Montag, 14. Juli 2014
Wir Weltmeister
Gestatten, ich bin Weltmeister. Fußball-Weltmeister. Auch wenn ich aktiv sportlich in meiner Glanzzeit höchstens um lokale Ehren gekämpft habe. Aber egal – wir, das heißt alle Deutschen, sind Weltmeister. Auch ohne direkte Beteiligung, sagen zumindest Bild und Co.

Dabei nenne ich den Spieler, der das goldene Tor im Finale gegen Argentinien schoss, manchmal „Judas“. Weil er vom geliebten BVB zum ungeliebten FC Bayern wechselte und dort eine neue sportliche Herausforderung suche, sagt er. Weil er dort viel mehr Geld als in Dortmund verdient, sage ich. Dreimal soviel wie Toni Kroos, stand in der seriösen Frankfurter Sonntagszeitung. Und darum verlässt wahrscheinlich Kroos Bayern München und geht zu Real Madrid.
Dabei war Kroos einer der besten Spieler dieser WM, Mario Götze hingegen bis zu seinem Tor höchstens Mitläufer.
Das Tor hat Götze natürlich großartig gemacht. Technisch hoch anspruchsvoll, aber dieses technische Vermögen hat er auch ja in der Jugendabteilung von Borussia Dortmund verfeinert.

Kleber
Fußball-Weltmeisterschaften sind schon eine tolle Sache. Vier Wochen dreht sich alles um die „schönste Nebensache der Welt“. Das mit der Nebensache ist natürlich Humbug. Fußball ist das Wichtigste auf der Welt und der Klebstoff, der eine Gesellschaft zusammenhält. Viel mehr als Politik. Wie die Nationalmannschaft bei einer WM abschneidet, bestimmt die Stimmung eines Landes.
Die Nation leidet beim Scheitern. Gastgeber Brasilien wurde nur Vierter – Versager, eine ganze Nation weint. Die einstigen Fußball-Großmächten Spanien, Italien und England scheiterten schon in der Vorrunde – kollektive Trauer, die Medien fordern mindestens den Rücktritt des Trainers. Die gleichen Medien, die im Falle des Erfolges Spieler und Trainer zu Heiligen stilisieren.
Kollektive Jubelszenen im XXL-Format hingegen aus Costa Rica oder Algerien. Länder, die sonst nicht zu den Fußball-Großmächten gehören, aber in Brasilien für Aufsehen sorgten.
Eine Fußball-WM drängt alle anderen Sachen in den Hintergrund. Kriege, Konflikte und Krisen werden zur Nebenschauplätzen. Das wissen der Welt-Fußballverband FIFA und seine skandalumwitterten Spitzenfunktionäre. Sie können für eine WM Forderungen stellen, für die man andere aus dem Land jagen würde.
In Brasilien gab es vor der WM berechtigte Proteste gegen die hohen Kosten der WM – Gelder, die für andere Dinge deutlich besser geeignet wären. Doch als der Ball rollte, rückte das völlig in den Hintergrund. Die Spiele interessierten mehr als teuere, ineffiziente Buslinien in Sao Paulo, Recife oder Manaus.

Ein würdiger Champion
Sportlich war es eine gute Weltmeisterschaft. Besonders in der Vorrunde gab es viele interessante Spiele, eigentlich war kein Tag langweilig. Ich mag generell den südamerikanischen Fußball – diese Leidenschaft, dieses hohe technische Vermögen. Zugegeben, manchmal übertreiben sie etwas in Sachen Härte. Aber Mannschaften wie Kolumbien oder Chile verkörperten überwiegend die positiven Tugenden; zudem versuchten beide immer, zu agieren statt zu reagieren.
Oder die Überraschungsteams aus Mittelamerika: Mexiko etwa war so stark wie noch nie. Mannschaftlich sehr geschlossen, aber offensiv aufgestellt, dazu ein großartiger Keeper. Und natürlich Costa Rica, das sich in der Gruppe mit Uruguay, Italien und England durchsetzte. In Achtel- und Viertelfinale fehlte dann etwas die Kraft, aber Spieler wie Navas, Ruiz, Umana oder Campbell kennen nach dieser WM nicht mehr nur Insider.
Aber Deutschland ist ein würdiger Weltmeister. Manchmal war es ein wenig haklig, aber die Mannschaft fand immer wieder Antworten, steigerte sich eindrucksvoll und konnte sich auf einen großartigen Torhüter verlassen. Und auch der von mir gerne kritisierte Trainer Joachim Löw traf die richtigen Entscheidungen.
Es gab früher deutsche Nationalmannschaft, für die man sich quasi schämen musste. 1982 zum Beispiel, als eine Ansammlung von Unsympathen Vizeweltmeister schämen musste. Dann waren da diese Teams, die mit Kampf, Kraft und auch Krampf gut abschnitten.
Doch seit der Heim-WM 2006 steht die Adler-Elf für attraktiven Fußball. Und in den letzten Jahren entwickelte sich vielleicht die beste Generation, die es in Deutschland je gab.
Die deutsche Nationalmannschaft zählt spielerisch zu den Besten der Welt. Doch erst 2014 belohnten sich die Hochbegabten mit einem Titel. Die „Generation Halbfinale wurde endlich zur Generation Gold“ (kicker).
„Wir werden jetzt jeden Tag mit einem Lächeln aufwachen“, sagte eben dieser großartige Torhüter Manuel Neuer direkt nach dem Finale. Der Gelsenkirchener Junge ist ein Produkt der starken Jugendarbeit des FC Schalke 04 und leider beim FC Bayern München – aber ein sympathischer Typ. Und eben Weltmeister – wie wir alle. Unvorstellbar, dass man ihn in Dortmund mit Bananen begrüßt



Donnerstag, 10. Juli 2014
Deutscher Fußballrausch, argentinische Öde
Was für unterschiedliche Halbfinal-Spiele bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien: Am Dienstag das historische 7:1 der deutschen Nationalmannschaft gegen den Gastgeber Brasilien, gestern ein völlig ödes Match zwischen Argentinien und den Niederlanden. 120 Minuten Rasenschach, am Ende gewannen die Südamerikaner nach Elfmeterschießen. Und damit kommt es im Finale mal wieder zum Showdown zwischen Deutschland und Argentinien.

Der Dienstag in Deutschland wirkte zunächst nicht so wie ein Tag, an dem Geschichte geschrieben wird. Hier in Dortmund regnete es kontinuierlich den ganzen Tag, es war kalt für den Juli und trübe wie im Herbst. Das Wetter dämpfte auch ein wenig die schwarz-rot-goldene Euphorie. In der Dortmunder Innenstadt sah man am frühen Abend nur wenige weiße als auch rot-schwarze-Deutschland-Trikots.
Der Kolumnist ist so und so kein Freund von Public Viewing, guckt das lieber in Ruhe von zuhause. Doch was dann an diesem Abend im entfernten Belo Horizonte geschah, fällt zweifellos in die Kategorie von Spielen, wo danach jeder gefragt wird, was er an diesem Abend gemacht hat. 7:1 deklassierte Deutschland den Gastgeber Brasilien und brach damit eine Menge dieser (überflüssigen) Statistik-Rekorde, mit denen Fußball-Journalisten immer so gerne hausieren gehen.
Es war eine herausragende Leistung der deutschen Elf. Nach ausgeglichenem Beginn nutzte Thomas Müller quasi die erste deutsche Torchance. Und was dann zwischen der 23. und 29. Minute passierte, war ein Alptraum für die Selecao und die brasilianische Seele: Vier Tore schoss Deutschland, nach 29 Minuten stand es 5:0. Ich saß im Sessel und bekam den Mund nicht zu, zeitweise sah es so, als wenn in der Vorbereitung eine Auswahl örtlicher Amateure (Brasilien) auf einen Erstligisten (Deutschland) trifft und dieser auf einmal Ernst macht. Und die diesmal Schwarz-Roten erwiesen sich als gnadenlos effizient, von sechs Versuchen waren fünf im Tor der Brasilianer.

Brasilien weint
Wer hätte so ein Ergebnis prophezeit? Deutschland blieb zwar ohne Niederlage, hatte aber nicht immer überzeugt, beispielsweise im Achtelfinale gegen Algerien. Gegen die gleichwertigen Franzosen im Viertelfinale war die Defensive top, offensiv gab es noch einige Wünsche. Und jetzt? Eine Leistung, die auch Leute wie mich, die der Nationalmannschaft und dem Trainer eher skeptisch gegenüberstehen, beeindruckt hat. Zudem gefiel mir, wie sportlich fair Spieler und Offizielle mit dem Sieg umgingen und den traurigen Brasilianern Trost spendeten.
Unzählige Tränen flossen nach dem Spiel im Gastgeberland. Jedenfalls zerfiel der fünffache Weltmeister im Halbfinale in alle Einzelteile, ein Debakel, das nicht nur an den fehlenden Neymar und Thiago Silva lag. Die brasilianischen Zeitungen sprachen von Demütigung und Massaker, die Süddeutsche Zeitung schrieb„von der schwächsten Selecao seit den fünfziger Jahren“. Das sehe ich nicht so, denn seit dem letzten Titel 2002 haben mich die Mannschaften aus Brasilien alle nicht überzeugt. Dennoch setzte Trainer Luiz Felipe Scolari auf die falschen Leute wie etwa den Mitleid erregenden Mittelstürmer Fred.

Höchststrafe
Das zweite Halbfinalspiel zwischen den Niederlanden und Argentinien entwickelte sich leider zu dem befürchteten Langweiler. Beide Teams wollten nur kein Tor kassieren und so bestimmten die Deckungen das Geschehen. Es war eines der Spiele in der Spätphase einer Fußball-Weltmeisterschaft, in denen man sich wünscht, dass die WM doch ein Ende nehme. Aber bei diesen Veranstaltungen gibt es noch Verlängerung und das ist dann die Höchststrafe. Fußballerische Folter, passend entschieden im Elfmeterschießen.
Bondscoach Louis van Gaal bekam nach der Niederlage sein Fett weg, dabei hatten vor der WM die wenigsten darauf gesetzt, dass das Team in Orange weit kommt. Doch van Gaal ruft mit seiner rechthaberischen Art automatisch Widerstand hervor und wenn er dann noch dem heiligen 4-3-3 Spielsystem abschwört, dann schreit Hollands Fußball-Elite auf. Doch diesmal bekommt van Gaal nicht nur aus der Heimat Kritik.
Argentinien spielt bei dieser WM so wie Italien früher: Eine sehr stabile Deckung, vorne soll es Superstar Lionel Messi richten. Der ist nicht in allerbester Form, aber immer für eine herausragende Aktion gut. Argentinien agiert nicht, es reagiert.
Die 2014-Auswahl der Albiceleste erinnert mich an die von der Weltmeisterschaft 1990. Die hatte er auch einen Superstar namens Diego Maradona, der auch nicht richtig in Form war, und einen unsicheren Torhüter, der aber im Elfmeterschießen zu großer Form auflief. Nur im Finale war er chancenlos gegen den Elfmeter von Andreas Brehme – und das ist doch ein gutes Zeichen für die deutsche Nationalelf.



So war es 1990 im WM-Finale: Fast nur deutsche Chancen, erst kurz vor Schluss traf Andreas Brehme per Strafstoß zum erlösenden 1:0 gegen Argentinien.



Mittwoch, 2. Juli 2014
Jogi Löw und die Liebe zum Innenverteidiger
So langsam kommen die ersten Ermüdungserscheinungen. Die Fußball-Weltmeisterschaft fordert ihren Tribut: Gestern bei Belgien gegen die USA bin ich doch wahrlich im zweiten Abschnitt eingeschlafen. Beim Aufwachen sah ich jubelnde Belgier nach dem 2:0, es folgte eine dramatische Schlussphase, doch unser Nachbarland überstand die amerikanischen Bemühungen. Also Glückwünsch ins Land der beleuchteten Autobahnen; Kompliment aber auch an das Team von Jürgen Klinsmann, das sich sehr stark präsentierte.



Belloumi, Madjer und ein entsetzter Kommentator Rudi Michel: So war es 1982, Algerien gewann 2:1 gegen den hohen Favoriten. 2014 ersparte sich Deutschland diese Blamage

Meine Müdigkeit mag aber auch daran liegen, dass ich mal eben am Tage rund 800 km im Auto für einen geschäftlichen Termin in Baden-Württemberg unterwegs war. Da höre ich immer Radio – und das dominierende Thema bei den ganzen Dudelsendern waren die angenervten Antworten von Per Mertesacker auf die Fragen von ZDF-Mann Boris Büchler nach dem Achtelfinale Deutschland gegen Algerien. Bestimmt zehn Mal habe ich das gehört, es wurde rauf und runter gesendet bei Eins Live, HR3, FFH und SWR3. Irgendwann kam es mir aus den Ohren hinaus, darum verzichte ich mal auf die Verlinkung.
Die Reaktion von Mertesacker ist aber verständlich, zumal er direkt nach Spielschluss immer noch voller Adrenalin war. Zudem hatte die Mannschaft gewonnen und das Viertelfinale erreicht hat. Aber Büchler lag mit seinen Einwänden auch richtig, er stellte seine Fragen nur zum falschen Zeitpunkt.

Libero Neuer
Es war eine schwere Geburt, dieses 2:1 in der Verlängerung gegen den Außenseiter Algerien. Von wegen leichter Gegner. Algerien präsentierte sich als spielstarke und taktisch versierte Mannschaft, die Deutschland vor einige Probleme stellte.
Und wenn Torhüter Manuel Neuer ein paar Mal nicht quasi weit aus seinem Strafraum gerettet hätte („Manu, der Libero“, titelte die Süddeutsche Zeitung), wäre die Blamage komplett gewesen, hätten die Nordafrikaner ihre Revanche für die Schande für die Gijon bekommen.
Deutschland zeigte das schwächste Turnierspiel bislang, offenbarte besonders im Mittelfeld und auf den Außenpositionen deutliche Defizite. Diesmal bekamen Schweinsteiger, Lahm und Kroos im deutschen Mittelfeld das Spiel nicht in den Griff. Das führte immer wieder zu Problemen in der neuformierten Abwehr ohne den kurzfristig ausgefallenen Mats Hummels.
Die größten Defizite gab es allerdings auf den hinteren Außenpositionen. Ich weiß nicht, was Bundestrainer Joachim Löw an der Idee findet, mit vier Innenverteidigern in der Viererkette zu agieren. Gegen starke Gegner mag das noch angehen, aber gegen eher defensive Algerier? Dafür sind Benedikt Höwedes und Shkodran Mustafi technisch zu limitiert, eben Innenverteidiger ohne große Impulse für die Offensive.

Großkreutz und Durm
Wenn Löw schon mit Philipp Lahm auf einen der besten Spieler außen verzichtet und ihn lieber im Mittelfeld einsetzt, warum setzt er auf Mustafi rechts und nicht auf den Dortmunder Kevin Großkreutz? Der hat offensiv seine Qualitäten und hat das auch schon auf Top-Niveau bei Borussia Dortmund in der Champions League bewiesen. Und warum lässt Löw auf links nicht mal Eric Durm spielen?. Der Dortmunder hat zwar wenig Erfahrung, aber ist offensiv sehr stark. Mit zwei spielstarken Außen hätte man die Nordafrikaner viel stärker unter Druck setzen können.
Es ist schon ein schwieriges Thema mit der deutschen Nationalmannschaft. Jeder hat dazu seine Meinung, aber immerhin spielt das Team erfolgreich. Und spielt spektakulär, denn auch gegen Algerien erarbeiteten sie sich viele Torchancen. Es gibt kaum ein anderes Team, das offensiv soviel Potenzial hat, auch wenn ich von der Taktik mit der falschen Neun nicht begeistert bin. Mir wäre ein echter Stürmer wie Miroslav Klose in der Startaufstellung am liebsten.
Was auffällt bei dieser WM: Es geht ganz wahnsinnig eng zu, es gibt nicht die Übermannschaften. Das Achtelfinale demonstrierte das eindrucksvoll. Die Entscheidungen fielen spät, nicht nur Deutschland musste in die Verlängerung, andere große Namen wie Brasilien mussten sogar ins Elfmeterschießen.
Deutschland trifft im Viertelfinale auf Frankreich, diesen Gegner wird niemand hier unterschätzen. Es bleibt also spannend. Genug Gründe zum Wachbleiben.



Samstag, 28. Juni 2014
Ihr müsst nach Hause fahren
Der erste Abend ohne Fußball seit über 14 Tagen, da kommt man sofort auf andere Gedanken. Zum Beispiel über die Enttäuschungen der Fußball-WM in Brasilien zu schreiben. Denn große Fußball-Nationen fehlen in den nächsten Wochen, wenn es ernst wird. Der noch amtierende Fußball-Weltmeister Spanien etwa. Oder Italien oder England. Die Flops dieser WM.

Spanien: Das Ende einer großen Generation. Der amtierende Welt- und Europameister verabschiedete sich schon nach zwei Niederlagen gegen die Niederlande und Chile in der Vorrunde. Beim 1:5-Debakel gegen Oranje stellte Taktikfuchs Louis van Gaal die Iberer ins Abseits, beim 0:2 gegen Chile scheiterte La Roja an der forschen und agressiven (aber nicht unfairen) Spielweise der Südamerikaner. Ob ob es jetzt Tiki Taka heißt oder nicht – das schnelle Passspiel vergangener Jahre funktionierte nicht mehr. Die Taktgeber vergangener Epochen wie Xavi, Xabi Alonso und Iniesta sind in die Jahre gekommen. Zudem patzten die einstigen Helden wie Torhüter Casillas und Innenverteidiger Sergio Ramos.
Was sich schon beim FC Barcelona in dieser Saison ankündigte, zeigte sich in Brasilien: Der Zauber ist vorbei. Wenn es ein Team wie Spanien schon mit langen Bällen probiert, dann ist das ein Akt der Verzweiflung.
Dazu passte der neu eingebürgerte Torjäger Diego Costa überhaupt nicht ins System. Zum einen war er nicht richtig fit, zum anderen ist er überhaupt nicht passkompatibel und lebt viel von langen Bällen in die Spitze. Und das kann das Team von Vicente del Bosque überhaupt nicht.

Italien: Natürlich war beim Scheitern der Italiener viel Pech dabei. Der Platzverweis von Marchisio im letzten Spiel der Vorrunde gegen Uruguay war eine viel zu harte Entscheidung des mexikanischen Schiedsrichters, auf der anderen Seite hätte Suarez nach seiner Beißattacke gegen Italiens Chiellini runter gemusst. Zudem ist der Einwand von Trainer Cesare Prandelli berechtigt, dass Italiens erst in Manaus und dann die nächsten Spiele im heißen Norden zur brasilianischen Mittagszeit bestreiten musste. Das kostete Kraft.
Der Auftakt gegen England war gut, doch danach ging es abwärts. Die Vorstellungen gegen Costa Rica und Uruguay waren „apathisch“ (kicker), nur zwei echte Torchancen in diesen Spielen sind eine beschämende Bilanz.
Am stärksten wirkte noch Altmeister Pirlo, dessen Pässe immer noch ein Gedicht sind. Aber sonst war Italien vielfach nicht mehr als Mittelmaß. Balotelli bleibt eine Wundertüte, „Meriten verdient man auf dem Platz, nicht mit großen Ankündigungen“, kritisierte Torhüter Gigi Buffon und nannte das Ausscheiden „verdient“.

England: Vielleicht ein Trost, liebe Freude aus England, auch wenn das Ausscheiden in der Vorrunde einer WM für das Mutterland des Fußballs eine Demütigung ist. Also ich fand, dass diese englische Mannschaft die beste war, die seit langen Zeit das Dress mit den drei Löwen trug.
Leider gehört dazu nicht viel. Die Vorstellungen seit 2002 bei Welt- und Europameisterschaften waren eine Katastrophe: Stereotyper Kraftfußball ohne Fantasie, dazu patzten regelmäßig die Torhüter.
Diesmal zeigte die Mannschaft spielerisch einige gute Ansätze, Typen wie Sturridge und Sterling machten das englische Spiel attraktiver. Wayne Rooney mag intellektuell keine große Leuchte sein, aber er ist immer noch ein fantastischer Fußballer. Dass er auf der Seite verschenkt ist, ist richtig. Und dass ihn der Boulevard immer besonders aufs Korn nimmt, ist traurig.
Die Niederlagen gegen Italien und Uruguay waren unglücklich, beide Spiele hätten auch anders ausgehen können. Aber mit dem Weltmeistertitel hat doch selbst die Boulevardpresse nicht gerechnet.

Portugal: Wenn Cristiano Ronaldo nicht richtig fit ist, verkörpert die portugiesische Nationalmannschaft höchstens Durchschnitt. Und wenn dann Pepe, der andere Weltklasse-Spieler, mal wieder den Psycho mimt, dann ist das Scheitern bei einer WM nicht zu vermeiden. Deutschland bestrafte die Fehler der zehn Portugiesen höchsteffizient, auch weil Pepe früh die rote Karte sah. Gegen die USA war das Remis sehr schmeichelhaft, der Erfolg gegen Ghana zudem sehr glücklich.



Fußball und Lego – originelle Idee des englischen Guardians. Hier gibt es noch einmal eine Zusammenfassung des Spieles Deutschland gegen Portugal, ein Höhepunkt ist die Attacke von Pepe gegen Thomas Müller. Man beachte zudem die putzige Aussprache der deutschen Spielernamen: Hammels, the big defender…

Russland: Fabio Capello mag einer der bestbezahlten Nationaltrainer der Welt sein, aber als russischer Nationaltrainer ist er sein Geld definitiv nicht wert. Seine Mannschaft wirkte in Brasilien weitgehend leblos, gestopft in ein wenig flexibles Defensiv-Konzept. Nun war Capello immer ein Freund der gepflegten Abwehr, aber früher trainierte er auch Teams mit viel besseren Individualisten. Jedenfalls blamierte sich der Ausrichter der WM 2018 gegen Belgien, Südkorea und Algerien gewaltig. Der russische Fußball bleibt ein Rätsel – auch wenn Fabio Capello andere Dinge für das Scheitern verantwortlich macht.

Japan und Südkorea: Beide Länder dominieren seit Jahren das Geschehen in Asien, qualifizieren sich regelmäßig und ohne große Probleme für Weltmeisterschaften. Doch Brasilien war sowohl für Japan als auch Südkorea ein Desaster.
Besonders Japan hatte sich im Vorfeld einiges ausgerechnet – auch weil viele Spieler sich in Top-Ligen durchgesetzt haben. In Dortmund gucken wir seit den glorreichen Tagen des Shinji Kagawa im BVB-Dress verstärkt auf das Team, doch Kagawa blieb wie bei Manchester United auch im Nationaldress blass. Japan zeigte zwar einige Ansätze, doch wenn es zur Sache ging, hatte das Team nichts zuzusetzen.
Nicht ganz so hoch waren die Erwartungen bei Südkorea. Doch auch der WM-Vierte von 2002 – gespickt mit vielen Spielern aus der der Bundesliga – blieb sieglos und zeigte besonders in der Abwehr eklatante Schwächen.

Kamerun: Die „unbezähmbaren Löwen“ blamierten sich in Brasilien gewaltig. Mit null Punkten und 1:9-Toren war Kamerun das schlechteste Team der Vorrunde, alte Helden wie Roger Milla rufen nach einem Neuanfang. Dabei hat die Mannschaft von Volker Finke starke Individualisten, aber als Gruppe versagten die Spieler. Das erste Spiel verlor man verdient gegen starke Mexikaner, im zweiten Spiel war die Mannschaft gegen Kroatien gleichwertig, bevor Alexandre Song mit seinem Platzverweis das Team dezimierte. Danach brach Kamerun völlig auseinander, der negative Höhepunkt war der Kopfstoß von Assou-Ekotto gegen einen Mitspieler. Gegen den Top-Favoriten Brasilien wehrten sich die Löwen zumindest eine Hälfte, doch auch danach fiel man auseinander. Erbärmlich.



Donnerstag, 26. Juni 2014
Klinsi, Udo und das Saxophon
Zugegeben, dieses Video ist nichts für Zartbesaitete. „Wir sind schon auf dem Brenner – wir brennen schon darauf“, sang 1990 Barde Udo Jürgens einst mit der Deutschen Fußball-Nationalmannschaft. So gestählt fuhr das Team von Teamchef Franz Beckenbauer nach Italien und wurde bekanntlich Weltmeister. Und einer dieser Weltmeister hieß Jürgen Klinsmann und der ist auf diesem Dokument die langhaarige blonde Stimmungskanone. Man beachte seinen Einsatz beim Saxophon-Solo, später rockt er gemeinsam mit seinem damaligen Sturmpartner Rudi Völler.
Heute heißt es „Wir gegen uns“, denn Jürgen Klinsmann trifft als Nationaltrainer der USA auf seinem ehemaligen Assistenten und Freund Joachim Löw, bekanntlich Trainer des deutschen Teams und eben Nachfolger dieses Jürgen Klinsmanns. Ich mochte „Klinsi“ immer, weil er seinen eigenen Kopf hatte und Bild und Lothar Matthäus nicht mochte. Da konnten ihn das Springer-Blatt und seine Ableger immer schön in den Senkel stellen, er ignorierte diese Leute einfach. Und „flipperte“ die Bälle weiter rein.
„Auch wir sind dabei – Hollahihollaho“, dichtete der Udo. Und Klinsmann machte in Italien im Achtelfinale gegen die Niederlande das Spiel seines Lebens. Das musste auch Lothar Matthäus zugeben.




Mittwoch, 25. Juni 2014
Ein Biss zuviel
Es ist bislang eine Weltmeisterschaft der Südamerikaner: Brasilien erwartungsgemäß Gruppensieger, Kolumbien ebenfalls ungeschlagen, Argentinien zwar nicht schön, aber auch siegreich, Chile kickt Spanien raus und natürlich Uruguay. Die „Celeste“ besiegelte das Vorrunden-Aus der europäischen Fußballgrößen England und Italien. Dabei hatten viele die Mannschaft nach der überraschenden Auftakt-Niederlage gegen den späteren Gruppensieger Costa Rica schon abgeschrieben. Doch das Ergebnis spielte danach keine große Rolle mehr.

Erinnerungen an alte Treter-Tage wurden wach. Es war die 79. Minute, da zeigte Italiens Giorgio Chiellini auf einmal seine Schulter. Sie blutete ein wenig. Vorausgegangen war eine Rangelei mit Uruguays Stürmer Luis Suarez. Der hielt sich die Zähne vor angeblichen Schmerzen. Doch das war Show, er war der Übeltäter: Suarez hatte wieder zugebissen wie einst bei Liverpool und Ajax Amsterdam, nur der Schiedsrichter und sein Assistent hatten nichts gesehen.
Der Stürmer ist ein Genie im Strafraum. Seine beiden Tore gegen England zeigten das eindrucksvoll. Die andere Seite des Luis Suarez erinnert an alte südamerikanische „Tugenden“. Wie man gewinnt ist egal, um zu siegen, ist jedes Mittel erlaubt, das den Gegner provoziert und aus dem Rhythmus bringt.
„Suarez braucht Hilfe“, schrieb der englische Telegraph. Weil das, was er mache, letztendlich selbstzerstörend sei. Die FIFA wird den Vorfall untersuchen, wahrscheinlich werden sie den Spieler sperren. Damit wird Uruguay ein Akteur fehlen, der den Unterschied zwischen Sieg und Niederlage ausmachen kann. Bei der Niederlage gegen Costa Rica fehlte Suarez.
Das Presseecho war gewaltig, besonders die englische Boulevard-Presse wütete. „Der Vampir kehrt zurück. Drei Bisse und du bist draußen. Diesmal kann es keine zweite Chance geben, keine Vergebung, keine Behauptung, er habe sich geändert“, forderte der Mirror.
Dagegen fühlten sich die Uruguayer verfolgt und witterten ein Komplott. „Das ist eine Fußball-Weltmeisterschaft, es geht hier nicht um billige Moral“, entrüstete sich Uruguays Trainer Oscar Tabarez. „. ….Suarez, trotz aller Fehler, die er macht, ist das Ziel gewisser Medien und Zeitungen, die nur auf eine neue Verfehlung von ihm warten. Über seine Fehler wird viel mehr berichtet als über seine sportlichen Leistungen.“
Uruguay gegen Italien in Natal – das war am dritten Vorrundenspieltag der Gruppe D lange Zeit Folter pur für den neutralen Beobachter. Italien reichte ein Unentschieden, die Südamerikaner mussten gewinnen – doch das Team von Oscar Washington Tabarez begann verhalten. Es war ein verbissener Kampf, fast jede Aktion endete mit einem Foul. Chancen blieben Mangelware.
Spätestens nach der unberechtigten Roten Karte für Italiens Marchisio bekam Uruguay Oberwasser, verstärkte die Offensivanstrengungen. Und wurde belohnt: Kurz nach der Beißattacke köpfte Diego Godin zum 1:0-Sieg ein.

Bollwerk
Es gibt einige Mannschaften bei dieser Weltmeisterschaft, die sehr kompakt stehen: die Niederlande zum Beispiel baute gegen Chile ein Bollwerk auf, gegen das kaum ein Durchkommen möglich war. Auch Mexiko stand in den ersten drei Spielen sehr geschlossen.
Aber es gibt kein Team, das dieses kompakte Spiel so beherrscht wie Uruguay. Zum einen, weil man in dieser Besetzung schon sehr lange zusammenspielt, zum anderen unterbindet man immer wieder mit kleinen Fouls und Nickligkeiten den Spieltakt des Gegners. Dazu ist das Team eine Mannschaft – jeder läuft und kämpft für jeden.
Also „klassischer rechter Fußball“, um mal bei Altmeister Cesar Luis Menotti zu bleiben? Siegen um jeden Preis? Ohne Sinn für Ästhetik und Schönheit? Das häßliche Spiel? Nur bedingt – Uruguay 2010 und 2014 ist nicht so schlimm wie Kloppertruppen dieses Landes aus früheren Jahren. Das Team bei der WM 1986 in Mexiko bleibt in Sache Härte unübertroffen. Da galt jede Attacke dem Gegner und nicht dem Ball. Die Mannschaft hatte damals einen Abwehrspieler namens Victor Diogo, der senste alles um, was in seiner Nähe war.
Auch Uruguay 2014 hat mit Caceres, Arevalo Rios, Alvaro Pereira oder Maxi Pereira einige knochenharte Typen dabei. Diego Godin zählt zu den besten Innenverteidigern der Welt, mit Jose Maria Gimenez wächst ein großartiges Talent auf dieser Position heran. Doch vorne hat man mit Edinson Cavani und eben Luis Suarez herausragende Individualisten, die immer ein Spiel entscheiden können. Wenn sie sich denn mal auf das Spiel konzentrieren.
1986 war im Achtelfinale Schluss, der zweimalige Weltmeister Uruguay scheiterte am Erzrivalen und späten Champion Argentinien. Jetzt geht es gegen Kolumbien, einen weiteren Südamerikaner – aber wahrscheinlich ohne Suarez.