Das Cheltenham Festival 2016 ist schon fast wieder Geschichte. Es waren Tage voller Höhen und Tiefen: Großartige Leistungen einerseits, aber auch die Schattenseiten des Hindernissports in Form verunglückter Pferde.
In Cheltenham werden immer noch vierbeinige Helden geboren. Oder wiedergeboren. Sprinter Sacre gehört eindeutig in die zweite Kategorie. Der Lärm, der den erneuten Sieg des Henderson-Schützlings in der Champion Chase begleitete, soll einer der lautesten in der Geschichte des Festivals gewesen sein. Kann ich nicht beurteilen, aber wie der Sohn des einstigen deutschen Spitzenpferdes Network den Favoriten Un de Sceaux besiegte, erinnerte in ihrer Dominanz an alte Glanzzeiten. Thistlecrack triumphierte souverän in der Long Walk Hurdle und bestätigte alle Vorschusslorbeeren mit einem grandiosen Erfolg, als er seine Gegner im Hürden-Marathon deklassierte. Colins Tizzard Wangen strahlten noch mehr als sonst. Aber es hätte noch besser für den rührigen Trainer kommen können, nur leider fiel Cue Card in bester Haltung im Gold Cup.
Weiteres Fazit: Irland hat England im Hindernissport den Rang abgelaufen. Acht der Grade 1-Prüfungen gingen auf die Grüne Insel, nur fünf blieben zuhause. Besitzer wie Ryanair-Chef Michael O’Leary, der Mann hinter Gigginstown Stud, Rich Ricci und Howard Wylie haben in den letzten Jahren kräftig investiert und sie lassen ihre Pferde in Irland trainieren.
Die meisten davon bei Willie Mullins. Sechs der acht Grade 1-Prüfungen sicherten sich Starter aus seinem Quartier. Spitzenkräfte wie Douvan, Vautour, Annie Power (die in der Champion Hurdle ihre Favoritenrolle eindrucksvoll bestätigte) und Vroum Vroum Mag waren auf den Punkt genau in Top-Form. Da lässt sich verkraften, dass Faugheen nicht starten konnte.
Nur den Gold Cup holte sich Mullins nicht, seine Starter Djakadam und Don Poli wurden Zweite bzw. Dritte. Der Gold Cup-Sieger Don Cossack stammt aus dem deutschen Gestüt Etzean, wird aber für Gigginstown trainiert von Gordon Elliott. Endlich zeigte der Wallach mal sein großes Potenzial, profitierte aber auch vom Pech seines Rivalen Cue Card. Aber so schließt sich der Kreis: Im King George fiel der Don in guter Haltung, Cue Card siegte gegen Vautour.
Vorbehalte
Leider gab es auch dunkle Seiten: Sieben tote Pferde bei fast 500 Startern sind sieben Todesfälle zuviel. Das ist die höchste Zahl seit 2006, aber man sollte differenzieren: Einige dieser Fälle hatten nichts mit den Hindernissen zu tun, passierten etwa auf der Flachen.
Wer die Festival-Rennen als Gemetzel bezeichnet, liegt falsch. Das zeigen auch die Zahlen der letzten Jahre: 2015 waren es zwei Pferde, 2014 4, 2013 1, 2012 5, 2011 1, 2010 4, 2009, 2008 jeweils 1 – bei jeweils rund 500 Startern.
Ein Problem der Festival-Rennen ist, das sie oft in einem hohen Tempo gelaufen werden. Das liegt auch an der Klasse der Pferde und so passieren Fehler. Manche Stürze beim Festival rauben einem schon den Atem, aber Pferde verletzen sich auch anderorts: im Stall, auf der Koppel etc. Zumal diese Top-Vierbeiner ein privilegiertes Dasein und im Hindernissport meist eine lange Karriere haben.
In England sind die toten Pferde zwar auch ein Thema, aber urinierende Drittliga-Kicker nehmen viel mehr Raum in der Berichterstattung ein. Und die Heldentaten werden natürlich gefeiert. Immerhin sollen die Todesfälle untersucht werden.
In Deutschland merke ich immer wieder gerade bei Festivals wie Cheltenham oder Aintree, auf welche Vorbehalte der Hindernissport trifft. Zu brutal und zu gefährlich, lautet dann das Urteil. Das finde ich nicht, aber jeder hat das Recht auf eine eigene Meinung. Das muss man akzeptieren, aber ich bin mir sicher: Wenn der Hindernissport hier eine größere Rolle spielen würde, dann sähe manche Meinung anders aus.
Für die Buchmacher wurde das Festival hingegen zum Desaster. Eine Vielzahl an Favoritenerfolgen verhagelte ihnen den Bilanz. William Hill gab sogar eine Gewinnwarnung heraus.
„Pilgerfahrt, Party, Revolte“ – das Cheltenham Festival 2016
Zugegeben – in diesem Jahr ist meine Euphorie auf das wichtigste Gipfeltreffen des englisch-irischen Hindernissports aus diversen Gründen nicht so hoch. Eher mittelmäßig, aber das ist dem Cheltenham Festival eigentlich völlig egal. Ab Dienstag nächster Woche ist es wieder so weit: Vier Tage Rennsport vom feinsten stehen auf der Agenda. Und nurpferdeundfussball beantwortet auch in diesem Jahr wieder die wichtigen Fragen.
Warum eigentlich der ganze Zauber? Lassen wir den bekannten englischen Journalisten Alastair Down sprechen. „Ein Teil Pilgerfahrt, ein Teil Party, ein Teil Revolte – es ist das größte Ding von allem für alle, die Hindernisrennen lieben“, sagt er. Gut, Mr. Down ist nicht ganz objektiv, denn er verdient sein Geld mit dem Rennsport. Aber der Mann hat Recht: Es ist ein gigantisches Spektakel und das Gipfeltreffen der Spitzenkräfte des Sports. Das Cheltenham-Festival ist das sportliche Ziel, das viele Trainer und Besitzer für ihr Pferd haben.
Schon Wochen zuvor steht das Festival im Fokus der Rennsport-Medien. Und weil es so bedeutend ist, zahlen die Besucher gerne Eintrittspreise bis zu 80 Pfund. Noch nie habe ich einen Engländer über diese Preise jammern hören. Ist eben wie ein Popkonzert. Der Freitag ist eh’ schon ausverkauft und die anderen Tagen werden wahrscheinlich ebenfalls ausgebucht sein. Über 67 000 Besucher bei Pferderennen mitten in der Woche – nicht schlecht.
Die optimale Vorbereitung für den Wetter? Das Festival ist quasi die Hochschulreife für Zocker, besonders die Handicaps sind schwer zu entschlüsseln. Viele Pferde, die in den Rennen zuvor glänzten, sind in Cheltenham geschlagen. Weil etwa der Boden nicht mehr passend ist und die Konkurrenz so gewaltig ist. Es ist ein Fest für die Buchmacher.
Informationen zum Cheltenham Festival gibt es ohne Ende. In England und Irland stehen sogenannte Panels auf dem Programm, im Netz laufen viele Vorschauen auf YouTube. Und natürlich bieten Racing Post, Sporting Life und Attheraces entsprechende Sonderseiten.
Der Kolumnist beschränkte sich in diesem Jahr auf das Wesentliche. Im Vorfeld habe ich nur die Serie von Racing UK-Presenter Lydia Hislop verfolgt. Empfehlenswert auch deshalb, weil Hislop viele andere Quellen in ihren Text einarbeitet. Zudem habe ich die Aussagen der Trainer zu ihren Startern aufmerksam notiert.
Einer meiner Helden der Vergangenheit: Viking Flagship gewinnt die Queen Mother Champion Chase 1995 gegen Deep Sensation
Ein paar Worte von Willie Mullins? Mit Faugheen fehlt der große Favorit in der Champion Hurdle, aber sonst ist der irische Top-Trainer natürlich bestens präpariert. Aber in seinen Worten zu Annie Power, der neue Favoritin für die Champion Hurdle, schimmert ein wenig Skepsis. Das gilt nicht für Douvan, den hohen Favoriten in der Arkle Chase, den Mullins als „aufregendstes Pferd aller Zeiten“ bezeichnet.
…..von Nicky Henderson? Die interessanteste Aussage gab es zu Whisper, einem seiner Starter in der World Hurdle. Whisper gehe in Aintree-Form in die World Hurdle, meint der englische Trainer. Hintergrund: Der Wallach gewann 2015 die Aintree Hurdle über ähnlich lange Distanz und war davor in der World Hurdle 2015 Fünfter hinter Cole Harden. Das war eine respektable Leistung für den ersten Start des Jahres. In diesem Jahr lief Whisper einmal ganz schlecht, aber der Asterabad-Sohn ist ein Frühlingspferd. Und laut Henderson besser drauf als 2015. Bei Racebets steht Whisper 150:10.
….von Paul Nicholls? „Er habe kein herausragendes Pferd in diesem Jahr. Eher Außenseiter“, sagt Paul Nicholls. Bei Vibrato Valtat warte er darauf, ihn auf einer längeren Strecke zu bringen. Darum läuft er in der Ryanair Chase. Ansonsten nennt Nicholls nach etwas Zögern noch Modus, der in Bestform in der County Handicap Hurdle am Freitag eine gute Chance habe.
Welche Trainer sind noch im Fokus? Colin Tizzard hat bereits eine großartige Saison. In Cheltenham sattelt er mit dem weiter verbesserten Cue Card im Gold Cup und Thistlecrack in der World Hurdle zwei Top-Kandidaten. Eine großartige Sache für einen kleineren Stall.
Welche Top-Pferde fehlen? Natürlich Faugheen, Vorjahressieger und erneut wieder klarer Favorit in der Champion Hurdle. Obwohl der Germany-Sohn den Nimbus des Ungeschlagenen verloren hat. Vermisst wird zudem Coneygree, der letztjährige sensationelle Triumphator im Gold Cup.
Die schönste Geste? Der Kolumnist ist auch nach über 25 Jahren Cheltenham immer ganz ergriffen, wenn die Kollegen den siegreichen Jockey direkt nach dem Rennen und noch im Sattel beglückwünschen. Das habe ich noch nie bei Flachrennen gesehen.
Letzte Worte des Kolumnisten? Immer auf die Stallform achten, so etwas ist nicht nur in Cheltenham ein Erfolgsgarant. Einen Sonderapplaus bekommt zudem unser alter Freund The Giant Bolster, zum fünften Mal in Folge im Gold Cup am Start. Zweiter war er schon mal, der Wallach aus deutscher Zucht mag die Bahn, aber es wäre ein kleines Wunder, wenn er wieder vorne mitmischen würde. Hauptsache, er kommt (wie alle Teilnehmer) gesund heim.