Montag, 25. Juni 2018
Ein Sonntag in Dortmund-Wambel


Guter Service: Die Leinwand in Dortmund

Degas gewinnt den 31. Großen Preis der Wirtschaft auf der Dortmunder Rennbahn. 28-mal davon war ich bei diesem Rennen dabei und auch diesmal live vor Ort. Einige Beobachtungen an einem Sonntagnachmittag.

Es gibt sie, die Oasen der Ruhe an einem Renntag. Zum Beispiel am Führring direkt nach einem Rennen, wenn die Pferde gerade von der Bahn kommen, die Leute entweder zum Absattelring laufen und/oder das Rennen diskutieren. Dann hat der Besucher den Platz fast alleine, hört sogar die Vögel zwitschern und vernimmt nur entfernte Geräusche von außen. Während 100 Meter weiter entfernt das Leben tobt.
So war es am Sonntag vor dem 31. Großen Preis der Dortmunder Wirtschaft. Ein Moment der Stille. Die ersten Pferde für die nächste Prüfung werden hereingeführt. Sonst passiert hier nichts. Das Geschehen spielt woanders: Der AS-Antriebs- und Systemtechnik-Preis, ein Ausgleich III über 2000 Meter, war gerade gelaufen. Elegant Maxime siegte soeben vor All About Me, ein Ergebnis mit Dortmunder Bezug: Das Pferd von Alt-Präsident Hans-Hugo Miebach (Elegant Maxime, Gestüt Wittekindshof) gegen das von Manfred Ostermann (All About Me, Gestüt Ittlingen). Oder Maschinenbau schlägt Möbelhandel.
Der Preis der Dortmunder Wirtschaft ist neben Sparkassen-Renntag an Himmelfahrt und St. Leger Mitte September das Aushängeschild des Dortmunder Turf Programms. Und solange sie diese Renntage noch veranstalten und nicht nur öde PMU-Ware an trüben Wintertagen auf der Sandbahn bieten, ist die Turf-Welt zumindest hier noch in Ordnung.
Die drei obigen Renntage sind eigentlich die einzigen, die ich seit Jahren in Deutschland live erlebe. Das hat einerseits gesundheitliche Gründe, andererseits gibt es England mit deutlich interessanteren Rennen. Ich habe ich mich in Sachen Rennsport zu so einer Art Couch-Potato entwickelt - leider. Lieber zuhause am PC gucken, ist doch deutlich komfortabler.

Bukowski las Zeitung
Jedenfalls habe ich zwischen den Rennen auf der Rennbahn auf einmal so etwas Langeweile. Weil eben 30 Minuten nichts passiert. Literat und Turf-Freund Charles Bukowski kannte das Problem auch, der hat immer zwischendurch die Los Angeles Times gelesen. Die muss früher am Wochenende auch ziemlich dick gewesen sein.
In Zeiten der Zeitungskrise ist das aber keine Alternative. So stehe ich am Führring, schaue mir die Pferde an. Das habe ich früher sehr intensiv gemacht, aber in Smartphone-Zeiten fehlt die Geduld. Zumal ich den Eindruck habe, dass in vergangener Zeit Pferde nicht so lange vor den Sattelboxen geführt wurden und früher in den Kreis kamen.
Auch sonst hat sich einiges verändert: Man trifft deutlich weniger bekannte Gesichter, dafür wird der Besucher permanent auf der Rennbahn akustisch unterhalten. Zwischen den Rennen wird viel erzählt: Uli Potofski macht Interviews mit Bekannten und Unbekannten, Sprecher Pan Krischbin informiert über die Pferde. Die beiden machen das professionell, aber manchmal könnte weniger mehr sein. Aber die dringend benötigten „neuen Zielgruppen“ wollen das wohl so.
Acht Euro Eintritt mit Programm sind ein fairer Preis, die Sport-Welt wird von diesem Koppelangebot nicht begeistert gewesen sein. Dadurch wird das Fachblatt auf der Bahn deutlich weniger verkauft. Das Rennprogramm sieht dick aus, ist voller Anzeigen der Dortmunder Wirtschaft. Da hätten die Verantwortlichen das Ganze auch noch mit ein wenig Inhalt füllen und neben Formen auch ein paar Tipps anbieten können.

Scharfe Bilder
Stark in Dortmund ist die Leinwand auf der Rennbahn, die gestochen scharfe Bilder liefert. Keiner guckt mehr auf das eigentliche Rennen, alle gucken auf die Übertragung. Und dann ist der Betrachter ganz verblüfft, wenn die Pferde live an einem vorbei laufen.
Ansonsten ist in Dortmund noch Improvisation gefragt, die Wetthalle ist immerhin verglast und hat Glastüren, aber abgeschlossen sind die Arbeiten noch nicht. Die Bahn ist gut gefüllt (5500 Zuschauer laut Dortmunder Rennverein), lange Schlangen vor den Wettschaltern sind mir nicht aufgefallen. Die Leute wetten ja angeblich nicht mehr.
Sportlich gab es mit Degas einen Sieger, den nicht nur ich übersehen habe. Der „ewige Zweite“ kam nach einem typischen Adrie de Vries-Ritt aus dem Hintertreffen. Wie schon in der letzten Woche in der Union mit Weltstar machte der Jockey das auch diesmal perfekt.
Die Pferde von Markus Klug haben gute Form derzeit, Manipur siegte im Ausgleich 2. In einem Rennen, indem die ersten vier Pferde quasi auf einer Linie endeten – so spannend kann der Sport sein.
Immerhin beendete Molly Sunshine meine derzeitige Treffer-Misere. Im Großen Preis lag ich aber mit Potemkin und Theo voll daneben. Wie das Leben so ist.



Das Siegerteam im Großen Preis von Dortmund mit Trainer Markus Klug, Degas und Jockey Adrie de Vries (Foto Dortmunder Rennverein)



Donnerstag, 14. Juni 2018
Salve Del Rio die Union-Empfehlung
Wer sich derzeit den Derby-Markt in Deutschland anschaut, der findet diesen auf den ersten Blick wenig attraktiv. Royal Youmzain heißt der klare Favorit, im Wettmarkt steht er entsprechend tief. Mal schauen, wie es nach dem Oppenheim Union-Rennen am Sonntag in Köln aussieht. In der wichtigsten Vorprüfung für das Hamburger Derby laufen einige Pferde, die Royal Youmzain zum Saisonauftakt geschlagen hat. Starter und Chancen in der Union.

1. Aldenham (Trainer Andreas Wöhler/Jockey Jozef Bojko): Beim dritten Start platzte der Knoten mit einem Sieg, aber danach in besserer Gesellschaft im Derby-Trial in Hannover noch ohne Möglichkeiten. In der Union ist es noch schwerer.

2. Ballydoyle (Trainer Stefan Richter/Jockey Stephen Hellyn): Gewann trotz Unreife ein Münchner Sieglosen-Rennen im Stile eines sehr guten Pferdes, überraschte dabei gewaltig und imponierte dem Stall Salzburg so sehr, dass dieser ihn kaufte. Nachgenannt für die Union, dort ist weitere Verbesserung notwendig. Diese sollte nach erst zwei Starts auch möglich sein. Der Braune galt in seinem Stall immer als Derbyhoffnung und es ist schön, dass der tüchtige Trainer Stefan Richter mal so eine Chance hat. Der Name Ballydoyle verpflichtet aber auch.

3. Destino (Trainer Markus Klug/Jockey Martin Seidl): Tolle Abstammung, Bruder von Dschingis Secret und Diana Storm. Zweijährig Sieger in Baden Baden, das Jahresdebüt in Hannover fiel eher enttäuschend aus. Das Fragezeichen im Rennen.

4. Ecco (Trainer Peter Schiergen/Jockey Andrasch Starke): Halbbruder des letztjährigen Derby-Zweiten Enjoy Vijay. Spätentwickler, der beim dritten Start eine letztlich leichte Aufgabe in Krefeld sehr souverän löste. Muss sich aber weiter steigern.

5. Emerald Master (Trainer Mario Hofer/Jockey Alexander Pietsch): Sehr starkes Jahresdebüt im Bavarian Classic als Dritter. Galt schon zweijährig als Steher im Stall, dem 1600 Meter zu kurz waren. Hochinteressanter Teilnehmer, der das Jahresdebüt noch steigern sollte und der ebenfalls von der längeren Distanz profitieren könnte.

6. Jimmu (Trainer Henk Grewe/Jockey Marc Lerner): Der Schimmel wurde im Bavarian Classic ziemlich unterschätzt und bot als Zweiter hinter Royal Youmzain eine tolle Leistung. Nach dieser Form sollte er auch in Köln gut laufen. Distanz wird passen, das Pferd von Henk Grewe könnte weitere Reserven haben. Emerald Master (3.) und Salve Del Rio (4.) sind wieder unter den Gegnern, die Abstände in München waren sehr knapp.

7. Klüngel (Trainer Markus Klug/Jockey Sibylle Vogt): Überraschte bei seinem Kölner Maidensieg gegen Sweet Man, Ecco und Puccini, doch danach ernüchternd schwach in Hannovers Derby-Trial. Außenseiter.



So war es 2014: Sea The Moon siegt in der Union und später dann auch im Hamburger Derby

8. Magic Pivotal (Trainer Andreas Wöhler/Jockey Eddie Pedroza): Erst der zweite Start im Leben. Das Debüt in München war ansprechend, aber gegen den Sieger Ballydoyle blieb er ohne Möglichkeiten. Es wäre eine große Leistung, wenn der Pivotal-Sohn ausgerechnet in der Union seine Maidenschaft ablegen würde.

9. Puccini (Trainer Jens Hirschberger/Jockey Jack Mitchell): Halbbruder der zwei Top-Pferde Pagella und Pemina, aber noch ohne Erfolg. Zuletzt Dritter in München hinter Ballydoyle und Magic Pivotal, bei zwei Starts aber deutlich geschlagen, schwer vorstellbar.

10. Salve Del Rio (Trainer Jean-Pierre Carvalho/Jockey Michael Cadeddu): Der Halbbruder der Salve Venezia (GAG 90,5 kg) fand als Vierter im Bavarian Classic noch gut ins Rennen und blieb nicht weit hinter Royal Youmzain, Jimmu und Emerald Master. Das war eine sehr ansprechende Leistung, die längere Distanz in Köln müsste ihm noch mehr liegen. Der Hengst war schon ein guter Zweijähriger.

11. Sweet Man (Trainer Jens Hirschberger/Jockey Filip Minarik): Nach drei Starts noch sieglos, aber brachte sich mit dem zweiter Platz in Hannovers Derby Trial ins Gespräch. Der Hirschberger-Schützling kam erst kaum durch den Bogen und zeigte dann ganz außen an den Rails viel Speed, ohne den Sieger Balmain zu erreichen. Ein weiteres Pferd mit Potenzial für mehr, aber so recht weiß ich die Form aus Hannover nicht einzuordnen.

12. Valajani (Trainer Markus Klug/Jockey Maxim Pecheur): Das zweite Platz im Grafenberger Derby Trial hinter dem sehr guten Alounak war auch ohne Siegchance eine ordentliche Leistung, danach aber Letzter im Bavarian Classic. Deshalb nur Außenseiter.

13. Weltstar (Trainer Markus Klug/Jockey Adrie de Vries): Der Vierte aus dem Mehl Mülhens-Rennen und Zweite aus dem Busch-Memorial. Lief immer gegen gute Pferde, die 2200 Meter-Distanz ist neu, sollte dem Halbbruder des Derbysiegers Windstoß aber liegen. Die Nummer Eins aus dem Klug-Quartier.

Urteil
Etablierte Pferde oder Aufsteiger? Zu ersteren zählen Jimmu, Emerald Master und Salve Del Rio, die Plätze zwei bis vier des Bavarian Classics. Zwischen diesen Kandidaten liegt nicht viel, ich entscheide mich für Salve Del Rio, der in München noch gut ins Rennen fand. Weltstar sollte auf passender Distanz laufen. Dann sind da noch jede Menge nicht erfasste Pferde, denen Steigerung zuzutrauen ist. Zum Beispiel Ecco, der nachgenannte Ballydoyle oder Sweet Man.



Montag, 11. Juni 2018
Taktik-Lehre ohne Nerdfaktor
Was der Interessierte schon immer über Taktik im Fußball wissen wollte, schildert Tobias Escher sehr verständlich in seinem Werk „Vom Libero zur Doppel-Sechs.“ Die Taktik-Geschichte des deutschen Fußballs hätte manchmal sogar etwas detaillierter sein können, nichtsdestotrotz ist das Werk so kurz vor der WM 2018 eine Empfehlung wert.



Fußball-Deutschland und Taktik – das waren früher häufig zwei Welten. Da wurde der Gegenspieler quasi bis auf die Toilette verfolgt (Manndeckung), stand der Libero weit hinter der Abwehr und kloppte die Bälle nach vorne. Zumindest im übelsten Fall, aber bis in den tiefsten Amateurbereich siegten Teams aus Deutschland meist mit Mentalität und Kampfkraft. Heute spielen Mannschaften selbst unterer Ligen mit Viererkette und Doppelsechs, pressen und schieben. Trainer wie Klopp, Rangnick oder Tuchel wurden früher ausgelacht, heute gelten sie als Trendsetter des modernen Fußballs. Die Taktik-Wertigkeit im Fußball hat in den letzten zwanzig Jahren deutlich zugenommen.
Warum das so ist, zeigt Tobias Escher in seinem Buch „Vom Libero zur Doppel-Sechs“ sehr gut. Zum Glück erklärt der Mitgründer des Taktikblogs spielverlagerung.de auch für Leute ohne Trainerschein das Thema sehr verständlich und verzichtet auf das dröge Fachchinesisch, das manche Texte auf Spielverlagerung kennzeichnet.

Herberger, Klopp und Löw
Escher geht dabei streng chronologisch vor, beginnt mit den Anfängen, arbeitet etwa die Unterschiede zwischen den Nationaltrainern Otto Nerz und Sepp Herberger heraus. Es ist - wie im Untertitel gesagt – „eine Taktikgeschichte des deutschen Fußballs“. Der Triumph von 1954, der Aufstieg von Bayern München und Borussia Mönchengladbach, der „(fast) totale Fußball“ des Helmut Schön und der Niederländer 1974, der höchst erfolgreiche „Rumpelfußball“ der achtziger und neunziger Jahre und dann quasi die Revolution von unten mit Trainern wie Ralf Rangnick und Jürgen Klopp. Natürlich darf Bundestrainer Joachim Löw nicht fehlen, Klasse wie der Autor etwa die Unterschiede des Umschaltfußballs 2010 und des Ballbesitz-Spiels 2014 herausarbeitet.
Allerdings haben die Leute die Taktik nicht neu erfunden. Sepp Herberger etwa setzte manche Dinge um, die zu seiner Zeit beachtlich waren. Auch in Bundesliga gab es früher schon Pressing und Raumdeckung - dank ausländischer Trainer wie Ernst Happel. Branko Zebec und Gyula Lorant. Doch diese Innovationen setzten sich in der Bundesliga nicht durch, zumal der DFB die neuen Systeme ignorierte. Warum sollte er auch nicht? Die deutsche Nationalmannschaft war auch in den fußballerisch öden 80- und 90er Jahren mit Kampffußball erfolgreich.
Manche Kapitel sind mir fast schon zu kompakt, manchmal hätte doch etwas mehr Tiefe gutgetan. Andererseits hätte Escher das Thema auch böse in die Breite ziehen können. Für jemanden wie mich, der in den taktisch finsteren Zeiten der 70er, 80er
und 90er Jahre gespielt hat und heute nur noch regelmäßig zuschaut, ist das schon richtig.

Das Buch