Dienstag, 16. September 2014
Das Recht zu pfeifen
Manchmal nerven Medien und Öffentlichkeit einfach nur. Zum Beispiel wenn sie den Moralapostel mimen und das Verhalten anderer brandmarken. Etwa die Tatsache, dass der Fußball-Fan abtrünnige Spieler wie Mario Götze und Manuel Neuer bei ihrer Rückkehr an die alte Wirkungsstätte nicht mehr auspfeifen soll. Das ist totaler Humbug – die Fans, die im Gegensatz zu diesen Söldnern ihrem Verein auch in schlechten Zeiten folgen, haben ein Recht zu pfeifen.

Zum Beispiel Mario Götze. Der hochbegabte Nationalspieler und neuerdings „WM-Held“ gilt nach seinem dubiosen Wechsel von Borussia Dortmund zum Erzrivalen Bayern München quasi als unerwünschte Person in Dortmund. Und zu Recht: Götze stärkte mit seinem Wechsel einen Mitkonkurrenten und verdient keine Nachsicht. Wenn er nach Madrid oder Manchester gewechselt wäre, dann wäre das in Ordnung gewesen. Aber FC Bayern? Vielleicht betrachtet er das Mehrgeld, das er dort verdient, einfach als eine Art Schmerzensgeld. Und mit Pfiffen muss er als Profi leben. Da kann BVB-Boss Hans-Joachim Watzke noch so sehr um Nachsicht betteln. Auch in den nächsten Jahren bleibt Mario Götze ein rotes Tuch bei Schwarz-Gelb.

Ob Weltmeister oder nicht
Zum Beispiel Nationalkeeper Manuel Neuer, seit 2011 ebenfalls beim Rekordmeister aus München. Auch heute pfeifen ihn die Schalker Anhänger immer noch aus, wenn er mit dem FC Bayern in die Arena zurückkehrt. „Fies und kleingeistig“ nennt Hermann Beckfeld diese zuschauer.
Beckfeld ist Chefredakteur der in Dortmund erscheinenden Tageszeitung Ruhr-Nachrichten und schreibt in der Wochenend-Ausgabe des Blattes immer Briefe an bekannte Personen. Die sind ein Highlight der Ausgabe und immer eine lohnende Lektüre, weil Beckfeld ein sehr guter Schreiber ist. Inhaltlich teile ich nicht alles – und in Sachen Neuer liegt der Herr Chefredakteur einfach mal falsch.
Zumal er schon am Anfang ziemlich auf die Emotionen seiner Leser schielt. „Lieber Manuel…..„für die (Schalker Fans) waren Sie der Judas, der Schalke verraten, der seine Leidenschaft für die Knappen verkauft hat.“
Dann geht es richtig auf die Tränendrüse. Der Weltmeister, der immer ein Schalker geblieben ist. Der heute noch zu den Schalker Fans winkt. Der Junge, der einst in der Nordkurve stand. Der extra früher ins Stadion kam, um Jens Lehrmann beim Aufwärmen zu sehen. Tja, mein lieber Hermann Beckfeld, wenn man schon so lange auf Presse- und VIP-Tribünen sitzt, dann weiß man nicht, dass die Fanblöcke schon gefüllt sind, wenn die Torhüter ca. 40 Minuten vor Anpfiff den Rasen betreten.
Der Brief ist eine einzige peinliche Anbiederung an Manuel Neuer – vom beruflichen Aufsteiger quasi zum sportlichen Emporkömmling. Da ist man schon gerne mal auf einer Wellenlänge.

Königsklasse
Aber wenn Neuer immer noch ein Schalker ist, warum ist er dann nicht dort geblieben? Vielleicht, ganz zaghaft angemerkt, spielt doch das liebe Geld eine Rolle. Champions League kann er doch auch mit Königsblau spielen und wenn er dann mal Meister werden würde (ein ganz starker Dortmunder Konjunktiv), dann würde es eine epochale Feier geben und nicht so einen müden Ringelpiez wie in München. Ein großartiger Schlussmann war unser Herzens-Knappe auch schon auf Schalke. Manche Experten meinen zwar, er habe sich beim FCB weiter verbessert, doch diese schreien ja auch bei jeder halbwegs passablen Parade sofort Weltklasse.
Und dann noch das Argument mit dem Weltmeister, auf die wir doch so stolz sein können. Meine Güte, Vereinsfußball ist etwas anderes als die Nationalmannschaft. Meine zweite Reaktion nach dem 2:1 durch Mario G. im WM-Finale war „Ausgerechnet der Götze“.
Wenn Götze und Neuer mit der Nationalmannschaft nach Dortmund und Gelsenkirchen kommen, muss man natürlich nicht pfeifen. Ist ja Nationalmannschaft…



Mittwoch, 10. September 2014
Ivanhowe wie einst Lando
Das Schöne, aber auch Schreckliche am Pferderennen? Man weiß nie, wie es ausgeht. So schlug der hochbegabte, aber unbeständige Ivanhowe den ebenso hochbegabten, aber beständigen Sea The Moon im Großen Preis von Baden – und damit hatte kaum einer gerechnet.

Wenn ich das Rennen wie früher oft beim Buchmacher gesehen hätte, dann wäre es nach diesem Resultat erst einmal einen kleinen Moment ganz ruhig gewesen. Dann wäre irgendeiner gekommen und hätte gesagt „Ich habe es doch gewusst“. Vielleicht hätte er auch noch den Sieger gewettet und würde jetzt den Schein schwenken. Aber die meisten hätten geschwiegen – ein Schockresultat.
Es gibt keine Unverlierbaren im Rennsport und an diesem Sonntag in Iffezheim war der Schlenderhaner das eindeutig bessere Pferd. Ivanhowe zeigte sein herausragendes Potenzial und siegte leicht gegen den Favoriten Sea the Moon. „Das ist das beste Pferd, das ich bisher geritten habe“, sagte Jockey Filip Minarik nach dem überzeugenden Drei-Längen-Sieg von Ivanhowe und nannte ihn ein „Ausnahmepferd“. „Es ist ein Klassepferd“, erklärte Trainer Jean-Pierre Carvalho, „aber ich wusste nicht so genau, wo wir stehen. Eigentlich dachte ich, dass wir noch zwei, drei Wochen Zeit benötigen.“
Zu erwarten war dieser Erfolg nicht unbedingt. Zum einen war Ivanhowe laut Trainer ja gar nicht bei 100 Prozent, zum anderem war die Stallform der Schlenderhan-/Ullmann-Pferde während der Großen Woche durchgehend schlecht. Am Freitag enttäuschte der hochgehandelte Ito etwa als 18:10-Favorit in einem allerdings stark besetzten Ausgleich 1. Und auch ansonsten war das konstanteste an den Schlenderhaner Startern in den letzten zwei Jahren die fehlende Konstanz.
Ivanhowe ist das beste Beispiel: Der tollen Leistung im Gerling-Preis folgte der Flop in Chantilly, nach dem Union-Triumph im letzten Jahr kam der Einbruch im Derby. Nach einer Pause lief Ivanhowe aber immer gute Rennen.
Doch auf dem Wettschein hatte ich den Schlenderhaner nicht. Irgendwie erinnern mich solche Überraschungen immer an den Derby-Sieg 1993 von Lando. Der war zweijährig der Winterfavorit und das Top-Pferd des Jahrgangs, enttäuschte aber dreijährig. Doch im Derby platzte dann wieder der Knoten – nur die meisten Wetter hatten ihn vergessen.

Auch nicht 100 Prozent
Und Sea The Moon? Nach dem Großen Preis kursierten im Netz mal wieder die Gerüchte, einer hatte ihn sogar lahm aus dem Rennen kommen sehen. Dass der Hengst nicht bei 100 Prozent war, hatte Trainer Markus Klug schon vorher erklärt.
Angesichts dieser Tatsache ist der Görlsdorfer gar nicht so schlecht gelaufen. Auffällig war aber schon die tiefe Kopfhaltung (das mögen die absoluten Pferde-Experten interpretieren), zudem konnte STM diesmal auf den letzten Metern nicht mehr zulegen.
Manche Beobachter sagen jetzt, dass Sea The Moon doch überbewertet sei, zumal er im Hamburger nur Durchschnitt besiegt habe. Das ist völliger Humbug, auch wenn Lucky Lion, der Zweite aus Hamburg und ganz klar die Nummer 2 des Jahrgangs, diesmal chancenlos war und eigentlich aus der Startmaschine geschlagen war. Aber Sea The Moon war im Derby so überlegen und hätte noch überlegender gewonnen, denn Christophe Soumillion ließ ihn regelrecht austrudeln, weil das Rennen entschieden war. Diese Form war die beste, die ich in 30 Jahren Derby gesehen habe.
Ivanhowe und STM werden wahrscheinlich im Arc aufeinander treffen, für den Görlsdorfer ist endlich eine realistische Quote erhältlich. Beide werden sich in diesem Monstererennen noch mal steigern müssen, aber so schlecht sehe ich ihre Chancen nicht. Zumal auch die europäische Konkurrenz ihre Dämpfer erhalten hat und beim japanischen Top-Starter Just A Way zwar mächtig viele Einsen stehen, die Distanz von 2400 Metern aber ein großes Fragezeichen ist.



Freitag, 5. September 2014
Kein Spaziergang für Sea The Moon
Von wegen Mini-Besetzung: Der Große Preis von Baden (Gruppe 1, 2400 Meter, Sonntag 16.50) lockt mit einer tollen Besetzung und ist wahrlich ein Höhepunkt der Großen Woche in Iffezheim. Dabei hatten viele befürchtet, dass der herausragende Derbysieger Sea The Moon die Gegner abschreckt.
Doch Trainer und Besitzer sehen ihre Chancen: So schickt Trainer Andreas Löwe seine Top-Dreijährigen Lucky Lion und Sirius ins Rennen. Der an guten Tagen grandiose Ivanhowe, die formstarke Stute Berlin Berlin, Derbysieger 2013 Lucky Speed und die neue Wöhler-Hoffnung Terrubi vertreten unter anderem die ältere Generation. Starter und Chancen.


1. Amonit (Trainer Jens Hirschberger/Jockey Anthony Crastus): Derbysieger in Russland, seit diesem Jahr trainiert von Jens Hirschberger. Ein Start 2014 auf sehr weichem Boden in Deauville, dort abgeschlagen Letzter. Schwer vorstellbar.

2. Iniciar (Trainer Jean Pierre Carvalho/Jockey Gerald Pardon): Talentierter Schlenderhaner, beste Form war wohl der vierte Platz im Kölner Gerling-Preis im Mai. Dort lief er von der Spitze ein beherztes Rennen und hielt lange stand. Zuletzt aber chancenlos im Großen Preis von Berlin. Außenseiter.

3. Ivanhowe (Trainer Trainer Jean Pierre Carvalho/Jockey Filip Minarik): In Bestform ein herausragender Kandidat, das stellte der Schlenderhaner eindrucksvoll im Gerling-Preis nach schlechtem Rennverlauf und besonders im Union-Rennen 2013 unter Beweis. Den anderen Ivanhowe sah man zuletzt in Chantilly und im letztjährigen Deutschen Derby. Dort zündete sein Speed überhaupt nicht. Letztes Rennen im Juni, läuft nach einer Pause aber immer gut. Sehr interessanter Kandidat.

4. Lucky Speed (Trainer Peter Schiergen/Jockey Adrie de Vries): Derbysieger 2013 nach einem tollen Ritt von Andrasch Starke. Starke ist bekanntlich noch verletzt, aber an Adrie de Vries liegt es nicht, dass Lucky Speed in diesem Jahr noch sieglos ist. Die letzte Form aus Hoppegarten war schon besser als die Hamburger Vorstellung, wo sich der Silvano-Sohn extrem schwer tat. Trotzdem wäre Lucky Speed hier eine Überraschung. Die Meetingsform von Peter Schiergen ist zudem schwach in diesem Jahr.

5. Night Wish (Trainer Wolfgang Figge/Jockey Alexander Pietsch): In diesem Jahr noch mal gesteigert, hat den Platz in diesen Prüfungen durchaus verdient, nach allen Vorformen aber Außenseiter.



Man entschuldige die etwas maue Bildqualität, aber es war schon ein packendes Rennen 2007: Der schwarz-gelbe Globetrotter Quijano schlägt den Schlenderhaner Adlerflug.


6. Terrubi (Trainer Andreas Wöhler/Jockey Eduardo Pedroza): Der große Unbekannte im Feld. Seit Juli im Stall von Andreas Wöhler, vorher bei Trainer Pascal Bary in Frankreich. Die Besitzer kommen aus Australien und der Schimmel ist natürlich ein Kandidat für den Melbourne Cup. Nachgenannt, zuletzt Gruppe 2-Sieger auf sehr weichem Boden über 2800 Meter, gut gesteigert, mag schweres Geläuf und ein großer Steher. Und das ist etwas, was mich ein wenig stört: Diesen Pferden fehlt oft ein wenig der Speed, um auf kürzeren 2400 Metern gegen die Besten zu bestehen. Dennoch ein interessanter Kandidat.

7. Berlin Berlin (Trainer Markus Klug/Jockey Frederik Tylicki): Sehr beständige Stute, zuletzt Zweite hinter Sirius im großen Preis von Berlin. Den Löwe-Schützling trifft sie jetzt ein halbes Kilo günstiger. Zweite Görlsdorfer Farbe, soll nicht als Tempomacher für den Stallgefährten Sea The Moon agieren. Berlin Berlin müsste aber ihre Bestform noch mal steigern, um hier eine Chance zu haben.

8. Giant’s Cauldron (Trainer Peter Schiergen/Jockey Andreas Helfenbein): Gewann zuletzt eine leichte Aufgabe souverän in Krefeld und legte damit endlich seine Maidenschaft ab, bekam aber davor seine Grenzen in Union und Derby aufgezeigt. Der Schiergen-Schützling müsste sich schon gewaltig verbessern, um hier erfolgreich zu sein.

9. Lucky Lion (Trainer Andreas Löwe/ Jockey Ioritz Mendizabal): Das beste deutsche Pferd des Jahrgangs, wenn es nicht einen gewissen Sea The Moon geben würde. Ungemein formbeständig in diesem Jahr, zeigte zuletzt in München über 2000 meter eine großartige Leistung, als er den guten Engländer Noble Mission besiegte. Zeigte im Derby, dass er auch 2400 Meter kann. Auf dem Papier der Hauptgegner für Sea The Moon, auch wenn ich Lucky Lion über kürzere Distanzen noch stärker einschätze.

10. Sea The Moon (Trainer Markus Klug/Jockey Mirco Demuro): Das neue Wunderpferd des deutschen Turfs, gewann das Deutsche Derby mit sensationellen elf Längen. Nach dieser Form kaum schlagbar und auch davor sehr beeindruckend trotz Unreife. Das Rennen in Baden soll der Aufgalopp zum Arc, sprich noch höheren Aufgaben, sein. Im Internet gab es heftige Spekulationen, ob er denn läuft.

11. Sirius: Trainer Andreas Löwe/Jockey Stephen Hellyn): Ein weiterer toll gesteigerter Dreijähriger aus dem Formstall von Andreas Löwe. Kam quasi über den kleinen Dienstweg, siegte in Iffezheim im Derby-Trial und danach zwei starke Formen gegen die älteren Pferde, zuletzt Sieger im Großen Preis von Berlin und zeigte viel Speed. Könnte noch etwas im Tank haben, für mich das Pferd für die Überraschung. Seinem Jockey Stephen Hellyn gelingt derzeit fast alles.

Urteil
Eigentlich eher ein Rennen zum Genießen als zum Wetten. Sea The Moon steht schon über dem Feld, alles andere als ein Sieg wäre eine Überraschung. Ich versuche es mal mit einem Einlauf Sea The Moon und Sirius und mache diesen natürlich auch zurück. Man weiß ja nie und Unverlierbare gibt es nicht im Turf.