Mittwoch, 15. Juni 2016
Tapfere Wikinger, feiernde Ungarn, jubelnde alte Männer
Es ist schon ein eigenartiges Ding mit so einer Fußball-Europameisterschaft. Eigentlich war ich vorher skeptisch – all diese schwarz-rot-goldenen Peinlichkeiten, Nationalmannschaft statt Borussia, zu viele Mannschaften etc.. Doch bislang bin ich freudig überrascht und da können auch bescheuerte Hooligans, aufgeblähte Nebensächlichkeiten wie Yogis Griff in die Hose und permanente nichts sagende Schalten zur deutschen Nationalmannschaft nach Evian nichts ändern. Fußball ist doch ein geiler Sport, der Kolumnist war schon mehrfach zutiefst bewegt. Beeindruckende Momente der EM

Island: Glück und Können
Zur Pause der Partie Portugal gegen Island gab es nur eine Frage: Wie hoch gewinnen die Portugiesen, so überlegen waren die Spieler um Cristiano Ronaldo. Dabei war der Mann mit der ausgeprägten Bauchmuskulatur gar nicht so auffällig, seine Mitspieler umso mehr. Immer wieder fanden sie die Lücke im isländischen Verteidigungswall, brachten sie die Männer aus dem hohen Norden in große Verlegenheit. Island hatte zwar die ersten Chance des Spiels, danach spielte nur noch Portugal. 7:1 lautete die Chancenbilanz zur Pause. Niemand hätte noch etwas auf Island gegeben.
Doch dann kam Mittelfeldspieler Birkir Bjarnason: Schon äußerlich mit seinen langen Haaren einem Wikinger gleichend, 28 Jahre, derzeit aktiv beim Schweizer Dauermeister FC Basel, davor in Italien und Belgien unter Vertrag. Ein solide Profi-Karriere, aber natürlich keine Top-Vereine. Bjarnasons 1:1 nach einem Fehler von Vierinha fiel aus dem berühmten heiteren Himmel und danach bekam Island die Sache besser in den Griff.
Portugal hatte zwar weiter Chancen, Islands Keeper Halldorsson musste zwar manchmal nachgreifen und Ronaldo vergab zum Schluss noch zwei Freistöße. Doch es blieb beim 1:1, das kleine Island hatte bei seiner EM-Premiere dem großen Portugal einen Punkt geklaut und großartigen Kampfgeist bewiesen. Es hätte etwas von Pokal: der kleine Drittligist trotzte dem mächtigen Großverein. Einfach nur schön. Helden wurden geboren.

Ungarn: Die Bundesliga-Ersatzbank jubelt
Auch in Ungarn wurde Helden geboren. Einst zu Zeiten eines Puskas und Hidegkuti eine fußballerische Großmacht, waren die Magyaren immer mehr in die europäische fußballerische C-Klasse abgestürzt. Die EM-Qualifikation war ein Hoffnungsschimmer, auch wenn das Team noch keinen wirklichen Spitzenspieler hat. Und jetzt ging es gegen Österreich, den einstigen Partner aus der kuk-Monarchie.
Auch ihr Gegner war lange eher eine Lachnummer im europäischen Fußball, aber aktuell hat Österreich die vielleicht beste Generation seit langen Zeiten. Alaba, Junuzovic, Baumgartlinger, Arnautovic oder Fuchs – alle gute Fußballer und hier bestens bekannt. Auch wenn Arnautovic einen an der Waffel hat.
Österreich begann gut, verkrampfte aber mit zunehmender Spieldauer. Ungarn aber „biss“ sich regelrecht ins Spiel und konterte zweimal effektiv: Die Torschützen hießen Szalai und Stieber, beide nicht mehr gefragt in Hannover bzw. Nürnberg. Im Mittelfeld gefiel der Bremer Reservist Laszlo Kleinheister. Und hinten hatte Oldie Gabor Kiraly alles im Griff. Ungarn gewann 2:0, die EM hatte ihre erste Überraschung. Auch dank Trainer Bernd Storck und Assistent Andy Möller. Die beiden muss ich als Dortmunder natürlich erwähnen.

Italien: Die hohe Kunst der Taktik;
Wenn keiner mit ihnen rechnet, dann schlagen sie mal wieder zu. „Freunde italienischer Taktik-Meisterleistungen kamen hier mal wieder auf ihre Kosten. Team schlägt individuelle Klasse, Belgiens goldene Generation entzaubert. Nur die ersten 30 Minuten waren öde“, so könnte man die 90 Minuten aus Lyon zwischen Italien und Belgien charakterisieren. Italiens alte Männer – Durchschnittsalter der Startelf über 31 Jahre – hatten den Geheimfavoriten 2:0 geschlagen. Mit einer bärenstarken Defensiv- und Teamleistung, mit den drei Musketieren Bonucci, Barzagli und Chielini in der Zentralverteidigung und allerlei Unbekannten davor. „Helden aus Hinterhöfen“, titelte die Süddeutsche Zeitung. Und mancher BVB-Fan rieb seine Augen: So gut wie Ciro Immobile bei seinem Kurzeinsatz spielte er in Dortmund nur ganz selten. Aber er ist ja auch zurück auf seinem Hinterhof beim FC Turin. Nicht Juventus Turin.