Schauen wir mal, ob sich die fast schon euphorische Stimmung im deutschen Galopprennsport nach der erfolgreichen Großen Woche in Baden-Baden auch auf den Alltag überträgt. Zum Beispiel auf die altehrwürdige Rennbahn in Dortmund, wo am Sonntag (12. September) mit dem Großen DSW 21-Preis – 126. Deutsches St. Leger (2 800 Meter, Gr. III, 55 000 Euro) der letzte Klassiker des Jahres auf dem Programm steht. Aber ist das überhaupt noch ein Klassiker, wo das Rennen doch schon seit einiger Zeit auch älteren Pferden und nicht nur Dreijährigen offen steht? Jedenfalls ist das Termin früher als sonst, weil der erste Oktobersonntag diesmal auf den Feiertag 3. Oktober fällt, dort traditionell Hoppegarten und Mülheim veranstalten. Dem Dortmunder Rennverein wird die Verlegung aber gut gefallen, weil am 3. Oktober am späten Nachmittag in der Fußball-Bundesliga Borussia Dortmund auf den FC Bayern München trifft und das einiges an Besucher gekostet hätte.
Das St. Leger hat deutlich in den letzten 20 Jahren an Prestige verloren, weil Pferde, die über die weite Distanz von 2800 Meter kommen, in der Zucht weniger gefragt sind. Das ist nicht nur in Deutschland so, sondern auch in den europäischen Turf-Großmächten Frankreich, Irland und England. Nur die Engländer (wo das Rennen am Samstag in Doncaster stattfindet) haben das Rennen noch nicht für ältere Vollblüter geöffnet.
Dennoch ist es ein wichtiges Rennen im Turfkalender. nurpferdefussball analysiert die Chancen der 12 Starter im deutschen St. Leger.
Stutensiege sind nicht selten im St. Leger: 2003 triumphierte beispielsweise Royal Fantasy
1 Brusco (Trainer Andreas Wöhler/Besitzer R&B Int.): Vierjähriger Hengst, der sich im Laufe des Jahres in der Spitzengruppe der deutschen Steher etabliert hat. Fünf Starts 2010, drei Siege, zwei zweite Plätze, zuletzt in Köln auf schwerem Boden mit viel Kampfgeist Sieger gegen Val Mondo, den er heute wieder trifft. Davor unterlag er in Hamburg nur dem guten Tres Rock Danon. Bodenunabhängig, besitzt allererste Chancen.
2 Caudillo (Dr. Andreas Bolte/Brunhilde + Horst-Dieter Kuhlmann): Siebenjähriger Hengst, zählt seit Jahren zur deutschen Spitzer-Steherguppe. 2009 Vierter im St. Leger, Formen 2010 waren ganz ordentlich, vom Sieger war er aber immer ein Stück entfernt.
3 Egon (Waldemar Hickst/Stall Domstadt): „Kultpferd“ aus dem rührigen Stall Domstadt, der auch schon über 2950 Meter gewonnen hat. In der besten Steherklasse bekam der vierjährige Hengst aber schon deutlich seine Grenzen aufgezeigt.
4 Next Vision (Jens Hirschberger/Georg Baron von Ullmann): Vierjähriger Hengst, nachgenant nach seinem imponierenden Sieg mit 60 kg im Ausgleich 2 in Baden-Baden. Das zeugt von einigem Vertrauen, aber der Badener Erfolg war leicht und eindrucksvoll. Der große Unbekannte, Distanz ist ein Fragezeichen, die Mutter Night Petticoat war jedoch Zweite im St. Leger und hatte neben Stehvermögen auch herausragende Klasse.
5 Tarkheena Prince (Christian Freiherr von der Recke/BMK Racing): 5jähriger Wallach, im letzten Jahr Dritter im St. Leger. Die Formen des Wallachs in diesem Jahr sind nicht berauschend, kann jedoch den weichen Boden.
6 Sworn Pro (Mario Hofer/Gestüt Wittekindshof): Vierjährige Stute, erst zwei Starts in diesem Jahr, nach diesen Leistungen spricht wenig für sie. Aber für sie gilt auch wie für Saldennähe der Dortmunder „Wittekindshof-Faktor“. Also einen Blick auf den Toto werfen.
7 Burma Gold (Peter Schiergen/Gestüt Ammerland): Dreijähriger Hengst, zuletzt chancenlos gegen die älteren Pferde in einem Gruppe 1-Rennen in Hamburg. Die Formen vorher reichen auch nicht aus, aber ich habe den Eindruck, dass der Java-Gold-Sohn vielleicht noch etwas im Tank hat bei erst vier Starts im Leben.
8 Codor (Peter Schiergen/Klaus Allofs und Stiftung Gestüt Fährhof): Dreijähriger Hengst, zuletzt Vierter auf schwerem Boden in einem Listenrennen über 2400 Meter in Frankreich. Für mich nicht unbedingt ein Pferd, dem die 2800 Meter entgegenkommen. Ist aber die Wahl von Stalljockey Andrasch Starke aus dem Schiergen-Aufgebot.
9 Lamool (Mario Hofer/Eckhardt Sauren): Dreijähriger Hengst, beste Form als 5. im Derby, enttäuschend hingegen zuletzt als 5. in einer viel leichteren Aufgabe. Als Sohn des großen Stehers Mamool müsste ihm eigentlich die lange Strecke entgegenkommen, dennoch eine eher spekulative Wahl.
10 Val Mondo (Uwe Ostmann/Stall Dipoli): Dreijähriger Hengst, der im Ostmann-Quartier schon immer als großer Steher galt. Das untermauerte er mit einer tadellosen Vorstellung in Köln, als er nur Brusco unterlag. Im Derby chancenlos, davor aber mit guten Leistungen gegen Pferde aus der Jahrgangsspitze. Mag als Lando-Sohn erstaunlicherweise weichen oder schweren Boden, den er wahrscheinlich am Sonntag haben wird. Und normalerweise ist der September ein Monat, in dem die Ostmann-Pferde traditionell richtig erfolgreich sind.
11 Amare (Torsten Mundry/Gestüt Ittlingen): Dreijährige Stute, die zuletzt wie ein Pferd lief, das quasi nach einer längeren Strecke „schreit“. Hatte in der Diana einen katastrophalen Rennverlauf, muss sich steigern, könnte aber durchaus überraschen. Noch nicht auf schwerem Grund gelaufen, einmal Dritte zum Debüt auf weichem Boden.
12 Saldennähe (Peter Schiergen/Gestüt Wittekindshof): Dreijährige Stute im Besitz von Hans-Hugo Miebach, langjähriger Präsident des Dortmunder Rennvereins. Und der schickt in der Regel keine chancenlosen Pferde auf seine Heimatbahn. Formen reichen nicht aus, war schon hinter Amare, chancenlos in der Diana und den Oaks Italia.
Urteil:
Eine durchaus offene Sache. Ich entscheide mich für Next Vision gegen die Favoriten Brusco und Val Mondo, eine chancenreiche Außenseiterin ist Amare. Und natürlich sind in Dortmunder die Wittekindshofer Pferde immer zu beachten, auf den Toto bei Saldennähe und Sworn Pro achten.