Mittwoch, 9. Mai 2018
Oriental Eagle oder der Zauber des Start-Ziel-Sieges
Ihn hatte keiner so richtig auf der Rechnung. Am Ende aber war Oriental Eagle der große Gewinner im Kölner Gerling-Preis. Und verwies die vorher hochgehandelten Rivalen wie Colomano, Derby-Sieger Windstoß, Walsingham, Veneto, Instigator und Favorit Dschingis Secret auf die Plätze. Ein tolles Rennen: Weil der Sieger von der Spitze aus triumphierte. Solche Erfolge mag der Kolumnist.

Leider war ich am Sonntag nicht auf der Rennbahn in Köln und weiß daher nicht, wie die Stimmung nach dem Gerling-Preis war. Doch oft ist es nach Außenseiter-Erfolgen ziemlich still auf der Bahn, eine Mischung aus Ungläubigkeit und Ärger. Viele Wetter sind enttäuscht, weil sie den Sieger nicht auf dem Schein hatten bzw. er ihnen die Kombiwetten kaputt gemacht hat. Aber es war eine grandiose Prüfung mit einem tollen Sieger. Es gab lukrative Quoten: Oriental Eagle zahlte 179:10 auf Sieg, wer ihn über die Franzosen von PMU gespielt hatte, wurde sogar noch höher belohnt und durfte sich über die unglaubliche Platz-Quote von 274: 10 freuen.
So recht hatte es dem Auenqueller niemand zugetraut. Oriental Eagle war zwar im letzten Jahr klassischer Sieger im Dortmunder St. Leger über weite 2800 Meter. Doch die Gegner am Sonntag waren mit das Beste, was es in Deutschland über 2400 Meter gab: Dschingis Secret, Galopper des Jahres und gut genug als chancenreiches Pferd in den Arc zu gehen, der Derbysieger Windstoß oder der Union Triumphator Colomano, das starke Trio aus dem Markus Klug-Quartier. Dazu kamen noch der Aufsteiger Veneto und die talentierten Walsingham und Instigator, die vierjährig erst so richtig aufblühen sollen. Für Oriental Eagle schien im Vorfeld nur die Rolle des Hasen vorgesehen, den die Verfolger dann in der Zielgerade überlaufen werden.
Von wegen: Die „Rennmaschine“ (so nennt ihn sein Trainer Jens Hirschberger) stiefelte wie in Dortmund und Baden-Baden von vorne sein Pensum runter, Jockey Lukas Delozier ließ Oriental Eagle richtig treten. Das Beste aber: Als alle schon dachten, jetzt hat ihn Colomano auf der Zielgerade passiert, zog der nach außen an die Rails gedriftete Campanologist-Sohn noch mal gewaltig an und siegte mit einer dreiviertel Länge. Ganz großes Kino.
Nichts wirkt spektakulärer als ein Sieg von der Spitze. Faszinierend, wenn ein Pferd seine Gegner quasi aus den Hufen galoppiert. Das Publikum liebt Frontrenner. Wenn ich mit Leuten Pferderennen schaue, die nicht so in dem Sport drin sind, sind die immer ganz begeistert, wenn ein Pferd Start-Ziel triumphiert. Am besten noch, wenn der lange Führende schon passiert ist, aber dieser noch mal anzieht und gewinnt.
Es gibt und gab großartige Frontrenner im Rennsport: Etwa der englische Top-Steher Big Orange, der überragende Sprinter Harry Angel, der einstige Cheltenham Gold Cup-Sieger Coneygree. In Deutschland denke ich an den großartigen Power Flame, in England bezauberte die schnelle Stute Lochsong, die ihre Rennen aus der Startbox gewann.

Johnston, Fanning und Oriental Fox
Manche Jockeys sind für diesen Rennstil besonders geeignet: In England war das früher Richard Hills, der es meisterhaft verstand, von vorne das Tempo zu machen. Einer meiner Lieblingsjockeys ist immer noch Joe Fanning, gefühlt seit ewigen Zeiten Mitglied des Mark Johnston-Teams. Die Pferde von Johnston laufen gerne an der Spitze – und Fanning ist der ideale Mann, so eine Prüfung von vorne nach Hause zu reiten. „Es ist schwer, an Pferden von Mark Johnston vorbeizukommen, wenn sie erstmal an der Spitze sind“, lautet eine Weisheit des englischen Rennsports.
Eine indirekte Verbindung zu Mark Johnston besitzt auch Oriental Eagle. Sein Bruder Oriental Fox ist ein großer Steher, den Johnston betreut. Zehn Jahre ist er inzwischen, im letzten Jahr war er noch aktiv.
Auch bei Oriental Eagle dauerte es, bis der Knoten platzte. Erst im neunten Versuch gewann er seine erste Prüfung, immerhin war er mehrfach hinter guten Gegnern platziert. Der Durchbruch kam, als er im Badener Auktionsrennen die Kontrahenten „müde“ galoppierte und dabei sein Stehvermögen ausspielen konnte.
Dann kam das St. Leger und der Kolumnist hätte ihm diesen Sieg nie zugetraut. Aber Oriental Eagle entpuppte sich als zäher Bursche, der seinen Platz gegen Deutschlands Steher-Elite vehement verteidigte. „In England würde man so eine Vorstellung „gutsy“ nennen, die Experten würden diese Leistung in höchsten Tönen preisen“, schrieb diese Kolumne damals.
Über Winter hat sich der Campanologist-Sohn noch mal deutlich verbessert. Der Sieg gegen Deutschlands beste Pferde über 2000 Meter und mehr – von denen eigentlich nur Iquitos fehlte – beweist das. Jetzt geht es weiter auf diese Route, im Großen Preis der Badischen Wirtschaft soll der nächste Streich folgen. Für die Quote von 179:10 wird Oriental Eagle dabei definitiv nicht mehr an den Start gehen. Jede Wette.



Immer prominent platziert: Lochsong distanziert ihre Gegner im Ayr Gold Cup 1992.



Donnerstag, 3. Mai 2018
Die Lehren des Bavarian Classic
Spannendes Rennen, guter Derby-Test: Das Bavarian Classic am 1. Mai in München lieferte interessante Hinweise für das Saison-Highlight am ersten Juli-Sonntag in Hamburg. Royal Youmzain gewann überzeugend und auch die Pferde dahinter versprechen einiges für die Zukunft. Die Analyse und ein erster Ausblick auf das Deutsche Derby 2018 mit einem mutigen Tipp.

Der Sieg des klaren Favoriten Royal Youmzain fiel nicht überlegen aus: Eine halbe Länge war der Wöhler-Schützling vor dem Zweiten Jimmu, Emerald Master und Salve Del Rio als Dritter und Vierter waren keine 1,5 Längen geschlagen. Die Art des Erfolges imponierte jedoch: Es dauerte etwas, bis Eddie Pedroza den Sieger in Schwung brachte, aber dann zog Royal Youmzain noch gut an. Der Sieg war sicherer als es die Abstände aussagten.
Der Münchener Start war das Jahresdebüt, der Lauf wird den Hengst mit der markanten weißen Blesse weiter nach vorne gebracht haben. Die 400 Meter längere Strecke in Hamburg sollte ihm zudem noch besser passen. Nach Abstammung dürften die 2400 Meter kein Problem sein: Vater Youmzain – auch schon im Besitz von Jaber Abdullah – war ein Top-Pferd auf der klassischen 2400 Meter-Distanz, unter anderem drei Mal Zweiter im Arc und dreijährig Sieger im Kölner Preis von Europa. Bruder Saglawy wird trainiert vom irischen Top-Hindernistrainer Willie Mullins und gefiel zuletzt als Dritter in einem Gruppe 1-Hürdenrennen in Punchestown.
Eine starke Leistung als Zweiter bot Jimmu aus dem aktuell sehr erfolgreichen Stall von Henk Grewe. „Wir freuen uns über diesen tollen Erfolg und gehen die klassische Derby-Route weiter“, lautete der Eintrag auf der Stall-Facebook-Seite. Die Prüfung in München war der erste in Deutschland, die zwei Formen vorher aus Frankreich waren sehr ansprechend. Dennoch musste der Schimmel des Stalles Energy noch mal einen Sprung bewältigen, den er beeindruckend schaffte. Es war ein beherzter Ritt von Jockey Clement Lecoeuvre aus dem Vordertreffen, Stehvermögen über 2400 Meter sollte der Dalakhani-Sohn aus einer Samum-Tochter haben.
Emerald Master lief unter Alexander Pietsch von der Spitze ein glänzendes Rennen, zog Mitte der Geraden noch mal gut an. Wie der Sieger war Emerald Master schon ein sehr guter Zweijähriger, der unter anderem auf schweren Boden über 2000 Meter in Saint Cloud gewann. Sein Trainer Mario Hofer war jedenfalls sehr zufrieden. Stehvermögen sollte vorhanden sein.

Empfehlung für einen Außenseiter
Spät noch sehr gut in die Partie fand der Carvalho-Schützling Salve Del Rio. Auch er lief wie ein Pferd, das sich auf längeren Strecken weiter verbessern kann. Dahinter landete Refuseeveryoffer, der ebenfalls Boden zum Schluss gut machte, dennoch deutlich hinter der Spitzengruppe landete. Dies war erst sein zweiter Lebensstart, Steigerung sollte bei ihm wie auch bei Theo drin sein. Beide Pferde haben jedoch keine Derbynennung, müssten also nachgenannt werden.
Zu den Enttäuschungen zählten die beiden Markus Klug-Schützlinge Star Max und Valajani, die wie der Schiergen-Starter Holding Court ohne Chance blieben. Eher ernüchternd war auch die Leistung von Giuri: Der Motivator-Sohn mischte lange mit, zum Schluss aber fehlten die Reserven. Dabei hatten die Wetter den Ritt von Filip Minarik deutlich stärker eingeschätzt als den Stallgefährten Salve Del Rio.
Wenn jemand einen krummen Tipp für das Deutsche Derby haben möchte, dem empfehle ich Capone aus dem Quartier von Sascha Smrczek. Der ist zwar noch sieglos, endete am Maifeiertag in Hannover in einem Sieglosenrennen über 2000 Meter als Dritter hinter Aldenham und Ernesto. Capone wirkte noch reichlich ungeschliffen und kam erst ins Rollen, als das Rennen schon fast zu Ende war.
Natürlich reicht das nicht für das Derby, derzeit wäre der Halbbruder von Colomano noch nicht mal qualifiziert, aber bis Hamburg sind es ja noch zwei Monate. Außerdem mag ich seinen Vater Nathaniel, bei dem es auch etwas dauerte, bis der Groschen gefallen war. Wer jetzt den Kopf schüttelt, sei daran erinnert: Diese Kolumne empfahl im letzten Jahr auch den späteren Derby-Dritten Rosenpurpur, der im Mai 2017 auch noch längst nicht alle Karten aufgedeckt hatte.



Donnerstag, 26. April 2018
Stallparade kompakt: Im Prinzip empfehlenswert
Von A wie Almenräder bis Z wie Zschache: Die Stallparade kompakt der Sport-Welt ist seit einigen Wochen da. Die wichtigsten Turf-Trainer stellen ihre Pferde der Saison 2018 vor. Da werden Erinnerungen wach, aber lohnt sich der Kauf der CD?

Die Stallparaden der Sport-Welt: Früher war mal das etwas, das einen durch den trüben Sandbahn-Winter half. Manchmal habe ich das Fachblatt nur wegen der Stallparade gekauft, wenn etwa die Pferde eines Top-Trainers wie des unvergessenen Heinz Jentzsch vorgestellt wurden.
Das war in den 90er Jahren, diese Zeiten sind lange vorbei. Zum einen, weil beim Kolumnisten im Winter der Hindernissport im Vordergrund steht und der deutsche Sandbahnsport weniger interessiert, zum anderen brauche ich nicht mehr unbedingt die Sport-Welt, um mich über den Rennsport zu informieren. Internet und Smartphone mit ihren Gratis-Infos haben auch der Traditionszeitung ordentlich zugesetzt.
Die Stallparaden interessieren aber immer noch. Zu diesem Zweck möchte ich aber nicht jedes Mal eine Mal eine Sport-Welt erwerben. Zumal selbst in der Großstadt Dortmund mit einer Rennbahn und einer durchaus treuen Fangemeinde das Blatt in immer weniger Läden erhältlich ist. Deshalb kann der Interessent seit einigen Jahren zum durchaus zivilen Preis von 14,90 Euro eine CD erwerben. Stallparade kompakt heißt das Ding, Untertitel „die wichtigsten Trainer und ihre Pferde der Saison 2018.“
So eine Stallparade ist immer ein Zeitdokument. Und die Ausgabe 2018 zeigt den Abwärtstrend im deutschen Turf deutlich. Alles wurde weniger: Rennen, Rennbahnen, Pferde und eben auch Trainer. Musste ein Trainer früher 15 Rennen gewinnen, reichen heute fünf Siege, damit ihn ein Sport-Welt-Mitarbeiter besucht.



Mehr Nutzwert
Weitere Änderung: Seit einigen Jahren stufen die Trainer ihre Pferde nach gewissen Kriterien ein. Diese sind Bodenvorlieben, Distanz, Perspektiven und Besonderheiten. Beim großartigen Wonnemond aus dem Quartier des Düsseldorfer Trainers Sascha Smrczek steht da etwa: Bodenvorlieben: gut bis weich, Distanz: 1600 Meter, Perspektiven: Grupperennen, gleiche Route wie 2017, debütiert am 8. April in Düsseldorf in der Kalkmann Frühjahrs-Meile (bekanntlich erfolgreich), Besonderheiten: Unglaublich speedstark, unkompliziert.
Dieses Schema erhöht den Nutzwert für den Leser deutlich, wenn er denn etwa für seine Wettdispositionen auf die Daten der Stallparade zurückgreifen möchte. Nachteil: Es wirkt monotoner, das Lesen wird dauerhaft eintöniger.
Ein wenig vermisse ich die alte Form, in denen ohne Vorgaben die Pferde kommentiert wurden. Das führte dann manchmal zu reichlich wilder Prosa, sehr euphemistisch, bei manchem Trainer war jeder gutgezogener Dreijähriger ein potenzieller klassischer Sieger. Früher war es Ende November immer ein großer Spaß, die aufbewahrten und angegilbten Stallparaden aus dem Frühjahr noch mal heraus zu kramen und zu schauen, welche große Hoffnung dann doch nur im Ausgleich 4 landete.
Heute ist alles reglementierter, auch die Einleitungstexte sind weit weniger anbiedernd als früher. Viele Texte sind sehr informativ, wenn auch nicht floskelfrei. Kritik gegenüber Trainern (oder generell Aktiven) vermeidet die Sport-Welt weitgehend, aber da ist sie im Turf nicht alleine: Auch Racing Post oder Sporting Life agieren da nicht anders.

Lohnt sich also der Erwerb der Stallparade 2018?
Im Prinzip ja. Man könnte jetzt schön über die Wertigkeit der Trainer-Kommentare streiten. Denn brutal ehrlich ist da niemand in seiner Leistungseinschätzung. Verständlich: Denn kein Trainer möchte seinen Besitzer vergraulen, wenn dessen teuer erworbener Vollblüter sich als eher langsam entpuppt. Manche Aussagen sind dann auch reichlich flüchtig. Aber generell verschafft die Stallparade kompakt einen guten Überblick über die Mehrzahl der in Deutschland trainierten Pferde.