Erinnerungen an fünf große Sprinter
Es war das Rennen des letzten Wochenendes. Und am Ende hatte nicht der schon als neues Wunderpferd gehandelte Caravaggio im July Cup über schnelle 1200 Meter in Newmarket die Nase vorn, sondern der genauso begabte Harry Angel. „Er wurde an diesem Tag zum Mann“, verkündete sein glücklicher Trainer Clive Cox nach dem Rennen. Der dreijährige Harry Angel ließ nicht nur den Altersgenossen Caravaggio hinter sich, sondern schlug auch die besten älteren Pferde wie Limato, Tasleet und The Tin Man. Faszinierender Stoff sind diese Sprints – und für diese Seite, Anlass an fünf Top-Sprinter der Vergangenheit zu erinnern. Die Auswahl ist keine Rangliste, sondern eben gnadenlos subjektiv.

Borderlescott (Trainer Rob Bastiman, später Rebecca Bastiman, lief von 2004 bis 2015, 85 Starts, 14 Siege, zweimal Gruppe 1, Gewinnsumme 791.949 Pfund)
Einer meiner absoluten Favoriten. In seinen besten Zeiten war Borderlescott ein ungemein beständiges Pferd, das sowohl in den großen Handicaps als auch in Gruppe-Rennen eine scharfe Klinge schlug. Zudem war er ein typisches Beispiel für einen Sprinter, der aus einem kleinen Stall kam, nicht gerade eine adelige Abstammung hatte und dennoch die Rennwelt entzückte. Für Trainer Rob Bastiman war er das mit Abstand beste Pferd, das er je trainiert hatte.
Besonders stolz war Bastiman über den doppelten Erfolg in den Gruppe 1-Nunthorpe Stakes in York, quasi in der Heimat des Trainers aus der Grafschaft Yorkshire. Allerdings triumphierte Borderlescott beim ersten Nunthorpe in Newmarket, weil der Rennkurs York sein damaliges Meeting absagen musste.
Der Kolumnist erinnert sich zudem besonders an den zweiten Platz im 2007 Stewards Cup in Goodwood. Damals verfolgte ich in der Buchmacher-freien Stadt Nürnberg manchmal Rennen in einem Internet-Cafe im dortigen Hauptbahnhof. Mein Jubel schallte durch das ganze Cafe, weil ich dachte, den Sieger in dieser 30-Pferde-Mammutprüfung getroffen zu haben. Nur die Stewards in Goodwood waren anderer Meinung, setzten Borderlescott auf den zweiten Platz hinter Zidane. Noch heute bin ich der Meinung, sie lagen falsch.

Choisir (Trainer Raul Perry, lief von 2001 bis 2003, 23 Starts, 7 Siege, davon zweimal Gruppe 1, Gewinnsumme 889.182 Pfund).
Es war einer dieser Turf-Momente, die einem sofort wieder einfallen, wenn man darauf gestoßen wird. Die Racing Post hatte im Vorfeld von Royal Ascot 2017 an glorreiche Momente der Vergangenheit erinnert und dabei den historischen Doppel-Erfolg von Choisir 2003 nicht vergessen. So recht hatte man den bulligen Sprinter aus Australien nicht auf der Rechnung, zumal er in den King’s Stand Stakes auch noch mehr Gewicht dank eines Gruppe 1-Sieges in der Heimat tragen musste.
Doch Choisir war das völlig egal, fand mit Jockey Johnny Murtagh den Platz an den Rails und marschierte dann von vorne los. Keiner konnte ihm folgen, hinter dem Australier folgten die englischen Top-Sprinter Acclamation und Oasis Dream (heute übrigens zwei sehr erfolgreiche Deckhengste). Das war der erste australische Erfolg auf englischem Turf und vier Tage später wurde es noch besser in den 200 Meter längeren Golden Jubilee Stakes. Das gleiche Spiel: Choisir marschierte erneut von vorne und triumphierte. Der Kolumnist ärgerte sich noch heute, dass er damals nicht den Sieger zu lukrativen Odds gewettet hatte. Danach sah Royal Ascot eine wahre Invasion brillanter Sprinter aus Australien – Miss Andretti, Scenic Blast, Takeover Target und zuletzt Black Caviar feierten alle schöne Erfolge.
Choisir gehörte schon in Australien zur Elite der Sprinter, siegte unter anderem in den Lightning Stakes (Gruppe 1) in Flemington. Seine Abschiedsvorstellung gab er im July Cup in Newmarket, dort unterlag er Oasis Dream. Später war er ein sehr erfolgreicher Deckhengst für Coolmore.



„The Aussie gone do it“ – Choisir deklassiert das hochklassige Feld in den King’s Stand Stakes in Royal Ascot

Lochsong (Trainer Ian Balding, lief von 1991 bis 1994, 27 Starts, 15 Siege, davon drei Gruppe 1-Erfolge, Gewinnsumme 600.888 Pfund)
Es muss 1993 oder 1994 gewesen. Damals war ein Samstag ohne Racing Post kein guter Tag, das Blatt konnte man zu dieser Zeit – wenn es denn in Deutschland ankam – beim Buchmacher Schickle in Dortmund kaufen. Und irgendwann lief mal Lochsong, die beste Sprinterin dieser Zeit. „Speed Queen“ nannte man sie und die Racing Post widmete ihr eine wahre Eloge. Das war kein Wunder, die Tochter des mir völlig unbekannten Deckhengstes Song war pures Dynamit auf vier Beinen.
Sie debütierte erst relativ spät mit drei Jahren, gewann sogar mal über 1400 Meter, doch ihre wahre Idealdistanz waren kürzere Wege. 1992 machte die Stute erstmals richtig Furore, als sie drei große Sprints-Handicaps in Serie gewann – den Stewards Cup in Goodwood, den Portland Cup in Doncaster und den Ayr Gold Cup. Eine großartige Leistung, denn in diesen Prüfungen laufen bis zu 30 Pferde und alle wollen gewinnen. Doch Lochsong wurde noch besser, siegte in neun Stakes-Rennen, darunter zwei Mal im Prix de L’Abbaye in Longchamp. Meistens gewann sie von der Spitze aus, besonders mit Frankie Dettori, damals am Anfang seiner großen Karriere, bildete die Stute ein großartiges Team.



Einzigartiger Handicap-Hattrick: Lochsong triumphiert im Ayr Gold Cup. Von der Spitze aus galoppiert sie ihre Gegner in Grund und Boden.

Overdose (Trainer Sandor Ribarski, später Jozef Roszival, lief von 2007 bis 2011, 19 Starts, 16 Siege, Gewinnsumme 206.214 Pfund)
„The Budapest Bullet“ beindruckte auch den Kolumnisten ungemein. Es war die klassische Geschichte vom Aschenputtel zum Märchenprinzen, die ganze Story kann man hier nachlesen. Ein Pferd aus dem Turf-Entwicklungsland Ungarn rockte die Turfgemeinde: Beim ersten Start in Deutschland hallte dem ungeschlagenen Overdose schon ein großer Ruf bevor, der überlegene Sieg im Badener Lanson Cup, dem Scherping-Rennen, bestätigte das eindrucksvoll. Danach schlug er die besten deutschen Sprinter in Hamburg und Baden-Baden, immer von der Spitze aus. 14 Rennen nacheinander blieb der Starborough-Sohn ungeschlagen. Nur der größte Triumph war keiner: Overdose gewann im Oktober 2008 den Prix De L'Abbaye (Gr. I) in Paris-Longchamp. Wegen eines angeblichen Fehlstarts wurde das Rennen aber am Ende der Karte noch einmal gelaufen. Nur diesmal fehlte der Hengst.
Dennoch wählten die Ungarn ihn 2008 zu ihrem Sportler des Jahres. Doch dann plagten ihn Hufprobleme, ein Trainerwechsel folgte. Overdose zeigte zwar noch gute Leistungen, aber der Zauber war irgendwie verflogen. 2011 hörte der Hengst auf, 2015 starb Overdose, der als Deckhengst im Gestüt Lindenhof wirkte, an einer Kolik.



Der Sieg, der keiner war: Overdose im Prix De L’Abbaye 2008

Sole Power (Trainer Edward Lynam, lief von 2009 bis 2016, 65 Starts, 12 Siege, davon 5 mal Gruppe 1, Gewinnsumme 2.103.813 Pfund)
Sein Stern ging 2010 in den Nunthorpe Stakes in York auf. 1000 Meter auf gut bis festem Boden, das waren optimale Bedingungen für Sole Power. Doch das wussten damals höchstens Trainer Edward Lynam und sein Team. Dem Wallach war das egal, er schockte als 100:1-Chance die Konkurrenz in dieser Gruppe 1-Prüfung und gewann sicher gegen den Favoriten Starspangledbanner.
Der Erfolg war kein Zufall, Sole Power entwickelte sich zu einem der besten Sprinter seiner Zeit, er brachte Trainer Lynam quasi „auf die Landkarte“. In fünf Gruppe 1-Prüfungen hatte er die Nase vorn, kam gerne vom Ende des Feldes. Manchmal war das eine komplizierte Sache, die Lücke zu finden. Man schaue nur auf das Video unten, der Lauf von Sole Power in den King’s Stand Stakes in Ascot. Aber dieser Speed ist einfach nur gigantisch.