Donnerstag, 12. Januar 2012
Der Wunsch nach dem deutschen Cambridgeshire
Es geht wieder aufwärts mit dem deutschen Galopprennsport – zumindest wenn man die Umsatzzahlen 2011 betrachtet. Nur völlige Schönredner werden jedoch von einer Kehrtwende sprechen: Zum einen gab es im Vergleich zu 2010 wieder zwei Veranstaltungen in Baden-Baden/Iffezheim, zum anderen befindet sich der Umsatz seit Jahren im Tiefflug. 2003 waren es etwa laut Direktorium für Vollblutzucht und Rennen beispielsweise noch 81 Millionen Euro (45 Mio. Bahn, Außen 36 Mio. Euro – Quelle Sport-Welt Spezial 2004).
Zudem ist der Begriff Umsatz in diesem Fall nicht ganz richtig: Die Zahl, die das Direktorium nennt, ist der Totalisatorumsatz. Was beim Buchmacher oder im Internet sonst noch auf deutsche Rennen gewettet wird, weiß kein Mensch.
Die Zahlen wie vor 20 Jahren wird der deutsche Turf aber nicht mehr erreichen. Dafür ist die Konkurrenz inzwischen zu stark: Fußballwetten sind – Glückspielgesetz hin und her – weiter stark im Kommen. Galopp-Insidern bieten die Galopprennen aus Frankreich und England attraktive Möglichkeiten.
Gerade gegenüber Letzteren ist das deutsche Produkt namens Pferdewette nicht wettbewerbsfähig. Wenn ich an mein eigenes Wettverhalten denke, dann hat sich das in den letzten zwanzig Jahren drastisch verändert. Zu Beginn habe ich fast nur auf deutsche Rennen gewettet, heute ist das Verhältnis 90:10 zugunsten der englischen Rennen (Frankreich ist nicht so mein Ding).

Cheltenham statt Dortmund
Die Gründe liegen auf der Hand: Die englischen Hindernisrennen auf den Top-Bahnen im Winter sind um ein Vielfaches interessanter als die deutschen Winterrennen in Neuss und Dortmund. Obwohl ich in Dortmund wohne, war ich in diesem Jahr noch kein einziges Mal bei den Sandbahnrennen. Einmal werde ich mit Sicherheit noch hingehen, aber mehr auch nicht. Ähnlich war es in den Vorjahren.
Was soll ich denn da auch wetten? Irgendwelche Handicaps der unteren Kategorie mit hoher Plusskala und wenig Formpferden? Völlig uninteressant, zumal in diesen Rennen mal der mit 20 Längen vorne ist und in der nächsten Woche ein anderer Teilnehmer mit Riesenabstand gewinnt.
Da mache ich doch lieber ein paar Siegwetten in Cheltenham oder Sandown. Die Rennen dort sind zwar schwierig, aber in den heutigen Internetzeiten kann ich auf ein Vielfaches an Informationen zurückgreifen. Außerdem stimmen die Quoten.
Im Sommer sieht es ähnlich aus, obwohl die deutschen Rennen dann natürlich viel interessanter sind. Die Zeiten, an denen ich jeden Sonntag auf einer deutschen Galopprennbahn war, sind längst Vergangenheit. Samstags allerdings bin ich meist mit englischem Rennsport beschäftigt. Weil das Wettangebot – siehe oben – dort einfach viel attraktiver ist.
Was ich in Turf-Deutschland am meisten vermisse? Diese guten Handicaps der Kategorien 1 und 2. Was waren das früher für schöne Rennen, ein Ausgleich 1 wie der Große Preis der Stadt Mülheim, gespickt mit Formpferden. Diese Pferde laufen heute leider für bessere Preisgelder in Frankreich. Wenn ein Ausgleich 1 und Ausgleich 2 ausgeschrieben wird, finden diese oft nicht statt, da die Pferde fehlen, weil die Preisgelder in Deutschland zu gering sind.
Das ist alles ein Luxusproblem, kann man jetzt aus deutscher Sicht argumentieren. Die Rennvereine haben schon genug andere Baustellen. Das ist richtig, nur in England gibt es dafür auf der Flachen fast jeder Woche ein Top-Handicap. Das ist im Interesse der großen Buchmacher, weil diese eben von möglichst offenen Rennen profitieren. Denn dort werden die Umsätze gemacht. Wo bleibt also das deutsche Cambridgeshire?

Nachtrag: Im aktuellen Newsletter von Turf Times kann der Interessent noch einmal die statistischen Zahlen zum deutschen Rennsport 2011 nachlesen. Wer ihn noch nicht bekommt, erhält ihn hier.