Als Andy Boschert meine Wette ruinierte
Es gibt Rennen, die vergisst man sein ganzes Leben nicht. Der Tod des Rennpferdes und Deckhengstes Piccolo brachte die Erinnerungen zurück. An einen Sonntag auf der Kölner Rennbahn im Mai 1994 mit den Hauptdarstellern Royal Abjar, Prince Firebird, Jockey Andreas Boschert und eben jenem Piccolo.

Der 15. Mai 1994 muss ein trockener Tag gewesen sein, denn sonst wäre ich nicht von Dortmund auf die Rennbahn nach Köln-Weidenpesch gefahren. Ich habe diese Renntage gerade in Köln immer gemocht: ein sportlich großartiges Programm, das neben dem üblichen Turf-Volk auch andere Besucher anzog. Und der Rheinländer, um mal ein wenig klischeehaft zu werden, war so und so für einen Spruch gut. Dazu war die Erbsensuppe auf der Bahn ganz hervorragend. Also viele Dinge, die einen Besuch zum Erlebnis werden ließen.
Totalisator-Umsätze von mehr als einer Millionen DM waren an solchen Renntagen die Norm. Die deutsche Wirtschaft schwächelte damals nach der beendeten Wiedervereinigungs-Euphorie gewaltig, aber im deutschen Galopprennsport schien es nur eine Richtung zu geben: aufwärts.
Höhepunkt der Karte an diesem Mai-Sonntag war das Mehl-Mülhens-Rennen, damals noch nicht mit den Zusatz Deutsche 2000 Guineas versehen, aber eben ein Klassiker, der die besten Hengste des Jahrgangs über die 1600 Meter anzog. Die Dreijährigen 1994 waren der Jahrgang nach der berühmten Klasse des deutschen Turfs von 1990 mit Könnern wie Lando, Monsun, Sternkönig oder Kornado. Letzterer hatte 1993 das Mehl-Mülhens-Rennen gewonnen.
Neu war 1994, dass die berühmte Maktoum-Familie aus Dubai ein paar Pferde nach Deutschland ins Training geschickt hatte. Die meisten trugen die blauen Farben von Jaber Abdullah und einige kamen zu Trainer Andreas Wöhler, damals noch in Bremen ansässig.


Die Klasse von 91
Es war ein internationales Feld, das sich im Mehl-Mülhens-Rennen 1994 traf. Mick Channon, ein ehemaliger Fußballprofi (der später auch viele Abdullah-Pferde trainierte), schickte Piccolo mit Jockey Wendyl Woods ins Rennen, zudem hatten prominente englisch-irische Trainer wie John Dunlop, Peter Chapple-Hyam und Dermot Weld Starter.
Aus Deutschland waren besonders die drei Wöhler-Pferde chancenreich: Royal Abjar und Dyhim standen im Besitz des oben erwähnten Herrn Abdullah, im Sattel von Prince Firebird aus dem Gestüt Wiedingen saß Stalljockey Andreas Boschert.
Ich weiß nicht mehr, wer als Favorit ins Rennen ging. Auf dem Papier sah die Prüfung sehr offen aus, der Kolumnist schrieb jedenfalls eine Zweierwette mit Royal Abjar und Prince Firebird für fünf DM, natürlich hin und zurück. Das war in dieser Zeit, als die Felder in Deutschland noch viel Raum für Spekulationen boten, in der Regel eine Wette mit lukrativen Quoten. Ein Treffer reichte meistens, um mit einem finanziellen Plus nach Hause zu fahren.
Das Rennen wurde zu einer Prozession für Royal Abjar. „Überlegen, sechs Längen“, lautete der Richterspruch. Eine beeindruckende Vorstellung, der Hengst war an diesem Tag einfach viel zu gut. Jockey Willie Ryan musste nicht viel tun.
Ein gutes Rennen bescherte auch Wendyl Woods Piccolo von der Spitze. Und auch wenn die 1600 Meter deutlich zu lang wurden, verteidigte der Channon-Schützling den zweiten Platz. Denn leider kam Prince Firebird viel zu spät angeflogen, 50 Meter weiter hätte es zu Platz 2 gereicht und mein Einlauf wäre drin gewesen. Ich war stocksauer auf Jockey Andreas Boschert, der den Prinzen meiner Meinung viel zu spät eingesetzt hatte. Der Reiter war für mich als Jockey erst einmal erledigt.
Vielleicht würde ich anders urteilen, wenn ich das Rennen heute noch mal sehen würde. Vielleicht war es gar nicht die Schuld von Andreas Boschert, der ansonsten ein sehr erfolgreicher Jockey in Deutschland war. Vielleicht habe ich ihn ja zu Unrecht getadelt.

Die Zeit danach
Allerdings wurden meinen Beobachtungen später bestätigt: Piccolo entwickelte sich in England zu einem Top-Sprinter, der unter anderem in den Gruppe 1-Nunthorpe Stakes in York über schnelle 1000 Meter triumphierte. Später wurde der Warning-Sohn zu einem sehr erfolgreichen Deckhengst auf der Insel, der bekannt war für schnelle Sprinter und frühreife Youngster.
Royal Abjar griff nach seinem Kölner Triumph in den St. James’s Palace Stakes (Gruppe 1) während Royal Ascot nach den Sternen, war aber gegen die internationale Meilen-Elite (Sieger Grand Lodge) letztlich chancenlos. Danach wurde er als Sieger in Hoppegarten (Gr.2) disqualifiziert, siegte als deutlicher Favorit im Oettingen-Rennen (Gruppe 3) und zeigte noch mal auf internationaler Ebene eine hervorragende Leistung, als er in Longchamp (Gruppe 2) guter Dritter hinter Missed Flight und Green Tune wurde. Später hatte das Pferd mit Verletzungen zu kämpfen, als Deckhengst war (und ist?) Royal Abjar lange in der Türkei aktiv.
Prince Firebird siegte danach im Großen Preis der Dortmunder Wirtschaft (Gruppe 3) über 1800 Meter und lief im Deutschen Derby über 2400 Meter unplatziert. Nach seiner aktiven Laufbahn wirkte der Alzao-Sohn als Deckhengst in Skandinavien.