Dienstag, 1. September 2015
Ein letztes Hoch auf den Hurricane
Es war genau der richtige Zeitpunkt: Hurricane Fly, einer der besten Hürdler der letzten Jahre, beendete jetzt seine erfolgreiche Laufbahn. Der Gewinner von 22 Grade 1-Prüfungen, darunter zwei Triumphen in der Champion Hurdle in Cheltenham, geht in den verdienten Ruhestand. nurpferdefussball wünscht ihm noch viele schöne Tage. Und hofft, dass niemand auf die Idee kommt, den Montjeu-Sohn für den Dressursport auszubilden.

Zugegeben, ich bin kein großer Freund von Willie Mullins. Nicht, dass er mich verärgert hätte – ich kenne ihn ja gar nicht persönlich. In Interviews macht er zudem immer einen netten Eindruck und hat auch im größten Stress noch ein paar Worte für die Öffentlichkeit.
Die fachlichen Qualitäten von Irlands Top-Hindernistrainer stehen so und so außer Frage. Mullins ist ein großartiger Trainer, der seine Pferde punktgenau in Form bringen kann. Dazu hat er mit Ruby Walsh einen brillanten Jockey, jemand, der (fast) immer die richtige Entscheidung traf.
Leider haben die meisten Wetter diese Tatsachen mitbekommen und sie kommen die Mullins-Pferde oftmals zu kleinen Kursen an den Start. Und weil ich sehr nicht gerne Favoriten unter Kurs 20 wette, suche ich meist Wett-Alternativen. Daher sind erfolgreiche Tage für Willie Mullins in Cheltenham – und die gab es in den letzten Jahre genügend – meist finanziell nicht gut für mich. Darum die leichte Abneigung gegen den Mann und seine Pferde.
Auch der großartige Hurricane Fly machte mir zweimal den Tipp in der Champion Hurdle in Cheltenham kaputt: Zuerst im Jahre 2011, als der Montjeu-Sohn meinen Tipp Peddlers Cross besiegte. Es war ein großartiger Endkampf zweier toller Athleten: Aber so sehr sich Peddlers Cross und Jason Maguire auch mühten, Hurricane Fly und Ruby Walsh fanden immer eine Antwort.

Eine Legende wie Istabraq
Zwei Jahre später schlug der Hurricane den Kolumnisten-Tipp Rock on Ruby. Auch diesmal wehrte sich der Zweite tapfer, Walsh und sein Partner hatten die Lage jedoch jederzeit im Griff.
Doch zuhause in Irland schien der Wallach, der zudem auf der Flachen in Frankreich ein Listen-Rennen gewann, noch besser zu sein. Auf der grünen Insel blieb er beispielsweise in Leopardstown unbesiegt. Im Januar spielten sich auf dem Rennkurs in Dublin unglaubliche Jubel-Szenen ab: Hurricane Fly kämpfte den alten Rivalen Jezki nieder und holte sich seine fünfte Irish Champion Hurdle in Serie. Ein
Moment
, bei dem ich gerne live dabei gewesen wäre.
Cheltenham aber, meinte Ruby Walsh jetzt, hätte nie die wahre Klasse des Wallachs gesehen. Dort, in der Hochburg des englischen Hindernissports, musste der Hurricane einige schmerzhafte Niederlagen einstecken: 2012 etwa in der Champion Hurdle gegen Rock on Ruby. 2014 überraschte ausgerechnet Jezki den Favoriten Hurricane Fly, der als Vierter erstmals richtig enttäuschte. Die letztjährige Niederlage gegen den Stallgefährten Faugheen, dem neuen Star der Szene, in der Champion Hurdle 2015 war hingegen durchaus ehrenvoll.
„Ganz einfach, Hurricane Fly ist der beste Hürdler, auf dem ich je gesessen habe“, bilanzierte Ruby Walsh. „Der einziger Hürdler, mit dem ich ihm vergleichen kann, ist (der dreifache Champion Hurdle-Gewinner) Istabraq.“
„Er ist ein Pferd, das alle hat: Speed, Stehvermögen und unglaubliche Tapferkeit und Aggressivität“, lobte Willie Mullins und nannte seinen Schützling eine Legende. Dem ist nichts mehr hinzuzufügen. Nur der Wunsch nach vielen netten und unbeschwerten Tagen im Ruhestand.



Donnerstag, 27. August 2015
Nereide, ein deutsches Turfmythos
Sie gilt als Wunderstute und hielt bis 1993 den Rekord für die schnellste Zeit im Deutschen Derby: Nereide blieb in zehn Starts ohne Niederlage. 1936 war das große Jahr der 1933 geborenen Stute. Dabei siegte sie nicht nur in Diana und Derby, sondern schlug auch im damaligen „Braunen Band“ (es war die Zeit des Nationalsozialismus) die Ausnahmestute Corrida, die wenig später im Arc triumphierte.

Das mit der weißen Weste ist bei Rennpferden so eine Sache. Der große Frankel blieb ungeschlagen in seiner glanzvollen Karriere, doch meistens kommt es anders als man denkt. Oder wer hätte vorher einen Gedanken daran verschwendet, dass der aktuelle englische Derby-Sieger Golden Horn diesen Nimbus gegen die Stute Arabian Queen einbüßt?
Unbesiegte Vollblüter aus Deutschland sind einen Seltenheit: Könner wie Sea The Moon, Monsun, Lando, Acatenango, Nebos, Königsstuhl oder Surumu wurden irgendwann alle mal geschlagen. Man muss schon sehr weit zurückgehen, um so ein Pferd zu finden: Die Stute Nereide (geboren 1933, gestorben 1943) fand in zehn Starts keinen Bezwinger.
„Sie war das beste Pferd, das ich je trainiert habe“, bilanzierte später ihr Trainer Adrian von Borcke. Von Borcke war einer der großen Trainer-Namen im damaligen deutschen Turf. Sieben Derby-Sieger trainierte er für das Gestüt Erlenhof, darunter waren Ausnahmepferde wie Ticino und Orsini. Namen, die heute noch einen guten Klang im deutschen Turf haben.
Auch Nereide trug die blau-roten Farben und wurde in Erlenhof gezogen. Über den Vater Laland oder Graf Isolani gibt es nur spärliche Informationen, schon der Doppelname irritiert. In der Datenbank von Turf-Times taucht etwa nur ein zweiter Platz im Großen Preis von Berlin in Berlin-Grunewald als Rennleistung auf.
Mehr weiß die Turfwelt über den Großvater Fels, überlegener Derby-Sieger 1906 und Sohn der legendären Stute Festa aus dem Gestüt Waldfried.
Jedenfalls stammte Nereides Mutter Nella da Gubbio aus der Zucht des berühmten italienischen Züchters Federico Tesio. Ihr Vater Grand Parade siegte unter anderem im Epsom-Derby 1919 und brach dabei eine bemerkenswerte Serie: Nach 106 Jahren war der Hengst wieder das erste schwarze Pferd, das diesen Klassiker gewann.



Ohne Niederlage: Nereide mit ihrem ständigen Jockey Ernst Grabsch.

„Herrlich unkompliziert“
Nereide jedoch war eine Stute mit braunem Fell. „Ein damaliger Betrachter Nereides könnte nicht sagen, dass sie eine Schönheit gewesen sei. Eher war sie etwas grob und schlaksig“, schrieb die leider viel zu früh verstorbene Silvia Wächter, eine großartige Pferde-Kennerin aller Epochen. Aber Nereide sei herrlich unkompliziert gewesen, „brauchte kaum Arbeitseinheiten, kam ohne Führpferd aus, steckte die Rennen flott weg und war frisch und direkt wieder an der Krippe“.
Im Gegensatz zu vielen anderen deutschen Vollblütern war sie zudem eine sehr aktive und herausragende Zweijährige. Fünf Mal sattelte sie Trainer von Borcke, fünf Mal hatte die Erlenhoferin am Zielpfosten die Nase vorn, jedes Mal saß Ernst Grabsch im Sattel.
Am liebsten gewann Nereide Start-Ziel, der Richterspruch lautete in vier von fünf Fällen überlegen oder sehr leicht. Nur im Ratibor-Rennen, dem letzten Rennen zweijährig und damals in Hoppegarten gelaufen, musste die Stute laut Zielspruch ein wenig kämpfen: Auf dem weich bis schweren Boden hatte sie nur eine dreiviertel Länge Vorsprung gegenüber dem Röttgener Wahnfried.
Dreijährig setzte die Stute ihre Erfolgserie fort: Nach einem erfolgreichem Aufgalopp in Hoppegarten über 1600 Meter stand mit dem Preis der Diana der erste Klassiker auf dem Programm. Und Nereide erfüllte die Erwartungen mit einem sicheren Sieg gegen Alexandra und Abendstimmung.
Es folgte der Erfolg im Hamburger Nickel-Eintracht und dann kam das Deutsche Derby in Hamburg-Horn. Das Double Diana und Derby lockte. Es wurde auf Boden, der laut Galopp-Sieger „zur Härte neigend“ war, ein denkwürdiges Rennen. Wir zitieren Turf-Expertin Silvia Wächter, die den Verlauf wunderbar anschaulich beschrieben hat:
„Nach einem Fehlstart wurde der Schlenderhaner Periander, im Sattel Gerhard Streit, unruhig und aufgedreht. Als dann die Flagge zum regulären Start fiel, war Periander nicht mehr zu halten und tobte los. Der Hengst riss das Feld in Fetzen, Nereide folgte ihm fünf bis sechs Längen zurück, hinter ihr waren zwei weitere Pferde, die diese Pace einigermaßen mithalten konnten. Der Rest des Pulks lag hoffnungslos zurück. Aber Periander marschierte weiter Richtung Zielgerade, er brachte das Feld auch in den Einlauf. Rund 400 m vor dem Ziel aber mußte Periander seinem höllischen Tempo Tribut zollen, er wurde müde und kürzer. Nun setzte Ernst Grabsch Nereide ein, die Stute zog mühelos über Periander hinweg. Bis ungefähr 50 m vor dem Zielpfosten ritt Grabsch Nereide aus, dann nahm er die Hände herunter, ließ die Stute ins Ziel trudeln und trotzdem kam es zu dieser Rekordzeit.“
Dieser Derby-Rekord von 2:28,8 für die 2400 Meter war lange etwas für die Ewigkeit. Erst Lando war 1993 schneller, Athenagoras lief immerhin bei seinem Erfolg 1973 die gleiche Zeit wie die Stute.

Triumph über eine Arc-Siegerin
Es war die Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland und natürlich instrumentalisierten die Verbrecher in den braunen Uniformen auch den Rennsport. Mit dem Braunen Band von Deutschland wollten die NS-Initiatoren ein „hervorragendes rein deutsches Gegenstück zu dem englisch geprägten Derby und dem französisch beeinflussten 'Großen Preis von Baden' schaffen, den beiden traditionell bedeutendsten und höchstdotierten deutschen Galopprennen“.
Dort in München 1936 schlug in dieser mit 100 000 Reichsmark dotierten Prestige-Prüfung vielleicht die größte Stunde von Nereide: Die ein Jahr ältere französische Spitzenstute Corrida hatte nicht den Hauch einer Chance. Charles Elliot, der Jockey der Unterlegenen, lobte nach der Niederlage die Siegerin in höchsten Tönen. Es gebe in Europa wohl kein zweites Pferd, das so gegen Corrida gewinnen könne, sagte er. Er hatte Recht: Ohne Nereide triumphierte sein Pferd im Arc und wiederholte den Erfolg ein Jahr später.
Doch für die deutsche Ausnahme-Stute war die Gala-Vorstellung im Braunen Band der letzte Start. Ungeschlagen nahm das Gestüt Erlenhof sie in die Zucht. Dort starb Nereide 1943 bei der Geburt eines Fohlens. Leider verhinderten die Wirren des Zweiten Weltkriegs und viel Pech, dass die Stute einen großen Zuchteinfluss in Deutschland hatte. Schade bei einem Pferd dieser Klasse.

Weitere Quellen:
Wikipedia
Galopp-Sieger

Korrektur
Der Sieg in der Diana war nicht der erste Klassiker, den Nereide für sich entschied. Der erste Klassiker-Sieg war im Kisasszony-Rennen in Hoppegarten über 1600 Meter, den heutigen 1000 Guineas. Danke für den Hinweis.



Dienstag, 25. August 2015
Trotz allem eine „unglaublich schöne und spannende Zeit“
Der Traum vom Fußball-Profi. Fritz hat ihn bei Hertha BSC geträumt und seine Eltern haben ein Buch darüber geschrieben. „Mama, Papa, ich werde Fußball-Profi“, haben es Ursula Engel und Bernd Ulrich genannt. Beide sind Journalisten – die Mutter arbeitet frei, der Vater ist bei der Wochenzeitung Die Zeit.

Es ist ein steiniger Weg vom hoffnungsvollen Nachwuchsspieler zum Profi. Im aktuellen Kader von Hertha BSC Berlin sind nach dem Verkauf von Nico Schulz nach Mönchengladbach nur zwei Feldspieler aus dem eigenen Nachwuchs: John Anthony Brooks und Änis Ben-Hatira. Einige Spieler aus den Berliner Junioren-Teams kicken bei anderen Profivereinen, die bekanntesten sind wohl Weltmeister Jerome Boateng und der bei Schalke nicht mehr erwünschte Kevin Prince Boateng. Aber die meisten, die im letzten Junioren-Jahr bei den Profiklubs in den Nachwuchs-Bundesliga spielen, schaffen den Sprung nicht.
„Der Vater und ich, wir haben uns nicht gewünscht, dass unser Sohn Fußballprofi wird“, schreibt die Mutter Ursula Engel im Vorwort. Doch der Sohn Fritz ist ein begabter Fußballer, so gut, dass er von seinem kleinen Verein den Sprung zum Bundesligisten Hertha BSC schafft. Und die Eltern begleiten ihn auf diesem Weg.
Es ist ein spannendes Buch: Über den Jugendfußball, über die kleineren Vereine und die dortigen Trainer, über die Eltern, ihre Kameradschaft untereinander, aber auch ihre Konkurrenz untereinander, über die Ausbildung bei einem Bundesliga-Club. Die Eltern sind auch bei Fritz immer dabei, gucken sich jedes Spiel ihres hoffnungsvollen Filius an.
Manchmal hat das Buch auch seine lustigen Stellen. Die Eltern von Fritz zählen zur gehobenen Mittelklasse, bei vielen ihrer Bekannten aus diesem Milieu gelten Fußballer als prollig. Ach, diese Standesdünkel, in Dortmund undenkbar.

Druck
Ab 2008 spielt Fritz bei der Hertha. Da ist er 12 Jahre alt. Die Trainingsbelastung steigt, doch seine Schulnoten verschlechterten sich nicht. „Unser Sohn war der lebende Beweis, dass es möglich war, dieses immer kurioser werdende Schulsystem zu bewältigen und gleichzeitig Leistungssport zu treiben“, schreibt die Mutter. Viele ihrer Bürgertum-Bekannten sind erstaunt.
Auch bei Hertha läuft es für Fritz gut. Obwohl nach jedem Jahr neu gesiebt wird und andere Spieler den Verein verlassen müssen, hält er dem Druck stand und schafft den Sprung in die nächste Altersstufe. Bis ihn eine Verletzung stoppt und der Verein ihn in der U17 wegschickt.
An den besten Stellen ist das ein großartiges Buch, weil es gute Einblicke in die Nachwuchsarbeit eines Profi-Clubs bietet. „Wenn Fritz den Druck nicht aushält, dann wird das eh’ nichts“, sagt ein Hertha-Funktionär zu den Eltern. „Auf Einzelschicksale können wir keine Rücksicht nehmen.“ Die Eltern sind entsetzt.
Auch wenn der Rauswurf weh tat. „Es war eine unglaublich schöne, spannende Zeit, bis eben auf die letzten beiden Jahre, doch selbst da gab es einzigartige Momente, auch die Kameradschaft hörte nicht auf,“ bilanziert der Vater. Weil eben die wenigsten Talente den Sprung in die Bundesliga schaffen.

Urteil:
Sehr interessantes Buch über den Fußball und seine Träume.

Ich wusste, woher ich Fritz kannte. Er war neben seinem Mitspieler Bilal Teil einer sehr interessanten Langzeit-Studie in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.