Taktik-Lehre ohne Nerdfaktor
Was der Interessierte schon immer über Taktik im Fußball wissen wollte, schildert Tobias Escher sehr verständlich in seinem Werk „Vom Libero zur Doppel-Sechs.“ Die Taktik-Geschichte des deutschen Fußballs hätte manchmal sogar etwas detaillierter sein können, nichtsdestotrotz ist das Werk so kurz vor der WM 2018 eine Empfehlung wert.



Fußball-Deutschland und Taktik – das waren früher häufig zwei Welten. Da wurde der Gegenspieler quasi bis auf die Toilette verfolgt (Manndeckung), stand der Libero weit hinter der Abwehr und kloppte die Bälle nach vorne. Zumindest im übelsten Fall, aber bis in den tiefsten Amateurbereich siegten Teams aus Deutschland meist mit Mentalität und Kampfkraft. Heute spielen Mannschaften selbst unterer Ligen mit Viererkette und Doppelsechs, pressen und schieben. Trainer wie Klopp, Rangnick oder Tuchel wurden früher ausgelacht, heute gelten sie als Trendsetter des modernen Fußballs. Die Taktik-Wertigkeit im Fußball hat in den letzten zwanzig Jahren deutlich zugenommen.
Warum das so ist, zeigt Tobias Escher in seinem Buch „Vom Libero zur Doppel-Sechs“ sehr gut. Zum Glück erklärt der Mitgründer des Taktikblogs spielverlagerung.de auch für Leute ohne Trainerschein das Thema sehr verständlich und verzichtet auf das dröge Fachchinesisch, das manche Texte auf Spielverlagerung kennzeichnet.

Herberger, Klopp und Löw
Escher geht dabei streng chronologisch vor, beginnt mit den Anfängen, arbeitet etwa die Unterschiede zwischen den Nationaltrainern Otto Nerz und Sepp Herberger heraus. Es ist - wie im Untertitel gesagt – „eine Taktikgeschichte des deutschen Fußballs“. Der Triumph von 1954, der Aufstieg von Bayern München und Borussia Mönchengladbach, der „(fast) totale Fußball“ des Helmut Schön und der Niederländer 1974, der höchst erfolgreiche „Rumpelfußball“ der achtziger und neunziger Jahre und dann quasi die Revolution von unten mit Trainern wie Ralf Rangnick und Jürgen Klopp. Natürlich darf Bundestrainer Joachim Löw nicht fehlen, Klasse wie der Autor etwa die Unterschiede des Umschaltfußballs 2010 und des Ballbesitz-Spiels 2014 herausarbeitet.
Allerdings haben die Leute die Taktik nicht neu erfunden. Sepp Herberger etwa setzte manche Dinge um, die zu seiner Zeit beachtlich waren. Auch in Bundesliga gab es früher schon Pressing und Raumdeckung - dank ausländischer Trainer wie Ernst Happel. Branko Zebec und Gyula Lorant. Doch diese Innovationen setzten sich in der Bundesliga nicht durch, zumal der DFB die neuen Systeme ignorierte. Warum sollte er auch nicht? Die deutsche Nationalmannschaft war auch in den fußballerisch öden 80- und 90er Jahren mit Kampffußball erfolgreich.
Manche Kapitel sind mir fast schon zu kompakt, manchmal hätte doch etwas mehr Tiefe gutgetan. Andererseits hätte Escher das Thema auch böse in die Breite ziehen können. Für jemanden wie mich, der in den taktisch finsteren Zeiten der 70er, 80er
und 90er Jahre gespielt hat und heute nur noch regelmäßig zuschaut, ist das schon richtig.

Das Buch