Mittwoch, 8. August 2012
Gute Freunde, alte Bekannte: Faszination Sprint
1200 Meter, gerade Bahn, 27 Pferde, der Favorit steht um die 100. Stewards’ Cup in Goodwood/England – eines dieser Handicaps, die die britischen Buchmacher so mögen. Viele Starter, viele Möglichkeiten, viele Chancen – verständlich, dass bei Ladbrokes, William Hill und den anderen großen Buchmachern die Kassen klingeln, wenn es über die kurze Distanzen geht. Der Stewards’ Cup ist das Wettrennen während „Glorious Goodwood“, einem Höhepunkt der englischen Rennsaison.
Die Rennen über die Kurzstrecken von 1000 und 1200 Metern erscheinen oft wie eine andere Welt verglichen mit den Prüfungen über längere Distanzen. Weil Faktoren eine Rolle spielen, die bei Strecken ab 1400 Metern wenig aussagekräftig sind. Die Position der Startbox beispielsweise: Auf welcher Seite ist der bessere Boden, wo sind die Tempomacher. Das sieht dann in der Praxis so aus, dass zwei Pulks über die Bahn jagen. Wer als Rennkommentator seine Reifeprüfung ablegen möchte, der sollte so eine Prüfung mit 30 Pferden mal kommentieren.

Große Felder, große Gelder
Sprints sind populär auf der Insel. Kaum ein Renntag kommt ohne Rennen über 1000 oder 1200 Meter aus. Und fast immer geht es über die gerade Bahn – in Deutschland kenne ich das nur noch aus Iffezheim oder Hoppegarten, früher bestand die Möglichkeit auch in Dortmund. Die Rennen für die schnelle Brigade genießen in Großbritannien einen deutlich höheren Stellenwert als hier. Und während die kleineren Rennen in England sehr dürftig dotiert sind, gilt das nicht für die großen Sprint-Handicaps wie etwa das Wokingham (Royal Ascot), der Epsom Dash (Epsom) oder den Ayr Gold Cup in Ayr/Schottland. Über 62 000 Pfund bekam zum Beispiel der Gewinner im Stewards’ Cup.
Hawkeyethenoo heiß der Held des Tages an diesem Nachmittag, der knapp die Nase vorn hatte. Ich ärgerte mich, weil ich das Pferd ursprünglich auf Sieg wetten wollte, dann aber davon absah, weil der Trainer des Starters, Jim Goldie, ziemlich außer Form war. Ich entschied mich für meinen alten Freund Borderlescott, der leider drei Längern hinter dem Sieger endete.
Beide Pferde sind typische Vertreter dieses Genres. Beide sind schon etwas älter, beide werden zudem von eher „kleineren“ Trainern betreut. Sie wurden mit zunehmendem Alter immer besser. Vielen dieser Starter begleiten einen schon seit Jahren, manches Pferde wie der jetzt seinen Ruhestand genießende The Tatling sind regelrecht Kult. Das Pferd hat seine eigene Facebook-Seite.
Hawkeyethenoon stammt immerhin vom einstigen Ballydoyle-Flaggschiff Hawk Wing und hat auch schon über die Meile gewinnen. Das war noch für Mick Easterby, doch so richtig kam er für den Altmeister aus Sheriff Hutton nicht ins Rollen. Nach 12 Starts wechselte der Wallach zu Trainer Jim Goldie nach Schottland und dort platzte der berühmte Knoten: Hawkeyethenoo siegte sofort in seinem ersten Einsatz für Goldie im September 2009 über 1000 Meter in Musselburgh und arbeitete sich Schritt für Schritt im Handicap hinauf.
34 Starts, acht Siege lautet die aktuelle Bilanz. Höhepunkte war – neben dem aktuellen Erfolg – der Triumph im Victoria Cup in Ascot über 1400 Meter. Allerdings war das Pferd auch schon Zweiter im Epsom Dash über schnelle 1000 Meter. „Er hat uns nie enttäuscht“, sagte Goldie nach dem Erfolg in Goodwood. Im Sattel saß im übrigen Graham Lee, der derzeit gerade einen erstaunlichen Wandel vom erfolgreichen Hindernis- zum erfolgreichen Flachjockey vollzieht.

Dandy Nicholls statt Stoute
Es sind nicht die großen Trainernamen, die die Siegerlisten in den Sprint-Handicaps prägen. Die Herren Cecil, Stoute oder Gosden sucht man ergeblich und auch Aidan O’Brien oder Saeed Bin Suroor fehlen. Weil sie eben andere Typen von Pferden trainieren, für die nur der klassische Erfolg ab 1600 Metern zählt.
Die Kurzstrecken dominieren andere Betreuer. Dandy Nicholls zum Beispiel, der scheinbar nur Sprinter in seiner Obhut hat. Mit 641 Starts in den letzten 12 Monaten zählt er allerdings nicht zu den kleinen Trainern im Lande. Und auch Goldies Stall ist nicht klein: 506 Mal sattelte der schottische Coach in Flach- und Hindernisrennen. Aber es sind überwiegend Handicaps, in denen ihre Pferde laufen.
Deutlich weniger Vollblüter liefen immer für Robin Bastiman: Dessen bestes Pferd und „ganzer Stolz“ ist Borderlescott, inzwischen 10 Jahre alt. Schon seine Bilanz liest sich nicht schlecht: 58 Starts, 13 Siege, 17 zweite Plätze, sieben dritte Plätze. Höhepunkt seiner Karriere war der Gruppe 1-Erfolg 2009 in den Nunthorpe Stakes in York. Spätestens nach dem Erfolg im Stewards’Cup 2006 zählte der Wallach zu meinen absoluten Favoriten. Das änderte sich auch nicht nach dem Drama im Stewards’Cup ein Jahr später, als ich mich schon über den lukrativen Sieg zum Toto 130 freute, doch die Zielrichter in Goodwood Zidane mit einem kurzen Kopf vorne sahen. Ich bin ja der Meinung, dass die Stewards in Goodwood mir dafür immer noch einen schulden.
Heute ist Borderlescott nicht mehr ganz so gut wie in seinen Glanzzeiten. Er kann aber immer noch mitmischen, zumal er im Handicap Nachlass gefunden hat. Zudem gab es vor dem Rennen fast schon euphorische Töne aus dem Bastiman-Camp. Schlecht lief er dann auch nicht, aber eine echte Siegchance hatte er nicht. Aber es sind solche Pferde, die lang genug dabei sind, die die Faszination Sprint ausmachen. Weil sie eben nicht wie ihre blaublütigen Verwandten spätestens mit vier Jahren in die Zucht gehen und man lange genug mit ihnen seinen Spaß hat.


Ein
Interview
mit Jim Goldie nach dem Stewards’ Cup