Montag, 14. Juli 2014
Wir Weltmeister
Gestatten, ich bin Weltmeister. Fußball-Weltmeister. Auch wenn ich aktiv sportlich in meiner Glanzzeit höchstens um lokale Ehren gekämpft habe. Aber egal – wir, das heißt alle Deutschen, sind Weltmeister. Auch ohne direkte Beteiligung, sagen zumindest Bild und Co.

Dabei nenne ich den Spieler, der das goldene Tor im Finale gegen Argentinien schoss, manchmal „Judas“. Weil er vom geliebten BVB zum ungeliebten FC Bayern wechselte und dort eine neue sportliche Herausforderung suche, sagt er. Weil er dort viel mehr Geld als in Dortmund verdient, sage ich. Dreimal soviel wie Toni Kroos, stand in der seriösen Frankfurter Sonntagszeitung. Und darum verlässt wahrscheinlich Kroos Bayern München und geht zu Real Madrid.
Dabei war Kroos einer der besten Spieler dieser WM, Mario Götze hingegen bis zu seinem Tor höchstens Mitläufer.
Das Tor hat Götze natürlich großartig gemacht. Technisch hoch anspruchsvoll, aber dieses technische Vermögen hat er auch ja in der Jugendabteilung von Borussia Dortmund verfeinert.

Kleber
Fußball-Weltmeisterschaften sind schon eine tolle Sache. Vier Wochen dreht sich alles um die „schönste Nebensache der Welt“. Das mit der Nebensache ist natürlich Humbug. Fußball ist das Wichtigste auf der Welt und der Klebstoff, der eine Gesellschaft zusammenhält. Viel mehr als Politik. Wie die Nationalmannschaft bei einer WM abschneidet, bestimmt die Stimmung eines Landes.
Die Nation leidet beim Scheitern. Gastgeber Brasilien wurde nur Vierter – Versager, eine ganze Nation weint. Die einstigen Fußball-Großmächten Spanien, Italien und England scheiterten schon in der Vorrunde – kollektive Trauer, die Medien fordern mindestens den Rücktritt des Trainers. Die gleichen Medien, die im Falle des Erfolges Spieler und Trainer zu Heiligen stilisieren.
Kollektive Jubelszenen im XXL-Format hingegen aus Costa Rica oder Algerien. Länder, die sonst nicht zu den Fußball-Großmächten gehören, aber in Brasilien für Aufsehen sorgten.
Eine Fußball-WM drängt alle anderen Sachen in den Hintergrund. Kriege, Konflikte und Krisen werden zur Nebenschauplätzen. Das wissen der Welt-Fußballverband FIFA und seine skandalumwitterten Spitzenfunktionäre. Sie können für eine WM Forderungen stellen, für die man andere aus dem Land jagen würde.
In Brasilien gab es vor der WM berechtigte Proteste gegen die hohen Kosten der WM – Gelder, die für andere Dinge deutlich besser geeignet wären. Doch als der Ball rollte, rückte das völlig in den Hintergrund. Die Spiele interessierten mehr als teuere, ineffiziente Buslinien in Sao Paulo, Recife oder Manaus.

Ein würdiger Champion
Sportlich war es eine gute Weltmeisterschaft. Besonders in der Vorrunde gab es viele interessante Spiele, eigentlich war kein Tag langweilig. Ich mag generell den südamerikanischen Fußball – diese Leidenschaft, dieses hohe technische Vermögen. Zugegeben, manchmal übertreiben sie etwas in Sachen Härte. Aber Mannschaften wie Kolumbien oder Chile verkörperten überwiegend die positiven Tugenden; zudem versuchten beide immer, zu agieren statt zu reagieren.
Oder die Überraschungsteams aus Mittelamerika: Mexiko etwa war so stark wie noch nie. Mannschaftlich sehr geschlossen, aber offensiv aufgestellt, dazu ein großartiger Keeper. Und natürlich Costa Rica, das sich in der Gruppe mit Uruguay, Italien und England durchsetzte. In Achtel- und Viertelfinale fehlte dann etwas die Kraft, aber Spieler wie Navas, Ruiz, Umana oder Campbell kennen nach dieser WM nicht mehr nur Insider.
Aber Deutschland ist ein würdiger Weltmeister. Manchmal war es ein wenig haklig, aber die Mannschaft fand immer wieder Antworten, steigerte sich eindrucksvoll und konnte sich auf einen großartigen Torhüter verlassen. Und auch der von mir gerne kritisierte Trainer Joachim Löw traf die richtigen Entscheidungen.
Es gab früher deutsche Nationalmannschaft, für die man sich quasi schämen musste. 1982 zum Beispiel, als eine Ansammlung von Unsympathen Vizeweltmeister schämen musste. Dann waren da diese Teams, die mit Kampf, Kraft und auch Krampf gut abschnitten.
Doch seit der Heim-WM 2006 steht die Adler-Elf für attraktiven Fußball. Und in den letzten Jahren entwickelte sich vielleicht die beste Generation, die es in Deutschland je gab.
Die deutsche Nationalmannschaft zählt spielerisch zu den Besten der Welt. Doch erst 2014 belohnten sich die Hochbegabten mit einem Titel. Die „Generation Halbfinale wurde endlich zur Generation Gold“ (kicker).
„Wir werden jetzt jeden Tag mit einem Lächeln aufwachen“, sagte eben dieser großartige Torhüter Manuel Neuer direkt nach dem Finale. Der Gelsenkirchener Junge ist ein Produkt der starken Jugendarbeit des FC Schalke 04 und leider beim FC Bayern München – aber ein sympathischer Typ. Und eben Weltmeister – wie wir alle. Unvorstellbar, dass man ihn in Dortmund mit Bananen begrüßt



Donnerstag, 10. Juli 2014
Deutscher Fußballrausch, argentinische Öde
Was für unterschiedliche Halbfinal-Spiele bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien: Am Dienstag das historische 7:1 der deutschen Nationalmannschaft gegen den Gastgeber Brasilien, gestern ein völlig ödes Match zwischen Argentinien und den Niederlanden. 120 Minuten Rasenschach, am Ende gewannen die Südamerikaner nach Elfmeterschießen. Und damit kommt es im Finale mal wieder zum Showdown zwischen Deutschland und Argentinien.

Der Dienstag in Deutschland wirkte zunächst nicht so wie ein Tag, an dem Geschichte geschrieben wird. Hier in Dortmund regnete es kontinuierlich den ganzen Tag, es war kalt für den Juli und trübe wie im Herbst. Das Wetter dämpfte auch ein wenig die schwarz-rot-goldene Euphorie. In der Dortmunder Innenstadt sah man am frühen Abend nur wenige weiße als auch rot-schwarze-Deutschland-Trikots.
Der Kolumnist ist so und so kein Freund von Public Viewing, guckt das lieber in Ruhe von zuhause. Doch was dann an diesem Abend im entfernten Belo Horizonte geschah, fällt zweifellos in die Kategorie von Spielen, wo danach jeder gefragt wird, was er an diesem Abend gemacht hat. 7:1 deklassierte Deutschland den Gastgeber Brasilien und brach damit eine Menge dieser (überflüssigen) Statistik-Rekorde, mit denen Fußball-Journalisten immer so gerne hausieren gehen.
Es war eine herausragende Leistung der deutschen Elf. Nach ausgeglichenem Beginn nutzte Thomas Müller quasi die erste deutsche Torchance. Und was dann zwischen der 23. und 29. Minute passierte, war ein Alptraum für die Selecao und die brasilianische Seele: Vier Tore schoss Deutschland, nach 29 Minuten stand es 5:0. Ich saß im Sessel und bekam den Mund nicht zu, zeitweise sah es so, als wenn in der Vorbereitung eine Auswahl örtlicher Amateure (Brasilien) auf einen Erstligisten (Deutschland) trifft und dieser auf einmal Ernst macht. Und die diesmal Schwarz-Roten erwiesen sich als gnadenlos effizient, von sechs Versuchen waren fünf im Tor der Brasilianer.

Brasilien weint
Wer hätte so ein Ergebnis prophezeit? Deutschland blieb zwar ohne Niederlage, hatte aber nicht immer überzeugt, beispielsweise im Achtelfinale gegen Algerien. Gegen die gleichwertigen Franzosen im Viertelfinale war die Defensive top, offensiv gab es noch einige Wünsche. Und jetzt? Eine Leistung, die auch Leute wie mich, die der Nationalmannschaft und dem Trainer eher skeptisch gegenüberstehen, beeindruckt hat. Zudem gefiel mir, wie sportlich fair Spieler und Offizielle mit dem Sieg umgingen und den traurigen Brasilianern Trost spendeten.
Unzählige Tränen flossen nach dem Spiel im Gastgeberland. Jedenfalls zerfiel der fünffache Weltmeister im Halbfinale in alle Einzelteile, ein Debakel, das nicht nur an den fehlenden Neymar und Thiago Silva lag. Die brasilianischen Zeitungen sprachen von Demütigung und Massaker, die Süddeutsche Zeitung schrieb„von der schwächsten Selecao seit den fünfziger Jahren“. Das sehe ich nicht so, denn seit dem letzten Titel 2002 haben mich die Mannschaften aus Brasilien alle nicht überzeugt. Dennoch setzte Trainer Luiz Felipe Scolari auf die falschen Leute wie etwa den Mitleid erregenden Mittelstürmer Fred.

Höchststrafe
Das zweite Halbfinalspiel zwischen den Niederlanden und Argentinien entwickelte sich leider zu dem befürchteten Langweiler. Beide Teams wollten nur kein Tor kassieren und so bestimmten die Deckungen das Geschehen. Es war eines der Spiele in der Spätphase einer Fußball-Weltmeisterschaft, in denen man sich wünscht, dass die WM doch ein Ende nehme. Aber bei diesen Veranstaltungen gibt es noch Verlängerung und das ist dann die Höchststrafe. Fußballerische Folter, passend entschieden im Elfmeterschießen.
Bondscoach Louis van Gaal bekam nach der Niederlage sein Fett weg, dabei hatten vor der WM die wenigsten darauf gesetzt, dass das Team in Orange weit kommt. Doch van Gaal ruft mit seiner rechthaberischen Art automatisch Widerstand hervor und wenn er dann noch dem heiligen 4-3-3 Spielsystem abschwört, dann schreit Hollands Fußball-Elite auf. Doch diesmal bekommt van Gaal nicht nur aus der Heimat Kritik.
Argentinien spielt bei dieser WM so wie Italien früher: Eine sehr stabile Deckung, vorne soll es Superstar Lionel Messi richten. Der ist nicht in allerbester Form, aber immer für eine herausragende Aktion gut. Argentinien agiert nicht, es reagiert.
Die 2014-Auswahl der Albiceleste erinnert mich an die von der Weltmeisterschaft 1990. Die hatte er auch einen Superstar namens Diego Maradona, der auch nicht richtig in Form war, und einen unsicheren Torhüter, der aber im Elfmeterschießen zu großer Form auflief. Nur im Finale war er chancenlos gegen den Elfmeter von Andreas Brehme – und das ist doch ein gutes Zeichen für die deutsche Nationalelf.



So war es 1990 im WM-Finale: Fast nur deutsche Chancen, erst kurz vor Schluss traf Andreas Brehme per Strafstoß zum erlösenden 1:0 gegen Argentinien.



Sonntag, 6. Juli 2014
Sea The Moon wie von einem anderen Stern
Wie soll man so eine Vorstellung nennen? Gigantisch? Atemberaubend? Phänomenal? Von einem anderen Stern? Sea The Moon gewann das deutsche Derby in Hamburg hoch überlegen vor Lucky Lion und dem Außenseiter Open your Heart. Elf Längen waren es letztendlich – wobei das noch schmeichelhaft ist. Denn während andere Jockeys im Finish hart arbeiten mussten, saß Christophe Soumillon ganz ruhig auf dem Sieger und ließ ihn quasi austrudeln. „Wie im Kino“, würde ein bekannter englisch-deutscher Rennkommentator jetzt sagen.
Der belgische Meisterjockey verglich Sea The Moon nach dem Rennen mit Orfevre, diesem großartigen Pferd aus Japan, mit dem er zweimal den zweiten Platz im Arc belegt hat: „Quirky, but hugely talented“ („Eigenwillig, aber hoch begabt“), sagte er, Quelle Twitter.
Da war die Jockey-Geschichte natürlich vergessen. Andreas Helfenbein, der Sea The Moon bei seinen drei vorherigen Erfolgen steuerte, wird sich dennoch ein wenig ärgern. Aber so ist der Sport und Helfenbein feierte mit. Verdient, denn ihm gebührt auch ein Teil des Ruhms.
Und damit herzlichen Glückwunsch an den Besitzer, das Gestüt Görlsdorf, und Trainer Markus Klug. Für beide war es der erste Derbysieger. Es sei im übrigen Taktik gewesen, so Markus Klug, in der Zielgeraden nach außen zu gehen, weil dort der Boden besser sei.

Arc-Kandidat
Was kann dieser Sea The Moon? Seit 1986 verfolge ich das Deutsche Derby und ich habe viele tolle Pferde gesehen. Aber ich kann mich nicht an einen so überlegenen Triumphator erinnern. Das wäre ein Duell - Australia, der englische und irische Derbygewinner, gegen STM. Aber diesen Zweikampf wird es frühestens im Arc geben, wenn sie denn dort laufen werden.
Der Stallgefährte von Australia, Geoffrey Chaucer blieb chancenlos, ebenso der andere Gast aus dem Ausland Pinzolo. Eine ganz starke Partie lieferte der Mehl-Mülhens-Sieger Lucky Lion als Zweiter und strafte damit Zweifler wie mich, die dem Hengst kein Stehvermögen zutrauten. Trainer Andreas Löwe hatte diese Skepsis nicht. Der Sieg wäre die Krönung eines tollen Jahres für den Trainer gewesen.
Der unerfahrene Open your Heart überraschte als Dritter und kam noch gut ins Rennen. Da bin ich mal gespannt auf die weitere Karriere – ein klassischer Steher. Vielleicht irgendwann im Melbourne Cup. Und hoffentlich mehr Erfolg als Nordvulkan, Überraschungspferd des letzten Jahres und ebenfalls trainiert von Roland Dzubasz.
Noch überraschender war der vierte Platz von Eric, dem ich nie und nimmer die Distanz von 2400 Meter zugetraut hätte. Wild Chief, nicht nur der Tipp dieser Kolumne, wurde Fünfter. Zeitweise sah es sogar noch besser aus, aber es sollte nicht sein.
Die Rennbilder waren diesmal richtig gut. Ist doch schön, wenn man mehrere Kameras einsetzt. Schade war, dass bei der Parade Bild und Ton nicht synchron waren. Wenn Sprecher Sven Wissel ein Pferd vorstellte, sah der Betrachter ganz andere Teilnehmer.
Ärgerlich außerdem die Umschalte zum Rennen nach Mannheim noch während des Interviews mit Siegjockey Christophe Soumillon. Muss das sein, muss Mannheim so kurz nach dem Derby wieder ein Rennen starten? Das Derby ist das wichtigste Rennen im Jahr und liefert jedes Jahr tolle Geschichten und Bilder. Die würde ich gerne noch intensiver erleben