Mittwoch, 2. Juli 2014
Jogi Löw und die Liebe zum Innenverteidiger
So langsam kommen die ersten Ermüdungserscheinungen. Die Fußball-Weltmeisterschaft fordert ihren Tribut: Gestern bei Belgien gegen die USA bin ich doch wahrlich im zweiten Abschnitt eingeschlafen. Beim Aufwachen sah ich jubelnde Belgier nach dem 2:0, es folgte eine dramatische Schlussphase, doch unser Nachbarland überstand die amerikanischen Bemühungen. Also Glückwünsch ins Land der beleuchteten Autobahnen; Kompliment aber auch an das Team von Jürgen Klinsmann, das sich sehr stark präsentierte.



Belloumi, Madjer und ein entsetzter Kommentator Rudi Michel: So war es 1982, Algerien gewann 2:1 gegen den hohen Favoriten. 2014 ersparte sich Deutschland diese Blamage

Meine Müdigkeit mag aber auch daran liegen, dass ich mal eben am Tage rund 800 km im Auto für einen geschäftlichen Termin in Baden-Württemberg unterwegs war. Da höre ich immer Radio – und das dominierende Thema bei den ganzen Dudelsendern waren die angenervten Antworten von Per Mertesacker auf die Fragen von ZDF-Mann Boris Büchler nach dem Achtelfinale Deutschland gegen Algerien. Bestimmt zehn Mal habe ich das gehört, es wurde rauf und runter gesendet bei Eins Live, HR3, FFH und SWR3. Irgendwann kam es mir aus den Ohren hinaus, darum verzichte ich mal auf die Verlinkung.
Die Reaktion von Mertesacker ist aber verständlich, zumal er direkt nach Spielschluss immer noch voller Adrenalin war. Zudem hatte die Mannschaft gewonnen und das Viertelfinale erreicht hat. Aber Büchler lag mit seinen Einwänden auch richtig, er stellte seine Fragen nur zum falschen Zeitpunkt.

Libero Neuer
Es war eine schwere Geburt, dieses 2:1 in der Verlängerung gegen den Außenseiter Algerien. Von wegen leichter Gegner. Algerien präsentierte sich als spielstarke und taktisch versierte Mannschaft, die Deutschland vor einige Probleme stellte.
Und wenn Torhüter Manuel Neuer ein paar Mal nicht quasi weit aus seinem Strafraum gerettet hätte („Manu, der Libero“, titelte die Süddeutsche Zeitung), wäre die Blamage komplett gewesen, hätten die Nordafrikaner ihre Revanche für die Schande für die Gijon bekommen.
Deutschland zeigte das schwächste Turnierspiel bislang, offenbarte besonders im Mittelfeld und auf den Außenpositionen deutliche Defizite. Diesmal bekamen Schweinsteiger, Lahm und Kroos im deutschen Mittelfeld das Spiel nicht in den Griff. Das führte immer wieder zu Problemen in der neuformierten Abwehr ohne den kurzfristig ausgefallenen Mats Hummels.
Die größten Defizite gab es allerdings auf den hinteren Außenpositionen. Ich weiß nicht, was Bundestrainer Joachim Löw an der Idee findet, mit vier Innenverteidigern in der Viererkette zu agieren. Gegen starke Gegner mag das noch angehen, aber gegen eher defensive Algerier? Dafür sind Benedikt Höwedes und Shkodran Mustafi technisch zu limitiert, eben Innenverteidiger ohne große Impulse für die Offensive.

Großkreutz und Durm
Wenn Löw schon mit Philipp Lahm auf einen der besten Spieler außen verzichtet und ihn lieber im Mittelfeld einsetzt, warum setzt er auf Mustafi rechts und nicht auf den Dortmunder Kevin Großkreutz? Der hat offensiv seine Qualitäten und hat das auch schon auf Top-Niveau bei Borussia Dortmund in der Champions League bewiesen. Und warum lässt Löw auf links nicht mal Eric Durm spielen?. Der Dortmunder hat zwar wenig Erfahrung, aber ist offensiv sehr stark. Mit zwei spielstarken Außen hätte man die Nordafrikaner viel stärker unter Druck setzen können.
Es ist schon ein schwieriges Thema mit der deutschen Nationalmannschaft. Jeder hat dazu seine Meinung, aber immerhin spielt das Team erfolgreich. Und spielt spektakulär, denn auch gegen Algerien erarbeiteten sie sich viele Torchancen. Es gibt kaum ein anderes Team, das offensiv soviel Potenzial hat, auch wenn ich von der Taktik mit der falschen Neun nicht begeistert bin. Mir wäre ein echter Stürmer wie Miroslav Klose in der Startaufstellung am liebsten.
Was auffällt bei dieser WM: Es geht ganz wahnsinnig eng zu, es gibt nicht die Übermannschaften. Das Achtelfinale demonstrierte das eindrucksvoll. Die Entscheidungen fielen spät, nicht nur Deutschland musste in die Verlängerung, andere große Namen wie Brasilien mussten sogar ins Elfmeterschießen.
Deutschland trifft im Viertelfinale auf Frankreich, diesen Gegner wird niemand hier unterschätzen. Es bleibt also spannend. Genug Gründe zum Wachbleiben.



Samstag, 28. Juni 2014
Ihr müsst nach Hause fahren
Der erste Abend ohne Fußball seit über 14 Tagen, da kommt man sofort auf andere Gedanken. Zum Beispiel über die Enttäuschungen der Fußball-WM in Brasilien zu schreiben. Denn große Fußball-Nationen fehlen in den nächsten Wochen, wenn es ernst wird. Der noch amtierende Fußball-Weltmeister Spanien etwa. Oder Italien oder England. Die Flops dieser WM.

Spanien: Das Ende einer großen Generation. Der amtierende Welt- und Europameister verabschiedete sich schon nach zwei Niederlagen gegen die Niederlande und Chile in der Vorrunde. Beim 1:5-Debakel gegen Oranje stellte Taktikfuchs Louis van Gaal die Iberer ins Abseits, beim 0:2 gegen Chile scheiterte La Roja an der forschen und agressiven (aber nicht unfairen) Spielweise der Südamerikaner. Ob ob es jetzt Tiki Taka heißt oder nicht – das schnelle Passspiel vergangener Jahre funktionierte nicht mehr. Die Taktgeber vergangener Epochen wie Xavi, Xabi Alonso und Iniesta sind in die Jahre gekommen. Zudem patzten die einstigen Helden wie Torhüter Casillas und Innenverteidiger Sergio Ramos.
Was sich schon beim FC Barcelona in dieser Saison ankündigte, zeigte sich in Brasilien: Der Zauber ist vorbei. Wenn es ein Team wie Spanien schon mit langen Bällen probiert, dann ist das ein Akt der Verzweiflung.
Dazu passte der neu eingebürgerte Torjäger Diego Costa überhaupt nicht ins System. Zum einen war er nicht richtig fit, zum anderen ist er überhaupt nicht passkompatibel und lebt viel von langen Bällen in die Spitze. Und das kann das Team von Vicente del Bosque überhaupt nicht.

Italien: Natürlich war beim Scheitern der Italiener viel Pech dabei. Der Platzverweis von Marchisio im letzten Spiel der Vorrunde gegen Uruguay war eine viel zu harte Entscheidung des mexikanischen Schiedsrichters, auf der anderen Seite hätte Suarez nach seiner Beißattacke gegen Italiens Chiellini runter gemusst. Zudem ist der Einwand von Trainer Cesare Prandelli berechtigt, dass Italiens erst in Manaus und dann die nächsten Spiele im heißen Norden zur brasilianischen Mittagszeit bestreiten musste. Das kostete Kraft.
Der Auftakt gegen England war gut, doch danach ging es abwärts. Die Vorstellungen gegen Costa Rica und Uruguay waren „apathisch“ (kicker), nur zwei echte Torchancen in diesen Spielen sind eine beschämende Bilanz.
Am stärksten wirkte noch Altmeister Pirlo, dessen Pässe immer noch ein Gedicht sind. Aber sonst war Italien vielfach nicht mehr als Mittelmaß. Balotelli bleibt eine Wundertüte, „Meriten verdient man auf dem Platz, nicht mit großen Ankündigungen“, kritisierte Torhüter Gigi Buffon und nannte das Ausscheiden „verdient“.

England: Vielleicht ein Trost, liebe Freude aus England, auch wenn das Ausscheiden in der Vorrunde einer WM für das Mutterland des Fußballs eine Demütigung ist. Also ich fand, dass diese englische Mannschaft die beste war, die seit langen Zeit das Dress mit den drei Löwen trug.
Leider gehört dazu nicht viel. Die Vorstellungen seit 2002 bei Welt- und Europameisterschaften waren eine Katastrophe: Stereotyper Kraftfußball ohne Fantasie, dazu patzten regelmäßig die Torhüter.
Diesmal zeigte die Mannschaft spielerisch einige gute Ansätze, Typen wie Sturridge und Sterling machten das englische Spiel attraktiver. Wayne Rooney mag intellektuell keine große Leuchte sein, aber er ist immer noch ein fantastischer Fußballer. Dass er auf der Seite verschenkt ist, ist richtig. Und dass ihn der Boulevard immer besonders aufs Korn nimmt, ist traurig.
Die Niederlagen gegen Italien und Uruguay waren unglücklich, beide Spiele hätten auch anders ausgehen können. Aber mit dem Weltmeistertitel hat doch selbst die Boulevardpresse nicht gerechnet.

Portugal: Wenn Cristiano Ronaldo nicht richtig fit ist, verkörpert die portugiesische Nationalmannschaft höchstens Durchschnitt. Und wenn dann Pepe, der andere Weltklasse-Spieler, mal wieder den Psycho mimt, dann ist das Scheitern bei einer WM nicht zu vermeiden. Deutschland bestrafte die Fehler der zehn Portugiesen höchsteffizient, auch weil Pepe früh die rote Karte sah. Gegen die USA war das Remis sehr schmeichelhaft, der Erfolg gegen Ghana zudem sehr glücklich.



Fußball und Lego – originelle Idee des englischen Guardians. Hier gibt es noch einmal eine Zusammenfassung des Spieles Deutschland gegen Portugal, ein Höhepunkt ist die Attacke von Pepe gegen Thomas Müller. Man beachte zudem die putzige Aussprache der deutschen Spielernamen: Hammels, the big defender…

Russland: Fabio Capello mag einer der bestbezahlten Nationaltrainer der Welt sein, aber als russischer Nationaltrainer ist er sein Geld definitiv nicht wert. Seine Mannschaft wirkte in Brasilien weitgehend leblos, gestopft in ein wenig flexibles Defensiv-Konzept. Nun war Capello immer ein Freund der gepflegten Abwehr, aber früher trainierte er auch Teams mit viel besseren Individualisten. Jedenfalls blamierte sich der Ausrichter der WM 2018 gegen Belgien, Südkorea und Algerien gewaltig. Der russische Fußball bleibt ein Rätsel – auch wenn Fabio Capello andere Dinge für das Scheitern verantwortlich macht.

Japan und Südkorea: Beide Länder dominieren seit Jahren das Geschehen in Asien, qualifizieren sich regelmäßig und ohne große Probleme für Weltmeisterschaften. Doch Brasilien war sowohl für Japan als auch Südkorea ein Desaster.
Besonders Japan hatte sich im Vorfeld einiges ausgerechnet – auch weil viele Spieler sich in Top-Ligen durchgesetzt haben. In Dortmund gucken wir seit den glorreichen Tagen des Shinji Kagawa im BVB-Dress verstärkt auf das Team, doch Kagawa blieb wie bei Manchester United auch im Nationaldress blass. Japan zeigte zwar einige Ansätze, doch wenn es zur Sache ging, hatte das Team nichts zuzusetzen.
Nicht ganz so hoch waren die Erwartungen bei Südkorea. Doch auch der WM-Vierte von 2002 – gespickt mit vielen Spielern aus der der Bundesliga – blieb sieglos und zeigte besonders in der Abwehr eklatante Schwächen.

Kamerun: Die „unbezähmbaren Löwen“ blamierten sich in Brasilien gewaltig. Mit null Punkten und 1:9-Toren war Kamerun das schlechteste Team der Vorrunde, alte Helden wie Roger Milla rufen nach einem Neuanfang. Dabei hat die Mannschaft von Volker Finke starke Individualisten, aber als Gruppe versagten die Spieler. Das erste Spiel verlor man verdient gegen starke Mexikaner, im zweiten Spiel war die Mannschaft gegen Kroatien gleichwertig, bevor Alexandre Song mit seinem Platzverweis das Team dezimierte. Danach brach Kamerun völlig auseinander, der negative Höhepunkt war der Kopfstoß von Assou-Ekotto gegen einen Mitspieler. Gegen den Top-Favoriten Brasilien wehrten sich die Löwen zumindest eine Hälfte, doch auch danach fiel man auseinander. Erbärmlich.



Donnerstag, 26. Juni 2014
Klinsi, Udo und das Saxophon
Zugegeben, dieses Video ist nichts für Zartbesaitete. „Wir sind schon auf dem Brenner – wir brennen schon darauf“, sang 1990 Barde Udo Jürgens einst mit der Deutschen Fußball-Nationalmannschaft. So gestählt fuhr das Team von Teamchef Franz Beckenbauer nach Italien und wurde bekanntlich Weltmeister. Und einer dieser Weltmeister hieß Jürgen Klinsmann und der ist auf diesem Dokument die langhaarige blonde Stimmungskanone. Man beachte seinen Einsatz beim Saxophon-Solo, später rockt er gemeinsam mit seinem damaligen Sturmpartner Rudi Völler.
Heute heißt es „Wir gegen uns“, denn Jürgen Klinsmann trifft als Nationaltrainer der USA auf seinem ehemaligen Assistenten und Freund Joachim Löw, bekanntlich Trainer des deutschen Teams und eben Nachfolger dieses Jürgen Klinsmanns. Ich mochte „Klinsi“ immer, weil er seinen eigenen Kopf hatte und Bild und Lothar Matthäus nicht mochte. Da konnten ihn das Springer-Blatt und seine Ableger immer schön in den Senkel stellen, er ignorierte diese Leute einfach. Und „flipperte“ die Bälle weiter rein.
„Auch wir sind dabei – Hollahihollaho“, dichtete der Udo. Und Klinsmann machte in Italien im Achtelfinale gegen die Niederlande das Spiel seines Lebens. Das musste auch Lothar Matthäus zugeben.