Seit ewigen Zeiten habe ich mal wieder ein „Zweit-Lieblingsteam“ nach dem BVB: Atletico Madrid rockt in dieser Saison nicht nur Champions League und spanische Liga, sondern hat auch einen neuen Anhänger – mich. Nun ist das mit den zweiten Teams so eine Sache. Bei mir ist das meist nur eine temporäre Angelegenheit, im Laufe der Zeit kühlt sich die Sympathie wieder ab. Aber aktuell hat die Beziehung einen Höhepunkt erreicht.
Atletico (rot) und der Stadtrivale Real (weiß) am Madrider Ratshaus. (Foto: Wikipedia Commons/ Laura Hale/)
Sonntag, 17:00, saß ich am Computer. Nicht um Pferderennen zu sehen (oder diese Kolumne zu füllen), sondern um Fußball zu gucken. Die spanische Liga kann man schön bei LaOla TV schauen, für 4,99 Euro im Monat sogar in HD-Bildern.
Atletico Madrid gastierte an diesem Tag bei UD Levante. Die Zeichen standen gut: Barcelona hatte nur Remis gespielt, nach einem Erfolg gegen Levante, dem zweiten Team aus Valencia, hätte sich Atletico drei Spieltage vor Schluss an der Spitze der Primera Diversion absetzen können.
Doch es war einer dieser Tage, an dem alles daneben ging. Bereits nach 7 Minuten sprang Verteidiger Luis Filipe nach einer Levante-Ecke den Ball unglücklich an die Brust und zum Entsetzen der meisten rollte der Ball zum 1:0 für die Heimmannschaft ins Tor.
Das blieb der einzige Angriff von Levante in Halbzeit 1, doch Atletico fehlten die Ideen, um eine gut stehende gegnerische Abwehr zu knacken. Nach der Pause kamen Arda Turan, Adrian und später der Ex-Wolfsburger und Ex-Bremer Diego ins Spiel, die Madrilenen erarbeiteten sich jetzt Chancen um Chancen, doch der Ball wollte – auch dank Levante-Keeper Navas – nicht ins Tor.
Mit dem dritten Angriff machten die Hausherren nach 69 Minuten nach einem schönen Konter das 2:0. Und die Gesichter der vielen mitgereisten Atletico-Fans in ihren rot-weiß- gestreiften Trikots wurden immer länger.
Die beste Saison
Aber trotz dieser Niederlage: Atletico spielt unter Trainer Diego Simeone eine grandiose Saison, vielleicht die Beste der Vereinsgeschichte: Platz 1 in der spanischen Liga vor Barca und dem Lokalrivalen Real. Und als Krönung das Erreichen des Finales in der Champions-League, ausgerechnet ein Madrider Lokalduell gegen Real, sonst die klare Nummer 1 in der Stadt.
Das 3:1 im Halbfinal-Rückspiel bei Chelsea war vielleicht das Meisterstück des Simeone-Teams. Im Hinspiel hatte Coach Jose Mourinho quasi den Mannschaftsbus im Chelsea-Strafraum geparkt und so ein 0:0 ermauert. Es war eines dieser Fußballspiele, nach denen man froh war, sie nicht gesehen zu haben.
Doch im Rückspiel siegte das Gute. Die „Colchoneros“ drehten einen 0:1-Rückstand an der Stamford Bridge und zogen völlig souverän mit 3:1 ins Finale ein. Real mag zwar den tolleren Fußball gegen die Münchener Bayern gespielt haben, aber „mehr Eier“ zeigte Atletico.
Seit Dezember 2011 trainiert der ehemalige argentinische Internationale Diego Simeone Atletico und seitdem geht es mit dem einstigen Skandalclub aufwärts. Dabei spielt das Team nicht unbedingt wahnsinnig attraktiven Fußball, aber es ist eine gut abgestimmte Einheit, bei der ein Rädchen ins andere greift. Diese Einheit muss erst einmal besiegt werden. Und mit Diego Costa, Koke oder Arda Turan hat die Mannschaft auch einige starke Individualisten. Barca oder Real sind deutlich besser besetzt, aber als Underdog liefert Atletico den beiden Top-Teams einen heldenhaften Kampf und hat sie fast in die Knie gezwungen. Das gefällt mir. Zumal das Publikum im Estadio Vicente Calderon deutlich lebendiger wirkt als die Operetten-Kulissen im Camp Nou (Barca) und Santiago Bernabeu (Real).
Der Bürgermeister von Marbella
Natürlich hat Atletico immer noch einen Batzen Schulden, zum Beispiel beim Finanzamt. Es sind Spätfolgen: Einst hatten die Colchoneros mit Jesus Gil y Gil einen der beklopptesten Fußball-Präsidenten aller Zeiten, noch heute bestimmen einstige Weggefährten den Klub. Aber das ist in diesem Fall egal. Auch in der Vergangenheit von Borussia Dortmund gab es schlechten Zeiten und peinliche Gestalten – das negative Format des einstigen Bürgermeisters von Marbellas hatte aber bei weitem niemand.
Allerdings sind meine Zweitsympathien nicht unbedingt eine dauerhafte Sache. In den neunziger Jahren mochte ich besonders Newcastle United, weil diese Stadt ebenso fußballverrückt wie Dortmund ist, und Fulham, weil ich dort mal einen netten Fußball-Nachmittag erlebt habe. Später kam noch Greuther Fürth hinzu, als ich einige Zeit in Nürnberg lebte und dort die Fürther ins Herz schloss.
Heute sind mir die Klubs mehr oder weniger egal. Im Gegenteil: Fulham mit Felix Magath ist wahrlich nicht mein Fall.
Zwei durchaus kritische Artikel über Atletico vom Internetportal
goal und aus dem Schweizer
Tagesanzeiger.