Am Samstag war es wieder so weit: Boxen auf für das Frühjahrsmeeting in Iffezheim. Zwei Wetten habe ich gespielt, beide natürlich erfolglos – wie so häufig. Die Bahn in der Umgebung von Baden-Baden zählte noch nie zu meinen glücklichsten Wettorten, meine persönliche Wettbilanz dort ist wahrlich nicht besonders. Andere Rennbahnen in Deutschland, bringen eher Glück. Zeit also für eine Liste meiner drei wetttechnisch besten und meiner drei schlechtesten Rennbahnen in Deutschland. Allerdings: So viel wette ich nicht mehr in Deutschland, mindestens 80 Prozent meiner Tipps gehen in englischen Rennen. Die Prüfungen dort sind eher durchschaubar, die Quoten gerade in den umsatzstarken Handicaps besser als in Deutschland und zudem gibt es bessere Quellen. Dennoch hat die Liste durchaus ihren Wert, auch heute noch.
Meine drei Top-Bahnen Köln: Ach was bin ich früher gerne nach Köln gefahren. Witzige Menschen und großartiger Sport – Mehl-Mülhens-Rennen, Union und Preis von Europa waren Pflichtprogramm. Besonders faszinierend fand ich immer die knisternde Spannung vor einem großen Rennen, die man regelrecht auf der Bahn fühlen konnte. Zwar gab es auch einige Flops, aber meist stimmte die Bilanz in Weidenpesch. Einer der schönsten Gewinne war ein Einlauf, der über 800 DM zahlte – Union-Rennen irgendwann Ende der 90er, Caitano gewann vor San Suru. Oder die getroffene Schiebewette (beide Sieger nach Zielfoto) schon zu Euro-Zeiten: Der Typ hinter dem Schalter beim Buchmacher auf der Bahn schaute mich an, als hätte ich den ganzen Leben leergeräumt. Dabei zahlte er mir nur rund 120 Euro aus.
Dortmund: Die Heimatbahn, atmosphärisch natürlich nicht mit Köln zu vergleichen. Mein erster Rennbahnbesuch war dort, besonders bei den Grasrennen war Wambel meist ein gutes Pflaster. Unvergessen eine Wette noch zu Studentenzeiten an einem trüben Wintertag, als ich die Dreierwette - geradeaus gespielt - für 2,50 DM traf und diese fast 5000 DM zahlte. Ansonsten habe ich auf der Sandbahn anfangs ziemlich geblutet, so dass ich froh war, wenn irgendwann die Fußballsaison wieder begann. Und später habe ich die Besuche der Winterrennen radikal reduziert.
Mülheim: Heute kaum vorstellbar bei den wenigen Terminen, an denen sie noch veranstalten, aber die Bahn an der Stadtgrenze zu Duisburg hatte mal viele Renntage mit richtig guten Rennen. In den neunziger Jahren war ich dort häufig, zumal am Sonntag die A40 frei war und man in 40 Minuten dort war. Und getroffen habe ich dort meistens auch. Irgendwann ging es dann aber abwärts, Mülheim verlor seine Top-Rennen, der Bratwurstprofi verließ die Bahn. Der ist inzwischen aber wieder da, die guten Rennen jedoch nicht.
Die drei Flop-Bahnen Baden-Baden: Unvorstellbar, dass ich mich heute ins Auto setzen würde, morgens fünf oder sechs Stunden nach Iffezheim hinfahre und abends wieder retour. Es gab andere Zeiten: 1994 zum Beispiel. Damals faszinierten mich die Rennwochen in Baden-Baden, weil sie die Top-Veranstaltungen im deutschen Turf waren und alle von der entspannten Atmosphäre dort schwärmten. So richtig umgehauen hat mich mein Besuch aber nicht, zumal ich mir die Bahn viel größer vorgestellt. 1996 war ich noch mal da: Großer Preis von Baden, am letzten Sonntag der Großen Woche, die Bahn war proppenvoll, zu voll. Immerhin habe ich den großen Pilsudski gesehen und stand in Reichweite von Jockey Mick Kinane, der sich nach getaner Arbeit ein Bier schmecken ließ. Natürlich traf ich bei keinem Besuch, auch in späteren Jahren beim Buchmacher gab es viel Lehrgeld. Es waren meist Leidenstage. Ausnahme: Ein Jahr, ich glaube 1998, wettete ich verstärkt die Pferde des Dortmunder Trainers Uwe Stoltefuß und der war erfolgreich. Später interessierten mich Frühjahrsmeeting und Große Woche weniger, zumal ich zu dieser Zeit arbeiten musste. Vor zwei Jahren hatte ich mal wieder Zeit für die Große Woche im Herbst und schaute mir die Rennen am PC an. Es war das übliche Desaster. Zumal die Rennen, besonders die Handicaps, immer noch schwierig sind. Und wenn ich in Deutschland mal ein Pferd „ausgrabe“ und auf eine gute Quote hoffe, blinkt der als Favorit.
Neuss: Irgendwann Ende der neunziger Jahren gab es mal die Telewette am Samstag auf ntv. Auf dem Nachrichtensender wurden die Rennen übertragen, zwischendurch lief das normale Programm. Im Winter meldete sich dann meist Moderator Klaus Göntzsche von den Winterrennen in Neuss. Es liefen die üblichen Handicaps der unteren Kategorie, dazu kamen ziemlich undurchsichtige Altersgewichtsrennen. Die Rennen sind so und so ziemlich schwer zu wetten, weil die Formen oft nicht stichhaltig sind. Dazu die Kursführung der kleinen Neusser Bahn: Es ist fast unmöglich, aus dem Hintertreffen zu gewinnen. Meine Bilanz war katastrophal, wieso muss ich so einen Mist auch wetten. Später änderte ich die Strategie und konzentrierte mich auf England – die Winterrennen in Neuss sind mir inzwischen ziemlich egal.
München: Ich mag die Stadt München nicht besonders: teuer, protzig, politisch zu viel CSU und dann kommt aus der Stadt auch noch zu allem Überfluss der FC Bayern. Nur die Rennbahn in Riem gefällt mir eigentlich gut aus. Wenn man die Tribüne ganz nach oben klettert, hat man einen fantastischen Blick auf den Zieleinlauf. Leider ist meine Wettbilanz auf der Bahn gar nicht so faszinierend. In mindestens 30 Rennen nacheinander habe ich dort nicht getroffen. Vielleicht ist es aber nur die Rache des Systems: Denn in München gibt es andere Wettscheine als in Dortmund. Bei meinem ersten Besuch traf ich gleich beim ersten Rennen (für 2 Euro ein Einlauf, der maximal 40 zahlte), knickte den Schein und steckte ihn in meine Hosentasche. Als ich meinen Gewinn abholten wollte und den geknickten Schein abgab, sagte die Frau hinter dem Counter, eigentlich dürfe man den Schein nicht knicken. Sie steckte den Schein in den Automaten – und der tat dann gar nichts mehr. Erst ein Techniker löste das Problem.
Deutschsprachige Bücher über Pferderennen sind eine Rarität. Im Jahr 2000 beschäftigten sich immerhin zwei durchaus renommierte Journalisten mit dem Thema. Das Werk von
Stephan Lebert und Harry Nutt mit dem simplen Titel Pferderennen erschien zum damaligen Zeitpunkt in der dtv-Reihe „Kleine Philosophie der Passionen“.
Ich weiß gar nicht, wann ich das Buch erworben habe, muss so um das Jahr 2001 gewesen sein. Nach der ersten Lektüre war ich etwas enttäuscht. Weil die Leidenschaft beider Autoren die Trabrennen sind, die ich damals reichlich öde fand.
Beim Aussortieren ist mir das Buch mit dem grünen Einband mal wieder in die Hände gefallen. Und natürlich habe ich es noch einmal gelesen, sind ja auch nur etwas über 120 Seiten. Diesmal fällt das Urteil erheblich positiver aus. Weil ich als Wetter und Rennbahnbesucher (früher regelmäßig, heute eher sporadisch) viele Weisheiten der beiden Autoren nachvollziehen kann. „Warum zum Teufel machen wir das“, fragen Lebert und Nutt, beide passionierte Rennbahnbesucher und Wetter. Zumal in Deutschland, dem Land der Lottospieler, Pferdewetter immer noch diesen Hauch von Unseriosität und Verwegenheit haben. Denen traut man die eigene Tochter nicht an.
„Das ist wie ein Film, der immer läuft, parallel zu dem anderen Leben“, sagt Lebert. Keiner seiner Freunde geht auf die Rennbahn. „Ich glaube, dass es das nirgends sonst gibt: Einerseits die Anonymität, der Wunsch, völlig allein zu sein und andererseits die Möglichkeit eben nicht allein zu sein müssen, sich jederzeit öffnen zu können“, schreibt Nutt. Jemandem das Elend des knapp verpassten Riesengewinns mitzuteilen, könne in diesem Augenblick sehr wertvoll sein.
Die Autoren beschäftigen sich mit berühmten Rennpferde, waghalsigen Wetten oder den Typen, die die Rennbahn bevölkern. Manches wiederholt sich, alles ist aber sehr locker und anekdotenreich beschrieben. Seine besonderen Qualitäten zeigt das Werk, wenn es um Zockerphilosophien und die besondere Charaktere auf der Rennbahn geht. „Es gibt Tage, da kann man nicht verlieren. Tage, an denen das Geld in den Taschen nicht alle wird“ beschreiben sie ein Gefühl, dass jeder Zocker kennt. Noch mehr Tage gibt es allerdings, an denen es einfach nicht läuft – kennt auch jeder Wetter zu genüge.
Das Buch ist in den 90er Jahren entscheiden – einer Zeit, in dem es sowohl Galopp- als auch Trabrennsport relativ gut ging. Was würden Lebert und Nutt heute schreiben? Beide Sportarten befinden sich seit Jahren in einer Dauerkrise. Und die markanten Typen werden zumindest auf den Galopprennbahnen immer weniger. Immerhin: Menschen, die auf Rennbahnen gehen, bringen sich seltener um als „normale“ Menschen. Begründung: Sie hoffen auf das nächste Rennen, zitiert Stephan Lebert eine amerikanische Studie.
Das Geschoss aus Budapest will endlich England rocken
Der schwarzgelbe Meisterrausch ist vorbei und damit ist es an der Zeit, sich mal wieder um den internationalen Galopprennsport zu kümmern, der zuletzt – ich gebe es zu – etwas zu kurz auf diesen Seiten kam. Da trifft es sich gut, dass Overdose am Wochenende in den Betfred.com Temple Stakes (Gr.2, 1000 Meter) im englischen Haydock startet. „The Budapest Bullet“, das Geschoss aus Budapest, ist nach seiner Verletzungspause wieder da, lockte bei seinem Comeback 9000 Besucher auf die Galopprennbahn in Berlin-Hoppegarten. Der Hengst gewann überlegen – und rüstete sich damit für bessere Aufgaben. Vergessen ist die letztjährige Enttäuschung aus der Goldenen Peitsche in Iffezheim, als Overdose völlig kraftlos lief, nur als Siebter ins Ziel kam und damit die erste Niederlage seines Lebens kassierte.
Mit dem "berühmten Finger in der Nase": Overdose distanziert das Feld bei seinem Comeback in Hoppegarten.
Zu diesem Zeitpunkt war Sandor Ribarski, der Overdose bei seinen bisherigen Erfolgen betreute, schon nicht mehr dessen Trainer. Es gab einige Differenzen mit Besitzer Zoltan Mikoczy, der neue Trainer heißt Jozef Rozival und ist ein Bekannter des Schrotthändlers aus der Slowakei. Seit 2009 hat Mikoczy zudem Besitzerkollegen, nachdem er 50 Prozent für 2,5 Millionen Euro an ein ungarisches Firmenkonsortium verkauft hatte. Die Geschichte des Schnäppchens von der Auktion in Newmarket, das vom hässlichen Entlein zum strahlenden Prinzen wurde, ist immer noch faszinierend – so widmete die renommierte deutsche Wochenzeitung die Zeit dem Rennpferd erst in der letzten Woche ein langes und sehr lesenswertes Portrait.
Stolz einer Nation
Politisch sorgt Ungarn derzeit eher für negative Schlagzeilen, da trifft es sich gut, dass der Stolz einer ganzen Nation wieder aktiv ist. Weil Overdose dort offenbar mehr als nur ein erfolgreicher Galopper ist: „Auf dieses Pferd können wir uns einigen“, zitiert die Zeit den ungarischen Moderator Andras Kepes. „Overdose hat es den übermächtigen Deutschen, Engländern und Franzosen gezeigt, entgegen aller Wahrscheinlichkeit. Damit können wir uns identifizieren. Endlich hatten wir wieder etwas, worauf wir stolz sein können.“
Am Samstag wird daher wahrscheinlich ganz Ungarn vor dem Fernseher sitzen und schauen, wie sich ihr Sportler des Jahres 2009 im englischen Haydock aus der Äffäre zieht. Bei den englischen Buchmachern ist Overdose 30:10-Favorit, danach folgt schon mit einigem Abstand Kingsgate Native. Die restlichen Starter stehen schon bei 100 und mehr.
Ich würde Overdose trotzdem nicht zu diesem Kurs wetten. Zwar fehlt in England derzeit der überragende Sprinter, dennoch sind die Gegner nicht zu unterschätzen. Markab, Borderlescott oder Hamish Mc Gonagall sind in vielen Sprintschlachten gestählte Veteranen, Tangerine Trees ein Formpferd aus den unteren Klassen, Sole Power ein gefährlicher irischer Gast und New Planet oder Stone of Folca zwei Dreijährige, deren Leistungsvermögen noch gar nicht erkannt ist.
Zudem sind die Sprints auf der Insel oftmals eine richtige Lotterie. Nirgendwo spielt das Rennglück so eine große Rolle wie auf der Minimaldistanz, wird jeder Jockey-Fehler gnadenlos bestraft oder ist die Position der Startbox von so großer Bedeutung. Es wird also spannend am Samstag um 16 Uhr deutscher Zeit. Schauen wir mal, ob ein Rennpferd eine ganze Nation wieder strahlen lässt. Und danach Royal Ascot nimmt.