Drei Tage läuft die Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika jetzt. Was bleibt bislang haften? Erst einmal die Dauerbeschallung durch die Vuvuzelas, die an einen Hornissenangriff in einem B-Movie erinnern. Und dann die Tatsache, wie wichtig der Fußball doch für die Stimmung im Lande ist.
Zum Beispiel Deutschland – Deutschland hat „die schlechteste Bundesregierung aller Zeiten“ (Süddeutsche Zeitung), die derzeit in der Öffentlichkeit ein jämmerliches Bild abgibt. Da wird sich Bundeskanzlerin Angela Merkel freuen, dass wenigstens die deutsche Nationalmannschaft etwas von ihren Problemen ablenkt: Locker mit 4:0 gewann das Team von Joachim Löw zum Auftakt gegen allerdings schwache Australier. Doch diese waren auch so schwach, weil Deutschland sie so gut im Griff hatte. „Es war der perfekte Abend“, schwärmte ZDF-Experte Oliver Kahn.
Zum Beispiel Ghana – John Mensah lief eine Ehrenrunde mit der Landesfahne. Sie feierten, als wenn sie den Titel gewonnen hätten. Dabei war es nur ein Spiel der Vorrunde: 1:0 besiegte Ghana in der „deutschen Gruppe C“ Serbien, aber schickte damit offensichtlich einen ganzen Kontinent in Partystimmung. Es war ein eher müder Kick, in dem Ghana das etwas bessere Spiel zeigte und der „böse“ Kevin-Prince Boateng mal wieder eindrucksvoll unter Beweis stellte, welch großartiger Fußballer er doch ist. Und Serbien? Die Realität auf dem Platz war enttäuschend und entsprach gar nicht den enthusiastischen Vorberichten.
Zum Beispiel England – Fabio Capello soll es richten und nach über 40 Jahren den Titel wieder ins Mutterland des Fußball holen. Und wie immer war die Euphorie vor dem Start grenzenlos. Doch von wegen „Let’s spank the Yanks“, wie der englische Boulevard, in diesem Fall der Daily Star, gewohnt zartfühlend vor dem Spiel getitelt hatte. Englands Fußball-Nationalmannschaft bekam zum Auftakt der WM in Südafrika den ersten Dämpfer: Nur 1:1 gegen die USA. Die erste Halbzeit erinnerte an längst vergangene Zeiten. Die Bälle flogen nur hoch nach vorne und dann führte Keeper Paul Green die Tradition der Kollegen Seaman, James und Robinson fort, als er einen harmlosen Ball passieren ließ.
Zum Beispiel Argentinien – Es war unglaublich, was Lionel Messi mit Nigerias Abwehrspielern anstellte. Rechts vorbei, links vorbei – der kleine Ausnahmefußballer war an diesem Nachmittag kaum zu stoppen. Nur einer hatte etwas dagegen: Nigerias Torhüter Vincent Enyeama reagierte mehrmals phänomenal und verhinderte ein Debakel. Es blieb beim 1:0 für das Team von Diego Maradona, das defensiv zudem einige Schwächen offenbarte und den ansonsten harmlosen Westafrikanern einige gute Möglichkeiten schenkte.
Zum Beispiel Südafrika – Was war nicht vorher alles über Südafrikas Bafana Bafana geschrieben worden. Schwächster Gastgeber aller Zeiten, Kanonenfutter, Punktelieferant – alles dummes Geschwätz. Gegen die nicht schlechten Mexikaner war Südafrika dem Sieg nahe, kam nach nervösen Beginn gut ins Spiel, schoss ein herrliches Tor, traf den Pfosten und wurde ein klarer Elfmeter verweigert. Nur einmal passten sie in Halbzeit 2 nicht auf und das nutzten die abgezockten Mexikaner zum Ausgleich.
Zum Beispiel Frankreich – Ganz so emotional sind die Franzosen nicht mit ihrer Equipe Tricolore verwachsen. Allerdings gibt diese schon seit Jahren ein eher trauriges Bild ab und das war auch nach dem trostlosen 0:0 gegen die Defensivkünstler aus Uruguay so. Und normalerweise versenkt Uruguays Torjäger Forlan so einen Ball, den er an diesem Abend weit neben das Tor setzte.
Torheilige und ein Irrer bei der Nationalmannschaft
Die Kür: 11Freunde, 194 Seiten, 4,90 Euro
Inzwischen gehört es fast zur Familie, das selbsternannte Fußball-Kulturmagazin 11Freunde. Mit ihren bisherigen Sonderheften setzten die Macher in Deutschland Maßstäbe – entsprechend hoch sind die Erwartungen. „Ganz nett“ lautete meine erste Reaktion zum aktuellen Heft zur WM 2010 – und dann blieb das Exemplar erst einmal einige Tage liegen, was es früher nicht gab. Doch dann wurde es bei der Lektüre doch noch ein höchst vergnüglicher Abend.
Inhalt: Eigentlich sind es zwei Hefte: Infos zu Spielern, Teams und Daten packten die Verantwortlichen wie zuvor in ein kleines Booklet. Im „normalen“ Heft geht es viel um WM-Geschichte, magische Momente und „Geschichten hinter der konventionellen kicker-Story“ – eben die bekannte 11Freunde-Mischung. Was noch auffällt: Das Heft ist voll mit Anzeigen. Die Flegeljahre sind endgültig vorbei….
Urteil: Es beginnt etwas sperrig, denn die Geschichte über das Geschäftsgebahren der FIFA und ihrer Protagonisten Blatter/Havelange ist etwas zu lang und enthält auch nicht viel Neues. Zumindest für den, der die Enthüllungen der Herren Jennings/Kistner/Weinrich gelesen hat. Und dann nimmt die Sache Fahrt auf: ein lesenswertes Interview mit Rudi Völler (ja, das gibt es), Eltern sprechen über ihren Sohn, den Nationalspieler oder die Geschichte „Torheilige“, in der Torschützen in WM-Finals zurückbleiben. Ganz großes Kino ist das Fernsehprogramm vom 13. Juni (20.15 ARD, Ich weiß noch immer, wo du letztes Jahr trainiert hast – Inhalt: Ein Irrer steigt nachts ins Hotel der deutschen Nationalelf ein. Sein Motiv: Er will Torsten Frings rächen. Es beginnt ein großes Gemetzel…). Gut die Idee, jedem Tag der WM eine Geschichte zu widmen. Die Mischung im Hauptheft stimmt also, nur den Castrol-Index mit den 50 wichtigsten WM-Akteuren habe ich nicht ganz verstanden.
Nicht so gelungen finde ich das Booklet, auch wenn das Halbwissen für die Halbzeit durchaus Charme hat. Ansonsten ist es inhaltlich recht dürftig, aber 11Freunde will eben nicht den kicker ersetzen.
So langsam wird es Zeit, dass der Ball in Südafrika rollt. Weil inzwischen jede Tageszeitung meint, noch ein paar Anzeigen abgreifen zu müssen und eine Beilage zur Fußball-Weltmeisterschaft 2010 auf den Markt wirft. Das Meiste daraus kennt der wahre Fußball-Nerd schon – weil er sich längst eins der einschlägigen Sonderhefte besorgt hat. nurpferdeundfussball hat die Hefte vom kicker und von den 11 Freunden (siehe separater Text) unter seine anspruchsvolle Lupe genommen, weitere Rezensionen von Sonderheften gibt es bei allesaussersport.
Das kicker-Heft, 219 Seiten, 4,90 Euro
Etwas spät waren sie diesmal dran, die kicker-Leute. Denn Mitbewerber Sport-Bild war mindestens eine Woche früher draußen und wollte schon mal vorher den Markt abgreifen. Und dann verletzte sich Kapitän Michael Ballack und Sport-Bild machte dicke Backen: Denn viele Texte über die Taktik der deutschen Nationalmannschaft waren nun Makulatur, weil sich in ihnen vieles um Ballacks Rolle drehte. Auch die kicker-Redakteure werden geflucht haben, denn sie durften ihre Artikel im besten Fall ändern, im schlechtesten Fall neu schreiben. Aber jedenfalls hat das Nürnberger Blatt diese wichtige Personalie im Heft.
Inhalt: Die gewohnte, seit Jahren bewährte Mischung: Interview mit Bundestrainer Joachim Löw, umfangreiche Analysen zur deutschen Nationalmannschaft, detaillierte Vorstellung der deutschen Gegner, Farbfotos und Mannschaftsinfos aller Teilnehmer und dann noch mal zwei Seiten (die Gruppenfavoriten) bzw. eine Seite (der Rest) Text zu den restlichen Startern. Hinzu kommen zwei Doppelinterviews mit Philip Lahm und Martin Demichelis sowie Kaka und Ronaldo und ein Artikel über die WM-Geschichte. Und dazu natürlich Fakten und Daten in Hülle und Fülle.
Fazit: Eigentlich kann man der kicker-Mannschaft immer das Gleiche attestieren: Solide Arbeit auf fachlich hohem Niveau, manchmal etwas dröge, aber für die Unterhaltung sind andere zuständig. Wer über Spielsysteme, Schwächen und Stärken oder herausragende Spieler der Teams etwas erfahren möchte, der ist mit dem kicker-Heft bestens informiert - ein verlässlicher Partner ohne große Überraschungen. Nicht umsonst werben die Nürnberger mit dem Wort „Der Klassiker“ für ihr Sonderheft.
Es ist im übrigen das erste Heft unter dem neuen Chefredakteur Klaus Smentek, der den langjährigen Chef Rainer Holzschuh ablöste. Und als erfahrener kicker-Mann weiß Smentek, dass auch hier die Devise "Never change a winning team" galt. So gab es nur optisch einige Veränderungen beim Layout, die nicht alle positiv ausfielen. Weiße Schrift auf grauen Hintergrund ist eine Kastenkombination, die nicht unbedingt wirkt. Besonders glücklich finde ich die Mannschaftsseiten auch nicht, wo die erste Hälfte jetzt mit allerlei Statistik gefüllt wird und die Spielerliste etwas gequetscht unten auf der Seite auftaucht.
Wer mal in alte kicker-WM-Sonderhefte herein schauen möchte: der kicker präsentiert sie als e-paper auf seiner Homepage
Wann merkt man, dass eine Fußball-WM naht? Wenn die TV Spielfilm irgendein Sternchen im höchst knappen schwarz-rot-goldenen Bikini auf den Titel packt und wenn es bei Aldi/Lidl/Real/Penny/Rewe/Edeka/Kaufland/Kik diverse Scheußlichkeiten wie die Hawai-Kette in den Nationalfarben gibt. Es ist also mal wieder so weit: Deutschland rüstet sich unübersehbar für die Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika. Zeit für diese Kolumne also, die wichtigsten Fragen rund um das fußballerische Großereignis zu beantworten. Zumal der Autor auch schon die Sonderhefte von kicker und 11 freunde durchgearbeitet hat.
Wer wird Weltmeister? Die Antwort Spanien ist nicht besonders originell, ist der Europameister doch Favorit bei allen Buchmachern. Auch Brasilien klingt nicht gerade kreativ, doch alle acht Jahre gewinnen die Südamerikaner den Titel: 1994, 2002 und jetzt ?. Doch nurpferdeundfussball tippt anders und weiß, das diese Voraussage Hohn und Spott bringen könnte: England wird Weltmeister. Ja, die Mannschaft ohne gescheiten Torwart und sichere Elfmeterschützen. Aber sie haben jetzt mit Fabio Capello einen Trainer, der die über 40jährige Leidenszeit beenden kann. Weil der Italiener die Engländer taktisch wettbewerbsfähig gemacht. Und gute Fußballer haben sie ohne Ende in den Reihen der Three Lions: Ashley Cole, Rio Ferdinand, John Terry, Frank Lampard, Steven Gerrard und natürlich den unglaublichen Wayne Rooney. Für die meisten dieser Generation ist es im übrigen die letzte Chance, einen Titel mit der Nationalelf zu holen.
Aktuelle Wettquoten gibt es hier oder hier.
Wo landen die Deutschen? Im Viertelfinale ist diesmal Schluss – und nicht nur, weil mit Michael Ballack die Schlüsselfigur fehlt. Dass Trainer Joachim Löw auf Spieler wie Klose und Podolski baut, die ihn in der Nationalmannschaft nie enttäuscht haben, aber im Verein ohne Form sind, ist zwar lobenswert, aber diesmal zahlt sich die Nibelungentreue nicht aus. Löws junges Team hat Potenzial, aber erst die EM 2012 wird ihr Turnier.
Was machen die Teams aus Afrika? Der afrikanische Fußball stagniert - bestenfalls. Das Chaos in den meisten afrikanischen Staaten setzt sich auch bei den Fußball-Nationalmannschaften der Länder fort. Darum ist bei der ersten WM auf heimischen Boden ein Weltmeister aus Afrika schwer vorstellbar. Die Elfenbeinküste stellt zum Beispiel ein Team mit vielen klangvollen Namen im europäischen Fußball. Doch wer gesehen hat, wie die Mannschaft beim Afrika-Cup gegen Algerien nach anfänglicher Überlegenheit auseinander fiel, kann sich nicht vorstellen, dass die Elfenbeinküste die Vorrunde gegen Brasilien und Portugal übersteht. Zumal ich kein Freund von Trainer Sven Göran Eriksson bin, der schon als englischer Nationaltrainer unter Beweis stellte, das seine beste Zeit vorbei ist.
...irgendein Geheimtipp? Geheimtipp kann man nicht unbedingt sagen, weil Paraguay eine souveräne Qualifikationen in Südamerika spielte und dort hinter Brasilien und Argentinien inzwischen die Nummer 3 ist. Und die Argentinier haben sie in der Quali abgehängt. Der Grund für meine Unterstützung ist natürlich, dass mit Nelson Valdez und Lucas Barrios zwei Dortmunder bei „Los Guaranies“ aktiv sind. Außerdem sind sie nicht mehr die Defensivkünstler vergangener Jahre und spielen laut kicker durchaus mutig nach vorne. Damit Barrios genügend Bälle bekommt….
…und noch etwas: Der Sound der Vuvuzelas. Diese klingen angeblich wie ein „verwundeter Elefant“ und machten die Übertragungen vom Confederation-Cup für mitteleuropäische Ohren zu einem klanglichen Inferno. Aber sie sind die größte Chance für den Gastgeber. Als Vorgeschmack gibt es unten schon ein durchaus gelungenes Sound-Beispiel, im Stadion klingen die anders….
Fußball-Trainer müsste man sein. So wie Sven Göran Eriksson: Der Schwede übernimmt zur Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika für drei Monate das Team der Elfenbeinküste. Dafür erhält Eriksson nach Informationen des kickers (und der hat diese Zahlen von der französischen Sportzeitung L’Equiqe und wir glauben einfach mal diesen Bastionen des seriösen Sportjournalismus) monatlich 305 000 Euro.
Wenn die Elfenbeinküste das Achtelfinale erreicht, gibt es zusätzlich 203 000 Euro, beim Erreichen des Viertelfinales winken 305 000 Euro, das Halbfinale ist den Verantwortlichen 406 000 Euro wert, den Finaleinzug belohnen sie mit 509 000 Euro. Und wenn „Svenni“ das Unmögliche schafft und als erstes afrikanisches Team mit der Elfenbeinküste Weltmeister wird, darf er sich über zusätzliche 1,5 Millionen freuen. Dazu bezahlen ihm die Ivorer die Hotelkosten von rund 25 000 Euro in London (was ganz sinnig ist, weil eh’ das Gros der Ivorer in Europa kickt) und vertrauen ihm eine nichtlimitierte Kreditkarte an.
Da war Eriksson noch der große Held: 5:1 siegten die Engländer in Deutschland, triumphierten gegen Blasmusik und Autobahn und eine ganze Nation träumte von Titeln. Es blieb ein Traum...
Fette Schlagzeilen
Nun hat ja Eriksson durchaus seine Erfolge als Trainer gehabt. So war er in grauer Vorzeit mal UEFA-Cup-Sieger mit IFK Göteborg und gewann den italienischen Scudetto mit Lazio Rom. Das ist allerdings schon eine Weile her. Als englischer Nationaltrainer siegte er zwar mal mit 5:1 in München gegen Deutschland, doch ansonsten schaffte er es nicht, aus den Beckhams, Ferdinands, Gerrards oder Lampards (die viele als beste englische Fußballergeneration aller Zeiten betrachten) eine funktionierende Nationalmannschaft zu machen, die Titel gewinnt und sich nicht spätestens im Achtelfinale nach Hause verabschiedet. Dafür sorgte er zur Freude der englischen Tabloids als Freund außerehelicher Affären für fette Schlagzeilen.
Und auch seine letzten Stationen bei Manchester City und als Nationaltrainer Mexikos waren nicht gerade vom Erfolg geprägt. Dafür war er immerhin mit Notts County in der vierten englischen Division auf Aufstiegskurs in Liga 3 - sein Weggang ist wiederum eine ganz andere Geschichte.