Es sind oft nicht die körperlich perfekten Pferde, denen die Sympathie der Turf-Enthusiasten zufällt. Klein, aber fein – so könnte man den englischen Vollblüter Hyperion (1930 – 1960) beschreiben. Das Turfvolk liebte den Fuchshengst. Und Hyperion war nicht nur ein Derby und St. Leger-Sieger, sondern auch in einer späteren Karriere ein höchst erfolg- und einflussreicher Deckhengst.
Es waren die Jahre der großen Wirtschaftsdepression in Europa und den USA. Auch in England, das einstige Empire schrumpfte immer mehr zusammen. Seit 1931 regierte eine Koalition der drei großen Parteien – auch eine Reaktion auf die ökonomische Krise.
Diese Dinge interessierten aber einen in Newmarket im Jahr 1930 geborenen Vollbluthengst namens Hyperion wenig. Sein Vater war der Triple Crown-Sieger Gainsborough, damals einer der erfolgreichsten Deckhengste auf der Insel. Auch die Mutter Selene vollbrachte Großes auf der Rennbahn, mit Sickle und Pharamond hatte sie schon zwei sehr gute Vollblüter gefohlt.
Sein Züchter und Besitzer trug einen klangvollen Namen. Es war der 17. Earl of Derby, bürgerlich Edward Stanley und im Leben ein konservativer Politiker. Einer seiner Vorgänger erfand das bekannteste Rennen der Welt.
Hyperion trug den Namen eines griechischen Sonnengottes. Doch der Hengst machte anfangs Probleme. Denn er war nicht nur ziemlich klein, sondern auch schwächlich. Die fehlende Größe war durchaus nachvollziehbar, weil sowohl Vater als auch Mutter von kleinerer Statur waren. Die schwache Physis bereitete eher Probleme – ob er jemals eine Rennbahn sehen würde, schien lange fraglich.
Der Gainsborough-Sohn fand jedoch einen wichtigen Fürsprecher in The Honorable George Lambton. Der Privattrainer (geboren 1860) des Earls of Derby befand sich schon auf den Zielgeraden seiner erfolgreichen Karriere, dank seiner jovialen Art mochten ihn sowohl der Rennadel als auch die Stall-Belegschaft. Hyperion sei das schönste kleine Pferd, das er je gesehen hätte, sagte der Trainer. Er würde zweifellos das Pony-Derby gewinnen. Lambton gefiel die „schöne Aktion und sein Kopf, voller Charakter und Mut.“
Muskeln eines Wrestlers
Der so geadelte blieb und wuchs aufgrund seiner Schwierigkeiten getrennt von den anderen Jährlingen im Side Hill Stud in Newmarket auf. Nur ein anderer etwas zurückgebliebener Hengst namens El Capitan leistete ihm Gesellschaft.
Bei El Capitan verlor sich später die Spur, Hyperion aber rückte in den Rennstall von George Lambton auf. Der Trainer erkannte das Potenzial seines Hengstes, der die „Muskeln eines Wrestlers“ habe und verglich ihn mit Swynford, seinem bisher erfolgreichsten Pferd.
In der Morgenarbeit aber war Hyperion eher faul. Er musste viel arbeiten, damit er fit wurde. Auf der Rennbahn zeigte der Hengst ein anderes Gesicht, da explodierte er regelrecht. Zweijährig war er früh auf den Beinen. Bereits im Mai 1932 gab er sein Debüt in Doncaster und belegte einen guten vierten Platz bei 18 Startern.
Beim zweiten Start besiegte er in den New Stakes in Ascot über 1000 Meter 21 Konkurrenten und brach den Kursrekord. Es folgten ein geteilter erster Platz (totes Rennen) in Goodwood, Platz 3 in den Boscawen Post Stakes in Newmarket und als krönender Abschluss der Triumph über 1400 Metern in den Dewhurst Stakes, auch heute noch eines der bedeutendsten Rennen für den Zweijährigen-Jahrgang auf der Insel.
Dreijährig präsentierte sich Hyperion gereift, gewachsen war er aber nicht. Für die 2000 Guineas besaß er keine Nennung. Sein Jahresdebüt gab er in der Chester Vase über 2400 Meter. Jockey Tommy Weston musste nach schlechtem Start ziemlich arbeiten, doch am Ende siegte Hyperion mit zwei Längen.
Eines wurde dabei schon deutlich: Der Fuchs hatte das Stehvermögen seines Vaters geerbt. Die 2400 Meter bzw. 12 Furlong in England passten sehr gut. In der Morgenarbeit war Hypérion weiterhin keine Leuchte, doch in das Derby 1933 ging er als Favorit. Es wurde sein Tag auf dem schwierigen Kurs in Epsom: Am Ende lautete der offizielle Richterspruch vier Längen, mit 2:34 Minuten gab es einen neuen Bahnrekord, aber viele Beobachter meinten damals, dass Hyperion an diesem Tag weitaus überlegener wirkte. „Finger in der Nase“ hätte später ein bekannter Rennkommentator bemerkt. Der kleine Hengst hatte endgültig die Herzen des Publikums gewonnen.
Der Sieg im Derby 1933: Man entschuldige den fehlenden Ton und die schlechten Bildqualität, aber dies ist ein historisches Dokument (Quelle British Pathe)
Dreijährig blieb der Lambton-Schützling ungeschlagen. Doch nach dem Erfolg in den Prince of Wales Stakes während Royal Ascot pausierte er verletzungsbedingt, erst knapp drei Monate später folgte der nächste Start im September im englischen St. Leger. Damals hatte dieser Klassiker über lange 2800 Meter noch einen ganz anderen Status, in Doncaster trafen sich die Besten des Jahrgangs. Es wurde eine Start-Ziel-Demonstration: Hyperion schlug den hoch gehandelten Felicitation leicht mit drei Längen.
Zucht-Ikone
Vierjährig bekam der Hengst einen neuen Trainer namens Colledge Leader. Denn der Earl of Derby war der Meinung, dass Lambton aufgrund seines Alters und seiner schlechten Gesundheit nicht mehr der Betreuer der Derby-Pferde sein sollte. Unter der Ägide von Leader siegte Hyperion in seinen nächsten zwei Rennen in Newmarket. Doch beim nächsten Start wurden ihm im Ascot Gold Cup die rund 4000 Meter zu lang: Der alte Rivale Felicitation siegte mit acht Längen Vorsprung, sogar Thor II überlief noch den nachlassenden Hyperion.
Nur zwei Pferde liefen beim nächsten Start in den Dullington Stakes in Newmarket: Nach hartem Kampf unterlag der Gainsborough-Sohn wieder über 2400 Meter dem im Gewicht deutlich günstiger stehendem Dreijährigen Caithness.
Es war sein letzter Auftritt auf einer Rennbahn. Neun Siege bei 13 Starts waren eine hervorragende Bilanz, das schlechteste war der vierte Platz beim Debüt. „Ich wusste bis auf jedes Pfund, wie gut Hyperion war. Aber ich wusste nie, wie gut Sywnford war”, meinte sein ehemaliger Trainer George Lambton.
Als Deckhengst startete Hyperion richtig durch und wurde zu einem der erfolgreichsten Vererber der Turf-Historie. Er zeugte die Gewinner von 752 Rennen; 53 von ihnen wurde zu Gruppe-Siegern. Sechs Mal war er der führende Deckhengst in England und Irland. Aber auch in Amerika, Australien und Neuseeland beeinflussten er und seine Nachkommen die Vollblutzucht maßgeblich.
1960 starb Hyperion im reifen Alter von 30 Jahren. Eine Statue aus Bronze von ihm steht am Eingang des Jockey-Clubs in Newmarket, sein Skelett ist im National Horse Racing Museum ebenfalls in Newmarket zu bewundern.