Sie gilt als Wunderstute und hielt bis 1993 den Rekord für die schnellste Zeit im Deutschen Derby: Nereide blieb in zehn Starts ohne Niederlage. 1936 war das große Jahr der 1933 geborenen Stute. Dabei siegte sie nicht nur in Diana und Derby, sondern schlug auch im damaligen „Braunen Band“ (es war die Zeit des Nationalsozialismus) die Ausnahmestute Corrida, die wenig später im Arc triumphierte.
Das mit der weißen Weste ist bei Rennpferden so eine Sache. Der große
Frankel blieb ungeschlagen in seiner glanzvollen Karriere, doch meistens kommt es anders als man denkt. Oder wer hätte vorher einen Gedanken daran verschwendet, dass der aktuelle englische Derby-Sieger
Golden Horn diesen Nimbus gegen die Stute
Arabian Queen einbüßt?
Unbesiegte Vollblüter aus Deutschland sind einen Seltenheit: Könner wie
Sea The Moon, Monsun, Lando, Acatenango, Nebos, Königsstuhl oder
Surumu wurden irgendwann alle mal geschlagen. Man muss schon sehr weit zurückgehen, um so ein Pferd zu finden: Die Stute
Nereide (geboren 1933, gestorben 1943) fand in zehn Starts keinen Bezwinger.
„Sie war das beste Pferd, das ich je trainiert habe“, bilanzierte später ihr Trainer Adrian von Borcke. Von Borcke war einer der großen Trainer-Namen im damaligen deutschen Turf. Sieben Derby-Sieger trainierte er für das Gestüt Erlenhof, darunter waren Ausnahmepferde wie
Ticino und
Orsini. Namen, die heute noch einen guten Klang im deutschen Turf haben.
Auch Nereide trug die blau-roten Farben und wurde in Erlenhof gezogen. Über den Vater
Laland oder Graf Isolani gibt es nur spärliche Informationen, schon der Doppelname irritiert. In der Datenbank von
Turf-Times taucht etwa nur ein zweiter Platz im Großen Preis von Berlin in Berlin-Grunewald als Rennleistung auf.
Mehr weiß die Turfwelt über den Großvater
Fels, überlegener Derby-Sieger 1906 und Sohn der legendären Stute
Festa aus dem
Gestüt Waldfried.
Jedenfalls stammte Nereides Mutter
Nella da Gubbio aus der Zucht des berühmten italienischen Züchters Federico Tesio. Ihr Vater
Grand Parade siegte unter anderem im Epsom-Derby 1919 und brach dabei eine bemerkenswerte Serie: Nach 106 Jahren war der Hengst wieder das erste schwarze Pferd, das diesen Klassiker gewann.
Ohne Niederlage: Nereide mit ihrem ständigen Jockey Ernst Grabsch.
„Herrlich unkompliziert“
Nereide jedoch war eine Stute mit braunem Fell. „Ein damaliger Betrachter Nereides könnte nicht sagen, dass sie eine Schönheit gewesen sei. Eher war sie etwas grob und schlaksig“,
schrieb die leider viel zu früh verstorbene Silvia Wächter, eine großartige Pferde-Kennerin aller Epochen. Aber Nereide sei herrlich unkompliziert gewesen, „brauchte kaum Arbeitseinheiten, kam ohne Führpferd aus, steckte die Rennen flott weg und war frisch und direkt wieder an der Krippe“.
Im Gegensatz zu vielen anderen deutschen Vollblütern war sie zudem eine sehr aktive und herausragende Zweijährige. Fünf Mal sattelte sie Trainer von Borcke, fünf Mal hatte die Erlenhoferin am Zielpfosten die Nase vorn, jedes Mal saß Ernst Grabsch im Sattel.
Am liebsten gewann Nereide Start-Ziel, der Richterspruch lautete in vier von fünf Fällen überlegen oder sehr leicht. Nur im Ratibor-Rennen, dem letzten Rennen zweijährig und damals in Hoppegarten gelaufen, musste die Stute laut Zielspruch ein wenig kämpfen: Auf dem weich bis schweren Boden hatte sie nur eine dreiviertel Länge Vorsprung gegenüber dem Röttgener
Wahnfried.
Dreijährig setzte die Stute ihre Erfolgserie fort: Nach einem erfolgreichem Aufgalopp in Hoppegarten über 1600 Meter stand mit dem Preis der Diana der erste Klassiker auf dem Programm. Und Nereide erfüllte die Erwartungen mit einem sicheren Sieg gegen
Alexandra und
Abendstimmung.
Es folgte der Erfolg im Hamburger Nickel-Eintracht und dann kam das Deutsche Derby in Hamburg-Horn. Das Double Diana und Derby lockte. Es wurde auf Boden, der laut Galopp-Sieger „zur Härte neigend“ war, ein denkwürdiges Rennen. Wir zitieren Turf-Expertin Silvia Wächter, die den Verlauf wunderbar anschaulich beschrieben hat:
„Nach einem Fehlstart wurde der Schlenderhaner
Periander, im Sattel Gerhard Streit, unruhig und aufgedreht. Als dann die Flagge zum regulären Start fiel, war Periander nicht mehr zu halten und tobte los. Der Hengst riss das Feld in Fetzen, Nereide folgte ihm fünf bis sechs Längen zurück, hinter ihr waren zwei weitere Pferde, die diese Pace einigermaßen mithalten konnten. Der Rest des Pulks lag hoffnungslos zurück. Aber Periander marschierte weiter Richtung Zielgerade, er brachte das Feld auch in den Einlauf. Rund 400 m vor dem Ziel aber mußte Periander seinem höllischen Tempo Tribut zollen, er wurde müde und kürzer. Nun setzte Ernst Grabsch Nereide ein, die Stute zog mühelos über Periander hinweg. Bis ungefähr 50 m vor dem Zielpfosten ritt Grabsch Nereide aus, dann nahm er die Hände herunter, ließ die Stute ins Ziel trudeln und trotzdem kam es zu dieser Rekordzeit.“
Dieser Derby-Rekord von 2:28,8 für die 2400 Meter war lange etwas für die Ewigkeit. Erst
Lando war 1993 schneller,
Athenagoras lief immerhin bei seinem Erfolg 1973 die gleiche Zeit wie die Stute.
Triumph über eine Arc-Siegerin
Es war die Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland und natürlich instrumentalisierten die Verbrecher in den braunen Uniformen auch den Rennsport. Mit dem
Braunen Band von Deutschland wollten die NS-Initiatoren ein „hervorragendes rein deutsches Gegenstück zu dem englisch geprägten Derby und dem französisch beeinflussten 'Großen Preis von Baden' schaffen, den beiden traditionell bedeutendsten und höchstdotierten deutschen Galopprennen“.
Dort in München 1936 schlug in dieser mit 100 000 Reichsmark dotierten Prestige-Prüfung vielleicht die größte Stunde von Nereide: Die ein Jahr ältere französische Spitzenstute
Corrida hatte nicht den Hauch einer Chance. Charles Elliot, der Jockey der Unterlegenen, lobte nach der Niederlage die Siegerin in höchsten Tönen. Es gebe in Europa wohl kein zweites Pferd, das so gegen Corrida gewinnen könne, sagte er. Er hatte Recht: Ohne Nereide triumphierte sein Pferd im Arc und wiederholte den Erfolg ein Jahr später.
Doch für die deutsche Ausnahme-Stute war die Gala-Vorstellung im Braunen Band der letzte Start. Ungeschlagen nahm das Gestüt Erlenhof sie in die Zucht. Dort starb Nereide 1943 bei der Geburt eines Fohlens. Leider verhinderten die Wirren des Zweiten Weltkriegs und viel Pech, dass die Stute einen großen Zuchteinfluss in Deutschland hatte. Schade bei einem Pferd dieser Klasse.
Weitere Quellen:
Wikipedia
Galopp-Sieger
Korrektur
Der Sieg in der Diana war nicht der erste Klassiker, den Nereide für sich entschied. Der erste Klassiker-Sieg war im Kisasszony-Rennen in Hoppegarten über 1600 Meter, den heutigen 1000 Guineas. Danke für den Hinweis.