Mittwoch, 25. März 2015
Ein Leben ohne den kicker?
Ungewohnt, so ein Montag ohne die frische Ausgabe des kicker sportmagazins. Das Ende einer Beziehung, die fast ein Leben lang dauert? Manchmal muss man sich eben existenziellen Fragen stellen.

Es ist eine lange Beziehung zwischen dem Kolumnisten und dem Fachblatt mit Sitz in Nürnberg: Seit 1973 habe ich an ungefähr an 99 Prozent aller Montage „die Bibel des deutschen Fußballsports“ gelesen. Nun nicht mehr, seit zwei Wochen verzichte ich auf die Lektüre – theoretisch, denn letzte Woche konnte ich nicht widerstehen und habe das Fachblatt im Geschäft gekauft.
Generell aber gilt: Ich habe mein kicker-Abonnement gekündigt, weil ich andere Prioritäten setzen wollte und in manchen Wochen speziell die Donnerstags-Ausgabe fast ungelesen ins Altpapier wanderte. Wenn ich etwas nicht mag, dann ist das, eine Sache zu bezahlen und nicht zu nutzen.
Der kicker, werden manche jetzt sagen, ist doch so und so stocklangweilig. Eben alte Schule. Flache Texte, der ganze Daten-Wirrwarr aus Tabellen und Statistiken? Braucht man so was heute noch?

Nix Boulevard
Antwort: Im Prinzip nein. Zumindest muss man heute nicht mehr unzählige Bäume fällen, um sich über die Bundesliga zu informieren. Aber der kicker hat auch seine Qualitäten – etwa eine Berichterstattung ohne die boulevardeske Hysterie von Bild und Sport-Bild.
Die besten Geschichten stehen sowieso auf den hinteren Seiten, die Interviews mit den sogenannten Stars auf den ersten Heftseiten fallen meist recht flach aus. Was nicht immer am Fachblatt liegt – ein Mario Götze oder Mesut Özil erzählen einfach nicht viel. Zudem sorgen die Pressestellen der Vereine manchmal für keimfreie Interviews.
Dennoch werde ich jetzt mal verstärkt die Alternativen probieren – den großartigen Linkdienst Fokus Fussball etwa. Dieser erwirbt schon dadurch Meriten, dass er auch Texte dieser Kolumne verlinkt. Oder etwa Spox, auf deren Seite ich manchmal ganz interessante Interviews finde. Die 11 Freunde online sind auch immer einen Besuch wert, obwohl manche Gags inzwischen einen Bart und manche Redakteure schöne graue Haare bekommen haben. Ja, wir werden alle alt.
Print würde ich mehr auf die Süddeutsche Zeitung zurückgreifen. Dazu kommt zudem die lokale Tageszeitung Ruhr Nachrichten, die zumindest den BVB und den lokalen Fußball ausführlich dokumentieren.



Eine Ausgabe aus dem Jahr 1977: Rolf Rüssmann (Schalke 04) gewinnt das Kopfball-Duell gegen Hans-Jürgen Wittkamp und Jupp Heynckes (Borussia Mönchengladbach

Lektüre unter der Schulbank
Aber es ist ohne Zweifel das Ende einer langjährigen Beziehung. Meinen ersten kicker habe ich mit zehn Jahren in unserem Dorfladen im Sauerland gekauft und danach gab es kaum einen Montag oder Donnerstag ohne das Fachblatt. In der Schule habe ich ihn heimlich unter der Bank gelesen, die unzähligen Statistiken führten zu weiteren Statistiken daheim.
Ob Schule, Ausbildung, Bundeswehr, Studium, Beruf, Arbeitslosigkeit oder Freiberuflichkeit – der kicker war in allen Phasen dabei. Oder anders gezählt: Bei elf Fußball-Weltmeisterschaften begleitete mich das Blatt.
Dabei nervte mich schon früher manches: Die manchmal etwas phrasenhafte Sprache, die oft biedere und altbackene Berichterstattung. Und dann diese oft kritiklose Nähe zu DFB, UEFA oder FIFA. Das war früher viel schlimmer, heute gibt es zumindest leise Kritik am DFB. Und die FIFA stößt auch beim kicker nicht mehr auf Verständnis. Über die Jahre hinweg war es dennoch eine ordentliche Leistung der Zeitschrift, nach Ranglisten-Kriterien eine vordere Platzierung im „weiteren Kreis“.
Ganz zu Ende ist die Beziehung auch nicht: Zumindest am Montag werde ich den kicker häufig am Kiosk kaufen. Oder vielleicht mehr: Nach meiner Kündigung rief ich mich eine nette Dame des Olympia-Verlags an. Und machte ein Angebot, das man eigentlich nicht ablehnen kann.



Donnerstag, 19. März 2015
Mehr Licht als Schatten dank PMU
Eigentlich war es noch mal ein ganz netter Renntag gestern in Dortmund. Einige interessante Prüfungen mit ein paar Formpferden, auch wenn die Starterfelder schon ein wenig dünn waren. Zudem erinnerten die Prüfungen an bekannte Pferde des so tragisch verstorbenen Dortmunder Trainer-Urgesteins Norbert Sauer, in dessen Namen auch die wichtigste Prüfung des Tages gelaufen wurde. Aber dennoch: So langsam wird es wieder Zeit für den „richtigen“ Sport auf Gras. Zum Glück beginnt am Sonntag die Grasbahn-Saison in Krefeld, auch wenn am Montag noch einmal ein Renntag auf dem Allwetter-Geläuf in Neuss geplant ist.

Wie war also die Winterbahnsaison 2014/2015 in Deutschland?
Grundlegend positiv, denn erst einmal fehlte in diesem Jahr die übliche schlechte Laune, wenn es um die Sandbahnrennen in Dortmund und Neuss geht. Der Winterblues der vergangenen Jahre blieb weg. Das mag zum großen Teil daran liegen, dass dank der Unterstützung des französischen Wettanbieters PMU die finanzielle Ausstattung sich deutlich besserte. 6000 Euro Preisgeld für einen Ausgleich IV und 8000 Preisgeld für einen Ausgleich 3 gab es früher nicht. Damit sind diese Rennen für die Basis ganz ordentlich dotiert.

Der Haken? Jeder Vorteil hat auch einen Nachteil: Weil die PMU die Rennen finanziert, bestimmt sie auch die Termine. Und da die Hauptzeiten den Bahnen in Frankreich gehört, bleiben für die deutschen Veranstaltungen nur Wochen- oder Sonntage mit Beginn ab 17 Uhr. Erwartungsgemäß hält sich zu diesen Zeiten der Besucherandrang in Grenzen, manchmal trafen sich auf den Rennbahnen nur die Aktiven. Diesen Eindruck vermittelten zumindest die TV-Bilder. Es fehlte deutlich an Atmosphäre.
Auch die gestrige Veranstaltung sorgte nicht gerade für Zuschauerrekorde, zumal zeitlich wenig später und geographisch ca. vier Kilometer weiter westlich Borussia Dortmund gegen Juventus Turin im Achtelfinale der Champions League spielt. Da sitzt der Dortmunder doch lieber auf dem heimischen Sofa bzw. genießt die Live-Atmosphäre des Signal-Iduna-Parks. Wobei von genießen gestern wahrlich nicht die Rede sein konnte.
So lange die PMU allerdings die Rennen finanziert, wird sich an den Terminen wenig verändert. Denn ohne die Gelder der Franzosen würde es wahrscheinlich keinen Wintersport in Turf-Deutschland geben. Und früher – wo angeblich ja immer alles besser war – gab es auch an den Sonntagen im Winter keine Besucher-Rekorde.



Selbst der Bratwurst-Profi soll an manchen Wochentagen auf der Dortmunder Rennbahn gefehlt haben. Wenn das so gewesen ist, sehr bedauerlich. Dieses Foto stammt aus dem Winter 2011

Die Bahnen? Auch hier nichts Neues. Beiden Bahnen fehlt es einfach an Atmosphäre, dazu müsste das Geläuf auf beiden Kursen dringend mal überarbeitet werden. Dafür fehlt jedoch das Geld und wenn es dann wie in diesem Jahr ein relativ harmloser Winter ist, kommt man mit einem blauen Auge davon, weil eben die Extreme wegfallen.
Mich persönlich nervt an beiden Rennkursen, dass kaum Pferde von hinten nach vorne kommen und der Kandidat oft von Beginn an im Vorderfeld platziert sein muss. Gerade in Neuss fällt Speed-Pferden das Gewinnen unheimlich schwer. Diese Erkenntnis ist nicht neu, aber sie macht viele Prüfungen langweiliger.

Sportliche Bilanz? Die Resonanz seitens der Ställe war da, die Felder waren in der Regel quantitativ gut besetzt. Je drei Rennen gewannen Walkabout (Trainer der verstorbene Norbert Sauer), Victorious, Endoran (beide Trainer Andreas Bolte), Dragoslav (Trainer Wilfried Schütz) sowie Emirati Spirit (Trainer Mario Hofer), dazu avancierten unzählige Pferde zu Doppelsiegern. Ich würde mir noch ein paar bessere Handicaps wünschen, weil es für viele Spezialisten einfach keine Startmöglichkeiten mehr gibt.

Persönliches Highlight? Eigentlich habe ich relativ wenig gemacht, allerdings gab es im Dezember mit Pretty Highness zum Toto 168 einen wirklichen Höhepunkt. Zwar nur für kleines Geld, aber drin ist drin. Das Ganze auch noch auf der Bahn in Neuss, wo ich sonst nie etwas treffe.



Mittwoch, 11. März 2015
Alles Mullins beim Cheltenham-Festival
Eine Inszenierung, die nur der Rennsport so gestalten kann. Drei Rennen hatte das irische Dream-Team mit Trainer Willie Mullins und Jockey Ruby Walsh bereits am ersten Tag des Cheltenham-Festivals gewonnen. Die heißen Favoriten Douvan, Un De Sceaux und Faugheen hatten leicht gepunktet, die berühmten „Ruby, Ruby-Rufe“ tönten laut über die Rennbahn. Alle warteten auf Annie Power in der Mares Hurdle, die nach Vorleistungen deutlich über dem Feld stand und als klare Favoritin an den Start ging.

Annie ging fantastisch, zog leicht in Front, doch das Drama nahte in Gestalt der letzten Hürde. Die Stute sprang einen Hauch zu früh ab, stolperte und beförderte Ruby Walsh aus dem Sattel. Pferd und Reiter waren zum Glück schnell wieder in Ordnung, doch nichts war es mit dem vierten Favoritensieg für Mullins/Walsh. Kleiner Trost für den Trainer: Die Erste Glens Melody wird ebenfalls betreut von Willie Mullins.
Die Buchmacher kamen nach eigenen Angaben mit einem blauen Auge davon. „Jeder Ire hier auf der Bahn hat diese Pferde in Schiebewetten gespielt“, sagte Buchmacher Ray Mulvany auf Channel 4. „Ich bin schon ein wenig ängstlich“, erklärte eine Buchmacherin schon nach den Erfolgen von Douvan und Un de Sceaux.
Viele Engländer müssen es den Iren nachgemacht haben und die Favoriten DouvanUn De Sceaux (1,66), Faugheen (1,8) und Annie Power (1,5) geschoben haben. Doch Annie „rettete“ die Wettunternehmen.
Für die Buchmacher sind diese Tage auch schöne PR. Da kann man betonen, dass auch der Wetter mal gewinnt, aber ansonsten haben sie die Nase vorn. Wer das nicht glaubt, möge sich nur mal die Zahlen von Ladbrokes, William Hill und co. anschauen.

Champions League
Es war ein denkwürdiger Tag: Fünf Mal siegten die Gäste aus Irland, vier Mal allein Trainer Willie Mullins. Dieser sattelte auch die ersten drei in der Champion Hurdle mit Faugheen, Arctic Fire und Altmeister Hurricane Fly. Alle drei liefen ein fantastisches Rennen.
Die Pferde von Willie Mullins sind das „FC Bayern des Rennsports“. Denn keiner seiner Kollegen trainiert so ein hochkarätiges Aufgebot. Douvan, Un De Sceaux, Faugheen oder auch der in Deutschland gezogenen Arctic Fire sind Kandidaten, die die Gruppe 1-Rennen im Hindernissport über Jahre dominieren können. Hinzu kommt Stalljockey Ruby Walsh, vielleicht der beste Taktiker unter den Reitern und speziell in Cheltenham noch famoser als sonst.
Leider sind Mullins-/Walsh-Tage für mich keine Glückstage, weil deren Pferde mir immer zu tief stehen und ich ungern Kandidaten unter Toto 2 wette. Meine Wetten des ersten Tages kamen nicht an, aber das Cheltenham-Festival ist eben die Champions League. Nirgendwo ist es schwerer zu treffen, Erfolge dort sind allerdings Meilensteine.
Am Dienstag habe ich das Festival auf Channel 4, dem englischen TV-Sender, geguckt. In den englischen Rennforen und bei Facebook wird häufig über die Übertragungen gelästert, aber aus deutscher Sicht sind sie das Paradies. Weil es in Deutschland so etwas nicht gibt.

Mittendrin statt nur dabei
Allein der personelle Aufwand vor den Kameras ist immens: Drei Mitarbeiter im Studio analysieren das Geschehen, zwei sind bei den Buchmachern, zwei sind zuständig für die schnellen Interviews, dazu noch Moderatorin Clare Balding (die ebenfalls Interviews führt) und Ex-Jockey Mick Fitzgerald.
Zudem produziert Channel 4 fantastische Bilder, die die Atmosphäre großartig wiedergeben. Besonders die Bilder aus der Panorama-Kamera sind famos. Ich habe mich noch bei keiner Veranstaltung so „mittendrin“ gefühlt. Die Bilder von Racing UK sind schon deutlich besser als die von den deutschen Bahnen, aber Channel 4 ist noch mal eine Liga besser. Da verzeihe ich einige Plattheiten doch gerne.