Mittwoch, 4. Dezember 2013
Leverkusen will nicht mehr Vizekusen sein
Es war irgendwie typisch für Bayer 04 Leverkusen, am Samstag Gegner von Borussia Dortmund in der Bundesliga: Da schaut ganz Fußball-Deutschland auf den Klub, weil seit Ewigkeiten mal wieder ein Spiel von ihm im Free-TV übertragen wird. Das Ergebnis ist bekannt: 5:0 deklassierte Manchester United Bayer in der Champions League und war in allen Belangen überlegen.
Oder anders formuliert: Leverkusen spielte, als wenn die Spieler Bleischuhe tragen würden. Es war eine Demütigung, ein Begräbnis erster Klasse – auch wenn der Gegner zur fußballerischen Oberklasse zählt.
Dabei hat sich die Leverkusener Mannschaft gut entwickelt. Unter den Trainern Sami Hyypiä und dem Urdortmunder Sascha Lewandowski (der bekanntlich ab dieser Saison nicht mehr Trainer ist) ging der Weg nach oben, etablierte sich das Team endgültig wieder in Deutschlands Elite.
Doch das Versagen in den wichtigsten Momenten zieht sich wie ein roter Faden durch die Vereinsgeschichte. So wurde die „Werkself“ (siehe unten) nur einmal Pokalsieger, holte immerhin 1988 den UEFA-Pokal, als dieser noch ein ernst zu nehmender Wettbewerb war. Den Beinamen „Vizekusen“ erwarb sich Bayer mit einiger Berechtigung.
Kaum ein anderer Verein kassiert dafür so viel Häme. Bayer Leverkusen wird finanziell vom Chemiegiganten Bayer unterstützt und trägt den Firmennamen. So etwas finden die Traditionalisten gar nicht gut und rufen Wettbewerbsverzerrung. Keine Rolle spielt in solchen Überlegungen etwa die Tatsache, dass ihr Klub beispielsweise von einem dubiosen russischen Energieunternehmen gesponsert wird. Oder die Stadt ihn subventioniert.


Leverkusen holt schon Pokale: 1988 den UEFA-Cup zum Beispiel gegen Espanyol Barcelona. Es war hochdramatisch: Das Hinspiel hatte Bayer 0:3 in Barcelona verloren, im Rückspiel egalisierte das Team den Rückstand und siegte im Elfmeterschießen.
Bildnachweis: Panotxa/Wikipedia Commons


Aktuelle Lage
Bayer spielt wie im Vorjahr eine richtig gute Saison, stellt sich bislang tapfer zwischen die Giganten Bayern München und Borussia Dortmund. 11 Siege, ein Remis und zwei Niederlagen bedeuten 34 Punkte und damit liegen die Rheinländer vier Punkte hinten den Bayern, aber auch drei Punkte vor Dortmund.
Auch in diesem Jahr verfügt der Klub über eine spielstarke Mannschaft, die sowohl in der Offensive und Defensive stark ist. Was ein wenig fehlt, ist die Qualität hinten den ersten 15,16 Spielern. Dieses Problem haben jedoch bis auf Bayern und mit Abstrichen Borussia Dortmund alle Klubs der Bundesliga.
Wie gut Bayer in der Liga auftritt, zeigen etwa die Durchschnittsnoten des Fachblattes kicker. Da gibt es eine ganze Menge Feldspieler, die einen Schnitt um die 3,00 haben: Sidney Sam (2,5), Stefan Reinartz (2,78), Stefan Kießling (2,88), Ömer Toprak (2,95), Simon Rolfes (3.00) oder Gonzalo Castro (3,09). Torwart Bernd Leno ist bislang mit einem Schnitt von 2,57 zweitbester Keeper nach Noten hinter dem Stuttgarter Sven Ulreich (2,50). Nur Lars Bender (3,40) bleibt in dieser Saison nach Meinung der kicker-Redakteure deutlich hinter Zwillingsbruder Sven Bender (2,92).



Ein Tor wie ein Schlag in den Magen, aber wenigstens wunderschön: Zinedine Zidane entscheidet das CL-Finale 2002 gegen Leverkusen für Real Madrid. Den Leverkusener Fans wird die herausragende Schusstechnik von Zidane völlig egal sein.


Ein wenig Historie
Häufig ging es bei den Spielen zwischen Borussia Dortmund und Bayer Leverkusen richtig zur Sache. Unvergessen, wie Dortmunds Abwehrspieler Bodo Schmidt Leverkusens Stürmer Ulf Kirsten einst in die Kabine grätschte.
1979 stieg Bayer in die Bundesliga auf. Und kein anderer wird mit Leverkusen und Bundesliga mehr verbunden als der langjährige Manager Reiner Calmund. Der Mann war nicht nur eine gewichtige rheinische Frohnatur, sondern auch ein cleverer Strippenzieher. So hatte Bayer schon gute Beziehungen nach Brasilien, bevor Fußballer von dort in allen Ligen der Welt kickten.
Und beim Werksklub spielten keine schlechten Brasilianer: Jorginho, Tita, Emerson, Paolo Sergio, Lucio, Franca (auch wenn er nicht ganz die Erwartungen erfüllte) oder Ze Roberto zum Beispiel. Für die meisten war Leverkusen das Sprungbrett zu noch größeren Klubs in Europa.
Die Geschichten, wie Calmund sich die Dienste von Andreas Thom und Ulf Kirsten sicherte, sind Legende. Jedenfalls wechselten die meist umworbenen Spieler des DDR-Fußballs in die Chemiestadt und nicht nach Dortmund, Hamburg oder München. Aber in Leverkusen erwies sich der Mutterkonzern finanziell als sehr großzügig, die Gehälter waren sehr gut.
So hatte Leverkusen fast immer starke Teams. Gut, ein Jahr wäre man fast mal abgestiegen, als Calmund auf der Tribüne flennte und sich vorher „in aller Freundschaft“ vom Trainer Erich Ribbeck trennen musste. Aber die guten Spielzeiten überwogen doch: Die Saison 1999/2000 etwa, als der Klub mit Trainer Christoph Daum erst am letzten Spieltag in Unterhaching die Meisterschaft verspielte.
Und natürlich 2002, als man das „Vize-Triple“ schaffte: Erst verlor man den Titel auf der Zielgeraden an den BVB, dann versemmelte man das Pokalfinale gegen Schalke und zu allem Überfluss unterlag der Klub äußerst unglücklich Real Madrid im Endspiel der Champions League. Das war fast schon Tragik, weil Bayer zudem in dieser Spielzeit großartigen Fußball bot.
Es war vielleicht die beste Mannschaft der Vereinsgeschichte, die Bayer damals hatte: Lucio, Ballack, Bernd Schneider, Kirsten, Ze Roberto, Neuville, Ramelow oder Bastürk – um nur einige Namen des Teams von Klaus Toppmöller zu nennen. Lucio, Ze Roberto und Ballack gingen danach nach Bayern München.
Im Jahr danach stieg Leverkusen fast ab. Calmund nahm 2004 seinen Abschied, Rudi Völler wurde Sportlicher Leiter und Bayer platzierte sich fast immer in den UEFA-Cup-Rängen. Jupp Heynckes weckte den Verein wieder zu neuen Leben, wurde 2011 Zweiter (wie konnte es anders sein). Sein Nachfolger Robin Dutt war hingegen eher eine Fehlinvestition, aber das Trainerduo Hyypiä und Lewandowski setzte Heynckes Arbeit erfolgreich fort. Und jetzt soll es der ehemalige Weltklasse-Innenverteidiger Samy Hyypiä richten.

In der Serie "Rivalen des BVB" wird immer der Verein portraitiert, der am nächsten Spieltag in Dortmund gastiert. Das Ganze geschieht gewohnt subjektiv und ist gnadenlos persönlich.