Dienstag, 2. August 2011
Emden statt Barcelona
Es ist eine der stärksten Szenen des ganzen Films: Francis Bugri zeigt stolz seine Trikots der Jugendnationalmannschaft. Das waren noch Zeiten: Bei der U 19-Weltmeisterschaft 1997 in Ägypten wählten ihn die Journalisten in das All-Star-Team der WM, die große Profikarriere schien greifbar nahe.
Zehn Jahre später ist die große Karriere als Profifußballer nur noch eine sehnsüchtige Erinnerung: Bugri ist wieder zuhause in seinem Elternhaus, gerade endete ein Engagement in der ersten dänischen Liga erfolglos. Seine Augen leuchten, wenn er von den Leuten erzählt, die später zu Weltstars wurden: Ronaldinho, Casillas. Oder von seinen Mitspielern aus dem deutschen Team, die Karriere machten: Sebastian Kehl, Roman Weidenfeller oder Sebastian Deisler. Heute spielt Bugri beim TuS Eving-Lindenhorst in der Westfalenliga 2, der sechsten Liga.
Francis Bugri ist einer der Hauptfiguren der Dokumentation HalbZeit von Christoph Voss und Gabriele Hübner, die jetzt bei 3SAT im TV lief. Es ist die Fortsetzung von Die Champions, der 1998 entstand. Die Filme zeigen die Entwicklung einiger junger Spieler aus dem Nachwuchs von Borussia Dortmund, die 1998 Deutscher Fußballmeister der A-Junioren wurden. Francis Bugri, Mohammed Abdulai, Heiko Hesse, Claudio Chavarria und Florian Kringe waren Spitze im Nachwuchsbereich. Doch für die meisten war der Juniorentitel der Höhepunkt ihrer Karriere.
Es ist ein eindrucksvoller Film – fernab von jeglichem Glamour des Profifussballs, fernab von Superstar-Geschichten in kicker oder Sportbild. Ein ehrlicher Film, denn den Weg nach ganz oben schaffen nur die wenigsten. Zudem zeigt er eindrücklich, dass Talent allein nicht ausreicht. Andere Faktoren wie Fleiß, aber auch das Glück, zur rechten Zeit die richtigen Leute zu treffen, spielen eine ebenso große Rolle. Nur Florian Kringe wurde zum etablierten Bundesligaspieler, für die anderen reichte es nur zu Einsätzen in unterklassigen Profiligen. Oder sie beendeten wie Heiko Hesse früh ihre Karriere.


Stolz: Francis Bugri und sein DFB-Dress (Foto: realfictionfilme)

Endstation 3. Liga
Hübner lässt seine Darsteller erzählen; er begleitet sie beim Training, im Kraftraum, zuhause oder bei Feiern. „Ich wollte immer der Beste sein“, sagt Francis Bugri – ein technisch großartiger Fußballer, aber offensichtlich für die kampfbetonte Spielweise in der deutschen Regionalliga wenig geeignet. „Ihm fehlt der Biss, er kann nicht kämpfen“, stellt sein damaliger Trainer Mark Fascher beim damaligen Regionalligisten Kickers Emden fest. Nur ein Spiel machte er in Emden und auch bei anderen anderen Vereinen schafft er nicht den Durchbruch. Ein lieber Mensch, aber vielleicht habe er „sich zu sehr auf seinem Talent ausgeruht“, so Fascher.
Auch Mohammed Abdulai gelingt nicht den Sprung nach ganz oben. Seine Vereine nach Borussia hießen Uerdingen 05, Yurdumspor Köln oder Wattenscheid 09. Angeblich kickt der schlacksige Offensivspieler, der einst aus Ghana ins Jugendhaus von Borussia Dortmund kam, heute in Bangladesh. 2006 erzählt er von einem belgischen Zweitligisten, zu dem er wechseln kann. Abdulai fürchtet um seine Karriere, er hat Schmerzen. Die Zuschauer begleiten ihn zum Arzt und nicht nur der Spieler ist erleichtert, dass die Verletzung nicht so ernst ist. Das Gastspiel in Belgien wird zum Flop: Nach einem halben Jahr ist er wieder im Ruhrgebiet – und selbst der sonst so optimistische Ghanaer wirkt regelrecht desillusioniert.
Den glücklichsten Eindruck von allen macht Heiko Hesse. Der beendete frühzeitig seine Profiambitionen, studierte unter anderen an der englischen Nobeluniversität Oxford und arbeitete im Film für die Weltbank. Fußball spielt er nur noch am Sonntag Morgen in Washington – zum Spaß, ohne großen Leistungsdruck und ohne Training.
Fazit: Starker Film über die anderen Seiten des Profifußballs. Sehr empfehlenswert.

Ihre Laufbahnen im Profifußball
Florian Kringe
Francis Bugri
Mohammed Abdulai
Claudio Chavarria



Dienstag, 21. Juni 2011
Ein Pferd namens Horst
Mal wieder etwas aus unserer beliebten Rubrik Feuilleton: Galopprennen im Film, in diesem Fall das todsichere Ding beim Wetten. Die Szene stammt aus dem Ruhrgebiets-Kultfilm Bang Bang Boom. Hilmi befindet sich auf der Dortmunder Rennbahn und hat einen brandheißen Tipp. Er ruft seinen Kumpel Keek an. „Horst ist Super-Geheimtipp, steht 40:1“, sagt Hilmi. Sie „pflastern“ das Pferd namens Horst ordentlich – doch der wird nur Zweiter. Dummerweise war es nicht Keeks Geld, sondern das seines Kumpels Kalle. Dummerweise neigt dieser etwas zu Gewalttaten und sitzt derzeit im Knast. Doch Hilmi hat eine Lösung parat – grandios. Bis 3:12 absolut sehenswert…..




Dienstag, 24. Mai 2011
Lebensweisheiten von der Rennbahn
Deutschsprachige Bücher über Pferderennen sind eine Rarität. Im Jahr 2000 beschäftigten sich immerhin zwei durchaus renommierte Journalisten mit dem Thema. Das Werk von
Stephan Lebert
und Harry Nutt mit dem simplen Titel Pferderennen erschien zum damaligen Zeitpunkt in der dtv-Reihe „Kleine Philosophie der Passionen“.
Ich weiß gar nicht, wann ich das Buch erworben habe, muss so um das Jahr 2001 gewesen sein. Nach der ersten Lektüre war ich etwas enttäuscht. Weil die Leidenschaft beider Autoren die Trabrennen sind, die ich damals reichlich öde fand.
Beim Aussortieren ist mir das Buch mit dem grünen Einband mal wieder in die Hände gefallen. Und natürlich habe ich es noch einmal gelesen, sind ja auch nur etwas über 120 Seiten. Diesmal fällt das Urteil erheblich positiver aus. Weil ich als Wetter und Rennbahnbesucher (früher regelmäßig, heute eher sporadisch) viele Weisheiten der beiden Autoren nachvollziehen kann. „Warum zum Teufel machen wir das“, fragen Lebert und Nutt, beide passionierte Rennbahnbesucher und Wetter. Zumal in Deutschland, dem Land der Lottospieler, Pferdewetter immer noch diesen Hauch von Unseriosität und Verwegenheit haben. Denen traut man die eigene Tochter nicht an.
„Das ist wie ein Film, der immer läuft, parallel zu dem anderen Leben“, sagt Lebert. Keiner seiner Freunde geht auf die Rennbahn. „Ich glaube, dass es das nirgends sonst gibt: Einerseits die Anonymität, der Wunsch, völlig allein zu sein und andererseits die Möglichkeit eben nicht allein zu sein müssen, sich jederzeit öffnen zu können“, schreibt Nutt. Jemandem das Elend des knapp verpassten Riesengewinns mitzuteilen, könne in diesem Augenblick sehr wertvoll sein.
Die Autoren beschäftigen sich mit berühmten Rennpferde, waghalsigen Wetten oder den Typen, die die Rennbahn bevölkern. Manches wiederholt sich, alles ist aber sehr locker und anekdotenreich beschrieben. Seine besonderen Qualitäten zeigt das Werk, wenn es um Zockerphilosophien und die besondere Charaktere auf der Rennbahn geht. „Es gibt Tage, da kann man nicht verlieren. Tage, an denen das Geld in den Taschen nicht alle wird“ beschreiben sie ein Gefühl, dass jeder Zocker kennt. Noch mehr Tage gibt es allerdings, an denen es einfach nicht läuft – kennt auch jeder Wetter zu genüge.
Das Buch ist in den 90er Jahren entscheiden – einer Zeit, in dem es sowohl Galopp- als auch Trabrennsport relativ gut ging. Was würden Lebert und Nutt heute schreiben? Beide Sportarten befinden sich seit Jahren in einer Dauerkrise. Und die markanten Typen werden zumindest auf den Galopprennbahnen immer weniger. Immerhin: Menschen, die auf Rennbahnen gehen, bringen sich seltener um als „normale“ Menschen. Begründung: Sie hoffen auf das nächste Rennen, zitiert Stephan Lebert eine amerikanische Studie.



Mittwoch, 13. Oktober 2010
Fußball in Afrika: Miese Schmarotzer und großartige Talente
Die erste Fußball-Weltmeisterschaft auf afrikanischem Boden ist Geschichte. Organisatorisch war Südafrika 2010 ein Erfolg, doch sportlich war die WM für die afrikanischen Teams bis auf Ghana (das unglücklich im Viertelfinale ausschied) erneut ein Desaster. Warum Mannschaften wie Kamerun, Nigeria oder Elfenbeinküste trotz Superstars in ihren Reihen immer wieder scheitern, ist auch ein Thema von „Traumfußball – Geschichten aus Afrika“ von Thilo Thielke. Das Buch erschien bereits vor der WM, aber ich habe es erst jetzt gelesen. Es geht um den Fußball in den Ländern südlich der Sahara – in Nordafrika sind die Spieler weniger spektakulär, dafür die Mannschaften viel erfolgreicher, weil die Organisation besser ist.
Die Schuldigen für die Misere hat der Spiegel-Korrespondent schnell ausgemacht. „Die – gemessen am Potenzial- verblüffende Erfolglosigkeit afrikanischer Nationalmannschaften hängt wohl hauptsächlich mit dem Dilettantismus ihrer Funktionäre zusammen“, analysiert er. Ein Grund dafür sei „die jahrelang sprudelnde Entwicklungshilfe, durch die sich allerorten Schmarotzer breit gemacht haben. Kaum ein europäischer Coach in Afrika, der nicht unter Arroganz und Misswirtschaft der Funktionärsclique zu leiden hatte“.
Dabei werden die europäischen Trainer wenigstens noch fürstlich bezahlt – nur mit der Pünktlichkeit der Zahlung hapert es oft. Dazu kommt die Politik, die sich oftmals bis hin zur Mannschaftsaufstellung einmischt. Eindrucksvoll beschreibt der Autor einen Termin der Nationalmannschaft Kameruns mit ihren (damaligen) Trainer Winfried Schäfer beim Staatspräsidenten Paul Biya. Selten war der Sarkasmus, der im Spiegel-Heft oftmals nervt, so passend wie in diesem Kapitel.

Kicken in Ruinen
Dabei ist der Fußball das „afrikanische Spiel“. Denn „es ist wunderbar einfach, man braucht kein Geld und nur ein paar Jungs mit viel Zeit“. Thielke beschäftigt sich mit den „grass roots“ des Spiels und ging dahin, wo es wirklich gefährlich ist: Nach Somalia etwa, wo die Kids die Waffen ablegen, um zwischen den Ruinen am Strand zu kicken. Oder nach Liberia, Heimat von George Weah, einem der großen Idole des afrikanischen Fußballs. Weah wollte Präsident des Landes werden, der Spiegel-Korrespondent begleitete ihn bei seinem Besuch in der zerstörten Heimat. Das Ergebnis ist eine packende Geschichte, die das Land eindrucksvoll beschreibt und dokumentiert, wie der Fußball die einzige Hoffnung im trostlosen Alltag verkörpert. Überall sieht der Autor eine Fülle talentierter Spieler, das Potenzial an Nachfolgern von Größen wie Okocha, Eto’o, Drogba oder Essien ist immens. Nur Hoffnung auf Besserung gibt es wenig. „Es gibt haufenweise tolle Spieler. Aber sie killen sich selbst. Der afrikanische Fußball zerstört sich selbst“, sagt Csaba László, ein ungarischer Trainer, der unter anderem das Nationalteam Ugandas trainierte. Dazu passt auch die Mentalität der meisten Länder, in der Zwischentöne nicht existieren und Kontinuität ein Fremdwort ist. „Es gibt nur Sieger und Verlierer. Friss oder Stirb“, weiß László.

Fazit: Ein höchst empfehlenswertes Werk mit vielen eindrucksvollen Fotos. Nur die Geschichte von den Geistern, Ahnen und dunklen Mächten hat mich nicht so beeindruckt. Aber dieses Thema gehört wohl dazu, um den afrikanischen Fußball zu verstehen.

Thilo Thielke, Traumfussball – Geschichten aus Afrika, Verlag die Werkstatt, ISBN 978-3 89533-641-6. Gibt es hier oder hier oder natürlich in Ihrer Buchhandlung vor Ort.