Wie immer kam es anders als hier prophezeit: Isfahan gewann das Deutsche Derby 2016 vor Savoir Vivre und Dschingis Secret. Dem Sieger hatte ich das Stehvermögen nicht zugetraut, den Zweiten trotz seiner hohen Reputation nach seiner schwachen Union abgeschrieben, immerhin den Dritten genannt. Aber unser Haupt-Tipp Boscacchio sendete schon früh Notsignale und wurde auf dem schweren Boden Achter. Favoriten wetten frustriert eben.
Damit wären wir beim Thema. Heftige Regenfälle hatten das Hamburger Geläuf mal wieder zum Moor werden lassen, am Mittwoch blieben die Pferde fast stecken im Sumpf, so sah es zumindest aus.
Bis zum Derby hatte sich das Wetter ein wenig beruhigt, zudem wurden die Rennen am Freitag abgesagt. Aber der Boden war immer noch eine Katastrophe, die Bezeichnung schwer wirkt fast ein wenig euphemistisch. Immerhin wurde – im Gegensatz zu den Rennen zuvor – aus der Startmaschine gestartet.
Oftmals kommen auf schwerem Boden komische Ergebnisse zustande. Diesmal offenbar nicht, trotz der hohen Quoten waren durchaus Pferde mit Format vorne: Isfahan war schon zweifacher Gruppesieger im Winterfavoriten und im Bavarian Classic, Dschingis Secret platzierte sich mehrmals in guten Rennen, der hoch gehandelte Wai Key Star war als Vierter ebenfalls gut dabei. Nur Savoir Vivre, hauchdünn geschlagener Zweiter, steigerte seinen bisherigen Leistungen deutlich. Aber er galt – siehe oben – immer schon als Kandidat mit gutem Ruf und hat eine Arc-Nennung. Die bekommt definitiv nicht das langsamste Pferd im Stall.
Hinter diesen vier Pferden war der Abstand groß. Boscacchio sendete schon früh Notsignale und endete als Achter. Ich bleibe dabei: Er ist für mich das Top-Pferd des Jahres und wird das – wenn er gesund bleibt – auf gutem oder weichem Boden zeigen. Ein Tiger Hill blieb auch einst im Horner Moor quasi stecken.
Das selbe Lied
Ansonsten hat das Derby für den Kolumnisten viel von seiner Faszination verloren. Das mag zum einen daran liegen, dass inzwischen kaum jemand außerhalb des Turfs das wichtigste Rennen des Jahres registriert. Die Generation derjenigen, die mit Addi Furler in der ARD-Sportschau und damit den Galoppern quasi aufwuchs, wird eben immer älter und weniger. Eine Live-Übertragung im öffentlich-rechtlichen TV scheint so fern wie noch nie.
Dabei hätte man in diesem Jahr eine schöne Geschichte gehabt mit Boscaccio, Besitzer Rainer Hupe und Trainer Christian Sprengel – Außenseiter, die das wichtigste Rennen des Jahres gegen den Establishment gewinnen wollen. Ein wenig Island, ein wenig Leicester City – David gegen Goliath, besser geht es doch nicht mehr.
Die Diskussionen um das Geläuf tauchen eigentlich in jedem Jahr bei schlechtem Wetter auf. Vor ein paar Jahren gab es mal Überlegungen, einen anderen Standort für das Derby zu finden – unter anderem wegen des Bodens, aber auch wegen der angeblich schlechten Vermarktung. Das Ganze scheiterte, weil jeder anderer Kandidat schnell einen Rückzieher machte.
Doch verändert hat sich eigentlich nichts. Warum muss eigentlich das Derby als Rennen 10 einer 12 Rennen-Karte gelaufen werden? Und auf einem Geläuf, das vorher schon an sechs bis sieben Renntagen von unzähligen Pferden zertrampelt wurde? Die besten Pferde bekommen das schlechteste Geläuf – gibt es exklusiv nur in Deutschland. Warum tauscht man nicht einfach den Großen Hansa Preis am ersten Sonntag mit dem Derby am zweiten Sonntag? Das wäre deutlich fairer. Aber im Galoppsport gilt wie nirgendwo anders die Devise: „Haben wir schon immer so gemacht, werden wir immer so machen.“ Und in Hamburg noch verstärkt.
Portugal ist also Fußball-Europameister. Herzlichen Glückwunsch dorthin, aber das Ergebnis passt zur Europameisterschaft 2016. Mit den Portugiesen holte eine Mannschaft den Titel, die spätestens ab den Achtelfinalspielen nur noch defensiv agierte und das Spiel des Gegners verhindern wollte. Ein stolzer Tag für Portugal, ein schlechter für den Fußball.
Es war ein trauriges Bild im Finale. Eigentlich wollten nur die Franzosen Fußball spielen, Portugal zeigte überhaupt keine Initiativen. Warum auch? Das Team von Trainer Fernando Santos hatte schon ähnlich vorsichtig in den Spielen zuvor agiert, leider mit Erfolg. Hinzu kam die Verletzung von Cristiano Ronaldo nach 25 Minuten: Bittere Tränen vergoss der Weltstar. Wieder nichts mit dem Titel für die portugiesische Nationalmannschaft, dachte CR 7 wohl.
Aber auch Frankreich setzte nicht voll auf Offensive, stand eher tief. Aber wenn ein Team zur Pause hätte führen müssen, dann die Blauen: 6:0 lautete das Chancenverhältnis, nur der herausragende Rui Patricio verhinderte die Führung.
In Abschnitt 2 wurde das Spiel noch öder. Frankreich kam kaum noch durch und wenn, dann verhinderten Rui Patricio, Pfosten und Latte die Führung. Portugal kam zum ersten Mal um die 70. Minute (!!!) gefährlich vor das französische Tor. „Bloß keine Verlängerung“, dachte der Kolumnist und wurde nicht erhört. Portugal wurde etwas offensiver und es kam so wie es kommen musste: Der eingewechselte Mann mit dem Fußball-Historie-trächtigen Namen Eder traf zum goldenen Tor. Ironischerweise spielt er auch noch in Frankreich beim OSC Lille. „Hurra, es ist vorbei“, titelte 11 Freunde.
Tauben und Schlangen
Portugal hatte schon oft starke Mannschaften. Die spielten häufig schönen Fußball, holten aber keine Titel. Und jetzt schafften sie es mit „hässlichem“ Fußball gegen müde Franzosen.
Wobei das mit dem Anti-Fußball über das ganze Turnier nicht ganz stimmt: In den ersten drei Spielen agierte Portugal noch offensiv, gegen Island (Ergebnis 1:1) und Österreich (Ergebnis 0:0) lag das Chancenverhältnis bei 12:5 bzw. 10:3. Und auch beim 3:3 gegen Ungarn setzte Trainer Santos auf Angriff. Aber der Erfolg blieb wegen der katastrophalen Chancenauswertung aus: Mit drei Unentschieden kam man so eben ins Achtelfinale.
In den Finalspielen änderte Santos dann die Taktik: So wurden die spielstarken Kroaten im Achtelfinale in der Verlängerung gestoppt und wer dachte, das war der Gipfel an Langeweile, der wusste noch nicht, dass es gegen Polen im Viertelfinale (Sieg nach Elfmeterschießen) noch schlimmer wurde. Gegen Wales im Halbfinale reichten dann 20 Minuten Initiative in der zweiten Hälfte. "Wir waren einfach wie Tauben, vorsichtig wie Schlangen", zitierte das portugiesische Sportblatt A Bola Fernando Santos.
Aber egal, werden sich die Portugiesen ob dieser Kritik denken. Auch andere Länder mogelten sich früher ins Finale. Nicht immer war ein Welt- und Europameister das spielerisch beste Team. Italien und Deutschland (vor 2006) kennen das sehr gut mit dem Durchmogeln. Also Glückwunsch!
Es droht mal wieder ein Derby der Extreme: Am Dienstag und am Mittwoch war der Boden schwer, kein gutes Omen für das Deutsche Derby 2016. Da bleibt nur die Hoffnung auf einige trockene Tage. Starter und Chancen im Derby 2016.
Wai Key Star (Trainer Andreas Wöhler): Nach GAG das höchst einzuschätzende Pferd im Feld. Leichter Sieger im Iffezheimer Derby-Trial, schlug dabei El Loco. Das Rennen war über 2000 Meter, eine längere Distanz hat das Pferd des Stalles Salzburg bislang noch nicht gesehen. Nach Abstammung nicht sicher, ob die 2 400 Meter ideal sind. So wie er läuft, sollte er aber Stamina haben. Bislang nur auf gutem Boden unterwegs.
Boscaccio (Trainer Christian Sprengel): Von Rennen zu Rennen gesteigert und offenbar noch mit weiteren Reserven. In der Union, der wichtigsten Derby-Vorprüfung, hatte er noch einiges in der Hand gegen El Loco und Dschingis Secret. Die Form aus Hannover wurde durch den Erfolg von Moonshiner im Bremer Derby Trial noch mal aufgewertet. Der logische Favorit und offenbar ein völlig unkompliziertes Pferd. Hat auf weichem Boden bereits gewonnen.
El Loco (Trainer Markus Klug): Auf den Auftaktsieg folgten vier zweite Plätze, allerdings immer in sehr guter Gesellschaft. Zuletzt Zweiter in der Union hinter Boscaccio, davor Zweiter im Iffezheimer Derby-Trial hinter Wai Key Star. An eine Formumkehr glaube ich nicht so recht. Wird ein gutes Rennen laufen, aber zum Sieg wird es nicht reichen. Weicher Boden kein Problem.
Landofhopeandglory (Trainer Aidan O'Brien): Natürlich nicht die erste Wahl im Top-Quartier von Aidan O'Brien, eher ein Pferd der guten zweiten Kategorie. Das mag bei den vielen Top-Kandidaten dort nicht viel heißen, aber Landofhopeandglory verbirgt bei bereits neun Starts keine große Geheimnisse. An fehlendem Stehvermögen wird er nicht scheitern, weichen Untergrund kann er auch, aber es würde nicht für die Qualität des deutschen Derby-Jahrgangs sprechen, wenn er gewinnen würde.
Dschingis Secret (Trainer Markus Klug): In diesem Jahr gut gesteigert, war aber zweimal hinter Boscacchio. Der Hengst kam jedes Mal mit viel Speed angeflogen. Die 2400 m sollten ihm noch mehr liegen und auch Hamburg hat eine lange Zielgerade. Bei weiterer Verbesserung ein Kandidat mit Chancen, hat schon auf schwerem Boden gewonnen.
Larry (Trainer Uwe Stech): Der große Unbekannte. Beim ersten Lebensstart schlug er locker über 1800 Meter immerhin Wai Key Star und lief dabei, als wenn er noch viele, viele Reserven hat. Beim zweiten Start in Hannovers Derby Trial wurde er stark gewettet, weigerte sich aber, seine Startbox zu beziehen. Es folgte ein leichter Erfolg auf der Heimatbahn gegen Draconis und das Alex Ferguson-Pferd Topography. Um das Derby zu gewinnen, ist aber ein weiterer und gewaltiger Sprung zu bewältigen.
So war es im Vorjahr: Nutan siegt überlegen, es war sein letzter Start
Isfahan (Trainer Andreas Wöhler): Inzwischen ist es fast schon eine Rarität, dass der Winterfavorit der Zweijährigen im Deutschen Derby startet. Isfahan bildet da eine Ausnahme, seine gute Youngster-Form bestätigte er mit dem Sieg im Bavarian Classic Anfang Mai. Es folgte der Start im Derby Italiano, wo ihm die Distanz von 2200 Meter deutlich zu lang wurde. Das Derby ist noch mal 200 Meter länger.
Parthenius (Trainer Mario Hofer): Der Start im französischen Prix de Jockey Club scheiterte aus formellen Gründen, auch im Oppenheim-Union-Rennen war er Nichtstarter. Der Bruder des Derbysiegers Pastorius war ein sehr guter Zweijähriger, der erste Start in diesem Jahr im Krefelder Busch-Memorial war schwach. Auf dem Papier nicht unbedingt ein Steher und daher bin ich gespannt, ob Parthenius das Stehvermögen seines Bruders geerbt hat. Wenn, dann ein Pferd für die Überraschung.
Savoir Vivre (Trainer Jean Pierre Carvalho): Die Enttäuschung in der Union, kam da als stark gewettetes Pferd nie ins Rennen. Nach seinem Debüt hoch gehandelt, doch die hohen Erwartungen (Arc-Nennung) hat er in den zwei Starts bislang nicht erfüllt. Mit der Distanz sollte er keine Probleme haben, auf weichem Boden war er zudem schon vorne, aber ansonsten muss sich Savoir Vivre reichlich verbessern.
Berghain (Trainer Jens Hirschberger): Machte in der Union vom letzten Platz noch reichlich Boden gut, ohne die drei Pferde vorne zu gefährden. Damit war die schwache Form aus dem Bavarian Classic vergessen. Lief in Köln wie ein großer Steher, weichen Boden kann er zudem, könnte Potenzial nach oben haben. Vielleicht der Außenseiter für einen Platz. In den gleichen Farben schaffte das schon mal Ransom O'War.
Our Last Summer (Trainer Niels Petersen): Norwegischer Guineas-Triumphator, „verdiente“ sich seinen Platz im Derby durch seinen zweiten Platz im Bremer Derby Trial. Das war der erste Versuch über eine längere Distanz, das Derby ist noch mal 200 Meter länger. Außenseiter.
Licinus (Trainer Yasmin Almenräder): Fünfter im Bremer Derby-Trial, eine Länge hinter Our Last Summer, zeigte dabei guten Speed. Im Mai chancenlos im Bavarian Classic. Außenseiter, aber einer mit ein wenig Charme. Obwohl weicher Boden eher nicht passend scheint.
Noble House (Trainer Mario Hofer): Die beste Form war der dritte Platz im Iffezheimer Derby-Trial, davor erfolgreich in einem Münchner Maidenrennen. Beides über 2000 Meter, ein Erfolg im Derby wäre eine Sensation.
Landin (Trainer Peter Schiergen): Erst drei Starts, die beste Platzierung war der vierte Platz im Bremer Derby Trial. Offenbar viel Stehvermögen, aber das Derby dürfte zu früh kommen oder eine Nummer zu groß sein.
Nimrod (Trainer Peter Schiergen): Im gleichem Besitz wie der Vorjahressieger Nutan. Viel Stehvermögen, aber nach allen Vorformen wäre der Sieg eine Sensation.
Bora Rock (Trainer Peter Schiergen): Noch sieglos und immer relativ weit geschlagen, aber immer von sehr guten Pferden.
Rosenhill (Trainer Gerard Geisler): Immerhin ein Sieg über 1600 Meter, aber nach allen Vorformen nur Riesen-Außenseiter.
Buzzy (Trainer Guido Förster): Hat immerhin schon beim diesjährigen Derby-Meeting gewonnen, am Samstag das Hamburg Huskies über 1800 Meter bei weich bis schweren Boden. Ein Sieglosenrennen, als Mamool-Sohn sollten ihm die 2400 Meter liegen. Aber ein Erfolg wäre ein ähnlicher Kracher wie der von Ako aus dem Jahre 1982.
Zanini (Trainer Karl Demme): Nach neun Starts noch sieglos. Kaum vorstellbar, dass sich dieser Status beim zehnten Start ändert.
Urteil
Favoriten in Rennen wie dem Derby zu wetten ist eigentlich nicht mein Ding. Aber spätestens nach dem Kölner Erfolg in der Union ist der Kolumnist ein Freund von Boscacchio. Denn der Erfolg gegen El Loco und Dschingis Secret war einer quasi mit angezogener Handbremse, bei dem der Schützling von Trainer Christian Sprengel noch einiges in der Hand hatte. Gefährliche Gegner gibt es einige: Dschingis Secret, dem die längere Strecke liegen sollte, Wai Key Star. Aidan O'Brien nennt keinen chancenlosen Kandidaten nach, aber nach den Formen ist Landofhopeandglory schlagbar. Berghain ist ein Außenseiter mit Chancen.