Ein Biss zuviel
Es ist bislang eine Weltmeisterschaft der Südamerikaner: Brasilien erwartungsgemäß Gruppensieger, Kolumbien ebenfalls ungeschlagen, Argentinien zwar nicht schön, aber auch siegreich, Chile kickt Spanien raus und natürlich Uruguay. Die „Celeste“ besiegelte das Vorrunden-Aus der europäischen Fußballgrößen England und Italien. Dabei hatten viele die Mannschaft nach der überraschenden Auftakt-Niederlage gegen den späteren Gruppensieger Costa Rica schon abgeschrieben. Doch das Ergebnis spielte danach keine große Rolle mehr.

Erinnerungen an alte Treter-Tage wurden wach. Es war die 79. Minute, da zeigte Italiens Giorgio Chiellini auf einmal seine Schulter. Sie blutete ein wenig. Vorausgegangen war eine Rangelei mit Uruguays Stürmer Luis Suarez. Der hielt sich die Zähne vor angeblichen Schmerzen. Doch das war Show, er war der Übeltäter: Suarez hatte wieder zugebissen wie einst bei Liverpool und Ajax Amsterdam, nur der Schiedsrichter und sein Assistent hatten nichts gesehen.
Der Stürmer ist ein Genie im Strafraum. Seine beiden Tore gegen England zeigten das eindrucksvoll. Die andere Seite des Luis Suarez erinnert an alte südamerikanische „Tugenden“. Wie man gewinnt ist egal, um zu siegen, ist jedes Mittel erlaubt, das den Gegner provoziert und aus dem Rhythmus bringt.
„Suarez braucht Hilfe“, schrieb der englische Telegraph. Weil das, was er mache, letztendlich selbstzerstörend sei. Die FIFA wird den Vorfall untersuchen, wahrscheinlich werden sie den Spieler sperren. Damit wird Uruguay ein Akteur fehlen, der den Unterschied zwischen Sieg und Niederlage ausmachen kann. Bei der Niederlage gegen Costa Rica fehlte Suarez.
Das Presseecho war gewaltig, besonders die englische Boulevard-Presse wütete. „Der Vampir kehrt zurück. Drei Bisse und du bist draußen. Diesmal kann es keine zweite Chance geben, keine Vergebung, keine Behauptung, er habe sich geändert“, forderte der Mirror.
Dagegen fühlten sich die Uruguayer verfolgt und witterten ein Komplott. „Das ist eine Fußball-Weltmeisterschaft, es geht hier nicht um billige Moral“, entrüstete sich Uruguays Trainer Oscar Tabarez. „. ….Suarez, trotz aller Fehler, die er macht, ist das Ziel gewisser Medien und Zeitungen, die nur auf eine neue Verfehlung von ihm warten. Über seine Fehler wird viel mehr berichtet als über seine sportlichen Leistungen.“
Uruguay gegen Italien in Natal – das war am dritten Vorrundenspieltag der Gruppe D lange Zeit Folter pur für den neutralen Beobachter. Italien reichte ein Unentschieden, die Südamerikaner mussten gewinnen – doch das Team von Oscar Washington Tabarez begann verhalten. Es war ein verbissener Kampf, fast jede Aktion endete mit einem Foul. Chancen blieben Mangelware.
Spätestens nach der unberechtigten Roten Karte für Italiens Marchisio bekam Uruguay Oberwasser, verstärkte die Offensivanstrengungen. Und wurde belohnt: Kurz nach der Beißattacke köpfte Diego Godin zum 1:0-Sieg ein.

Bollwerk
Es gibt einige Mannschaften bei dieser Weltmeisterschaft, die sehr kompakt stehen: die Niederlande zum Beispiel baute gegen Chile ein Bollwerk auf, gegen das kaum ein Durchkommen möglich war. Auch Mexiko stand in den ersten drei Spielen sehr geschlossen.
Aber es gibt kein Team, das dieses kompakte Spiel so beherrscht wie Uruguay. Zum einen, weil man in dieser Besetzung schon sehr lange zusammenspielt, zum anderen unterbindet man immer wieder mit kleinen Fouls und Nickligkeiten den Spieltakt des Gegners. Dazu ist das Team eine Mannschaft – jeder läuft und kämpft für jeden.
Also „klassischer rechter Fußball“, um mal bei Altmeister Cesar Luis Menotti zu bleiben? Siegen um jeden Preis? Ohne Sinn für Ästhetik und Schönheit? Das häßliche Spiel? Nur bedingt – Uruguay 2010 und 2014 ist nicht so schlimm wie Kloppertruppen dieses Landes aus früheren Jahren. Das Team bei der WM 1986 in Mexiko bleibt in Sache Härte unübertroffen. Da galt jede Attacke dem Gegner und nicht dem Ball. Die Mannschaft hatte damals einen Abwehrspieler namens Victor Diogo, der senste alles um, was in seiner Nähe war.
Auch Uruguay 2014 hat mit Caceres, Arevalo Rios, Alvaro Pereira oder Maxi Pereira einige knochenharte Typen dabei. Diego Godin zählt zu den besten Innenverteidigern der Welt, mit Jose Maria Gimenez wächst ein großartiges Talent auf dieser Position heran. Doch vorne hat man mit Edinson Cavani und eben Luis Suarez herausragende Individualisten, die immer ein Spiel entscheiden können. Wenn sie sich denn mal auf das Spiel konzentrieren.
1986 war im Achtelfinale Schluss, der zweimalige Weltmeister Uruguay scheiterte am Erzrivalen und späten Champion Argentinien. Jetzt geht es gegen Kolumbien, einen weiteren Südamerikaner – aber wahrscheinlich ohne Suarez.