Oriental Eagle oder der Zauber des Start-Ziel-Sieges
Ihn hatte keiner so richtig auf der Rechnung. Am Ende aber war Oriental Eagle der große Gewinner im Kölner Gerling-Preis. Und verwies die vorher hochgehandelten Rivalen wie Colomano, Derby-Sieger Windstoß, Walsingham, Veneto, Instigator und Favorit Dschingis Secret auf die Plätze. Ein tolles Rennen: Weil der Sieger von der Spitze aus triumphierte. Solche Erfolge mag der Kolumnist.

Leider war ich am Sonntag nicht auf der Rennbahn in Köln und weiß daher nicht, wie die Stimmung nach dem Gerling-Preis war. Doch oft ist es nach Außenseiter-Erfolgen ziemlich still auf der Bahn, eine Mischung aus Ungläubigkeit und Ärger. Viele Wetter sind enttäuscht, weil sie den Sieger nicht auf dem Schein hatten bzw. er ihnen die Kombiwetten kaputt gemacht hat. Aber es war eine grandiose Prüfung mit einem tollen Sieger. Es gab lukrative Quoten: Oriental Eagle zahlte 179:10 auf Sieg, wer ihn über die Franzosen von PMU gespielt hatte, wurde sogar noch höher belohnt und durfte sich über die unglaubliche Platz-Quote von 274: 10 freuen.
So recht hatte es dem Auenqueller niemand zugetraut. Oriental Eagle war zwar im letzten Jahr klassischer Sieger im Dortmunder St. Leger über weite 2800 Meter. Doch die Gegner am Sonntag waren mit das Beste, was es in Deutschland über 2400 Meter gab: Dschingis Secret, Galopper des Jahres und gut genug als chancenreiches Pferd in den Arc zu gehen, der Derbysieger Windstoß oder der Union Triumphator Colomano, das starke Trio aus dem Markus Klug-Quartier. Dazu kamen noch der Aufsteiger Veneto und die talentierten Walsingham und Instigator, die vierjährig erst so richtig aufblühen sollen. Für Oriental Eagle schien im Vorfeld nur die Rolle des Hasen vorgesehen, den die Verfolger dann in der Zielgerade überlaufen werden.
Von wegen: Die „Rennmaschine“ (so nennt ihn sein Trainer Jens Hirschberger) stiefelte wie in Dortmund und Baden-Baden von vorne sein Pensum runter, Jockey Lukas Delozier ließ Oriental Eagle richtig treten. Das Beste aber: Als alle schon dachten, jetzt hat ihn Colomano auf der Zielgerade passiert, zog der nach außen an die Rails gedriftete Campanologist-Sohn noch mal gewaltig an und siegte mit einer dreiviertel Länge. Ganz großes Kino.
Nichts wirkt spektakulärer als ein Sieg von der Spitze. Faszinierend, wenn ein Pferd seine Gegner quasi aus den Hufen galoppiert. Das Publikum liebt Frontrenner. Wenn ich mit Leuten Pferderennen schaue, die nicht so in dem Sport drin sind, sind die immer ganz begeistert, wenn ein Pferd Start-Ziel triumphiert. Am besten noch, wenn der lange Führende schon passiert ist, aber dieser noch mal anzieht und gewinnt.
Es gibt und gab großartige Frontrenner im Rennsport: Etwa der englische Top-Steher Big Orange, der überragende Sprinter Harry Angel, der einstige Cheltenham Gold Cup-Sieger Coneygree. In Deutschland denke ich an den großartigen Power Flame, in England bezauberte die schnelle Stute Lochsong, die ihre Rennen aus der Startbox gewann.

Johnston, Fanning und Oriental Fox
Manche Jockeys sind für diesen Rennstil besonders geeignet: In England war das früher Richard Hills, der es meisterhaft verstand, von vorne das Tempo zu machen. Einer meiner Lieblingsjockeys ist immer noch Joe Fanning, gefühlt seit ewigen Zeiten Mitglied des Mark Johnston-Teams. Die Pferde von Johnston laufen gerne an der Spitze – und Fanning ist der ideale Mann, so eine Prüfung von vorne nach Hause zu reiten. „Es ist schwer, an Pferden von Mark Johnston vorbeizukommen, wenn sie erstmal an der Spitze sind“, lautet eine Weisheit des englischen Rennsports.
Eine indirekte Verbindung zu Mark Johnston besitzt auch Oriental Eagle. Sein Bruder Oriental Fox ist ein großer Steher, den Johnston betreut. Zehn Jahre ist er inzwischen, im letzten Jahr war er noch aktiv.
Auch bei Oriental Eagle dauerte es, bis der Knoten platzte. Erst im neunten Versuch gewann er seine erste Prüfung, immerhin war er mehrfach hinter guten Gegnern platziert. Der Durchbruch kam, als er im Badener Auktionsrennen die Kontrahenten „müde“ galoppierte und dabei sein Stehvermögen ausspielen konnte.
Dann kam das St. Leger und der Kolumnist hätte ihm diesen Sieg nie zugetraut. Aber Oriental Eagle entpuppte sich als zäher Bursche, der seinen Platz gegen Deutschlands Steher-Elite vehement verteidigte. „In England würde man so eine Vorstellung „gutsy“ nennen, die Experten würden diese Leistung in höchsten Tönen preisen“, schrieb diese Kolumne damals.
Über Winter hat sich der Campanologist-Sohn noch mal deutlich verbessert. Der Sieg gegen Deutschlands beste Pferde über 2000 Meter und mehr – von denen eigentlich nur Iquitos fehlte – beweist das. Jetzt geht es weiter auf diese Route, im Großen Preis der Badischen Wirtschaft soll der nächste Streich folgen. Für die Quote von 179:10 wird Oriental Eagle dabei definitiv nicht mehr an den Start gehen. Jede Wette.



Immer prominent platziert: Lochsong distanziert ihre Gegner im Ayr Gold Cup 1992.