Mittwoch, 4. September 2013
Auf Wiedersehen „Budapest Bullet“
Am Sonntag gab es noch einmal ein paar Emotionen: Overdose, der einstige Wundersprinter aus Ungarn, feierte auf der Rennbahn Kincsem Park in Budapest seinen Abschied. 19 Starts, davon 16 Siege, lautet die Bilanz. Der größte Triumph war ein Gruppe 2-Rennen. Das sind die nüchternen Fakten – doch dieses Pferd war mehr als nur diese Zahlen.
Kaum ein Vollblut bewegte im ersten Jahrzehnt der 2000er Jahre die Menschen mehr als dieser kleine dunkelbraune Hengst. Vom „Budapest Bullet“ schrieb die englische Fachpresse. Welcher Vollblüter aus Europa schafft es in die New York Times? Oder in die deutsche Zeit. Die Bild am Sonntag präsentierte ihn als doppelseitiges Innenposter und erklärte so den Körperbau von Vollblütern. Selbst die große Danedream bekam diese Ehre nicht.
Overdose galt als Hoffnungsträger einer ganzen Nation. Es ist die alte „Underdog-Geschichte“, die immer wieder die Herzen erwärmt. Zu diesem Hengst passt sie hundertprozentig.
Der Kauf von Rennpferden gleicht oft einer Lotterie: Man picke sich nur zum Beispiel einmal ein beliebiges Maidenrennen im englischen Newmarket heraus. Da wimmelt es nur von Pferden, die sechsstellige Summen gekostet haben und die später in ihrer Laufbahn kein einziges Rennen gewonnen haben.
„Ich habe meine Hand nur zum Spaß gehoben, weil ich die Aufregung von Pferde-Auktionen mag“, erzählt Zoltan Mikoczy. Ganze 2500 Euro umgerechnet kostete Overdose auf der Auktion 2006 in Newmarket. „Ich dachte, kein Pferd wird so billig verkauft, irgendein anderer wird schon noch mehr bieten.“
Nun blaublütig war der Hengst wahrlich nicht gezogen: Sein Vater Starborough war ein ordentlicher Meiler, aber in der Zucht hinterließ er wenig Spuren. Die Mutter Our Poppet lief einmal und endete abgeschlagen auf der Allwetterbahn in Lingfield. Auch optisch machte Overdose nicht viel her.

Rakete
Es war vielleicht der berühmteste Irrtum der Tufgeschichte: Mikoczy nahm das Pferd mit nach Ungarn und schickte es zu Trainer Sándor Ribárszki. „Der hässliche Vogel, den keiner wollte“ entpuppte sich als sehr schnelles Rennpferd. Bereits zweijährig gewann er fünf Prüfungen in Serie in Ungarn und Österreich.
Der 18. Mai 2008 machte ihn in Deutschland berühmt. Erster Auftritt im Lanson-Cup (dem ehemalige Scherping-Rennen) in Baden-Baden, einem Listenrennen über 1200 Meter für dreijährige Pferde: Overdose deklassierte die Gegner regelrecht, neun Längen waren es zum Schluss. Und Rennkommentator Manfred Chapman sprach die berühmten Worte: „Der geht ja ab. Das ist ein Rennpferd der Extraklasse.“
Spätestens jetzt war der Hengst in aller Munde, das Wort vom Wunderpferd machte die Runde. Es folgten weitere Erfolge unter anderen in Hamburg und Baden-Baden und immer fielen diese Siege beeindruckend aus. Nur der größte Triumph war keiner: Overdose gewann im Oktober 2008 den Prix De L'Abbaye (Gr. I) in Paris-Longchamp. Wegen eines angeblichen Fehlstarts wurde das Rennen aber am Ende der Karte noch einmal gelaufen. Nur diesmal fehlte der Hengst. Dennoch wählten die Ungarn ihn 2008 zu ihrem Sportler des Jahres.



Der berühmte Erfolg am Arc-Tag, der keiner war: Fehlstart. Die meisten Reiter bekamen das nicht mit

Der verdammte Huf
2009 sollte der große Angriff auf die renommierten englischen Sprintrennen erfolgen. Haydock und Ascot standen auf dem Programm, doch kamen erstmals die berühmten
Hufprobleme
zum Vorschein: Nur einen Start absolvierte Overdose, natürlich siegreich.
2010 kam mit Jozef Rozival ein neuer Trainer; zwei weitere Siege folgten und schraubten die Erfolgsbilanz auf 14. Doch irgendwann endet einmal jede Serie: Die des Ausnahmegaloppers endete in der Goldenen Peitsche in Baden-Baden: Nur Platz 7, es gewann Amico Fritz.
2011 begann es standesgemäß mit einem souveränen Triumph in Hoppegarten. Das sollte der Aufgalopp für weitere Heldentaten sein, doch in beiden Gruppe 1-Sprints in Haydock und Ascot war Overdose letztendlich chancenlos, auch wenn die Form in Ascot als Vierter hinter Prohibit gar nicht so schlecht war. Immerhin gestaltete der Hengst seinen Abschluss im italienischen Capannelle erfolgreich, auch wenn die alte Klasse nicht mehr da war.
Danach verhinderten die Hufprobleme weitere Starts. Es tauchten immer wieder Comeback-Geschichten auf, doch diese realisierten sich nicht. Zum Glück: Denn wer will einen Overdose sehen, der nicht mehr richtig fit ist und abgehängt im Feld endet. Diese Kolumne wünscht ihm ein glückliches Dasein als Deckhengst oder Rentner.


Die Bilanz von Overdose



Dienstag, 27. August 2013
Ein wenig müde in Sachen Turf
So richtig Lust auf Pferderennen habe ich derzeit nicht – zumindest darüber zu schreiben. Der letzte Beitrag zu diesem Thema in unserem kleinen Familienblog lief Ende Juli. Da ging es um das King George in Ascot, der Gruppe 1-Kracher aus Ascot, der bekanntlich mit dem grandiosen Triumph von Novellist endete.
Derzeit schreibe ich einfach lieber über Fußball und schaue mir Live-Spiele statt Galopprennen an. Die Kicks beim Rennen fehlen, das positive Adrenalin ist nicht da. Dafür ärgere ich mich zuviel über Pferde (die dafür nichts können) sowie fehlerhafte Jockeys und Trainer.
Dabei gab es genügend Themen aus der großen Welt des Pferdesports (die sich leider auf England, Deutschland und ein wenig Frankreich/Irland beschränkt), die ein paar Zeilen verdient hätten. Die sie hier aber nicht bekamen.

Natürlich der Triumph von Novellist. 2012 Danedream, jetzt der Schützling aus dem Quartier von Andreas Wöhler – das King George scheint inzwischen in deutscher Hand zu sein. Und wie Novellist seine Gegner distanzierte, war ein fast schon historischer Moment.

„Glorious Goodwood“, das Festival im Süden Englands. Sechs Tage – von Dienstag bis Samstag – gibt es Flachrennen hoher Qualität. (siehe dieser ältere Text).
Und nirgendwo geht es auf der Zielgeraden dramatischer zu. „Hard-Luck-Stories“ ohne Ende im Rennverlauf, weil auf einmal die Lücke dicht ist und es zu Behinderungen kommt. Am Festival-Mittwoch habe ich reingeschaut – und mich geärgert, weil meine Tipps so schlecht liefen. Was dazu passt, dass ich in dieser Zeit eh’ nichts traf beim Wetten. Am Samstag endete jedoch meine schwarze Serie, als ich den Sieger im Stewards Cup hatte.

Eine Würdigung von Uwe Stoltefuß: Der Tod des Dortmunder Galopptrainers hat mich schon geschockt, das Mitgefühl gilt seinen Angehörigen. Und auch wenn ich ihn nicht persönlich kannte, war er doch jemand, der mich mein ganzes Turfleben begleitet hat. Das fing in den achtziger Jahren an, als ich erstmals regelmäßig Rennbahnen besuchte, als Dortmunder natürlich die Winterbahnen. Dort war Uwe Stoltefuß mit seinen Pferden der führende Trainer.
Auch später habe ich mich über das Laufen seiner Pferde gefreut oder geärgert. Stoltefuß gehörte einfach dazu, auch wenn er später nicht mehr so viele Vollblüter betreute. Meistens entdeckte man ihn mit seinen Besitzern in den Rennpausen am Bierstand.
Ich hätte ihm manchmal nur ein paar bessere Pferde gegönnt. Wenn schon keine klassischen Sieger, dann wenigstens diese Kategorie wie Sommerabend oder Birthday Lion. Gute Ausgleich 1/Listenrennen-Galopper, aber für Starter dieser Leistungsklasse gibt es ja bald eh’ keine Rennen mehr in Deutschland.

Das Ebor-Festival in York. Eigentlich ein Pflichttermin und immerhin habe ich die Rennen am Donnerstag und Freitag am PC verfolgt. Aber der richtige Spaß fehlte. Das Ebor-Handicap am Samstag ist in der Regel ein Muss. Ich habe mir lieber die zweite Mannschaft von Borussia Dortmund gegen Jahn Regensburg angeschaut. Dritte Liga wohlgemerkt.

Muss sich der Leser also Sorgen machen? Ich sage mal nein. Derzeit läuft die Große Woche in Baden-Baden und der Termin am Mittwoch ist vorgemerkt. Allein im Gedanken an Uwe Stoltefuß, der bei diesem Festival immer zu beachten war. Besonders wenn er Pferde in den gelb-grünen (?) Farben von Frau G. Wusk trainierte, denn die siegten in Iffezheim sehr häufig.



Mittwoch, 21. August 2013
Werder in den Wechseljahren
Keine Ahnung, wie viele Spiele des SV Werder Bremen in Dortmund ich seit 1975 gesehen habe. 25, 30? Komischerweise ist kein Gastspiel der Hanseaten irgendwie länger im Gedächtnis geblieben, obwohl der SV Werder doch häufig spektakulären Fußball bot. Zwar sicherte sich der BVB durch einen Heimsieg gegen Werder Bremen 2002 die Meisterschaft, aber bleibende Spuren hinterließ dies nicht.
Aus schwarzgelber Sicht spielt natürlich das erfolgreiche Pokalfinale 1989 in Berlin eine große Rolle, weil es nach langer Durststrecke der erste Titel war. Zudem fallen mir kleine Anekdoten ein: Etwa, dass Bremens Defensiv-Kultfigur Dieter Eilts früher oft nur Dortmunds Mittelfeldmotor Andy Möller zu Spielbeginn einmal foulte und ihn danach böse anschaute, schon war es mit der Herrlichkeit des Dortmunders vorbei.
Ohne den BVB erinnere ich mich an grandiose Abende im Europapokal, an denen Werder hohe Niederlagen aus dem Hinspiel in einem begeisternden Rückspiel noch drehte. 1986 etwa gegen Spartak Moskau (siehe Video) oder 1988 gegen Dynamo Berlin. Da flippten die sonst ruhigen Norddeutschen richtig aus.



Magie des Europapokals: Werder dreht das Spiel gegen Spartak Moskau

Es gab Zeiten, da war Werder Bremen der „Lieblings-Zweitklub“ vieler Fans. Ich zählte zu diesen – auch weil Werder trotz völlig anderer Voraussetzungen oftmals den mächtigen FC Bayern ärgerte. Die Münchner nahmen den Gegner ernst: „Volksverhetzer“ beschimpfte Bayern-Manager Uli Hoeneß seinen damaligen Bremer Kollegen Willi Lemke. Beide verband eine ausgeprägte Abneigung. Auch politisch: SPD-Mann Lemke gegen den CSU-Anhänger (und Strauß-Bewunderer) Hoeneß.
Noch etwas unterschied die Bremer von vielen Mitbewerbern: Sie setzten auf Kontinuität, wechseln nicht bei jede Krise ihren Kapitän. So bildeten Otto Rehhagel (Trainer) und Willi Lemke (Manager) jahrelang ein erfolgreiches Gespann, ähnlich war es bei Thomas Schaaf und Klaus Allofs. Der Erfolg gab ihnen Recht.

Aktuelle Lage
Am Samstag verabschiedeten die Bremer Anhänger noch einmal mit einer großen Choreografie Thomas Schaaf. 14 Jahre war er Trainer, davor die ganze Profi-Karriere treuer Abwehrspieler der Grün-Weißen. Eigentlich undenkbar, aber die sportliche Talfahrt ließ auch die Verantwortlichen in Bremen handeln. Zumal Manager Klaus Allofs, Schaafs langjähriger kongenialer Partner, schon früher zum Nordrivalen Wolfsburg wechselte.
Robin Dutt und Thomas Eichin sollen es jetzt richten. Der Start verlief erfolgreich nach zwei 1:0-Erfolgen gegen Braunschweig und Augsburg. Da war aber auch eine Riesenportion Glück dabei, zwei „schmutzige“ Erfolge sozusagen.
„Es bleibt ein Rätsel, was der letztjährige Abstiegskandidat zu leisten vermag“, schreibt der kicker. „Es bleiben Fragezeichen, wie sich das Format Werder ausnimmt.“
Immerhin hat das einstige Sorgenkind Mehmet Ekici endlich überzeugt. Den hielten viele in Nürnberg damals für noch besser als seinen Freund Ilkay Gündogan. Doch während Gündogan in Dortmund bekanntlich zum großen Antreiber des BVB wurde, enttäuschte Ekici in den bisherigen zwei Jahren bei Werder. Dagegen hat der exzentrische Marko Arnautovic nach diversen Skandalen keine Zukunft mehr in Bremen.

Geschichte
Die ersten Erinnerungen an Werder Bremen hängen unmittelbar mit dem Namen Helmut Poppen zusammen. Der war Reporter bei Radio Bremen, berichtete immer aus dem Weserstadion und hatte eine unglaublich nasale Stimme. Zudem fand ich als Pubertierender den Namen Poppen unheimlich lustig.
Jedenfalls spielte Werder in diesen Zeiten immer gegen den Abstieg, aber solange der Abwehrhaudegen Horst Dieter Höttges den Laden zusammenhielt, blieb der Klub in der Bundesliga. Als dann Höttges seine Laufbahn beendete, stieg Werder prompt ab.
Doch das Jahr in der 2. Liga nutzten die Norddeutschen zum Neustart. Otto Rehhagel kam als Trainer, Werder stieg sofort wieder auf und etablierte sich schnell in der Bundesliga. Es folgten sportlich hoch erfolgreiche Jahre. Das Abstiegsgespenst war verbannt, Werder mischte in der Liga vorne mit.
Rehhagel hatte die sportliche Kompetenz, für wirtschaftliche Dinge war Manager Willi Lemke zuständig. Diese Trennung funktionierte selbst bei solchen Alpha-Typen. Zudem hatte der Trainer ein gutes Gespür bei Neuverpflichtungen. Völler, Meier, Neubarth, Bratseth, Borowka, Burgsmüller oder Herzog sind nur einige Beispiele. Dazu kamen aus dem starken Nachwuchs Leute wie Sauer, Ordenewitz, Eilts oder Schaaf. Zwei Meistertitel, zweimal Pokalsieger, dazu als Sahnehäubchen 1992 den Europapokal der Pokalsieger waren eine eindrucksvolle Bilanz.
Bremens zweite große Phase kam mit Trainer Thomas Schaaf und Manager Klaus Allofs. Diese beiden verstanden sich auch menschlich sehr gut; sportlich hatten sie ihre Neuen ebenfalls gut gewählt. Ob Ailton, Frings, Özil, Micoud, Wiese oder Diego – oftmals schwierige Typen, die aber meist bei Werder ihren Karriere-Höhepunkt erlebten.
Nur zuletzt passte das nicht mehr so mit den Neuverpflichtungen: Carlos Alberto, Silvestre, Arnautovic oder Elia etwa blieben vieles schuldig. Ein Grund für den Absturz des SV Werder.

Die Bundesligabilanz des BVB gegen Werder Bremen.