trifft. Und der sich schnell verbreitete. Aber musste Tim Sohr sein Buch so betiteln? Schon der erste Negativpunkt.
In seinem Werk geht es um das Groß werden im Ruhrgebiet der neunziger Jahre und dabei spielt der lokale Fußballklub Fortuna eine wichtige Rolle. Denn die Bezirksportanlage am Waldweg in Diepenbusch, einem Kaff in der Nähe von Dortmund, prägt die Entwicklung des Protagonisten Karlheinz, genannt Kalli, Borowski entscheidend.

Inhalt
Kalli Borowski träumt von der WM 2006: Im Finale gegen Argentinien schießt er das entscheidende Tor. Kalli wächst im Ruhrgebiet der 90er Jahre auf und spielt seit der D-Jugend für die Fortuna aus Diepenbusch. Die rote Asche wird sein ständiger Begleiter, im „örtlichen Fußballverein lernt er das echte Leben kennen“ (Klappentext). Der Fußball und die Mannschaft geben ihm Selbstvertrauen.
Das Buch begleitet den Helden von der D- bis zur A-Jugendzeit, also quasi durch Pubertät und Teenagerzeit. Kalli ist nicht nur ein flinker Linksverteidiger, er entdeckt im Laufe der Zeit auch Mädchen (Freundin Melanie), Zigaretten und Alkohol. Letzteres bleibt im Amateurfußball fast unausweichlich, weil dort alle saufen. Der „Ahlenfelder“, benannt nach dem kürzlich verstorbenen Ex-Bundesliga-Schiedsrichter, bestimmt das Vereinsleben. Es handelt sich um ein Gedeck aus Bier und Malteser – und spätestens in der B-Jugend mischen dabei auch Kalli und seine Freunde munter mit.

Positiv
An einigen Stellen ist das Buch wunderbar witzig, manche Charaktere wie der Vereinsboss Paschke, der sich nach seinem Tod als Dortmunder Rotlicht-Größe entpuppte, oder der Vereinswirt und spätere Assistenztrainer Manni sind gut getroffen. Jeder, der mal in einem Verein Fußball gespielt hat, kennt diese Typen. Und das Ruhrgebiet bietet viele davon – Typen, die fast schon aus dem Klischee-Baukasten stammen können. Aber es gibt sie wirklich. Das Vereinsleben charakterisiert Sohr teilweise großartig.

Negativ
Leider hält Sohr das Level nicht, manches wirkt ziemlich aufgesetzt und ein wenig oberlehrerhaft – etwa wenn er die Musik der 90er beschreibt. Und auch wenn es Fiktion ist, manche fußballtechnische Aspekte sind schlecht recherchiert. So pfeift in der A-Jugend nicht mehr der Vater eines Spielers, sondern ein „echter“ Schiedsrichter. Auch spielen B-Jugend und A-Jugend in Nordrhein-Westfalen nicht Samstag, sondern am Sonntag.
Und in welcher Liga spielt die Fortuna? Überkreislich wohl nicht, denn es gibt genug Lokalderbies. Im Kreis gibt es nur Kreisklassen, meist 1 und 2, und Sonderklassen.
Schwer vorstellbar ist zudem, dass auf diese Kreisliga-Spiele in Wettbüros gewettet wird. Zumal in den neunziger Jahren noch nicht einmal Wettbüros für Fußballwetten gab. Noch nicht mal Oddset war auf dem Markt. Wer abseits des Totos wetten wollte, war auf Buchmacher in Österreich oder England angewiesen.
In den Bereich Fiktion fällt zudem, dass ein Bundesligist einen 16/17jährigen in der Kreisliga entdeckt. Das gab es selbst in den 90er Jahren nicht mehr. Wer damals gut war, hatte schon frühzeitig Angebote. Aber Borowski verzichtet ja auch wegen Melanie auf seine Profikarriere und geht mit ihr nach Berlin.

Urteil
Abgesehen von obigen pedantischen Einwürfen ist „Woanders is’ auch scheiße“ die passende Lektüre für lange Sommerabende. Man sollte allerdings die gleiche Sozialisation wie der Autor haben und im Ruhrgebiet mit dem Amateur-Fußball aufgewachsen sein.



Freitag, 25. Juli 2014
Telescope auf den Spuren von Novellist und Danedream
Ein Höhepunkt der englischen Turf-Sommers naht: Boxen auf für die King George and Queen Elisabeth Stakes. Die Gruppe 1-Prüfung über 2400 Meter in Ascot, immerhin dotiert mit einer Million Pfund, war bekanntlich in den letzten zwei Jahren eine deutsche Domäne: 2013 triumphierte Novellist, 2012 die grandiose Stute Danedream. Leider wiederholt sich das in diesem Jahr nicht, weil kein deutsches Pferd dabei ist.
Im Gegensatz zum Arc im Herbst glänzt das King George nicht gerade durch Internationalität, nur der französische Gast Flintshire stellt sich den Kandidaten aus England und Irland. Dennoch ist die Besetzung in diesem Jahr nicht schlecht – auch dank Trainer John Gosden, der gleich drei hoffnungsvolle Dreijährige ins Rennen schickt. Die Starter und ihre Chancen.

1. Flintshire (Trainer Andre Fabre/Jockey Maxime Guyon): Der einzige Gast vom Festland. Der letztjährige Gewinner des Grand Prix de Paris wird den gut bis festen Boden mögen, die letzte Formen reichen aber nicht aus. Auch nicht Platz 2 hinter dem famosen Cirrus Des Aigles im Coronation Cup in Epsom.

2. Leitir Mor (Trainer Jim Bolger/Jockey Ronan Whelan): Tempomacher für Trading Leather.

3. Magician (Trainer Aidan O’Brien/Jockey Joseph O’Brien): Die beste Form als Sieger im Breeders Cup Turf über 2400 Meter auf festem Boden, zuletzt guter Zweiter hinter The Fugue in Ascot auf 2000 Metern. Gefährlich, zumal er den Boden mag.

4. Mukhadram (Trainer William Haggas/Jockey Dane O’Neill): Düpierte zuletzt von der Spitze aus die hochkarätige Konkurrenz in den Eclipse Stakes. Das war eine taktische Meisterleistung von Jockey Paul Hanagan, der sitzt aber diesmal auf Taghrooda. Dane O’Neill ist jedoch ein fähiger Ersatz. Dennoch schwer vorstellbar, dass ihn die Konkurrenz diesmal so weit enteilen lässt. Auch der Haggas-Schützling mag den gut bis festen Boden, lief aber noch nie über 2400 Meter.

5. Telescope (Trainer Sir Michael Stoute/Jockey Ryan Moore): Acht Starts, vier Siege, vier zweite Plätze und dabei eigentlich von Rennen zu Rennen verbessert. Bisheriger Höhepunkt ein sehr leichter Erfolg in den Hardwicke Stakes über Kurs und Distanz auf gut bis festem Boden, der Zweite Hillstar bestätigte später diese Form durchaus. Das war „nur“ Gruppe 2, auf Gegner dieser Kategorie traf Telescope noch nie in seiner Laufbahn, aber der Stoute-Schützling sollte noch nicht alles gezeigt haben. Der Galileo-Sohn erinnert an Harbinger, Sieger 2010. Gleicher Trainer, gleicher Besitzer und auch Harbinger wurde erst mit vier Jahren richtig gut. Und gewann zudem die Hardwicke Stakes als Generalprobe. Der Favorit.



So war es 2010: Harbinger deklassierte das Feld und war ein überlegener Gewinner. So schlecht waren die Gegner nicht: Zwei Derbysieger namens Workforce und Cape Blanco, dazu der unverwüstliche Youmzain. .

6. Trading Leather (Trainer Jim Bolger/Jockey Kevin Manning): Im letzten Jahr Zweiter hinter Novellist, zuletzt der einzige, der Mukhadram in den Eclipse Stakes über zu kurze 2000 Meter folgen konnte. Steher, der den Boden mag, aber ein wenig fehlt dem Galoppierer der Speed zur Spitzenklasse. Denn auch der Sieg im letztjährigen irischen Derby wurde so recht von den geschlagenen Pferden nicht bestätigt.

7. Eagle Top (Trainer John Gosden/ Jockey William Buick): Ein eher spätreifer Hengst, überraschte eigentlich alle mit seinem überlegenen Sieg in den King Edward VII Stakes während Royal Ascot. Das war eine beeindruckende Vorstellung, zumal es erst der dritte Lebensstart war. Adelaide, der Zweite aus dieser Gruppe 2-Prüfung, belegte zuletzt den gleichen Platz in einem Grade 1-Rennen auf Dirt in den USA. Nach genannt für viel Geld, aber kein sicherer Starter. Trainer John Gosden ist der Boden ein wenig zu fest, obwohl Eagle Top zuletzt auf diesem Boden siegreich war. Freitag will der Trainer die Bahn in Ascot begutachten und dann entscheiden.

8. Romsdal (Trainer John Gosden/Jockey Richard Hughes): Die englische Derby-Form kommt auf den Prüfstand, denn Romsdal gefiel in Epsom durch guten Schlussakkord, ohne die beiden Erstplatzierten zu gefährden. Richard Hughes sitzt wieder im Sattel und zweifellos ist Romsdal ein talentiertes Pferd, aber diese Aufgabe könnte noch zu schwer sein.

9. Taghrooda (Trainer John Gosden/Jockey Paul Hanagan): Die Oaks-Siegerin und die Wahl von Hamdan Al-Maktoum-Stalljockey Paul Hanagan gegenüber Mukhadram. Erst drei Starts, aber der Erfolg im Stutenklassiker war schon eine beeindruckende Angelegenheit. Was die Form wert ist, ist jedoch schwer einzuschätzen. Deutliche Gewichtsvorteile, dennoch bin ich eher skeptisch.

Urteil
Die drei Dreijährigen aus dem Gosden-Quartier bringen Pep in das Rennen, aber ich bleibe bei Telescope, der auf den Spuren des 2010-Siegers Harbinger wandelt und der noch einiges im Tank haben sollte. Nächstes Plus ist die Kombination Trainer Michael Stoute und Jockey Ryan Moore, die in diesem Jahr an alte Glanzzeiten anknüpft. Wenn er läuft, ist Eagle Top der Gegner.