Montag, 1. Oktober 2012
Das Märchen von der doppelten Kuzorra-Beerdigung
Ruhrgebiets-Barde Adolf Tegtmeier hätte daran seine Freude gehabt. „Dem Fußball sein zuhause“ betitelte Ben Redelings sein 2009 erschienenes Werk. Dort präsentiert er allerhand kuriose Geschichten aus der Welt des Ruhrgebietsfußballs – aus einer Gegend, wo der „Fußball noch gelebt wird“, wie es immer so schön heißt. Doch auch im Revier leiden viele Vereine aus den unteren Ligen unter Zuschauer- und Spielerschwund, allerdings boomen Dortmund und Schalke weiter.
In einer Angelegenheit ist jedoch der VfL Bochum seinen großen Ruhrgebiets-Rivalen BVB und S 04 überlegen. Literarisch haben diese gegen den „kleinen“ VfL keine Chance. Da ist einerseits Frank Goosen (das einzige, was mich an ihm stört, dass ansonsten humorlose Süddeutsche seinen Witz gut finden); andererseits eben Redelings, der mit Scudetto auch im Netz gut vertreten ist und dessen gleichnamiges Bühnenprogramm durchaus empfehlenswert sein soll.
Der Konjunktiv ist hier angebracht, denn ich habe einen Scudetto-Abend noch nie live gesehen. Jedenfalls hat sich Redelings mit seinen Geschichten außerhalb des Sportlichen einen guten Namen gemacht. Auch für „Dem Fußball sein zuhause“ hat er Fleißarbeit geleistet und ordentlich Kurioses aus der bunten Kickerwelt ausgegraben.
Seine Liebe zum Sport hat familiäre Wurzeln: Schon als Kind beantwortete er Quizfragen seines Vaters zum Fußball im allgemeinen und zu Westfalia Herne im Besonderen. Manche Kinder werden dann später ganz anders, aber Redelings Liebe zum Fußball blieb. Immer wieder taucht autobiografisches auf: wie sie den Trainer ihres Jugendteams an den Pfosten gebunden haben (pfui) oder über erste zarte Hooligan-Anwandlungen auf den Stehplätzen des VfL Bochum.

Ekstase mit Wolle
Manche Geschichten sind wirklich schön. Etwa die über Max Merkel und seine Zeit bei Schalke 04 im Ruhrgebiet (Quizfrage: Welche Spieler montierte die Reifen seines Fahrzugs ab). Oder die Story über die Stadionsprecher alter Güte. „Und nach dem Spiel ein Spielchen in Jürgen Köpers Megaplay. Besuchen Sie unseren verdienstvollen ehemaligen Spieler, mittlerweile elf Mal in Bochum“, las einst Erwin Steden, Sprecher beim VfL Bochum, vom Blatt ab. Doch dann hatte der VfL die Moderne entdeckt und schickte den Schlagermoderator Frank Papke ins Rennen. Und der sorgte für die erste „Hände zum Himmel“-Euphorie im Bochumer Stadion. Redeling: „Wenn ich mich an diese Zeit erinnere, wippe ich immer noch ekstatisch im Takt eines Wolle-Petry-Hits.“ So ein Stadionbesuch war früher eben viel gefährlicher als heute. „Ich heiße Uwe und bin von Beruf asozial“, sagt einer der Protagonisten einer Hooligan-Geschichte aus dem Jahr 1983.
Und dann räumt Redeling noch mit einer alten Mär auf: der doppelten Beerdigung des Schalke-Idols Ernst Kuzorra. Zumindest war es nicht so, wie die BILD-Zeitung schrieb, sagt der ehemalige Schalke-Präsident Günter Eichberg. Der Fototermin war eine Idee des Boulevardblattes – der Text allerdings (wir hätten "den ausgebuddelt, noch einmal hoch gehoben und fallen gelassen“, so Eichberg) völlig erlogen. Der einstige Schalker Sonnengott würde es jedenfalls nicht noch einmal so machen.
Nicht jede Story hat dieses Format, manche wirkt etwas aufgewärmt. Dennoch ein nettes Buch für lange Winterabende, auch wenn man schon auf den ersten Seiten erfährt, wer Wandolek war.