Dienstag, 22. Juli 2014
kicker-Rangliste: Hummels Weltklasse, Reus wahrscheinlich auch
Ranglisten-Zeit im Fachblatt kicker. Oder wie es genau heißt: „Die Rangliste des deutschen Fußballs“, seit 1956 fester halbjährlicher Bestandteil des Magazins und eines der Markenzeichen des Blattes. Die Rangliste der ersten zwei Positionen – Torhüter, Innenverteidiger – erschien am Montag, mit Manuel Neuer und Mats Hummels erhielten zwei Spieler das Prädikat Weltklasse. Wer schafft noch den Sprung in die höchste Kategorie? Und wie schneiden die Spieler von Borussia Dortmund ab? nurpferdeundfussball wagt eine Prognose.

Wer das Prozedere nicht kennt: Die Rangliste enthält vier Kategorien – Weltklasse, Internationale Klasse, im weiteren Kreis und Blickfeld. Entscheidend sind die Leistungen im letzten Halbjahr und nicht Qualität, Potenzial oder Marktwert des Spielers. Neben Torhütern und Innenverteidigern gibt es noch die Positionen Außenbahn defensiv und offensiv, Mittelfeld defensiv und offensiv sowie Stürmer. Dazu werden noch die im Ausland tätigen deutschen Profis bewertet.
In der aktuellen Rangliste spielt natürlich die gerade beendete Weltmeisterschaft eine wichtige Rolle. Allerdings sind nicht alle Weltmeister automatisch Weltklasse. Insgesamt acht Spieler stuft die kicker-Redaktion in die höchste Kategorie ein, sechs davon waren im Finale von Rio de Janeiro dabei. Und da kein Spieler aus Argentinien in der deutschen Bundesliga aktiv ist, sind es Akteure des Weltmeisters.

Weltklasse
Manuel Neuer und Mats Hummels waren für mich nach ihren herausragenden Weltmeisterschaften die unstrittigsten Kandidaten für die höchste Kategorie und beide führen verdient die Rangliste an. Aber wer noch? Meine Kandidaten aus dem Weltmeister-Team wären Thomas Müller (ganz sicher), Philipp Lahm, Toni Kroos (beide so an der Grenze zwischen Weltklasse und Internationaler Klasse) sowie als Überraschungskandidat Andre Schürrle, der als Joker bei der WM immer für viel frischen Wind sorgte und auch bei Chelsea nicht schlecht spielte. Nicht in die Weltklasse gehören für mich Bastian Schweinsteiger (nicht so konstant in der Bundesliga) und Mario Götze, der bis zu seinem goldenen Tor eigentlich enttäuschte und auch beim FC Bayern nicht konstant agierte.
Leichter fiel die Suche nach den zwei restlichen Kandidaten. Arjen Robben ragte sowohl bei Bayern als auch der WM heraus; Dortmunds Marco Reus spielte eine brillante Rückrunde und verpasste leider durch Verletzung in der Vorbereitung die WM.

Dortmund
Wo landen die Kandidaten des BVB? Die ersten Einschätzungen waren in Ordnung: Torwart Roman Weidenfeller an Position 3 in der internationalen Klasse hinter Fährmann und Leno; Innenverteidiger Mats Hummels schaffte verdient den Sprung in die Weltklasse. Sein Kollege Sokratis hätte allerdings die Einstufung in die Internationale Klasse verdient gehabt. Der Grieche – eingeschätzt im Weiteren Kreis – agierte auch bei dieser WM höchst zuverlässig.
Die Prognosen für die anderen Dortmunder Kandidaten:
Lukasz Piszczek: Nach seiner langen Verletzung noch lange nicht in alter Form, keine Einstufung.
Marcel Schmelzer: Ein Seuchenjahr, viel verletzt, WM verpasst, zuletzt leicht aufsteigende Form, aber höchstens Blickfeld.
Erik Durm: Der Aufsteiger und dann auch Weltmeister (aber ohne Einsatz), aber relativ wenig gespielt. Höchstens Blickfeld.
Kevin Großkreutz: Dortmunds Allrounder und ebenfalls Weltmeister ohne Einsatz. Beim BVB in der Rückserie meist im offensiven Mittelfeld unterwegs, in der Bundesliga mit Licht und Schatten, in der Champions League stark. Blickfeld oder weiterer Kreis.
Pierre-Emerick Aubameyang: Zu unbeständig, kein Platz in der Rangliste
Sven Bender: Leider verletzt, das kostete dem nimmermüden Kämpfer die WM und die Rangliste.
Sebastian Kehl: Wenn er gespielt hat, dann meistens überzeugend. Zumindest Blickfeld hätte der BVB-Kapitän verdient.
Nuri Sahin: solide, aber nicht herausragend. Dennoch ein Kandidat für den weiteren Kreis.
Henrik Mkhitaryan: Das Potenzial für die Weltklasse ist da, aber einige Aussetzer. Im weiteren Kreis, im nächsten Jahr mindestens Internationale Klasse.
Oliver Kirch und Milos Jojic: beide zuletzt sehr stark, aber wahrscheinlich zu wenig benotete Einsätze.
Marco Reus: Weltklasse, siehe oben im Text.



Montag, 14. Juli 2014
Wir Weltmeister
Gestatten, ich bin Weltmeister. Fußball-Weltmeister. Auch wenn ich aktiv sportlich in meiner Glanzzeit höchstens um lokale Ehren gekämpft habe. Aber egal – wir, das heißt alle Deutschen, sind Weltmeister. Auch ohne direkte Beteiligung, sagen zumindest Bild und Co.

Dabei nenne ich den Spieler, der das goldene Tor im Finale gegen Argentinien schoss, manchmal „Judas“. Weil er vom geliebten BVB zum ungeliebten FC Bayern wechselte und dort eine neue sportliche Herausforderung suche, sagt er. Weil er dort viel mehr Geld als in Dortmund verdient, sage ich. Dreimal soviel wie Toni Kroos, stand in der seriösen Frankfurter Sonntagszeitung. Und darum verlässt wahrscheinlich Kroos Bayern München und geht zu Real Madrid.
Dabei war Kroos einer der besten Spieler dieser WM, Mario Götze hingegen bis zu seinem Tor höchstens Mitläufer.
Das Tor hat Götze natürlich großartig gemacht. Technisch hoch anspruchsvoll, aber dieses technische Vermögen hat er auch ja in der Jugendabteilung von Borussia Dortmund verfeinert.

Kleber
Fußball-Weltmeisterschaften sind schon eine tolle Sache. Vier Wochen dreht sich alles um die „schönste Nebensache der Welt“. Das mit der Nebensache ist natürlich Humbug. Fußball ist das Wichtigste auf der Welt und der Klebstoff, der eine Gesellschaft zusammenhält. Viel mehr als Politik. Wie die Nationalmannschaft bei einer WM abschneidet, bestimmt die Stimmung eines Landes.
Die Nation leidet beim Scheitern. Gastgeber Brasilien wurde nur Vierter – Versager, eine ganze Nation weint. Die einstigen Fußball-Großmächten Spanien, Italien und England scheiterten schon in der Vorrunde – kollektive Trauer, die Medien fordern mindestens den Rücktritt des Trainers. Die gleichen Medien, die im Falle des Erfolges Spieler und Trainer zu Heiligen stilisieren.
Kollektive Jubelszenen im XXL-Format hingegen aus Costa Rica oder Algerien. Länder, die sonst nicht zu den Fußball-Großmächten gehören, aber in Brasilien für Aufsehen sorgten.
Eine Fußball-WM drängt alle anderen Sachen in den Hintergrund. Kriege, Konflikte und Krisen werden zur Nebenschauplätzen. Das wissen der Welt-Fußballverband FIFA und seine skandalumwitterten Spitzenfunktionäre. Sie können für eine WM Forderungen stellen, für die man andere aus dem Land jagen würde.
In Brasilien gab es vor der WM berechtigte Proteste gegen die hohen Kosten der WM – Gelder, die für andere Dinge deutlich besser geeignet wären. Doch als der Ball rollte, rückte das völlig in den Hintergrund. Die Spiele interessierten mehr als teuere, ineffiziente Buslinien in Sao Paulo, Recife oder Manaus.

Ein würdiger Champion
Sportlich war es eine gute Weltmeisterschaft. Besonders in der Vorrunde gab es viele interessante Spiele, eigentlich war kein Tag langweilig. Ich mag generell den südamerikanischen Fußball – diese Leidenschaft, dieses hohe technische Vermögen. Zugegeben, manchmal übertreiben sie etwas in Sachen Härte. Aber Mannschaften wie Kolumbien oder Chile verkörperten überwiegend die positiven Tugenden; zudem versuchten beide immer, zu agieren statt zu reagieren.
Oder die Überraschungsteams aus Mittelamerika: Mexiko etwa war so stark wie noch nie. Mannschaftlich sehr geschlossen, aber offensiv aufgestellt, dazu ein großartiger Keeper. Und natürlich Costa Rica, das sich in der Gruppe mit Uruguay, Italien und England durchsetzte. In Achtel- und Viertelfinale fehlte dann etwas die Kraft, aber Spieler wie Navas, Ruiz, Umana oder Campbell kennen nach dieser WM nicht mehr nur Insider.
Aber Deutschland ist ein würdiger Weltmeister. Manchmal war es ein wenig haklig, aber die Mannschaft fand immer wieder Antworten, steigerte sich eindrucksvoll und konnte sich auf einen großartigen Torhüter verlassen. Und auch der von mir gerne kritisierte Trainer Joachim Löw traf die richtigen Entscheidungen.
Es gab früher deutsche Nationalmannschaft, für die man sich quasi schämen musste. 1982 zum Beispiel, als eine Ansammlung von Unsympathen Vizeweltmeister schämen musste. Dann waren da diese Teams, die mit Kampf, Kraft und auch Krampf gut abschnitten.
Doch seit der Heim-WM 2006 steht die Adler-Elf für attraktiven Fußball. Und in den letzten Jahren entwickelte sich vielleicht die beste Generation, die es in Deutschland je gab.
Die deutsche Nationalmannschaft zählt spielerisch zu den Besten der Welt. Doch erst 2014 belohnten sich die Hochbegabten mit einem Titel. Die „Generation Halbfinale wurde endlich zur Generation Gold“ (kicker).
„Wir werden jetzt jeden Tag mit einem Lächeln aufwachen“, sagte eben dieser großartige Torhüter Manuel Neuer direkt nach dem Finale. Der Gelsenkirchener Junge ist ein Produkt der starken Jugendarbeit des FC Schalke 04 und leider beim FC Bayern München – aber ein sympathischer Typ. Und eben Weltmeister – wie wir alle. Unvorstellbar, dass man ihn in Dortmund mit Bananen begrüßt



Donnerstag, 10. Juli 2014
Deutscher Fußballrausch, argentinische Öde
Was für unterschiedliche Halbfinal-Spiele bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien: Am Dienstag das historische 7:1 der deutschen Nationalmannschaft gegen den Gastgeber Brasilien, gestern ein völlig ödes Match zwischen Argentinien und den Niederlanden. 120 Minuten Rasenschach, am Ende gewannen die Südamerikaner nach Elfmeterschießen. Und damit kommt es im Finale mal wieder zum Showdown zwischen Deutschland und Argentinien.

Der Dienstag in Deutschland wirkte zunächst nicht so wie ein Tag, an dem Geschichte geschrieben wird. Hier in Dortmund regnete es kontinuierlich den ganzen Tag, es war kalt für den Juli und trübe wie im Herbst. Das Wetter dämpfte auch ein wenig die schwarz-rot-goldene Euphorie. In der Dortmunder Innenstadt sah man am frühen Abend nur wenige weiße als auch rot-schwarze-Deutschland-Trikots.
Der Kolumnist ist so und so kein Freund von Public Viewing, guckt das lieber in Ruhe von zuhause. Doch was dann an diesem Abend im entfernten Belo Horizonte geschah, fällt zweifellos in die Kategorie von Spielen, wo danach jeder gefragt wird, was er an diesem Abend gemacht hat. 7:1 deklassierte Deutschland den Gastgeber Brasilien und brach damit eine Menge dieser (überflüssigen) Statistik-Rekorde, mit denen Fußball-Journalisten immer so gerne hausieren gehen.
Es war eine herausragende Leistung der deutschen Elf. Nach ausgeglichenem Beginn nutzte Thomas Müller quasi die erste deutsche Torchance. Und was dann zwischen der 23. und 29. Minute passierte, war ein Alptraum für die Selecao und die brasilianische Seele: Vier Tore schoss Deutschland, nach 29 Minuten stand es 5:0. Ich saß im Sessel und bekam den Mund nicht zu, zeitweise sah es so, als wenn in der Vorbereitung eine Auswahl örtlicher Amateure (Brasilien) auf einen Erstligisten (Deutschland) trifft und dieser auf einmal Ernst macht. Und die diesmal Schwarz-Roten erwiesen sich als gnadenlos effizient, von sechs Versuchen waren fünf im Tor der Brasilianer.

Brasilien weint
Wer hätte so ein Ergebnis prophezeit? Deutschland blieb zwar ohne Niederlage, hatte aber nicht immer überzeugt, beispielsweise im Achtelfinale gegen Algerien. Gegen die gleichwertigen Franzosen im Viertelfinale war die Defensive top, offensiv gab es noch einige Wünsche. Und jetzt? Eine Leistung, die auch Leute wie mich, die der Nationalmannschaft und dem Trainer eher skeptisch gegenüberstehen, beeindruckt hat. Zudem gefiel mir, wie sportlich fair Spieler und Offizielle mit dem Sieg umgingen und den traurigen Brasilianern Trost spendeten.
Unzählige Tränen flossen nach dem Spiel im Gastgeberland. Jedenfalls zerfiel der fünffache Weltmeister im Halbfinale in alle Einzelteile, ein Debakel, das nicht nur an den fehlenden Neymar und Thiago Silva lag. Die brasilianischen Zeitungen sprachen von Demütigung und Massaker, die Süddeutsche Zeitung schrieb„von der schwächsten Selecao seit den fünfziger Jahren“. Das sehe ich nicht so, denn seit dem letzten Titel 2002 haben mich die Mannschaften aus Brasilien alle nicht überzeugt. Dennoch setzte Trainer Luiz Felipe Scolari auf die falschen Leute wie etwa den Mitleid erregenden Mittelstürmer Fred.

Höchststrafe
Das zweite Halbfinalspiel zwischen den Niederlanden und Argentinien entwickelte sich leider zu dem befürchteten Langweiler. Beide Teams wollten nur kein Tor kassieren und so bestimmten die Deckungen das Geschehen. Es war eines der Spiele in der Spätphase einer Fußball-Weltmeisterschaft, in denen man sich wünscht, dass die WM doch ein Ende nehme. Aber bei diesen Veranstaltungen gibt es noch Verlängerung und das ist dann die Höchststrafe. Fußballerische Folter, passend entschieden im Elfmeterschießen.
Bondscoach Louis van Gaal bekam nach der Niederlage sein Fett weg, dabei hatten vor der WM die wenigsten darauf gesetzt, dass das Team in Orange weit kommt. Doch van Gaal ruft mit seiner rechthaberischen Art automatisch Widerstand hervor und wenn er dann noch dem heiligen 4-3-3 Spielsystem abschwört, dann schreit Hollands Fußball-Elite auf. Doch diesmal bekommt van Gaal nicht nur aus der Heimat Kritik.
Argentinien spielt bei dieser WM so wie Italien früher: Eine sehr stabile Deckung, vorne soll es Superstar Lionel Messi richten. Der ist nicht in allerbester Form, aber immer für eine herausragende Aktion gut. Argentinien agiert nicht, es reagiert.
Die 2014-Auswahl der Albiceleste erinnert mich an die von der Weltmeisterschaft 1990. Die hatte er auch einen Superstar namens Diego Maradona, der auch nicht richtig in Form war, und einen unsicheren Torhüter, der aber im Elfmeterschießen zu großer Form auflief. Nur im Finale war er chancenlos gegen den Elfmeter von Andreas Brehme – und das ist doch ein gutes Zeichen für die deutsche Nationalelf.



So war es 1990 im WM-Finale: Fast nur deutsche Chancen, erst kurz vor Schluss traf Andreas Brehme per Strafstoß zum erlösenden 1:0 gegen Argentinien.