Donnerstag, 28. Januar 2016
„Unser Jürgen” und der Spaß in Liverpool
Im Herzen gehört er noch immer zur schwarz-gelben Familie: Jürgen Klopp, von 2008 bis 2015 Trainer bei Borussia Dortmund. Der Mann, der den BVB wieder zu ungeahnter Größe führte und nicht nur dem Kolumnisten die schönsten Jahre seines Fandaseins bescherte. Jetzt also der FC Liverpool in der englischen Premiere League. Auch ein Verein mit großartiger Vergangenheit. Und genau der Klub, den ein Mann wie Klopp zu neuer Größe führen kann. Zeit für eine erste Bilanz nach mehr als 100 Tagen.

Zumindest von den Resultaten war es eine großartige letzte Woche für Liverpools Trainer Jürgen Klopp. Zuerst das hochdramatische 5:4 bei Norwich City, bei dem die Brille in alter Dortmund-Manier zu Bruch ging: 1:3 hinten gelegen, daraus machten die Reds ein 4:3, kassierten in der Nachspielzeit das 4:4 und siegten letztlich durch Adam Lallanas Tor nach 95 Minuten. Und dann der Dienstagabend: Da gab es im Halbfinale des Liga-Pokals ein 6:5 nach Elfmeterschießen gegen Stoke City, das Liverpool ins Finale nach Wembley bringt und bei Klopp natürlich Erinnerungen an 2013 weckt. Damals unterlag sein BVB in der Londoner Kultstätte im Finale der Champions League dem FC Bayern knapp.



Der FC Augsburg freut sich auf Klopp in der Europa League

Es ist zwar nur der League Cup, der Pokalwettbewerb auf der Insel mit dem geringsten Renommee, in den früher Top-Klubs wie Manchester United oder Chelsea meist nur ihre zweite Garnitur schickten. Klopp mag das öffentlich egal sein und auch die Tatsache, dass die Reds spielerisch noch einiges zulegen müssen und allenfalls kämpferisch überzeugten, wird dem Fußball-Lehrer bewusst sein. „Noch ist es ein langer Weg zu alter Größe“, attestierte das Fachblatt kicker dem traditionsreichen Club.

Durchwachsene Bilanz
Seit dem 8. Oktober ist Jürgen Klopp jetzt Manager in Liverpool, löste Brendan Rodgers ab. Zeit für eine kleine Zwischenbilanz, obwohl diese ein wenig zwiespältig ausfällt. Denn die englische Premiere League kickt seit Oktober durch, eine Winterpause gibt es bekanntlich auf der Insel nicht. Aufgrund des dichten Spielplans mit mehreren Pokalwettbewerben hatten Klopp und sein Trainer-Team eigentlich noch gar keine Möglichkeit, neue Dinge einzustudieren.
Sportlich sieht die Bilanz in Zahlen eher stagnierend aus: In der Liga lag das Team am Ende der Rodgers-Ära auf Platz 10 mit 12 Punkten (Drei Siege, drei Remis, zwei Niederlagen), seit dem Einstieg von Klopp gab es sechs Siege, vier Unentschieden und fünf Niederlagen. Gesamtbilanz: Platz 7, Punkte 34, Torverhältnis 30:32.
Neben dem League Cup sind die Roten auch noch im FA Cup (auch wenn man sich gegen den Viertligisten Exeter City nicht gerade mit Ruhm bekleckerte) und der Europa League (nächster Gegner FC Augsburg).
Taktisch: „Die Reds mit Trainer Brendan Rodgers sind eines der taktisch interessantesten Teams“, schrieben die Taktik-Experten von der Spielverlagerung Ende Juli 2015. Doch die vorherige Saison war sportlich schwach. Gründe unter anderem laut Portal: „Weder das 4-2-3-1 noch das 4-1-4-1 funktionierten. ….Das ballorientierte Verschieben, die Kompaktheit und die Struktur im Übergang ins zweite Drittel sowie das Gegenpressing öffneten den Gegnern viele Möglichkeiten für effektive Angriffssituationen.“
Die Bilanz unter Klopp: „Liverpool präsentiert sich mittlerweile sehr solide im Spiel gegen den Ball. Unterschiedliche Varianten im Pressing und kleinere gegnerspezifische Anpassungen finden regelmäßig Anwendung. Schnelle Umschaltaktionen und Konter bespielen die Reds gut und überzeugen hier vor allem durch freie und passende Bewegungsmuster.“ Als Schwächen nennt das Portal unter anderem zu wenig Torchancen und die Anfälligkeit bei Standardsituationen.

Das Lachen kam zurück
Den größten Eindruck macht allerdings der Typ Jürgen Klopp. Medien und Fans feierten ihn wie den Messias. Schon vorher galt er auf der Insel als Kult-Trainer, „The Normal One“ feuerte das mit Witz und Charme noch an.
Die positive Stimmung blieb vorwiegend. „Er brachte den Spaß zurück nach Anfield“, titelte das Boulevardblatt Mirror. Das Lachen sei zurück in Anfield – und nicht nur beim Fußball. Es folgt eine Lobeshymne von Reporter Jim Boardman. Die hartgesottenen britischen Journalisten mögen den Mann aus Deutschland. Dabei kann Klopp gegenüber Pressemitarbeitern durchaus fies sein, wenn er sich schlecht behandelt fühlt. Aber im Vergleich zu vielen wortkargen englischen Managern, die die Presse als notwendiges Übel ansehen, ist dieser Trainer ganz anders.
Auch viele Fans waren anfangs sehr euphorisch. Allerdings: „Liverpool braucht mehr als nur Jürgen Klopp“, schrieb Fan Duncan Oldham im KopTalk Ende Dezember. „Wunderdinge seien mit diesem Kader allerdings nicht zu erwarten.“
Und ich sage mal, die Stimmung in Dortmund wird Klopp fehlen. Die Atmosphäre in Anfield dürfte deutlich gedämpfter sein: keine Stehplätze, die legendäre Kop ist längst Sitz-Tribüne. Schauderhaft, aber passend für das Event-Publikum, das die hohen Eintrittspreise zahlt. So motzte der Trainer schon über die Zuschauer, die gegen Crystal Palace frühzeitig das Stadion verließen. Das gab es jedoch in Dortmund auch schon – allerdings vor den Klopp-Zeiten.