Mittwoch, 28. März 2012
Lean on Pete
Er wächst nicht gerade behütet auf, der 15jährige Charley, Hauptfigur in Willy Vlautins Buch „Lean on Pete“. Die Mutter schon lange tot, der Vater nie zu hause, Freunde hat er nicht. Wie sollte er auch, wenn er immer wieder mit seinem Vater den Ort wechselt. Die derzeitige Station heißt Portland. Doch auch hier kümmert sich der Vater nicht um den Sohn. Charley bleibt auf sich alleine gestellt – und nimmt einen Job auf der Rennbahn in Portland an. Sein Chef heißt Des Montgomery, ein Trainer von Galopprennpferden, dessen beste Zeiten aber schon lange vorbei sind.


Promo-Video für Lean on Pete: Willy Vlautin ist zudem Sänger der Band Richmond Fontaine. Diese wurde 1994 auf der Rennbahn Portland Meadows gegründet.

Es ist die Kehrseite des amerikanischen Traums, die Vlautin eindrucksvoll schildert. Dann stirbt auch noch der Vater von Charley. Nur einer spendet Trost: das Rennpferd Lean on Pete. Doch auch hier droht die Katastrophe: Trainer Montgomery will Lean on Pete zum Schlachter schicken, weil dieser seine Leistung nicht mehr bringt. Charley aber flüchtet mit dem Pferd – und verliert dann auch noch Lean on Pete auf der Flucht. Immerhin kommt es nach einigen Irrungen unterwegs zum Happy-End: Charley findet seine Tante.
Das hört sich an wie der Plot einer schlechten „Soap“ und hätte fürchterlich daneben gehen können. Doch Willy Vlautin umschifft diese Hürde problemlos. Weil er diese Geschichte ohne großes Pathos und falsche Gefühle erzählt und zudem erstaunlich unkompliziert schreibt.

Quarterhorse
Es ist kein Buch, das einen emotional groß mitnimmt, weil der Autor immer distanziert bleibt. Aber diese Distanz macht das Werk so lesenswert. Denn trotz allem Elend, das Charley zustößt, verfällt der Beobachter nicht in Mitdepressionen. Es ist ein Buch vom Durchhalten auch nach den härtesten Schicksalsschlägen, die Vlautin nicht groß dramatisch ausschmückt. Sie passieren einfach.
Natürlich habe ich das Werk hauptsächlich gelesen, weil es teilweise im Rennbahn-Milieu spielt. Vorher kannte ich von Vlautin bereits „Motel Life“, doch dieses Werk überzeugte mich nicht ganz.
Auch in „Lean on Pete“ schildert Vlautin die Schattenseiten: Lean on Pete ist ein Quarterhorse, das sich seinen Hafer in dubiosen Rennen auf dem Land verdient. Sein Jockey ist ein Säufer, sein alter Trainer chronisch abgebrannt. Charley bezahlt er nur unregelmäßig und auch sonst ist er ein Typ, der wenig sympathisch wirkt. Es geht ums wirtschaftliche Überleben – und das ist eben weit weg vom „Glamour des Turfs“, den viele Unbeteiligte immer mit Galopprennen verbinden. Eher Kreisliga statt Champions League …..

Fazit: Absolut empfehlenswert, ein wirklich packendes Buch.



Mittwoch, 21. März 2012
„In Europa kennt euch keine Sau“ – Greuther Fürth


Was für ein Drama im ersten Halbfinale des DFB-Pokals: Als alle schon mit einem Elfmeterschießen rechnete, schoss Borussia Dortmund doch noch das 1:0 in der Verlängerung gegen Greuther Fürth. Als Schwarz-Gelber freut das Ergebnis natürlich, dennoch verdient die starke Leistung der Fürther absoluten Respekt.
Die Begegnung weckte Erinnerungen. Denn von April 2006 bis Ende 2007 habe ich in Nürnberg gearbeitet. Wenn ich das Wochenende in Franken verbrachte, bin ich manchmal zum Ronhof ins benachbarte Fürth gefahren, um mir die Spiele der Spielvereinigung Greuther Fürth in der 2. Liga anzuschauen. Beim Nürnberger Club in der Bundesliga war allein schon deren Fanfreundschaft mit Schalke 04 ein K.o-Kriterium.
Arbeitskollegen aus Nürnberg, denen ich davon erzählt habe, schüttelten nur den Kopf. Fürth ist dort so etwas wie der kleine picklige Bruder, den man nicht für voll nimmt. Und auch zwischen dem Club und der Spielvereinigung herrscht große Rivalität. Schon zu Zeiten, als beide Vereine den deutschen Fußball prägten und die Meisterschaften untereinander ausspielten. Es gibt diese wunderschöne Geschichte, als beide Teams in den 20er Jahren des vorherigen Jahrhunderts die Nationalmannschaft bildeten, aber in verschiedenen Eisenbahn-Waggons anreisten, weil man sich so spinnefeind war.
Meine ersten Erfahrungen mit dem Fürther Fußball machte ich an einem Montag Ende April 2006. Greuther Fürth traf in der 2. Liga auf Energie Cottbus und es war ein entscheidendes Spiel um den Aufstieg in die erste Liga. In Dortmund hätte man bei dieser Brisanz 100 000 Karten verkaufen können; in Fürth habe ich eine Karte zwei Stunden vor dem Spiel erworben und war fast alleine am Stadion. Ich hätte auch noch ein Ticket eine halbe Stunde vorher bekommen, das Playmobil-Stadion war nicht ausverkauft, obwohl es gerade mal 15 500 Plätze fasste.

Kleeblatt
Auch im Inneren war einiges anderes: „Kleeblatt“ skandierten die Fürther Fans immer, Greuther war eher ein Schimpfwort. Weil der wahre Fürther Fan immer noch die Fusion der einst ruhmreichen Spielvereinigung mit dem Dorfverein Vestenbergsgreuth ablehnte.
Sehr gewöhnungsbedürftig war der Stadionsprecher, im Hauptberuf offenbar Moderator bei irgendeiner Jugendwelle im Radio. „Auf geht’s Kleeblatt“, animierte er immer wieder die Fans der Fürther. Zumindest beim Fanblock fand er Anklang, ein Hexenkessel sieht allerdings anders aus. Aber der war/ist der Signal Iduna-Park/Westfalenstadion auch nicht immer.
Das Spiel war wenig attraktiv: Cottbus stellte sich hinten rein, Fürth setzte viel zu sehr auf lange Bälle auf den schnellen Roberto Hilbert. Dennoch stand es lange 1:0, ehe dann ein reichlich dubioser Foulelfmeter zum 1:1 führte. Cottbus stieg letztendlich als Dritter auf, Fürth wurde 5.
Neues Jahr, neues Glück: Noch war die Euphorie nach der Fußball-WM 2006 zu spüren. Zum Saisonauftakt gegen den bayerischen Rivalen 1860 München kamen immerhin 14 000 Zuschauer. Geschätzt die Hälfte waren Anhänger des Münchener Traditionsvereins und die Begegnung hatte durchaus Unterhaltungswert. Bei Fürth spielte mit Christian Timm immerhin ein ehemaliger Dortmunder (Timo Achenbach, den anderen Ex-BVBer, hatte Trainer Benno Möhlmann vorerst verbannt), bei 60 saß ein gewisser Sven Bender auf der Ersatzbank.
Eigentlich hat 60 doch eine richtig vielversprechende Mannschaft, mit der sie oben mitspielen müssten, dachte ich. Aber wie das so ist bei den Löwen: Auch in dieser Saison gab es Querelen ohne Ende, die Münchener landeten nur im Mittelfeld.
Ansonsten war ich in dieser Spielzeit aber wenig bei den Grün-Weißen. Irgendwie passte das mit den Terminen nicht so recht. Nur zwei Besuche gab es: Gegen den damaligen Tabellenletzten Braunschweig und gegen den 1.FC Köln in der Woche vor dem Wiedereinstieg von Christoph Daum. Die Zuschauer maulten über den wenig attraktiven Fußball von Trainer Benno Möhlmann, der 1.FC Köln zeichnete sich bei seinem Gastspiel nur durch übergroße Härte aus.

Fußballgott
In der Saison 2007/08 war es wie so häufig in Fürth: Leistungsträger gingen, unbekannte Spieler kamen. Doch unter dem neuen Trainer Bruno Labbadia machte das Kleeblatt auf einmal richtig Spaß, zumal der ehemalige Bundesliga-Stürmer im Gegensatz zum defensiveren Möhlmann offensiver spielen ließ. Es gab hochattraktive Heimspiele gegen St. Pauli, Mainz (mit Jürgen Klopp) und Aachen. „In Europa kennt Euch keine Sau“, skandierten die Alemannia-Fans, doch ihr Team war völlig chancenlos, zumal ihr damaliger Coach Guido Buchwald auf ein 6-4-0-System setzte.
Ein paar Wochen später schrien die Anhänger des SV Wehen immer „Ronny König Fußballgott“. Ich saß jetzt inmitten der Bedenkenträger, wo man zwar gut sehen konnte, die Stimmung aber eher kritisch war. Fürths Stürmer Stefan Maierhofer stand wegen seiner etwas ungelenken Spiel- und Laufweise im Fokus des Zuschauer-Genörgels. Die Stimmung kippte schon wieder, erstmals gab es Kritik an den Methoden des Herrn Labbadia. Und ich dachte: „Was mache ich hier?“
Die Zuschauerzahlen waren absolut enttäuschend: Mal 6000, mal 8000, fünfstellig nur äußerst selten. Der Verein erhielt einfach nicht die Aufmerksamkeit, die er verdient hätte.
So langsam bekam ich wieder richtig Sehnsucht nach BVB und erster Liga. Am Ende des Jahres war dann auch Schluss mit Nürnberg.



Mittwoch, 14. März 2012
Die Mär von den Unverlierbaren
Immer die gleiche Erfahrung mit den sogenannten „Unverlierbaren“. Es gibt sie einfach nicht. Das derzeit laufende Cheltenham-Festival beweist es wieder: Jedes Pferd ist schlagbar.
Hurricane Flyer beispielsweise in der Champion Hurdle: Was war das für eine imposante Vorstellung im letzten Jahr, die Generalprobe gewann er im Handgalopp. Willie Mullins, der führenden irischen Trainer, hält ihn für etwas ganz Besonderes. Diese Kolumne hat ihn sogar mit dem großen Istabraq vergliechen. 16:10 stand Hurricane Fly am Mittwoch in der Champion Hurdle. Doch entscheidend ist eben auf dem Platz: Im Rennen machten andere das Rennen, hatte der Mullins-Schützling keine Chance gegen Rock on Ruby und Overturn.
Oder Grands Crus in der RSA Chase. Der war ein sehr guter Hürdler und hatte sich in den ersten Versuchen über die Sprünge als großes Talent so erwiesen. So gut, dass die Verantwortlichen um Trainer David Pipe so gar daran dachten, ihn gegen die „großen Jungs“ im Gold Cup laufen zu lassen. Man entschied sich dann aber für die leichtere Alternative RSA Chase, wo er als klarer Favorit an den Start ging.

Hendersons Serie
Gut, die Gegner in Form von Bobs Worth, First Lieutenant oder Join Together waren alles andere als eine Formalität. Ergebnis: Als es ernst wurde, lag Grands Crus zwischen Bobs Worth und First Lieutenant. Doch das Pipe-Pferd fand keine Reserven, das Rennen machten Bobs Worth und First Lieutenant in einem dramatischen Finish aus.
Oder Sizing Europe in der Queen Mother Champion Chase: Der 18:10-Schuss war zwar meilenwert vor dem alten Rivalen Big Zeb, lief brav seine beste Form aus. Doch am Ende hatte Finian’s Rainbow knapp die Nase vorn und besiegelte so ein bemerkenswertes Triple von Trainer Nicky Henderson und Jockey Barry Geraghty. Das Rennen wurde überschattet von einem fürchterlichen Sturz: Wishfull Thinking fiel mit Richard Johnson und verletzte dabei offenbar einen Zuschauer.
Die andere Seite gibt es natürlich auch: Favoriten, die leicht gewinnen. Quevega oder Sprinter Sacre in Cheltenham etwa. Oder der große Frankel im letzten Jahr auf der Flachen.

Nachtrag 15.März
Es gibt sie doch, die Ausnahme von der Regel: Big Bucks gewann heute seine vierte World Hurdle in Cheltenham und damit sein 16. Rennen in Serie. Er ist schon ein Phänomen, dieser Wallach aus dem Stall von Paul Nicholls. Zumal er nie seine Gegner distanziert, seine Triumphe sehen immer reichlich „workmanlike“ aus. Diesmal hieß die Gegnerin Voler La Vedette: Die Stute lief ein ganz großes Rennen und irgendwann dachte man, jetzt endet die Serie von Big Bucks. Doch offenbar finden der Wallach und Ruby Walsh, sein ständiger Reiter, immer noch einen Extra-Gang. So war es auch diesmal: Big Bucks zog wieder an und löste sich von seiner tapferen Gegnerin. Wie 2011: Da schien auch schon alles auf den Schimmel Grands Crus hinzudeuten, doch dann kam der Extra-Gang und Big Bucks kämpfte sich den Cheltenham-Berg hoch. Das ist einfach nur ganz großes Kino.